Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Anämie bedeutet Blutarmut. Ursachen können eine Bildungsstörung im Knochenmark, ein Blutverlust oder ein Eisenmangel sein. Jeder dieser Ursachen liegen wieder verschiedene mögliche Diagnosen zugrunde, so dass Diagnostik und Behandlung sehr facettenreich sind. Ursachen und Auswirkungen sind von entscheidender Bedeutung für den Verlauf und die Therapie vieler körperlicher Krankheiten, sowie für die Leistungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und das psychische Befinden.
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Anämie (Blutarmut) ist durch einen Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten) bzw. des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) im Blut definiert.
Ursachen Sie sind sehr vielfältig. Möglich sind:
Wenn eine Blutung nicht erkennbar ist, muss gedacht werden an:
Diagnostik Sie beginnt mit einer ausführlichen Befragung (Anamnese) und den Laborwerten (speziell dem Blutbild) und kann eine Suche nach einer verborgenen (okkulten) Blutung, einer chronischen Entzündung oder einem Krebs beinhalten (siehe hier). Laborwerte Sie geben die wichtigsten Hinweise auf die Ursache:
Auswirkungen Wie sich eine Blutarmut auswirkt, hängen von ihrer Ausprägung ab. Je höhergradiger sie ist, desto stärker sind
ausgeprägt. Desto stärker lässt auch die Konzentrationsfähigkeit nach. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache (siehe hier). Bei einer ausgeprägten Blutarmut können Bluttransfusionen erforderlich werden. → Patienteninfos zur Blutarmut siehe hier. |
Definition
Die Blutarmut ist definiert über den verminderten Hämatokrit oder die verminderte Menge an Hämoglobin im Blut.
Untere Grenzwerte
- Hämoglobingehalt
- Männer 13 g/dl
- Frauen 12 g/dl
- Hämatokrit
- Männer 42 %
- Frauen 38 %
Werte unterhalb dieser Grenzen begründen die Diagnose einer Blutarmut. Allerdings sollte eine vorübergehende Verdünnung des Bluts durch hohe Flüssigkeitszufuhr oder eingeschränkte Ausscheidung berücksichtigt werden, so dass Kontrolluntersuchungen erforderlich werden können.
(Je nach Labor werde unterschiedliche Grenzwerte angegeben.)
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Ursachen
Ursache einer Blutarmut ist das Überwiegen von Abbau bzw. Verlust über die Neubildung von Erythrozyten bzw. Hämoglobin. Normalerweise wird täglich soviel an roten Blutkörperchen nachgebildet, dass der normale Verlust durch Alterung und Sequestrierung ausgeglichen wird. Auch ein geringer erhöhter Verlust kann in der Regel durch die Überschusskapazität des Knochenmarks abgefangen werden.
Die Aktivität der Nachbildung roter Blutkörperchen erkennt man an der Zahl der Retikulozyten (junge Erythrozyten mit Resten von Kernmaterial). Die Retikulozytenzahl beträgt bei normaler mittlerer Lebenszeit der Erythrozyten von 100-120 Tagen um 10-12 pro 1000 Erythrozyten (siehe hier).
Eine Bildungsstörung der roten Blutkörperchen
Sie ist durch folgende Hauptursachen bedingt:
- eine Störung oder Krankheit des Knochenmarks (z.B. beim myelodyplastischen Syndrom (MDS) oder der Leukämie),
- ein Mangel an Stoffen, die zur Bildung der roten Blutkörperchen oder des Hämoglobins notwendig sind (z. B. ein Eisenmangel oder ein Mangel an Vitamin B12),
- ein Mangel an Bildungsfaktoren, z. B. Erythropoetin: meist durch eine chronische Nierenkrankheit mit Niereninsuffizienz bedingt, häufig bei Dialysepatienten (mehr dazu siehe unter renale Anämie).
Ein Eisenmangel ist die häufigste Ursache. Er begrenzt die Bildung des roten Farbstoffs Hämoglobin der Erythrozyten.
Verkürzte Lebenszeit der Erythrozyten
Sie erfordert eine ständig erhöhte Nachproduktion im Knochenmark. Wenn seine Kapazität nachlässt und sich erschöpft, entwickelt sich eine Blutarmut. Ursachen einer verkürzten Lebenszeit sind
- eine Hämolyse, d.h. ein erhöhter Zerfall der Erythrozyten im Blut und
- ein akuter oder chronischer Blutverlust, gegen den das Knochenmark auf Dauer nicht ankommt. Ein wesentlicher Grund hierbei ist der blutungsbedingte Verlust von Eisen, welches zur Nachproduktion des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin benötigt wird. Mehr dazu siehe unter Blutungsanämie.
Einteilung
Folgende Hauptformen einer Blutarmut lassen sich unterscheiden:
Hyperchrome makrozytäre Anämie
Bei dieser Anämie sind die roten Blutkörperchen größer und ihr Hämoglobingehalt geringer als normal.
Ursachen können sein
- ein Vitamin-B12-Mangel: durch ihn entsteht die Perniziöse Anämie (Morbus Biermer); Ursache kann beispielsweise eine autoimmune Typ-A-Gastritis) sein,
- eine toxische Knochenmarkschädigung (beispielsweise durch Alkohol) oder
- eine Tumorkrankheit, z. B. ein Lymphom.
→ Zur hyperchromen makrozytären Anämie siehe hier.
Hypochrome mikrozytäre Anämie
Bei dieser Anämie sind die roten Blutkörperchen kleiner und ihr Hämoglobingehalt geringer als normal.
Ursachen können sein
- ein Blutverlust (gastrointestinale Blutung, gynäkologische Blutung, sonstige Blutverluste, auch zu häufige Aderlässe),
- ein Eisenmangel durch Eisenresorptionsstörung (beispielsweise bei einer Dünndarmkrankheit wie der Sprue, dem Morbus Whipple oder dem Kurzdarmsyndrom) oder
- eine Eisenverwertungsstörung (beispielsweise bei einer Knochenmarkskrankheit oder einem Tumorleiden).
→ Zur hypochromen mikrozytären Anämie siehe unter Blutungsanämie, Mikrozytäre Anämie und Eisenmangelanämie.
Normochrome normozytäre Anämie
Bei dieser Anämie sind die Anzahl der roten Blutkörperchen pro Volumen und ihr Hämoglobingehalt normal, aber das Gesamtvolumen erniedrigt.
Eine Blutarmut ohne Veränderung der Größe und des Hämoglobingehalts der Erythrozyten kommt kurz nach einer großen Blutung zustande, wenn Flüssigkeit in das Blutgefäßsystem einströmt und das Blut verdünnt oder nach einer Flüssigkeitsinfusion.
Eine Blutarmut mit normochromen normozytären Erythrozyten kann auch durch eine Kombination einer mikrozytären und hypochromen Eisenmangelanämie und einer makrozytären und hyperchromen perniziösen Anämie als Mischbild entstehen.
Diagnostik
Nachweis der Anämie: Eine Blutarmut kann verdächtigt werden, wenn eine entsprechende Symptomatik und zudem ein dazu passender klinischer Befund vorliegen. Gesichert wird sie durch die Bestimmung der Erythrozytenparameter.
Ursachendiagnostik: Der nächste diagnostische Aspekt betrifft die Suche nach der Ursache. Hierbei hilft die Unterscheidung nach Hämoglobingehalt und Größe der roten Blutkörperchen.
- Anamnese:
- Atemnot?
- Leistungsschwäche?
- Sichtbare Blutung? Blut im oder auf dem Stuhl?
- Vegetarische Ernährung? (Strenge Vegetarier und Veganer können bei besonderen Stoffwechselbelastungen in einen Vitamin-B12-Mangel und einen Eisenmangel geraten).
- Kälteempfindlichkeit, Frösteln? (Häufig bei einer Blutarmut)
- Klinischer Befund:
- Blässe: blasse Lippen, blasse Bindehäute der Augen (Conjunktiven)
- Rascher Herzschlag, Tachykardie.
- Diagnosesicherung:
- Hämoglobin erniedrigt (entscheidend, da Sauerstoffträger),
- Hämatokrit erniedrigt,
- Erythrozyten im roten Blutbild erniedrigt.
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Weitere Diagnostik je nach verdächtigter Ursache
Erythrozytenparameter:
Wenn die Erythrozyten mikrozytär (zu klein) gemessen werden, wird ein Eisenmangel zu verdächtigen sein; der wiederum lässt an eine Blutung als Ursache denken lassen.
Wenn die Erythrozyten makrozytär (zu groß) gemessen werden, ist ein Vitamin-B12-Mangel zu verdächtigen und die Ursache im Magen oder im unteren Dünndarm zu suchen. Bei einer Typ-A-Gastritis kommt es zu einem Mangel an “intrisic factor”; bei einer Erkrankung des terminalen Ileums (z. B. Ileitis terminalis) zu einer mangelhaften Resorption von Vitamin B12.
Weitere Untersuchungen:
- Endoskopie
- des Magens (Gastroskopie: Blutungsquelle?
- Probeexzision (PE) aus Dünndarm zum Sprueausschluss und aus dem Fundus des Magens zur Diagnostik der Typ-A-Gastritis speziell bei einer makrozytären Anämie)
- Endoskopie des Dickdarms (Koloskopie: Blutungsquelle? z. B. Kolonkarzinom?
- des Magens (Gastroskopie: Blutungsquelle?
- Hämolyseparameter (erhöht sind Haptoglobin, Retikulozyten, freies Hämoglobin).
- Eisenbelastungstest: Resorption im oberen Dünndarm gestört? Eisenmangel kann die häufige mikrozytäre Anämie erklären; Ursache kann z. B. eine Sprue sein (Dünndarmbiopsie!, Antiendomysium-Antikörper bestimmen!).
- Bestimmung von Vitamin B12, ggf. auch von Folsäure: Ein Vitamin-B12-Mangel sowie ein Folsäuremangel können einer makrozytären Anämie zugrunde liegen (Fundusbiopsie des Magens!).
- Knochenmarkbiopsie bei Verdacht auf Knochenmarkskrankheit: zugrunde liegen kann z. B. ein myelodysplastisches Syndrom (MDS), eine Infiltration von Tumorzellen, ggf. auch eine toxische Knochenmarksschädigung
Therapie
Die Therapie einer Blutarmut erfolgt entsprechend ihrer Ursache und ihrer Ausprägung.
Ursächliche Therapie
Sie kann sich auf einen Blutverlust, eine Magendarmkrankheit , eine chronische Entzündung, einen Knochenmarkschaden oder einen Tumor richten (siehe oben unter Ursachen einer Anämie).
Ausgleich der Blutarmut
- Bluttransfusionen: bei chronischer Anämie (z.B. beim myelodysplastischen Syndrom) bleibt man i.d.R. zurückhaltend, bei akuter Anämie kommt sie frühzeitiger zum Einsatz. Indikation zur Bluttransfusion unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik. Sie werden vielfach z. B. bei Hämoglobin unterhalb 7 g/dl durchgeführt, bei einer Herzinsuffizienz, Angina pectoris, besonderer Abgeschlagenheit oder Atemnot auch schon bei einem Hb von etwa 8 oder 9 g/dl oder darüber.
- Eisensubstitution mit geringen und mittleren Dosen (oral) bei Eisenmangelanämie (meist hypochrome mikrozytäre Anämie (s.o.) ist effektiv und gilt als relativ sicher. Auch eine kurzzeitige intravenöse Applikation von Eisen gilt als relativ sicher. (1)Expert Opin Drug Saf. 2018 Feb;17(2):149-159. doi: 10.1080/14740338.2018.1400009.
- Substitution von Vitamin B12 und Folsäure bei nachgewiesenem Mangel (meist Ursache einer makrozytären hyperchromen Anämie),
- bei Vitamin-B12-Mangel,
- bei Folsäuremangel.
Behandlung von Sonderformen:
- Beim myelodysplastischen Syndrom (MDS) (Krankheit des Knochenmarks) kommen als Therapie nur Transfusionen in Betracht (geleitet durch das Blutbild und die Symptomatik),
- Bei der renalen Anämie (Anämie bei Niereninsuffizienz, häufig bei Dialysepatienten) ist meist Erythropoetin indiziert, ggf. auch Bluttransfusionen. Neue Optionen ergeben sich durch “Hypoxia-inducible factor (HIF)-Aktivatoren. Sie stimulieren die körpereigene Erythropoetin-Produktion und erhöhen die Eisenverwertung. (2)Kidney Int Suppl (2011). 2017 Dec;7(3):157-163. doi: 10.1016/j.kisu.2017.09.002. (3)Expert Opin Investig Drugs. 2018 Jul;27(7):613-621. doi: 10.1080/13543784.2018.1493455.
- Bei einer Leukämie (z. B. CML, verdrängt die Blutbildung im Knochenmark) kommen Bluttransfusionen und ggf. eine Chemotherapie in Betracht,
- Bei einem Morbus Osler wird versucht, alle erkennbaren Gefäßmissbildungen im Magendarmkanal endoskopisch zu verschorfen (elektrisch zu koagulieren), ansonsten Bluttransfusionen.
- Bei einer autoimmunhämolytischen Anämie mit Wärmeautoantikörpern: Glukokortikoide, zusätzlich Behandlung der assoziierten Krankheit, ggf. bei Therapieversagen Rituximab,
- Bei einer autoimmunhämolytischen Anämie mit Kälteagglutininen: ggf. Rituximab (siehe hier).
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Verweise
Ursachen
Weiteres
Patienteninfos
Literatur