Das Wichtigste verständlich
Ein Medikamentenschaden der Leber (medikamenteninduzierte Hepatopathie; engl.: idiosyncratic drug-induced liver injury, DILI) sollte bei jedem neu verordneten Medikament als mögliche Komplikation im Auge behalten werden. Eine Kontrolle auf Verträglichkeit beinhaltet nicht nur die Überprüfung des subjektiven Befindens, sondern auch von Laborwerten. Dies gilt vor allem bei solchen Medikamenten, bei denen unerwünschte Wirkungen an der Leber häufiger vorkommen. 1
Tritt nach Einnahme eines neuen Medikaments eine Dunkelverfärbung des Urins bzw. eine Gelbverfärbung der Augen ein (Sklerenikterus), so ist an eine Medikamentennebenwirkung zu denken und das verdächtigte Medikament abzusetzen. Bessern sich die Leberwerte, kann ein „Reexpositionsversuch“ in der Praxis den Verdacht auf eine schädigende Wirkung des neuen Medikaments bestätigen. Je nach Ausprägung kann der Medikamenteneinfluss alle Funktionen der Leber bis hin zu einem völligen Leberausfall betreffen. Zumeist ist er jedoch gering und wird erst durch Bestimmung der Leberwerte bemerkt. Insbesondere die Gamma-GT und die Transaminasen reagieren sensibel. Zwei Mechanismen: Medikamente können über 2 Wege die Leber schädigen, nämlich über
Der direkt toxische Effekt tritt unmittelbar (akut) ohne wesentliche zeitliche Verzögerung ein und ist dosisabhängig (je mehr, desto stärker die Wirkung). Er löst sich mit Absetzen des Medikaments oder Entfernung der toxischen Substanz meist völlig auf. Der indirekte Effekt ist weitgehend dosisunabhängig und tritt erst verzögert nach einer Latenzzeit einiger Tage auf. Geringe und größere Mengen schädigen in etwa gleich stark. Er kann lange anhalten und ist bei chronischem Verlauf (über 6 Monate) eine mögliche Ursache einer Lebervernarbung (Leberfibrose und Leberzirrhose). Selbst geringgradige Leberwerterhöhungen nach einer neuen Medikation sind ernst zu nehmen. Therapeutisch können bei ausgewählten Patienten mit chronischer Leberwerterhöhung, die durch ein Medikament ausgelöst wurden, zusätzlich zum Absetzen des verdächtigten Arzneimittels N-Acetylcystein und Kortikosteroide, einen gewissen Nutzen bringen. |
Allgemeines
Unerwünschte Wirkungen (adverse Effekte) werden nicht nur von Umweltgiften, sondern auch von Medikamenten ausgelöst; die Mechanismen sind sehr ähnlich. Treten sie bei Medikamenten bei einer Dosierung in ihrem therapeutischen Bereich auf, wird von Nebenwirkungen gesprochen. Die Nebenwirkungen können für eine ganze Substanzgruppe ähnlich sein (Idiosynkrasie: Eigentümlichkeit).
Die Häufigkeit wird mit einer Inzidenzrate von etwa 20 Fällen pro 100.000 pro Jahr relativ gering angegeben. Am häufigsten sind Antibiotike beteiligt (Beispiel Amoxicillin/Clavulansäure) 2.
Ein Medikamentenschaden der Leber führt zu einer Erhöhung der Leberwerte und kann einen Umbau mit Vernarbung des Lebergewebes bewirken. Meistens bleiben toxische Leberschäden lange Zeit unentdeckt. Sie machen sich lediglich durch eine Erhöhung der Leberwerte bemerkbar, wobei die Gamma-GT und die Transaminasen relativ sensibel reagieren.
Bei einer schwereren akuten Schädigung kann es in seltenen Fällen zu einer Gelbsucht und zu einem Leberversagen kommen. Bei einer chronischen Schädigung können narbige Veränderungen im Sinne einer Leberfibrose und eine Leberzirrhose entstehen. Ein chronischer Verlauf kann eine Autoimmunerkrankung der Leber imitieren und Ähnlichkeit mit einer „Venoocclusive disease“ aufweisen. 3
Praktisch jedes Medikament kann eine Leberschädigung hervorrufen. Es empfiehlt sich in vielen Fällen, nach Ansetzen einer neuen Medikation die Leberwerte zu kontrollieren. Die Behandlung besteht im Wesentlichen im Absetzen bzw. Umsetzen des verantwortlichen Medikaments.
Ursachen und Entwicklung
In westlichen Ländern sind Antibiotika die Hauptursache für DILI, in östlichen die traditionelle chinesische Medizin mit ihren Phytopharmaka 4.
Zwei Mechanismen der Entstehung: Medikamente können prinzipiell auf mehreren Wegen die Leber schädigen: Meistens werden für die Entstehung toxische Metaboliten verantwortlich gemacht. Aber auch eine allergisch-hypererge Reaktion (idiosynkratisch) kann die Ursache sein. Seltener kommt eine Schädigung durch abnorme Stoffwechselprozesse zustande.
Eine schützende Rolle spielt die Autophagie, indem sie in den Leberzellen (Hepatozyten) geschädigte Mitochondrien (Mitophagie) und andere störende Zellbestandteile entfernt. 5 (Siehe dazu unter Apoptose.)
Ein erhöhtes Risiko für eine abnorme Medikamentenreaktion haben Langsamacetylierer (genetisch bedingt) und Menschen mit einer vorbestehenden Leberkrankheit. 6
Beispiele
Therapie der Tuberkulose: Ein Medikamentenschaden der Leber tritt relativ häufig bei der Behandlung einer Tuberkulose auf. In 2 % – 28 % der Fälle findet sich eine Erhöhung der Leberwerte.
Paracetamol: Paracetamol (Acetaminophen) kann je nach individueller Reaktionsbereitschaft mehr oder weniger stark leberschädigend wirken, erkennbar an einer Erhöhung der Transaminasen. Ab etwa 6 g kann ein akutes Leberversagen auftreten (Antidot: N-Acetylcystein). Daran beteiligt sind eine Stoffwechselaktivierung, mitochondrialer oxidativer Stress und eine proinflammatorische Reaktion durch Mediatorstoffe 7.
Antibiotika: Amoxicillin-Clavulansäure ist eines der am häufigsten verschriebenen Antibiotika und verursacht nur selten Leberschäden, hauptsächlich bei Männern ab 55 Jahren sowie mit Alkoholkonsum oder anderen Medikamenten 8. Schwere Leberschädigungen können auch durch andere Antibiotika, wie z. B. durch Cephalosporine, hervorgerufen werden. Oftmals tritt ein ausgeprägter Ikterus auf (cholestatischer Verlauf). Bei einer infektiösen Mononukleose kommt es häufiger zu einer durch Antibiotika ausgelösten Hautrötung (Erythem) 9.
Pflanzliche Inhaltsstoffe und Phytomedikamente: Phytopharmaka können ebenfalls hepatotoxisch wirken und müssen bei unerklärlicher Gelbsucht oder einer neu aufgetretenen laborchemischen Leberschädigung (z. B. Erhöhung der Transaminasen) als Ursache in Betracht gezogen werden. 10 Bestimmte Sorten von grünem Tee wurden als Ursache eines toxischen Leberschadens ausgemacht. In einer Beobachtungsserie an 19 Patienten war die Zeit bis zum Auftreten hepatotoxischer Nebenwirkungen sehr unterschiedlich; sie variierte zwischen 14 und 365 Tagen. Die meisten hatten konzentrierte Grün-Tee-Extrakte (z. B. zur Gewichtsreduktion in Pulver- oder Tablettenform) eingenommen wurden. Alle zeigten eine multifokale hepatozelluläre Nekrose und Apoptose mit entzündlichen Infiltraten. Eine Patientin hatte von einem auf Alternativmedizin spezialisierten Arzt ein GTE-Mischpräparat intravenös erhalten 11.
Toxisch (am häufigsten)
Die schädigende Wirkung tritt sofort ein, ist dosisabhängig und vorhersagbar. Die Leberzellen (Hepatozyten) und oder die Zellen der kleinen Gallenwege werden direkt geschädigt; ein programmierter Zelluntergang findet nicht statt. Histologisch betreffen die Nekrosen die einzelnen Zonen der Leberläppchen unterschiedlich ausgeprägt.
Ein toxischer Leberschaden wird durch viele Medikamente ausgelöst. Ein ähnliches Bild findet sich bei einer Vergiftung mit Phosphor, Pilzgiften oder Vinylchlorid.
Idiosynkratisch (seltener)
In diesem Fall handelt es sich nicht um einen direkt schädigenden Einfluss eines Medikaments auf die Leber, sondern um eine indirekte Schädigung. Die schädigende Wirkung auf die Leber ist nicht vorhersagbar und nicht dosisabhängig, jedoch abhängig von der Reaktion des Körpers. Vor allem zwei Reaktionstypen lassen sich unterscheiden:
- immunologisch (Hypersensitivität, Beginn nach etwa 2 (1 – 5) Wochen); histologisch meist diffuse oder multifokale Nekrosen, oft Hepatitis-ähnlich, Infiltrationen mit mononukleären Zellen, manchmal ausgeprägte Gewebseosinophilie (eosinophile Hepatitis, Beispiele: manche Medikamente, so z. B. Ajmalin)
- metabolisch (Beginn meist erst nach mehreren Tagen; Beispiel: bei lang anhaltendem Hunger wie beim Kwashiorkor).
Histologie
Ein akuter Medikamentenschaden der Leber bewirkt histologisch folgende Veränderungen:
- azidophile Degeneration der Hepatozyten bei vielen Substanzen,
- zonale Nekrosen: periportal (Trinitrotoluol, einige Medikamente), mittzonal (Furosemid, sehr selten), perivenös (Tetrachlorkohlenstoff, Halotan, Paracetamol),
- Steatose (Leberverfettung) bei Phosphor, Alkohol, Methotrexat, Tetrazyklin (meist mikrovesikuläre Verfettung), Valproat,
- Cholestase bei Chlorpromazin, Kontrazeptiva, C17-alkylierte Anabolika,
- Gewebseosinophilie (Infiltrationen der Portalfelder mit eosinophilen Granulozyten), Beispiel: Ajmalin,
- Peliosis hepatis, thrombotische Zentralvenenverschlüsse (venoocclusive disease) und hepatische Venenthrombose bei Zytostatika, Kontrazeptiva bei chronischer Schädigung,
- chronische Hepatitis bei Oxyphenisatin, Methyldopa, Nitrofurantoin, Sulfonamide, Propylthiouracil,
- Fettleber durch Alkohol, Methotrexat, Glukokortikoide, Zytostatika,
- chronische intrahepatische Cholestase bei Ajmalin, Amitryptilin, Carbamacepin, Barbiturate, Chlorpromazin, Cimetidin, Haloperidol, Meprobamat, einige Steroidhormone, Phenytoin, Tolbutamid,
- Histologisches Bild ähnlich dem der PBC: Chlorpromazin, Haloperidol, Imipramin, Thiabendazol, Tolbutamid,
- Histologisches Bild ähnlich dem der PSC: intraarterielle Infusion von 5-Fu (5-Fluoruracil), Peliosis hepatis bei Azathioprin, Progesteronderivat, Vinylchlorid,
- Venoocclusive disease und hepatische Venenthrombose bei Einnahme von Kontrazeptiva, Zytostatika,
- granulomatöse Hepatitis bei vielen Medikamenten (z. B. Allopurinol, Acetylsalicylsäure, Carbamacepin, Diltiazem, Glibenclamid, Diazepam, Halotan, Kontrazeptiva, Oxazillin, Penizillin, Phenytoin, Ranitidin, Sulfasalazin, Sulfonamide u. v. a. m.).
Eine chronische Medikamenteneinnahme kann zu folgenden Veränderungen an der Leber führen:
- Leberfibrose und Leberzirrhose (Beispiel: Methotrexat),
- Fettleber bzw. Fettleberhepatitis (viele Medikamente), bei Kindern Reye-Syndrom (ASS)
- Leberadenom bei Kontrazeptiva oder Anabolika
- Malignome (HCC, Angiosarkome) bei Anabolika, Kontrazeptiva, Thorotrast, CuSO4.
Diagnostik
Bei Erhöhung der Leberenzyme sind zunächst Leberkrankheiten, wie eine Hepatitis und eine Galleabflussstörung, auszuschließen. ein Medikamentenschaden der Leber ist eine Ausschlussdiagnose.
Besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit einem neu angesetzten Medikament, so sollte das verdächtigte Medikamente ab- oder umgesetzt werden. Bei Besserung kann gegebenenfalls ein Reexpositionsversuch (erneute Verabreichung unter strenger Kontrolle) durchgeführt werden, um Unsicherheiten auszuschließen (bei schwerer Leberschädigung kann dies nicht vertretbar sein). Wenn trotz Entfernung der angeschuldigten Auslöser die Leberwerterhöhung länger anhält, sollte das Lebergewebe histologisch untersucht werden.
Therapie
Die Behandlung richtet sich gegen die Ursachen der Schädigung und berücksichtigt die Folgen (symptomatische und vorbeugende Therapie).
- Wird ein Medikamentenschaden der Leber vermutet, so sollte das angeschultigte auslösende Medikament in Zukunft vermieden werden.
- Es sollte geklärt werden, ob es sich bei der Nebenwirkung um ggf. um eine mögliche Nebenwirkung der Substanzklasse handeln kann.
- In Einzelfällen kann eine zusätzliche Medikation von Kortisonpräparaten 12 und von N-Acetylcystein 13 zu einer Besserung beitragen 14.
- Patienten mit DILI, die eine fortschreitende Gelbsucht entwickeln, sollten in einem Leberzentrum mit Anbindung an ein Zentrum für Lebertransplantation behandelt werden 15.
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
- Granulomatöse Hepatitis
- Leber und Medikamente
- Medikamente bei Leberkrankheiten
- Medikamentenstoffwechsel
- Alkoholtoxischer Leberschaden
- Die Leber
Referenzen
- Eur J Intern Med. 2022 Mar;97:26-31. doi: 10.1016/j.ejim.2021.10.035[↩]
- Clin Liver Dis. 2017 Feb;21(1):55-72. doi: 10.1016/j.cld.2016.08.004[↩]
- Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192[↩]
- Liver Int. 2022 Aug;42(9):1999-2014. doi: 10.1111/liv.15262[↩]
- Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075. [↩]
- J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x[↩]
- Cell Biosci. 2022 Nov 22;12(1):187. doi: 10.1186/s13578-022-00921-4[↩]
- Cureus. 2023 Jan 6;15(1):e33445. doi: 10.7759/cureus.33445[↩]
- Ann Pharmacother. 2017 Feb;51(2):154-162. doi: 10.1177/1060028016669525[↩]
- Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.[↩]
- Clin Liver Dis (Hoboken). 2022 Dec 12;20(6):181-187[↩]
- J Dig Dis. 2019 Mar;20(3):122-126. doi: 10.1111/1751-2980.12697.[↩]
- Br J Clin Pharmacol. 2016 Jun;81(6):1021-9. doi: 10.1111/bcp.12880.[↩]
- Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931[↩]
- Am J Gastroenterol. 2021 May 1;116(5):878-898. doi: 10.14309/ajg.0000000000001259[↩]