Autophagie (auch: Autophagozytose) ist eine Fähigkeit aller eukaryoter Zellen, katabole Stoffwechselprozesse einzuleiten und eigene funktionsgestörte Zellorganelle und Proteine/Proteinaggregate durch Lysosomen zu entsorgen. Diese Fähigkeit dient dem Zellüberleben unter Stress verschiedener Ursache. Sie ist in der Evolution früh entwickelt und über die Zeit hoch konserviert geblieben.
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Das Wichtigste
Kurzgefasst |
Autophagie ist ein Mechanismus der Körperzellen, der ihrem Überleben dient und damit auch dem Überleben des Gesamtorganismus.
Ist der zelluläre Selbstheilungsprozess gestört, können Krankheiten, ein beschleunigtes Altern und ein vorzeitiges Lebensende die Folgen sein. Beispiele für eine angeregte Autophagie sind Morbus Crohn, Morbus Alzheimer und COPD. Bei Krebs jedoch vermag Autophagie zu einem Überleben bösartiger Zellen beitragen, was unerwünscht ist. Hemmstoffe vermögen in einigen Fällen die Antikrebstherapie unterstützen. Die Kenntnis darüber, wie Autophagie abläuft, und wo sie gestört ist, führt zu neuen Überlegungen zur Behandlung solcher Krankheiten. |
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Allgemeine Bedeutung
Autophagie ist ein komplex regulierter zellulärer Vorgang des Abbaus von Zellorganellen und Proteinen sowie intrazellulärer Bakterien und Viren. Die Fähigkeit zur Autophagie dient der Gesunderhaltung der Zellen und der Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit.
Die Autophagie ist damit als „programmiertes Zellüberleben“ der Gegenspieler der Apoptose, dem „programmierten Zelltod“ 1. Wie aktiv der zelluläre Entschlackungsmechanismus ist, bestimmt offenbar auch wesentlich den Alterungsprozess des Körpers und die Lebenserwartung 2.
Ist der Selbstreinigungsprozess gestört, so gehen die Zellen zugrunde. Funktionen der Autophagie spielen eine Rolle bei der Krebsentstehung und bei der Funktion des Immunsystems des Körpers. Eine gestörte Autophagie wird inzwischen mit der Entstehung vieler Krankheiten in Zusammenhang gebracht.
Funktion
Selbstreinigung: Zellen vermögen sich durch Autophagozytose unter verschiedenen Bedingungen selbst zu schützen. 3) Diese Fähigkeit dient dem Überleben unter toxischem oder hypoxischem Stress oder bei Alterung ihrer Organellen. So werden z. B. funktionsgestörte Mitochondrien, fehlgefaltete Proteine, Ablagerungen pathologischer Proteinaggregate oder funktionsunfähige Rezeptoren durch Autophagosome (vesikuläre innere Zellorganelle) aufgenommen und Lysosomen (ebenfalls vesukuläre Zellorganelle) zugeführt, in denen sie abgebaut werden. 4
Analogie zur Phagozytose: Analog der Autophagozytose findet eine ganz entsprechende Entsorgung externer toxisch wirkender Substanzen statt. Der Mechanismus ist sehr viel bekannter und als Phagozytose bekannt. Auch sie führt zu einer Entsorgung der durch die Zelloberfläche aufgenommenen Toxine oder Substanzen durch lysosomalen Abbau.
Genetische Grundlage: Die Autophagie ist ein genetisch determinierter Mechanismus, an dem die Gene ATG16L1 (AuTophaGy related 16 like 1) und IRGM zentral beteiligt sind. Er sorgt für eine zelluläre Entsorgung eingedrungener oder intrazellulär akkumulierter Bakterien und Schadstoffe sowie für eine Unterdrückung der T-Zell-Reaktion 5. Varianten dieser Gene, die für eine Fehlfunktion dieses Reinigungsmechanismus verantwortlich sind, sind mit der Entstehung des Morbus Crohn assoziiert. 6
Als wesentliche Voraussetzung für eine normale Autophagie ist Beclin 1 identifiziert worden. Die Beeinflussung seiner Aktivität ist ein zentraler Forschungsansatz zur Klärung der Ursache vieler Krankheiten von möglichen Therapieansätzen 7.
Funktionen: Die Autophagie dient
- nicht nur der Selbstreinigung durch Verdauung schädlicher Inhalte und Abfallprodukte wie beispielsweise defekte eigene Organellen und Proteine sowie phagozytierte Viren und Bakterien
- sondern auch der Aufrechterhaltung wesentlicher Zellfunktionen unter Hungerbedinguungen, wenn auf zelleigene Ressourcen zurückgegriffen werden muss, um lebenswichtige Proteine und Strukturen nachzubilden 8.
Wiederverwertung von Abbauprodukten: Die durch Autophagie abgebauten Spaltprodukte können energiesparend wiederverwendet werden. Im Hungerzustand kann sich die Zelle durch Erhöhng der Autophagie nicht benötigter Zellbestandteile länger am Leben erhalten. Denn sie stellt für lebenswichtige Funktionen Aminosäuren etc. aus dem Abbau weniger wichtiger und verzichtbarer Zellbestandteile zur Verfügung.
Prozesse der Autophagie
Die Autophagie betrifft vor allem 3 Prozesse:
- Pexophagozytose: Abbau von defekten Peroxisomen. Dies sind kleine Vesikel im Zytoplasma der Zellen, die toxische Stoffwechselprodukte des Sauerstoffs entgiften.
- Mitophagozytose: Abbau von defekten Mitochondrien. Dies sind Organellen im Zytoplasma, die die Atmungskette enthalten und entsprechend anfällig für toxische Sauerstoffprodukte sind. Mitochondrien in Leberzellen beispielsweise haben wegen ihres Turnovers durch Autophagozytose eine mittlere Lebenszeit von nur 10-12 Tagen. Durch den Abbau solcher Organellen wird die Möglichkeit geschaffen, neue zu bilden und insgesamt die Zelle zu verjüngen. 9
- Xenophagozytose: Abbau von Fremdstoffen wie Viren und Bakterien.
Der Abbau von zu entsorgenden Materialien kann auf 3 verschiedenen Wegen erfolgen:
- Mikroautophagie: Lysosomen schließen das abzubauende Substrat ein und zersetzen es mit ihren lysosomalen Enzymen.
- Makroautophagie: das abzubauende (größere) Substrat wird in der Zelle durch eine Doppelmembran abgeschlossen; es bildet sich ein „Autophagosom“, in dem das Substrat zerlegt wird. Lysosomen mit ihren Enzymen sind an der Zersetzung beteiligt. Diese Art wird häufig mit der Bezeichnung „Autophagie“ gemeint, wenn er alleine benutzt wird.
- CMA (Chaperone-mediated autophagy): defekte zytosolische Proteine werden in Lysosomen aufgenommen und abgebaut; die Abbauprodukte werden wieder verwendet. „Chaperone“ sind Proteine, die die Aufgabe haben, andere Proteine vor Denaturierung zu schützen, ihre „richtige“ dreidimensionale Struktur (Faltung) zu organisieren oder sie einer Degradation zuzuführen.
Maß für Autophagozytose
Als Maß für die Autophagozytose-Aktivität werden Beclin 1, LC3-II und das LC3-II/LC3-I-Verhältnis verwendet. 10 Das Stoffwechselprodukt 8OHdG (8-Hydroxy-2-Desoxyguanosin) wird ebenfalls als leicht bestimmbarer Parameter (im Urin) angesehen. 11
Hemmung der Autophagie
Chloroquin ist ein Medikament, welches Autophagie hemmt 12. Es verstärkt den Zelluntergang (Apoptose) maligner Zellen einiger Tumore. So verstärkt es beispielsweise die Antitumorwirkung von Crizotinib in ALK-positiven anaplastischen großzelligen Lymphomen 13.
Autophagie und Apoptose
Eine Erhöhung der Autophagozytose, die das Zellüberleben stärkt, wirkt einer exzessiven Apoptose, die einen programmierten Zelltod einleitet, entgegen. 14 Berberin beispielsweise verstärkt die Autophagozytose von Zellen des Nucleus pulposus (Bandscheiben, deren Zellen unter ständigem Stress durch Sauerstoffmangel leben) und schützt vor Apoptose und Diskusdegeneration. 15 Dies ist auch für Spermidin nachgewiesen worden. 16
Genetische Regulierung
Die Autophagie wird genetisch komplex reguliert. Wesentlich beteiligt sind der mTOR-Signalweg, sowie Ubiquitin und der Beclin-1-Komplex. Autophagie-bedeutsame Gene werden bei einigen Tumoren, wie beim Hodgkin-Lymphom hochreguliert gefunden. Entsprechend wird angenommen, dass eine Autophagie-Hemmung therapeutisch bei solchen Tumoren von Nutzen ist 17.
Defekte Autophagie als Ursache von Krankheiten
Eine veränderte Autophagie kann Ursache von Krankheiten sein oder zu ihrer Entstehung wesentlich beitragen. Beispiele sind der Morbus Crohn, die Alzheimer-Krankheit und die COPD.
- Morbus Crohn: hier scheint ursächlich die Makroautophagie (s.o.) gestört zu sein mit der Folge einer Immundefizienz, einer Abwehrschwäche gegen intrazelluläre Bakterien (wie Mykobakterien) und einer Autoinflammation 18.
- Morbus Alzheimer: bei ihm sammeln sich intrazelluläre Plaques mit Amyloid- und pathologischem Tau-Protein an. Ursache ist offenbar eine gestörte Selbstreinigung der Nervenzellen des Gehirns 19.
- COPD (chronisch obstruktive Lungenkrankheit): bei ihr gehen die Muskelzellen des Bronchialsystems zugrunde (Atrophie). Die Aktivität des Autophagiesystems bei Patienten mit COPD korreliert mit der Ausprägung dieser Atrophie und der Abnahme der Lungenfunktion 20.
- Krebs: Bei einigen Krebsarten wurde gezeigt, dass die Autophagie zur Lebensfähigkeit der maligne entarteten Zellen beiträgt 21. Dies ist ein unerwünscher Effekt.
- Pankreaskarzinom ist ein Beispiel für die Bedeutung des Autophagiesystems für die Krebsausbreitung 22.
- Endometriumkarzinom: Gezeigt wurde, dass eine Hemmung der Autophagie den programmierten Zelltod (Apoptose) von Zellen eines Endometriumkarzinoms verstärkt, die man experimentell durch Resveratrol verstärkt hat 23.
- Hodgkin-Lymphom: Autophagie-bedeutsame Gene werden bei einigen Tumoren, wie beim Hodgkin-Lymphom, hochreguliert gefunden. Entsprechend wird angenommen, dass eine Autophagiehemmung bei solchen Tumoren therapeutisch von Nutzen ist 17.
Rolle bei Krebs und Metastasen
Autophagozytose gilt als Schutz normaler Körperzellen vor maligner Entartung. Wenn jedoch Tumorzellen entstanden sind, so bekommt bei ihnen diese Fähigkeit eine nicht gewollte Funktion: sie hilft Krebszellen zu überleben, sich auszubreiten und zu metastasieren. Erst in späteren Stadien einer fortgeschrittenen Autophagie fördert sie einen Zelluntergang. 24
Die Autophagyzytose wird in Krebszellen durch Chemotherapie-bedingten Stress angeregt. Dies wird dadurch augenfällig, dass sie zu einer Verminderung der Wirksamkeit von Chemotherapien führen kann. Umgekehrt kann ihre Hemmung zu einer signifikanten Steigerung der Wirksamkeit der Chemotherapeutika führen. 25
Substanzen, die Autophagie induzieren, können mit Chemotherapeutika, welche die Apoptose von Tumorzellen steigern (wie Cisplatin) zusammenwirken und die Wirkung der Chemotherapie verbessern. Solch eine Autophagozytose steigernde Substanz, die dafür in Frage kommt, ist Ginkgol C17:1 aus Ginkgo-biloba-Extrakt. 26
Rolle beim Altern
Während der Alterung des Körpers nimmt die Fähigkeit zur Zellregeneration ab. Wird sie angehoben, steigt die Lebensspanne. Einige Beispiele:
Gehirn: Im Gehirn beispielsweise nimmt die Expression von Beclin-1 ab. 27 Auch wenn methodische Probleme zu überwinden sind, weisen die Untersuchungen (3 Genexpressionsanalysen) in die Richtung einer Abnahme der Autophagozytose im Gehirn, was die altersabhängige Zunahme von neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer-Demenz und Parkinson-Krankheit, miterklären kann. 10
Leber: In Versuchstieren wurde festgestellt, dass die Autophagozytose in der Leber normal gefütterter Tiere mit dem Alter abnimmt, dass sie aber bei kalorischer Restriktion (kalorienarme Diät) erhalten bleibt. 28
Muskulatur: Stress führt zu einer Aktivierung der Autophagozytose auch in der Muskulatur. Ihre experimentelle Hemmung bewirkt eine Verschlechterung der neuromuskulären Synapsenfunktion, eine Degeneration von Mitochondrien, einen Anstieg des oxidativen Stresses und einen erheblichen Kraftverlust, was sich auf die Lebensspanne von Versuchstieren verkürzend auswirkt. 29 Umgekehrt kann eine Steigerung der Autophagie möglicherweise zu einer Verbesserung der Muskelkraft und Regeneration von altersbedingtem Muskelabbau genutzt werden, was als therapeutische Möglichkeit angesehen wird. 30
Hefe: Auch in Hefe wurde eine Erhöhung der Autophagozytose und eine Verlängerung des Zellüberlebens unter Kalorienrestriktion festgestellt. 31 32
Verweise
Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).
Referenzen
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