Das Wichtigste verständlich
ASS (chemisch: Acetylsalicylsäure) ist als vielfältig wirksames Medikament bekannt. Es kam zuerst 1897 als Aspirin auf den Markt. Heute wird es zur Behandlung von Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, grippalen Infekten und zur Vorbeugung von Arteriosklerose-Komplikationen verwendet.
Indikationen: Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin) ist ein Medikament, welches heute hauptsächlich zur Behandlung folgender Erkrankungen verwendet wird:
Eine Antitumorwirkung lässt sich statistisch und auch experimentell nachweisen. Das Risiko für Darmkrebs und Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) wird durch ASS gesenkt. Die Verträglichkeit ist gut. Gelegentliche Nebenwirkungen vor allem des Magendarmtrakts lassen sich durch Säureblocker meistens gut behandeln. Seltene schwere Nebenwirkungen sind das Aspirin-induzierte Asthma (s. u.) und das Reye-Syndrom, das vor allem bei Kindern auftritt. Bei empfindlichen Menschen kann ASS eine blutende Magenschleimhautentzündung (hämorrhagische Gastritis), ein Magengeschwür und auch großes Magenblutungen hervorrufen. |
Wirkungsweise
Viele Wirkungen von ASS kommen dadurch zustande, das es die Cyclooxigenase-1 und die Cyclooxigenase-2 irreversibel hemmt (COX-1-Hemmer und COX-2-Hemmer). Die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), wie Ibuprofen oder Indometacin, wirken ähnlich, sind jedoch kompetitive Hemmer (nicht irreversibel gebunden) und können daher von ihren Rezeptoren durch andere Moleküle verdrängt werden.
Verhinderung von Plättchenthromben: Die Verklumpung von Blutplättchen (Thrombozytenaggregation) wird durch ASS unterdrückt. Da dies der erste Schritt für zu einem Gefäßverschluss durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) darstellt, kann es zur Vorbeugung arteriosklerotischer Komplikationen, so zur Vorbeugung eines Herzinfarkts, dienen. ASS gehört damit zu den Thrombozytenaggregationshemmern.
Asthma-Auslösung: ASS hemmt das Enzym COX-1. Dadurch führt es reaktiv zu einer vermehrten Bildung entzündungsfördernder Leucotriene und kann damit Asthmaanfälle hervorrufen (dazu siehe hier).
Schädigung der Magenschleimhaut: Die magenschädigende Wirkung von Acetylsalicylsäure kommt schon bei kleinen Dosen von 75 – 325 mg, wie sie zum Koronarschutz verwendet werden, zum Tragen. (Sie soll nicht durch eine COX-2-Hemmung zustande kommen, sondern dadurch, dass das undissoziiert aufgenommene Molekül im Inneren der Mukosazellen des Magens bei einem neutralen pH dissoziiert und so die Zelle nicht mehr verlassen kann; es akkumuliert und wirkt toxisch.)
ASS- und NSAID-Einnahme
Ibuprofen (und andere Nicht-ASS-NSAIDs) binden (reversibel) an dieselben Rezeptoren wie ASS, haben aber eine deutlich kürzere Halbwertszeit (da ASS kovalent bindet). Ibuprofen verhindert, dass ASS an die Rezeptoren bindet. Wird es zeitlich vor ASS eingenommen, wirkt ASS nicht mehr ausreichend in der Vorbeugung eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts.
Cave: Ist ASS zur Herzinfarkt- oder Schlaganfallprophylaxe verordnet worden, so sollte eine Ibuprofen-Einnahme vor einer ASS-EInnahme vermieden werden!
Wirkungen
ASS wirkt in kleinen Dosen (75 – 150 mg) als
- Thrombozytenaggregationshemmer (Prophylaxe des Herzinfarkts und des Schlaganfalls)
ASS wirkt in höheren Dosen (> 500 mg) als
- Antiphlogistikum (entzündungshemmend)
- Antirheumatikum (gegen entzündliche Gelenkkrankheiten gerichtet)
- Antipyretikum (fiebersenkend)
Acetylsalicylsäure wird häufig in Eigenmedikation angewendet bei Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, grippalen Infekten, „Kater“ nach Alkoholgenuss und vielen anderen Beschwerden im Alltag.
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen betreffen vor allem:
- Magenbeschwerden,
- hämorrhagische Gastritis,
- Magengeschwür und Zwölffingerdarmgeschwür
- Asthmaanfälle,
- Reye-Syndrom (selten bei Kindern).
Ein säurestabiler Lacküberzug, wie er in z. B. „Aspirin protect®“ verwendet wird, verhindert weitgehend die ASS-Freisetzung im Magen; die Freisetzung des Inhalts erfolgt im Dünndarm. Dadurch werden magenschädigende Nebenwirkungen weitgehend vermieden.
Aspirin-induziertes Asthma
Aspirin induziert in einigen Fällen eine nicht-allergische Hypersensitivität der Schleimhaut der Atemwege mit Asthma, Rhinitis und Sinusitis mit Übergang in eine chronisch-Entzündung. Häufig findet man bei ihnen nasale Polypen. Dies ist als „Aspirin-exacerbated respiratory disease (AERD)” bekannt. Alternativ zu Aspirin oder anderen NSAR-Präparaten sind diese Patienten auf andere Medikamente (z. B. Paracetamol) zur Fiebersenkung und Schmerzbekämpfung angewiesen. Eine Desensibilisierung kann diskutiert werden, speziell wenn Kortikosteroide nicht ausreichend helfen. 1 Bei bevorstehender Koronarangioplastie, nach der eine ASS-Therapie gewünscht ist, wird eine Schnelldesensibilisierung angeregt, die meist gut vertragen wird. 2
Aspirin-Resistenz
Eine unzureichende Wirkung von ASS bezüglich Hemmung der Plättchenaggregationshemmung findet sich unter Bedingungen beschleunigter Nachproduktion der Thrombozyten. Bei Menschen mit Diabetes mellitus beispielsweise steigt die Zahl funktionsfähiger Thrombozyten im peripheren Blut nach ASS-Einnahme früher an als bei gesunden Normalpersonen, bei denen sie erst ab 4 bis 6 Stunden wieder ansteigen. 3 Wegen der dadurch erhöhten Koagulationsbereitschaft speziell bei diabetischer Angiopathie wird eine kontinuierliche Hemmung der Aggregation der Blutplättchen durch eine Retard-Galenik empfohlen 4, bei der Aspirin aus der Tablette verzögert freigesetzt wird.
ASS und Krebsvorbeugung
ASS bewirkt eine etwa 20%-ige Reduktion der Krebsmortalität, wobei die Wirkung breit auf viele unterschiedliche Tumore verteilt ist. 5 6
Die Wirkungsweise scheint vielfältig zu sein. Eine Wirkung über COX2-Hemmung scheint nicht im Vordergrund zu stehen, da die Wirkung bei Darmkrebs-Zelllinien eintritt, die keine Cyclooxigenase enthalten. 7
Verantwortlich für die antikarzinogene Wirkung sollen folgende Mechanismen sein:
- eine Modulation der Lymphangiogenese mit der möglichen Folge der Hemmung einer metastatischen Aussaat 8,
- die Induktion einer Apoptose von Tumorzellen (gefunden im Mausmodell für das hepatozelluläre Karzinom, orale Dosis 100 mg/kg/Tag),
- SOX7 (sex-determining region Y-box 7) ist in Darmkrebszellen herunter reguliert. Aspirin führt zu einer Restaurierung von SOX7 und dadurch zu einer Erhöhung der Apoptose 9.
- Epigenetische Mechanismen und mikroRNA können von ASS und NSAID beeinflusst werden. Beispielsweise ist die Acetylierung von Histonen durch Aspirin berichtet worden. 10 Auch findet man unter Aspirin eine Veränderung der Profile nicht kodierender RNS (ncRNA). 11 So wird Aspirin als ein Hauptregulator der Eigenschaften von Krebs angesehen. 12
Beispiele
Darmkrebs: Bereits in den 90er Jahren wurde festgestellt, dass es – wie auch andere nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) – das Risiko für Darmkrebs senkt. 13 Die Raten von kolorektalen Polypen und Darmkrebs lagen bei Menschen, die Aspirin einnahmen um 40-50% niedriger. 14 In einer Studie wurde festgestellt, dass Aspirin in einer Dosierung von 300 mg/d das Darmkrebsrisiko erst nach 10 Jahren senkt. 15 Inzwischen gilt es als gesichert, dass Aspirin und andere NSAR die Entstehung von Polypen im Dickdarm bei Patienten mit erhöhtem Krebsrisiko und die Zahl der Polypen bei Patienten mit FAP (familiärer adenomatöser Polypose) reduziert. 16 Auch große neuere Studien belegen dies. In einer Studie lag das Risiko für Darmkrebs unter kontinuierlicher Langzeiteinnahme von niedrigdosiertem ASS (75-150 mg) und anderen NSAID’s um 27 % niedriger als in der Vergleichsgruppe 17. Aspirin beugt Darmkrebs vor, wenn eine PIK3CA-Positivität vorliegt. PI3-Kinasen spielen eine Rolle in Signalwegen für die Zellproliferation und die onkogene Transformation von Zellen. 18 19 20.
Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom): Das Risiko eines Ovarialkarzinoms ist bei Frauen, die über längere Frist ASS einnehmen, geringer als in Vergleichsgruppen, bei einer täglichen Einnahme um 20 % 21
Risikosenkung bei verschiedenen Krebsarten durch ASS: ASS gilt inzwischen als verheißungsvolles Medikament zur Vorbeugung nicht nur von Darmkrebs, sondern auch von Blasen- und Hautkrebs. 22 Die toxischen Nebenwirkungen lassen nach strukturellen Abkömmlingen suchen, die frei von der potentiell schleimhautschädigenden Wirkung des Aspirin sind und eine evtl. höhere krebsvorbeugende Wirkung besitzen.
Eine große Studie 23 hat folgenden Einfluss von ASS auf das Krebsrisiko aus Studien zusammengetragen (hazard ratio, HR):
- Kolorektales Karzinom 0,63 (bedeutet Risikosenkung um 37 %)
- Ösophaguskarzinom 0,76
- Prostatakarzinom 0,87
- Brustkrebs, Magenkarzinom, Blasenkarzinom, Pankreaskarzinom, Lungenkarzinom: alle 0,9 und darüber (bedeutet: kein sicherer Effekt).
Eine Auswertung verfügbarer Beobachtungsstudien (118 Studien an Patienten mit 18 verschiedenen Krebsarten) ergab, dass ASS eine etwa 20%-ige Reduktion der Krebsmortalität bewirkt, wobei die Wirkung breit auf viele unterschiedliche Tumore verteilt ist, nicht nur, wie bekannt, auf Darmkrebs. 24
→ Onkogene
Primärprävention von Krankheiten durch ASS?
Eine Analyse der Vorteile und der Risiken einer kontinuierlichen ASS-Medikation zur Vorbeugung kardiovaskulärer Komplikationen und von Krebs kommt zum Schluss, dass in der gewählten Bevölkerungsgruppe im Alter von 40 – 85 Jahren die Vorteile (Benefits) überwiegen 23. Berücksichtigt wurden in der Auswertung der zur Verfügung stehenden Metaanalysen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Magendarmblutung und die Risiken verschiedener maligner Tumore: Darm, Lunge, Ösophagus, Pankreas, Magen, Prostata, Brust, Harnblase. Es wurde für verschiedene Altersgruppen ein Index errechnet („positive if number of prevented events > excess number of harm events over 10 years per 1,000 persons“). Am meisten profitieren Männer zwischen 65 und 74 Jahren von einer ASS-Prophylaxe mit einem positiven Index von 8. Aber auch bei Frauen zwischen 45 und 54 Jahren ist noch ein positiver Index von 2 errechenbar.
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Verweise
Referenzen
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- Hellenic J Cardiol. 2011 Jul-Aug;52(4):307-10[↩]
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- J Cancer Res Clin Oncol. 2019 Jun;145(6):1387-1403[↩]
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- Biomed Res Int. 2021 Dec 9;2021:6830560. DOI: 10.1155/2021/6830560. PMID: 34926688; PMCID: PMC8677408.[↩]
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- PLoS One. 2015 Jul 7;10(7):e0127194. doi: 10.1371/journal.pone.0127194.[↩][↩]
- Ecancermedicalscience. 2021 Jul 2;15:1258. DOI: 10.3332/ecancer.2021.1258. PMID: 34567243; PMCID: PMC8426031[↩]