Diabetes mellitus Typ 2 – Entstehung, Erkennung, Behandlung

Allgemeines

Der Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) ist eine Form der Zuckerkrankheit, die hauptsächlich bei Erwachsenen auftritt. Ursache ist eine mangelhafte Wirksamkeit des körpereigenen Insulins. Sie wirkt sich in Akutkomplikationen und viele Jahre später in Spätschäden im gesamten Körper aus. Der Typ-2-Diabetes gehört zu den häufigsten Ursachen von Herzinfarkt, Schlaganfall, Niereninsuffizienz, hohem Blutdruck, Durchblutungsstörungen der Beine und Sehstörungen.

Neue Konzepte

Neue Aspekte über Zusammenhänge zwischen Bildung und Wirkung von Insulin und über die Bedeutung des Fettgewebes, von chronisch-schwelenden Entzündungen sowie der Ernährung haben zu neuen Konzepten der Behandlung geführt.

  • Prophylaxe bereits im Prädiabetes-Stadium beginnen! Diabetischen Spätschäden starten schon im Stadium des Prädiabetes. Die Stoffwechselstörung muss daher entsprechend früh erkannt werden!
  • Epigenetische Veränderungen wirken über Generationen: Ungünstige Lebensführung, Ernährung und erhöhtes Körpergewicht schlagen sich in der Epigenetik nieder und werden über Generationen weitergegeben. Eine gesunde Lebensführung von Menschen mit T2DM-Veranlagung kann sich ebenfalls für die nächsten Generationen günstig auswirken.

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Allgemeines

Charakteristika

Der Diabetes mellitus Typ 2 ist gekennzeichnet durch

  • erhöhte Blutzuckerwerte (Hyperglykämie); dazu siehe hier.
  • eine zunehmende periphere Insulinresistenz: die Körperzellen reagieren allmählich immer schlechter auf das Blutzucker-regulierende Insulin; dazu siehe hier.
  • eine abnehmende Insulinproduktion in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse (Insulindefizienz) durch Überlastung mit der Folge eines drohenden Insulinmangels und damit einer therapeutischen Insulinpflichtigkeit (Abhängigkeit von Insulininjektionen).

Häufigkeit

Der Diabetes mellitus Typ 2 betrifft etwa 9% der Weltbevölkerung. Die Prävalenz stieg von 1980 bis 2014 um fast 5%. (1)Lancet. 2016 Apr 9;387(10027):1513-1530. DOI: 10.1016/S0140-6736(16)00618-8. Epub 2016 Apr 6. … Continue reading Der Anstieg geht parallel mit einer Zunahme von erheblichem Übergewicht, der Adipositas, und Herzkreislauferkrankungen.

Assoziationen

Der Typ-2-Diabetes ist assoziiert mit

Beide Regulationsstörungen kennzeichnen das metabolische Syndrom.

Prädiktoren für den Typ-2-Diabetes

Ein hohes Geburtsgewicht (über 4.0 kg) prädisponiert zum Diabetes mellitus Typ 2 im Erwachsenenalter. (2)Am J Epidemiol 2007; 165:849

Eine pränatale Exposition des Kindes mit erhöhtem Blutzucker der Mutter (Schwangerschaftsdiabetes) erhöht dessen Risiko eines metabolischen Syndroms und Typ-2-Diabetes. (3)Pediatrics. 2005 Mar;115(3):e290-6. DOI: 10.1542/peds.2004-1808. PMID: 15741354.

Übergewicht und Adipositas im Kindesalter wie im Erwachsenenalter prädisponieren zum Diabetes mellitus.

Medikamente können den Blutzucker erhöhen und die Entstehung eines Typ-2-Diabetes fördern, so z. B. Thiazide, Glukokortikoide, Clozapin.

Metabolisches Syndrom (Syndrom X)

Es ist gekennzeichnet durch erhöhte Blutfette und erhöhten Blutdruck und ist assoziiert mit Übergewicht und Adipositas. Es prädisponiert zur Entwicklung einer peripheren Insulinresistenz und einer Zuckerkrankheit. Es erhöht das Risiko von Gefäßschäden im Sinne einer Arteriosklerose und damit eines Herzinfarkts und Schlaganfalls. Menschen mit einem metabolischen Syndrom sollten regelmäßig über einen Blutzuckerbelastungstest auf einen beginnenden Prädiabetes untersucht werden. Dazu siehe hier.

Entstehung des Typ-2-Diabetes

Genetische / epigenetische Grundlagen

Eine genetische Disposition ist beim Diabetes mellitus Typ 2 ein entscheidender Faktor für die Bereitschaft, eine Zuckerkrankheit zu entwickeln. Ein Elternteil mit Diabetes erhöht das T2DM-Risiko laut “Framingham Offspring Study” um 30–40 %, beide Elternteile um 70 %. (4)Diabetes 2000; 49: 2201–2207

Epigenetische Veränderungen sind bei der Entwicklung eines T2DM von Bedeutung. (5)Exp Mol Med. 2016 Mar 11;48(3):e220. doi: 10.1038/emm.2016.7. Zu den nicht-genetischen Faktoren, die über die Epigenetik das Risiko von T2DM beeinflussen, gehören Fettleibigkeit, ungesunde Ernährung, körperliche Inaktivität und Alterung. (6)Nat Rev Endocrinol. 2022 Jul;18(7):433-448. doi: 10.1038/s41574-022-00671-w

Wahrscheinlich sind multiple Gene an der T2DM-Entstehung beteiligt (heterogene Erkrankung). Die unterschiedliche Genetik ist wahrscheinlich der Grund für die vielen bekannten unterschiedlichen Verlaufsformen. Unter den Genen spielt SIRT1 bezüglich der Insulinresistenz und der beeinträchtigten Funktion der β-Zellen der Bauchspeicheldrüse eine besondere Rolle. Varianten dieses Gens und seine epigenetischen Beeinflussungen erhöhen das T2DM-Risiko. (7)Int J Endocrinol. 2023 Jan 28;2023:6919275. DOI: 10.1155/2023/6919275.

Umweltfaktoren sind von eher nachrangiger Bedeutung.

Adipositas

Neben einer genetischen Prädisposition ist das zunehmende relative Körpergewicht (Anstieg des BMI, Entwicklung von Übergewicht und Adipositas mit Fettstoffwechselstörung) in der Bevölkerung durch unausgewogene Ernährung (“fast food” mit vielen Kalorien, viel Fett und wenig Ballaststoffen) der Hauptgrund für die steigende Prävalenz des Typ-2-Diabetes. Sie beträgt derzeit etwa 8% der Bevölkerung.

Pathomechanismen

Gemeinsam sind 3  Mechanismen der Diabetes-Entstehung:

  • verminderte Insulinempfindlichkeit (periphere Insulinresistenz) der peripheren Zellen; sie geht der Manifestation des Diabetes u. U. bis zu 20 Jahre voraus; Unterscheidung von Rezeptordefekten (selten, oft kombiniert mit Acanthosis nigricans und zystischen Ovarien) und Postrezeptordefekten;
  • relativer Insulinmangel durch eine Funktionsstörung (“Erschöpfung”) der ß-Zellen des Pankreas. Er lässt sich direkt vor der Manifestation des Diabetes durch einen einem Blutzuckerbelastungstest nachweisen. Nach dem Glukosetrunk erfolgt normalerweise zuerst eine rasche pulsatile und anschließend eine langgezogene Insulinfreisetzung. Beim Beginn einer diabetischen Stoffwechselstörung dagegen fällt der erste Insulinsekretionspeak weg (pulsatile Sekretion), wohingegen die langsame Phase der Insulinfreisetzung noch länger erhalten bleibt;
  • erhöhte hepatische Glukoneogenese (Zuckerneubildung) durch Hyperglukagonämie bei relativem Insulinmangel (verminderter Insulin-Glukagon-Quotient); die Glykolyse (Glykogenabbau zu Glukose)  ist demgegenüber vermindert (Folge: vermehrte Glykogeneinlagerung in die Hepatozyten).

Verlust der zweiphasigen Insulinsekretion

Am Beginn der Entwicklung des Diabetes mellitus Typ 2 steht der Verlust einer rechtzeitigen prandialen (mahlzeitenabhängigen) Insulinsekretion.

Normalerweise kommt es nach einer Mahlzeit zu einer zweiphasigen pulsatilen Insulinsekretion.

Die erste Phase, die gleich in den ersten Minuten nach Nahrungsaufnahme beginnt, hat zwei Aufgaben. Sie soll

  • die anflutende Glukose in der Peripherie des Körpers verwertbar machen und
  • die endogene Produktion von Glukose in der Leber abzuschalten.

Die Abnahme und schließlich der Verlust dieser frühen ersten Insulinsekretion führt zu erhöhten postprandialen (nach einer Mahlzeit auftretenden) Blutzuckerwerten. Wenn durch unzureichende erste Insulinsekretion in der ersten Phase erhöhte Blutzuckerwerte übrig bleiben, kommt eine zweite Insulinsekretion zustande. Sie ist um so höher, je eingeschränkter die erste Sekretion ist. Beim beginnenden Diabetes Typ 2 kommt es hier zu einer Hyperinsulinämie, die wiederum zu einer Abnahme der Insulinempfindlichkeit der Peripherie führt. Die periphere Insulinresistenz verstärkt sich. Die ständige Übersekretion von Insulin führt im Laufe der Zeit zu einer Erschöpfung der ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse. So entwickelt sich die Insulinpflichtigkeit des Typ-2-Diabetes.

Erhöhte postprandiale Blutzuckerspitzen (wie sie im Blutzuckerbelastungstest normiert getestet werden) sind damit als ein Risikofaktor für eine Verschlechterung des Diabetes und für kardiovaskuläre Komplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall) anzusehen. Der Nüchternblutzuckerspiegel, dem früher die Hauptbedeutung zugesprochen wurde, reicht zur Beurteilung des Risikos für einen manifesten Diabetes nicht aus.


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Genetische und epigenetische Einflüsse

Genetische Einflüsse

Fast 40% der Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 haben ein Elternteil mit Zuckerkrankheit. (8)Diabetes Care 1996; 19:827 Eine genetische Prädisposition wurde daher neben Ernährungsfaktoren für möglich gehalten. Inzwischen wurden durch „Genome wide association analysis” mehrere Genloci gefunden, die mit Typ-2-Diabetes assoziiert sind. (9)Nat Genet 2008; 40:638 (10) 2012 Jan-Mar;6(1):54-8. doi: 10.1016/j.dsx.2012.05.014 (11)Int J Endocrinol. 2018 Mar 15;2018:8641942. DOI: 10.1155/2018/8641942 . PMID: 29736170; PMCID: … Continue reading

  • Beta-Zellen: MODY (maturity onset diabetes of the young) wird autosomal vererbt. Ursache des MODY Typ 2 ist wahrscheinlich ein Defekt der Glukokinase in den Beta-Zellen, die als Glukosesensor fungiert. Es handelt sich um eine Mutation des Glucokinasegens auf Chromosom 7. (12)N Engl J Med 1993; 328:697 Andere MODY-Typen beruhen auf anderen Gendefekten.
  • Periphere Zellen, genetischer Rezeptordefekt: Genetische Mutationen am Insulin-Rezeptor-Gen führen zu frühen schweren peripheren Insulinresistenzen mit erheblicher Hyperinsulinämie; assoziiert ist oft eine Acanthosis nigricans und ein hyperandrogener Hormonstatus N Engl J Med 1991; 325:938. Ein Diabetes tritt dann auf, wenn die kompensatorisch erhöhte Insulinproduktion erschöpft ist.
  • Periphere Zellen, genetische Postrezeptordefekte: Genetische Mutationen im Bereich intrazellulärer Stoffwechselabläufe, die nach der Bindung von Insulin an den Rezeptor an der Zelloberfläche ablaufen, sind wahrscheinlich für den üblichen Diabetes Typ 2 verantwortlich. So scheint eine Mutation im Gen für die Glykogensynthase mit Diabetes Typ 2 assoziiert zu sein. (13)N Engl J Med 1993; 328:10

Eine Reihe weiterer Evidenzen belegt die inzwischen offenbare Vielfalt der möglichen genetischen Grundlagen, die schließlich zu einem erhöhten Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 führen. So stehen auch Forschungen zum

  • IRS-2-Gen („Insulin-Receptor Substrates 2“), zum
  • „Beta-3-Adrenergic Receptor“ und zum
  • „Peroxisome-Proliferator-Activated Receptor (PPAR) gamma 2“

im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein Polymorphismus des letzteren Gens spielt bei der Entwicklung einer Adipositas eine entscheidende Rolle, wie umgekehrt ein Aminosäurenaustausch an definierter Stelle (Pro12Ala-Substitution) zu einer verbesserten Insulinsensitivität bzw. Abnahme der Insulinresistenz führt. (14)Nat Genet 1998; 20:284 (15) 2012 Jan-Mar;6(1):54-8. doi: 10.1016/j.dsx.2012.05.014

Epigenetische Einflüsse

Der Diabetes mellitus Typ 2 kann durch epigenetische Einflüsse gefördert und über Generationen weitergegeben werden. Es handelt sich dabei um Veränderungen in der Funktion einzelner Gene ohne Veränderung ihrer DNA-Sequenz. Aktive DNA-Sequenzen können durch Histone abgedeckt oder von ihrer Histonbedeckung befreit werden und aktiv werden. An den Veränderungen der Genaktivitäten können eine direkte DNA-Methylierung, eine Modifikation von Histonen durch Azetylierung, Methylierung und andere Prozesse und nicht kodierende RNAs beteiligt sein. Solche epigenetischen Prozesse sind für Adipositas und Diabetes Typ II gut belegt. Übergewichtige Mütter können ihre Veranlagung über solche Prozesse ihren Kindern weitergeben. (16)Cell Metab. 2019 May 7;29(5):1028-1044. doi: 10.1016/j.cmet.2019.03.009. Epub 2019 Apr 11. PMID: … Continue reading (17)N. Engl. J. Med. 1983;308:242–245

Periphere Insulinresistenz

Periphere Insulinresistenz bedeutet eine gegenüber normalen Körperzellen geringere Empfindlichkeit der peripheren Körperzellen gegenüber Insulin. Die periphere Insulinresistenz entsteht bereits meist mehr als 5 Jahre vor dem Diabetes mellitus. Wird sie nachgewiesen, so kann davon ausgegangen werden, dass sich in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Diabetes mellitus Typ 2 entwickeln wird.

In einer Studie an 6500 Personen ohne Diabetes wurde gezeigt, dass nach einer 10-jährigen Beobachtungszeit bei ca. 500 (fast 8%) eine Zuckerkrankheit entstanden war. Etwa 5 Jahre vor Entwicklung des Diabetes sank die Insulinresistenz. Etwa 3-4 Jahre vor Diagnosestellung stieg die Insulinproduktion reaktiv an und sank danach wieder ab. (18)Lancet 2009; 373:2215

Es wird angenommen, dass Insulinresistenz eine genetische Prädisposition besitzt und durch verschiedene Faktoren apparent werden kann. Zu diesen Faktoren zählen Adipokine, d. h. Mediatorstoffe der Fettzellen (Adipozyten) wie Leptin, Resistin und TNF-alpha.

Auswirkungen einer peripheren Insulinresistenz

Ketoazidotisches Koma: Durch die periphere Insulinresistenz kommt es in Phasen eines starken Insulinmangels in den Zellen zu Fettabbau (Lipolyse) und Eiweißabbau (zugunsten einer Zuckerneubildung aus Aminosäuren: Glukoneogenese). Es bilden sich im Urin nachweisbare Ketonkörper. In schweren Fällen kann sich eine Ketoazidose entwickeln, und wegen Glukosemangels im Gehirn ein Koma, das ketoazidotische Coma diabeticum. Der Blutzucker ist dabei erheblich erhöht; und Glukose tritt wegen Überschreitung der Transportgrenze der Nieren in den Urin über. Da sie ihr Lösungswasser mitnimmt, kommt es zu einer Verminderung des Blutvolumens mit Hypotonie und einer Dehydratation (“Austrocknung”) des Körpers.

Förderung einer Demenz: In den Gehirnzellen behindert zu viel Insulin den Abbau von Amyloid-Beta, was den Alterungsprozess im Gehirn beschleunigt und das Risiko der Entwicklung einer Alzheimer-Demenz erhöht. Gefährdet hinsichtlich einer beschleunigten Demenz sind daher Menschen mit einer peripheren Insulinresistenz und konsekutiv ständig erhöhter Insulinproduktion. (19)Curr Alzheimer Res. 2008 Oct;5(5):438-47 (20)Biochim Biophys Acta. 2009 May;1792(5):432-43

Gestörte Glukosetoleranz und ihre Folgen

Eine periphere Insulinresistenz hat eine eingeschränkte Glukosetoleranz zur Folge; d. h. erhöhte Blutzuckerwerte können nicht mehr zeitgerecht durch Aufnahme in die Zellen vermindert werden. Bereits eine gestörte (eingeschränkte) Glukosetoleranz im prädiabetischen Stadium hat bereits weitreichende Auswirkungen. Der Verlust der “pulsatilen Insulinsekretion” (Störung der ß-Zellen, s. o.) und eine periphere Insulinresistenz (Störung peripherer Zellen, Insulin zu erkennen) können dem manifesten Diabetes mellitus Typ 2 um viele (bis zu 20) Jahre vorausgehen.

In dieser Phase beginnen bereits makro- und mikroangiopathische Veränderungen. Sie führen später zu Herzinfarkt, Schlaganfall, Blindheit (Retinopathie), Neuropathie, Durchblutungsstörungen der Beine mit dem “diabetischen Fuß“, diabetische Nephropathie (mit Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit).

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die eingeschränkte Glukosetoleranz bei noch nicht manifestem Diabetes mellitus Typ 2 als als Risikofaktor für die Mortalität anzusehen ist. (21)Balkau B et al. Diabetes Care 1998; 21: 360-367 Dem frühzeitigen Nachweis dieser Stoffwechselveränderung kommt daher eine große Bedeutung zu.

Als Übersichtsuntersuchung zur Aufdeckung einer eingeschränkten Glukosetoleranz dient der orale Glukosetoleranztest (oGTT).

Eine gute glykämische Kontrolle verbessert die Prognose bezüglich mikrovaskulärer Komplikationen; ob sie einen entscheidenden Einfluss auf makrovaskuläre Veränderungen hat, ist unsicher. (22) 2010 May 15;67(10):798-805. doi: 10.2146/ajhp090211.

→ Zur gestörten Glukosetoleranz siehe hier.

Verminderte Insulinsekretion

In den ersten Stadien des Diabetes Typ 2 funktionieren die ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse hinsichtlich ihrer Insulinproduktion normal. Sie werden jedoch durch die zu häufig erhöhten Blutzuckerspiegel vermehrt gefordert.

Überforderung der Inselzellen: Eine Fehlfunktion der ß-Zellen durch einen andauernden entzündlichen Stress und eine periphere Insulinresistenz gehören zu den grundlegenden Ursachen einer fortschreitenden Verschlechterung der diabetischen Stoffwechsellage. Die ß-Zellen erschöpfen sich schließlich; Insulin kann nicht mehr ausreichend produziert werden; der Zuckerkranke wird damit schließlich abhängig von zugeführtem Insulin (Insulinpflichtigkeit).

Schutz der ß-Zellen: Ein spezieller Vitamin-D-Rezeptor (VDR) vermag einen Signalweg in Gang zu setzen, der die ß-Zellen vor entzündlichem Stress und Untergang schützt. Eine pharmakologische Hemmung an einem Schlüsselpunkt dieses Wegs (dem BAF-Komplex) vermag im Tierexperiment die ß-Zell-Funktion wieder zu restaurieren und die Hyperglykämie zu verringern. Dies wird als eine mögliche eine neue Therapieoption angesehen. (23) 2018 May 7. pii: S0092-8674(18)30506-3. doi: 10.1016/j.cell.2018.04.013.

Glukosetransport in die Beta-Zellen: Die Insulinsekretion der Beta-Zellen des Pankreas ist abhängig von dem Eintransport von Glukose in die Zellen. Er wird durch den Transporter GLUT-2 vermittelt. Die Bildung dieses Transporters wird im Tierexperiment durch fettreiche Kost unterdrückt [3]. Dies wird als mögliches Bindeglied zwischen Adipositas und Diabetes mellitus gesehen.

Cholesterintransport in die Beta-Zellen: Auch der Cholesterintransporter der Zellmembran der Beta-Zellen (Abca1) scheint für eine normale Insulinsekretion eine Rolle zu spielen. Wird er in Tierexperiment ausgeschaltet, führt dies zu einer herabgesetzten Insulinsekretion und Glukosetoleranz. Die periphere Insulin-Empfindlichkeit dagegen ist nicht gestört (24)Nat Med 2007; 13:340.

Hyperglykämie: Erhöhte Blutzuckerspiegel können auf Dauer zu einer Herabregulation der Insulin-Gen-Expression führen; der genetische Befehl zur Insulinproduktion lässt nach. (25)J Clin Invest 1997; 99:534

Vitamin D

Bedeutung eines Vitamin-D-Rezeptors: Der spezielle Vitamin-D-Rezeptor (VDR) vermag einen Signalweg in Gang zu setzen, der die Insulin bildenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse vor entzündlichem Stress und Untergang schützt. Ein medikamentöser Eingriff an einem Schlüsselpunkt dieses Wegs verbesserte experimentell die ß-Zell-Funktion wieder und senkte den erhöhten Blutzucker. Dies bedeutet Aussicht auf eine neue Therapie. (26)Cell. 2018 May 17;173(5):1135-1149.e15. DOI: 10.1016/j.cell.2018.04.013 Eine Metaanalyse von Studien bestätigt, dass eine Vitamin-D-Supplementierung die Typ-2-Diabetes-Marker verbessert. (27)Diabetol Metab Syndr. 2023 Apr 19;15(1):76. DOI: 10.1186/s13098-023-01010-3.

Adipositas, Ernährung und Diabetes Typ 2

Überernährung führt zu peripherer Insulinresistenz und zugleich zu einer verminderten Empfindlichkeit des Glukosesensors der Beta-Zellen des Pankreas; umgekehrt kann Gewichtsabnahme zur Normalisierung führen. Diese lange bekannten Zusammenhänge lassen sich heute durch die Adipokine, spezielle hormonähnliche Mediatoren des Fettgewebes (Cytokine), und durch Polymorphismen des PPAR-gamma zum Teil erklären (s. o.). Aber das Wissen ist noch lückenhaft.

Beim Übergewicht spielt das Muster der Fettverteilung eine besondere Rolle; Bauchfett is in besonderer Weise mit dem metabolischen Syndrom und Diabetes Typ 2 assoziiert (Messungen des Bauchumfangs!). Die bei Adipositas im Blut besonders hoch messbaren freien Fettsäuren hemmen die Insulinsekretion und die periphere Insulinwirkung deutlich. (28)J Clin Invest 1995; 96:1261

Übergewicht als Kind bedeutet ein erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes im Erwachsenenalter. Wenn aber das Übergewicht vor der Pubertät abgebaut werden kann, senkt sich das Risiko. Wird vor dem Alter von 13 Jahren Normalgewicht erreicht, ist das Risiko eines Diabetes zwischen 30 und 60 Jahren gegenüber nicht Übergewichtigen nicht erhöht. Wird Normalgewicht erst im frühen Erwachsenenalter erreicht, ist es 1,47-fach erhöht. Wird es überhaupt nicht erreicht, ist es 4,14-fach erhöht. Das Diabetesrisiko durch Übergewicht steigt offenbar erst ab der Pubertät an! (29)N Engl J Med 2018; 378:1302-1312 DOI: 10.1056/NEJMoa1713231

Adipokine

Leptin: Leptin ist ein Adipokin; es wird von Fettzellen (Adipozyten) gebildet und hat die Funktion, dem Gehirn mitzuteilen, wie viel Fett der Körper enthält. Es signalisiert, ob Nahrungsbedarf vorhanden ist oder nicht. Wird Leptin zu wenig gebildet oder im Gehirn ungenügend erkannt (Leptinresistenz), entsteht zu früh erneut ein Hungergefühl, das schließlich zur Adipositas führt.

Zu Leptin siehe hier.

Adiponectin: Adiponectin ist ebenfalls ein Cytokin der Fettzellen (Adipokin). Es senkt bei Frauen mit Typ-2-Diabetes die Entzündungsparameter und den Spiegel freier Fettsäuren im Blut und führt zu einer verbesserten Blutzuckerkontrolle. (30)J Clin Endocrinol Metab 2005; 90:4542 Ein Adiponectin-Mangel prädisponiert zu Insulinresistenz und Diabetes mellitus Typ 2. Die Adiponectin-Produktion ist bei Adipositas herunterreguliert. (31)Biochem Biophys Res Commun 1999; 257:79 Durch erhöhte Zufuhr von Ballaststoffen (pflanzliche Kost) und Reduktion von Kohlenhydraten in der Nahrung steigt die Adiponectin-Produktion bei Typ-2-Diabetikern wieder an. (32)Diabetes Care 2006; 29:1501

Resistin: Resistin ist ein Cytokin der Adipozyten, welches die Insulin-vermittelte Aufnahme von Glukose in die Fettzellen vermindert. Es wird angenommen, das es ein verbindendes Glied zwischen Adipositas und Diabetes darstellt Nature 2001; 409:307.

Retinol-binding protein 4 (RBP4): RBP4 wird von Hepatozyten und Adipozyten produziert und korreliert im Tiermodell mit der Insulinresistenz. Die Wirkungsweise ist weitgehend unbekannt. (33)N Engl J Med. 2006 Jun 15;354(24):2552-63. doi: 10.1056/NEJMoa054862 (34)Diabetes. 2017 Jan;66(1):58-63. doi: 10.2337/db16-0286 Fettleibigkeit und Insulinresistenz sind mit erhöhten RBP4-Spiegeln im Blut assoziiert.  Ein erhöhter Spiegel fördert den Fettumsatz und steigert die Aktivität der narmebildenden Fibroplasen in der Leber. (35)J Lipid Res. 2022 Oct;63(10):100268. doi: 10.1016/j.jlr.2022.100268

Plasminogen-Aktivator-Inhibitor: Er hemmt die Aktivierung von Plasmin aus Plasminogen und damit die Fibrinolyse. Dies führt bei Diabetikern zu einer erhöhten Thromboseneigung (Thrombophilie). Er wird in verschiedenen Zelltypen (Hepatozyten, Endothelzellen, Monozyten, Fibroblasten …) und auch in Adipozyten gebildet. Erhöhte Werte lassen ein erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes erkennen (36)Diabetologia. 1991 Jul;34(7):457-62. doi: 10.1007/BF00403280 und ist mit einer verminderten Fibrinolyse verbunden. (37)Ann Med. 2000 Dec;32 Suppl 1:78-84.

TNF-alpha: Das Fettgewebe Adipöser bildet TNF-alpha (Tumornekrosefaktor-alpha), der als starker Entzündungsmediator wirkt. Er führt zu einer verminderten Insulinwirkung. Gewichtsreduktion bewirkt eine Abnahme der Genexpression für TNF-alpha und eine verbesserte Insulinwirkung Endocrinology 1994; 134:264.

Entzündung und Diabetes

Es wird angenommen, dass chronisch-schwelende Entzündungen im Körper sowohl das Risiko für einen Diabetes mellitus Typ 2 als auch für die Arteriosklerose erhöhen [20]. (38)J Clin Invest 2006; 116:1793 Es wird angenommen, dass solche Entzündungen durch Entzündungsmediatoren (siehe Entzündungsparameter), die dem Fettgewebe entstammen, wie Leukozyten, CRP, IL-6 oder Plasminogen-Activator-Inhibitor-1 (PAI-1) werden von Fettgewebe unterhalten werden. Ein Beispiel für solch einen chronisch entzündlichen Prozess ist die NASH (nicht-alkoholische Steatohepatitis); ein anderes sind die entzündlichen Prozesse an der Gefäßintima, die an der Plaque-Bildung beteiligt sind.

Entzündungshemmung

Von Medikamenten, die Entzündungsreaktionen unterdrücken, wird ein positiver Effekt auf den Langzeitverlauf bei Adipositas erwartet. (39)Am Coll Cardiol 2006; 48:396 Zu solchen Medikamenten gehören auch Statine, die zudem einen Cholesterin senkenden Effekt auslösen.

Vitamin D

Eine pharmakologische Hemmung des BAF-Komplexes im VDR-abhängigen Signalweg (ausgehend vom Vitamin-D-Rezeptor, VDR) schützt die ß-Zellen vor entzündlichem Stress und vermag im Tierexperiment zur Verbesserung des Glukosehaushalts zu führen. Daher erscheint Vitamin D eine aussichtsreiche neue Therapieoption zu sein. (40) 2018 May 7. pii: S0092-8674(18)30506-3. doi: 10.1016/j.cell.2018.04.013. Dies wird durch große Studien bestätigt (siehe hier). eine Metaanalyse solcher Studien bestätigt den günstigen D-Vitamin-Einfluss auf Nüchternblutzucker, HbA1c und Insulinkonzentration beim T2DM. (41)Diabetol Metab Syndr. 2023 Apr 19;15(1):76. DOI: 10.1186/s13098-023-01010-3.

Therapie des Typ-2-Diabetes

Die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 basiert auf eine gesunden Ernährung, die dem Zuckerstoffwechsel angepasst ist, sowie auf einer vermehrten körperlichen Bewegung, beide mit dem Ziel einer Gewichtsabnahme.

→ Zur Ernährung beim Diabetes siehe hier.

In der Phase einer beginnenden peripheren Insulinresistenz mit erhöhten Blutzuckerwerten im Glukosetoleranztest kommen orale Antidiabetika, wie Metformin, hinzu. Die orale Medikation kann mit neueren Therapieprinzipien ergänzt werden, welche auch die Gewichtsabnahme erleichtern. Dazu siehe hier.

Beginnen die Betazellen mit ihrer Insulinproduktion an den Rand ihrer Kapazität zu gelangen, was sich durch die Notwendigkeit zur Erhöhung der oralen Medikation bemerkbar macht, so wird Insulin erforderlich. Dazu siehe hier.

→ Zur Behandlung siehe hier.


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Vorbeugung eines Typ-2-Diabetes

Ein Prädiabetes erhöht das Risiko eines Fortschreitens zu einem manifesten Diabetes mit einer jährlichen Progressionsrate von geschätzt 5–15 %. (42)Cochrane Database Syst Rev. 2018;10(10):CD012661

Frühzeitige Diagnose einer peripheren Insulinresistenz: Beim Typ-2-Diabetes beginnen die ersten Veränderungen an den kleinsten Blutgefäßen (Mikroangiopathie) bereits zu einem Zeitpunkt, an dem der Diabetes noch nicht manifest geworden ist. Eine gestörte Glukosetoleranz (als Ausdruck einer sich entwickelnden peripheren Insulinresistenz) mit postprandial zu hohen Blutzuckerspitzen reicht offenbar schon dazu aus. Menschen, die ein erhöhtes Risiko für eine gestörte Glukosetoleranz tragen, sind speziell Übergewichtige und Adipöse. Eine Gewichtsabnahme und vermehrte körperliche Bewegung senkt das Diabetes-Risiko deutlich. (43)Diabet Med. 2020 Apr;37(4):681-688. doi: 10.1111/dme.14122 (44)Eur J Epidemiol. 2015 Jul;30(7):529-42. doi: 10.1007/s10654-015-0056-z

Gewichtsabnahme bei übergewichtigen Kindern: Übergewichtige Kinder, die es schaffen, vor der Pubertät normalgewichtig zu werden, haben kein erhöhtes Risiko im Alter zwischen 30 und 60 Jahren einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Ab der Pubertät jedoch steigt das Risiko bei Übergewicht. (45)N Engl J Med 2018; 378:1302-1312 DOI: 10.1056/NEJMoa1713231

Vorbeugung durch Vitamin D: In einer Studienauswertung fand sich bei einer Erhöhung des Vitamin-D-Spiegels um 25 mg/l ein um 14% niedrigeres Risiko eines Typ-2-Diabetes. (46)PLoS Med 15(5): e1002566. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1002566 Vermutlich hängt die mit dem schützenden Effekt eines Signalwegs zusammen, der vom speziellen Vitamin-D-Rezeptor der Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse ausgeht. (47)Cell Volume 173, Issue 5, p1135–1149.e15

Verweise

Literatur[+]