Reizdarm

Magendarmkanal Schema
Magendarmkanal Schema

Das Wichtigste verständlich


Als Reizdarm oder Reizdarmsyndrom wird eine Veranlagung zu Durchfällen oder Verstopfung bezeichnet, die phasenhaft in unterschiedlicher Ausprägung oder auch im Wechsel zutage tritt, und bei der man keine andere Krankheit als Ursache findet. Synonym: Irritables Darmsyndrom (IDS); engl.: irritable bowel syndrome (IBS).

Oft ist das Reizdarmsyndrom mit Blähungen und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit des Darms verbunden. Je länger die Symptomatik geht, ohne dass sich eine sonstige Krankheit als Ursache zeigt, desto sicherer wird die Diagnose. Der Reizdarm geht oft mit einem Reizmagen (funktionelle Dyspepsie) einher. Heute wird der Reizdarm oft als Krankheit des Darmmikrobioms und des Darmgehirns verstanden: Das Darmmikrobiom verändert die Permeabilität der Schleimhaut und sorgt für Darmgase, und das Nervensystem der Darmwand reagiert überempfindlich. Dieses Konzept hat zu einem Verständnis neuer Therapieansätze geführt.

Symptome

Die Symptome des Reizdarms sind variabel – sowohl unter den verschiedenen Patienten als auch innerhalb eines Krankheitsverlaufs. Es können Phasen vermehrter Gasbildung (Meteorismus), von Bauchschmerzen und von Durchfall (Diarrhö) oder Verstopfung (Obstipation) abwechseln oder wochen- bis monatelang vorherrschen. Oft sind die Beschwerden mit funktionellen Magenbeschwerden (Dyspepsie) kombiniert. Gelegentlich wird von Betroffenen berichten, dass die Reizdarmbeschwerden in der Folge einer infektiösen Durchfallkrankheit (Enteritis) entstanden.

Stuhlverhalten: Es finden sich verschiedene Typen: Je nach Stuhlverhalten wird das IBS in verschiedene Untergruppen eingeteilt: IBS mit Durchfall (IBS-D), IBS mit Verstopfung (IBS-C), IBS mit gemischtem Stuhlmuster (IBS-M) und IBS ohne Klassifizierung 1.

Meteorismus: Bei Patienten mit einem Reizdarm findet sich eine signifikant vermehrte Gasproduktion gegenüber Normalpersonen, was mit der Ernährung, wie auch mit einem veränderten Darmmikrobiom zusammenhängt. Sie führt über eine Dehnung der Darmwand zu Schmerzen.

Verändertes Schmerzempfinden: Es treten abhängig von Blähungen Bauchschmerzen auf. Sie sind auf Dehnungsreize zurückzuführen, wobei eine erhöhte Empfindlichkeit des Darms auf Dehnung eine schmerzverstärkende Rolle spielt. Sie geht auf eine Überempfindlichkeit des autonomen Nervensystems der Darmwand zurück, die auch zu einer veränderten Motilität veranlassen kann 2 3.

Ursache und Entstehung des Reizdarmsyndroms

Diagnostik

Lang anhaltende wechselhafte Bauchbeschwerden im Zusammenhang mit Blähungen und/oder Veränderung der Stuhlfrequenz und/oder Stuhlkonsistenz ohne sonstige Erkrankung eines Verdauungsorgans sind verdächtig auf das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms.

Im Wesentlichen handelt es sich bei ihm um eine Ausschlussdiagnose. Daher sind in aller Regel Untersuchungen erforderlich, um die wichtigsten organischen Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten, die als Differentialdiagnosen in Frage kommen, auszuschließen.

Dazu gehören:

Bei negativen Ergebnissen der Voruntersuchungen sollten eine Nahrungsmittelallergie oder -unverträglichkeit ausgeschlossen (Ausschlussdiät) und ein Quantalan-Test auf Gallensäure-spill-over durchgeführt werden (Quantalan bindet Gallensäuren im Darm und machen sie bezüglich ihrer Wirkung auf die Darmmotilität unwirksam). Die Stufenleiter der Diagnostik wird jeweils individuell angepasst.

Rom-Kriterien

Nach den Rom-II-Kriterien 4 sind zur Diagnose eines Reizdarmsyndroms folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • Beschwerden über mindestens 12 Wochen (kontinuierlich oder diskontinuierlich) innerhalb des letzten Jahres,
  • zusätzlich mindestens zwei folgender Kriterien: (a) Veränderung der Stuhlfrequenz (zu selten oder zu häufig), (b) Veränderung der Stuhlkonsistenz (zu fest oder breiig/flüssig) und (c) Symptombesserung nach Defäkation (Stuhlentleerung).

Die Rom-III-Kriterien 5 beinhalten folgende Feststellungen:

  • abdominelle Beschwerden an mindestens 3 Tagen im Monat während der letzten 3 Monate mit Beginn insgesamt vor mehr als 6 Monaten

plus mindestens zwei der folgenden Kriterien

  • Besserung durch / nach Stuhlgang
  • Beginn in zeitlichem Zusammenhang mit Änderung der Stuhlfrequenz (häufiger / weniger häufig)
  • Beginn in zeitlichem Zusammenhang mit Veränderung der Stuhlkonsistenz (breiiger / fester)

Andere Ursachen (z. B. infektiös, tumorös etc.) müssen ausgeschlossen sein.

Die Prävalenz nach den Rom-III-Kriterien ist wesentlich höher als nach den Rom-II-Kriterien. 6

Differenzialdiagnosen

Als Differenzialdiagnosen kommen infrage:

Beim Reizdarmsyndrom können funktionelle Störungen (wie beispielsweise eine Laktoseintoleranz) zu einer Akzentuierung der Symptomatik führen. Funktionelle Störungen schließen also ein Reizdarmsyndrom nicht aus.

Therapie des Reizdarmsyndroms

Die Therapie des Reizdarmsyndroms ist oft problematisch. Vielfach müssen verschiedene Ansätze nacheinander verfolgt werden. Folgende Behandlungsoptionen können erfolgreich sein:

  • Pfefferminzöl scheint eine Besserung (weniger Blähungen, Reduktion der Stuhlfrequenz) zu bewirken. Dies wird durch eine Cochrane-Bewertung von Studien unterstrichen. 7
  • Antidepressiva können über eine psychische Beeinflussung der Toleranz gegenüber Darmgas-bedingtem intestinalem Schmerz erhöhen. Die Wirkung bei IBS ist widersprüchlich. Antidepressiva waren in einer Bewertung von Studien im Hinblick auf Ansprechrate und Verringerung der gastrointestinalen Symptome wirksamer als Placebos. 8
  • Spasmolytika: Eine Übersicht zeigt eine Wirksamkeit für mehrere Substanzen, so für Trimebutin und Mebeverin. 9 Eine Cochrane-Bewertung deutet ebenfalls auf eine Wirksamkeit von Spasmolytika, so von Cimetropium/Dicyclomin, Pfefferminzöl, Pinaverium und Trimebutin. 7
    • Mebeverin: (z. B. Duspartal®) wird vielfach verwendet; es kann laut praktischer Erfahrung bei spastischer Komponente der Beschwerden eine Besserung bewirken.
    • Pinaverium ist ein GI-selektiver Kalziumkanalantagonist (GI: gastrointestinal, den Magendarmkanal betreffend), der deutlich effektiver wirkt als Placebo (siehe hier).
  • Ondansetron: Ein 5-Hydroxytryptaminantagonist (Ondansetron) führte in einigen Fällen zu einer deutlichen Besserung.
  • Alosetron: Ähnlich wie Ondansetron verbessert dieser selektive 5-HT3-Rezeptorantagonist vielfach die Reizdarmbeschwerden. In einer randomisierten Studie sprachen bei einer Dosis von 0,5 bis 2 mg/d besserten sich die Beschwerden in etwa 50%, bei Placebo in ca 30%. Nach Therapieende verstärkten sich die Beschwerden wieder. Nebenwirkungen bestanden hauptsächlich in Obstipation; es wurden zudem einige Fälle einer ischämischen Kolitis beobachtet. 10
  • Fedotozin kann günstig wirken; die Wirksamkeit nimmt über die ersten Wochen zu.
  • Cisaprid wirkt häufig günstig bei Obstipation-dominiertem und nicht günstig bei Diarrhö-dominiertem Reizdarmsyndrom (Cisaprid ist wegen kardialer Nebenwirkungen bei Koronarpatienten vom Markt zurückgezogen worden). Nachfolgepräparat ist Prucaloprid.
  • Linaclotid (Constella®) beschleunigt die Darmpassage, erhöht die Flüssigkeitssekretion im Darm und erniedrigt die Schmerzempfindlichkeit des Darms auf Dehnung (z. B. durch Darmgase). Damit lindert die Beschwerden des Reizdarms mit überwiegender Obstipation und hebt die Lebensqualität deutlich.
  • Pregabalin: Pregabalin hebt die bei IBS-Patienten erniedrigte intestinale Schmerzschwelle auf etwa das normale Niveau an. Es senkt die intestinale Hypersensitivität und scheint eine Therapieperspektive darzustellen.
  • Entschäumer können helfen, die Darmgase (Meteorismus) zu reduzieren – aber nur für den Fall, dass Schaumbildung im Darm vorliegt.
  • E. coli Stamm Nissle (als Mutaflor im Handel) hat als Probiotikum in einigen Fällen eine günstige Wirkung auf Symptome des Reizdarmsyndroms 11.
  • Ernährung: Bei der Personengruppe mit vermehrtem Meteorismus wirkt eine Ausschlussdiät günstig (ohne Milch-, Hefe- und Getreideprodukte, und unter Ausschluss von Früchten und Fruchtsäften, die zur Gasbildung führen). Die Kost sollte anschließend unter Beobachtung der Gasbildung bzw. der Verträglichkeit sukzessive wieder komplexer gestaltet werden. Was nicht vertragen wird, sollte gemerkt und weggelassen werden. Einseitigkeit der Kost ist jedoch möglichst zu vermeiden. Wenn Milch nicht vertragen wird: für genügend Kalzium (+ Vitamin D) sorgen. Wenn Obst nicht vertragen wird, Vitamine und Ballaststoffe zuführen.
    • FODMAP: Eine sich ausbreitende Diätrichtung (low FODMAP) berücksichtigt, dass Einfach- und Zweifachzucker sowie Oligosaccharide und Zuckeralkohole, die in den Dickdarm gelangen, zu Blähungen und Reizdarmsymptomen führen. Eine Metaanalyse von Studienergebnissen bestätigt die Wirksamkeit beim Reizdarmsyndrom. 12 In einer Metaanalyse von Studien war ein niedriger FODMAP-Gehalt bezüglich Schwere der Bauchschmerzen, Schwere der abdominellen Blähungen und der Stuhlgewohnheiten wirksam und belegte den ersten Rang. 13
  • Stuhltransplantation: Zur Korrektur einer Dysbiose kann eine Stuhltransplatation in Frage kommen. Eine entsprechende Studie über 1 Monat wies eine überzeugende Besserung bezüglich Bauchschmerzen, Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz und -form nach. 15 Eine andere Studie an Probanden mit überwiegender Blähungssymptomatik zeigte ähnliche Ergebnisse, allerdings ließen die positiven Effekte innerhalb eines Jahres nach. 16 Eine skandinavische Studie konnte keinen positiven Effekt nachweisen. 17
  • Psychologische Interventionen: Sie scheinen gute Effekte zu zeitigen. Eine kognitive und Verhaltenstherapie dient der eigenen bewussten Gegensteuerung krank machender auch innerer Einflüsse. Eine Hypnotherapie durch einen Therapeuten versetzt den Patienten in eine Art von Trance mit Tiefenentspannung zur Förderung kreativer Lösungen für Reizdarm-verstärkende Faktoren. Für Ablenkung, Entspannung und Yoga wurde ein signifikanter Effekt nicht nachgewiesen. 18
  • Serotonin-Reuptake-Hemmer: Sie werden von der AGA-Leitlinie für die klinische Praxis 2022 nicht empfohlen. 19 Für Citalopram wurde früher allerdings festgestellt, dass es Bauchbeschwerden nach 6 bis 12 Behandlungswochen lindert. 20 Andere Studien verliefen negativ.
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Duloxetin führte in einer Pilotstudie zu einer signifikanten Verbesserung gastrointestinaler Symptome sowie von depressiven Symptomen. Die Stärke der Bauchschmerzen bei IBS-Patienten nahm um 56 % ab. 21 22
  • Tenapanor: Dies ist ein Inhibitor des Natrium-Protonen-Austauschers NHE3 und hemmt bei oraler Verabreichung selektiv die Natriumaufnahme im Darm. Eine Studie belegt, dass es die IBS-C-Symptome (C: constipation, Verstopfung) über 26 Wochen verbessert und gut vertragen wurde. Nebenwirkung war eine in einigen Fällen auftretende vorübergehende Diarrhö. Tenapanor wird als neues Therapieprinzip für eine Langzeitbehandlungsoption angesehen. 23

Pragmatisches Vorgehen

Wenn bei einer sonst gesunden Person ohne besondere Gewichtsabnahme und bei normaler Blutsenkung der Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom aufkommt, kann folgendermaßen pragmatisch vorgegangen werden:

Eine ausufernde Diagnostik, die häufig bis zu CT, MRT, hepatobiliärer Sequenzszintigraphie und MRCP führt, sollte anfangs möglichst vermieden werden.

Behandlung

Wenn eine andere Erkrankung durch das ansonsten anhaltend gute Befinden sowie die oben genannten Untersuchungen weitgehend ausgeschlossen werden kann, kommt eine ex-juvantibus-Therapie in Betracht:

  • Eine Umstellung einer Kost beginnt durch Weglassen blähender Speisen und ggf. mit einem Start einer Low-FODMAP-Kost.
  • Ein therapeutischer Versuch mit einem Entschäumer (hohe Dosierung) ggf. zusammen mit einem Enzympräparat kann in einigen Fällen eine Symptomlinderung bewirken. Das Enzympräparat dient einer beschleunigten Verdauung, was sich bei Hypermotilität des Darms und beschleunigter Dünndarmpassage günstig auswirkt: Ziel ist es dabei, die Nahrung rechtzeitig vor Eintritt in das Kolon aufzuschließen und resorbierbar zu machen.
  • Weitere Maßnahmen beinhalten eine Beeinflussung der Darmflora durch Probiotika und der Darmmotilität durch Medikamente (wie Domperidon, Loperamid oder Mebeverin), bei überwiegender Verstopfung mit z. B. Linaclotid.
  • Die Schmerzschwelle des Darms kann versuchsweise mit Pregabalin (Lyrica®) erhöht werden.
  • Bei einer larvierten Depression kann ein Versuch mit Amitryptilin in niedriger Dosierung (Kontraindikationen und Nebenwirkungen beachten!) sinnvoll sein. Eine Placebo-kontrollierte Studie besagt, dass niedrig dosiertes Amitriptylin (10 mg/d) als Zweitlinienbehandlung überlegen wirkt und gut verträglich war. Der subjektive IBS-Schweregrad (IBS-SSS score von 100 Punkten) sank um 27 Punkte (vs. -7 unter Placebo). 24
  • Eine intestinale Dyskinesie kann durch Metoclopramid oder Domperidon günstig beeinflusst werden, bei Hypermotilität (IBS mit überwiegenden Durchfälle) z. B. mit Loperamid in kleiner Dosierung, bei einem spastischen Kolon mit überwiegender Verstopfung z. B. mit Hymechromon oder Mebeverin.
  • Antibiotika (bei d-IBS) können ex juvantibus ebenfalls indiziert sein, wobei Rifaximin favorisiert wird (s.o.).

→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

Weiteres

  1. Lancet. 2020;396:1675–1688. doi: 10.1016/S0140-6736(20)31548-8[]
  2. J Physiol Pharmacol. 2007 Aug;58 Suppl 3:131-9[]
  3. Scand J Gastroenterol. 2007 Apr;42(4):441-6[]
  4. Gut 1999; 45 Suppl 2: 43-47[]
  5. Gastroenterology 2006; 130: 1480-1491[]
  6. Eur J Gastroenterol Hepatol. 2007 Jun;19(6):441-7[]
  7. Cochrane Database Syst Rev. 2011 Aug 10;(8):CD003460[][]
  8. Front Psychiatry. 2018 Dec 4;9:659. doi: 10.3389/fpsyt.2018.00659[]
  9. Aliment Pharmacol Ther. 1994 Oct;8(5):499-510[]
  10. Am J Gastroenterol 2007; 102: 1709-1719[]
  11. Med Klin 2007: 102: 888-892[]
  12. Nutrients. 2017 Aug 26;9(9):940. doi: 10.3390/nu9090940. PMID: 28846594; PMCID: PMC5622700.[]
  13. Gut. 2022 Jun;71(6):1117-1126. DOI: 10.1136/gutjnl-2021-325214[]
  14. Aliment Pharmacol Ther. 2012 Dec;36(11-12):1084-93[]
  15. Scand J Gastroenterol. 2021 Jul;56(7):761-769. DOI: 10.1080/00365521.2021.1915375. []
  16. Gastroenterology. 2021 Jan;160(1):145-157.e8. DOI: 10.1053/j.gastro.2020.07.013.[]
  17. Scand J Gastroenterol. 2021 Jul;56(7):761-769[]
  18. Arch Dis Child. 2020 Oct;105(10):938-944. doi: 10.1136/archdischild-2020-318825. Epub 2020 Mar 9. PMID: 32152039.[]
  19. Gastroenterology. 2022 Jul;163(1):118-136. doi: 10.1053/j.gastro.2022.04.016[]
  20. Ann Pharmacother. 2014 Jun;48(6):777-84[]
  21. J Clin Psychopharmacol. 2016 Dec;36(6):710-715. []
  22. Adv Biomed Res. 2021 Jun 28;10:14. doi: 10.4103/abr.abr_247_20.[]
  23. Am J Gastroenterol. 2021 Jun 1;116(6):1294-1303. doi: 10.14309/ajg.0000000000001056[]
  24. Lancet. 2023 Nov 11;402(10414):1773-1785. doi: 10.1016/S0140-6736(23)01523-4[]