Das HELLP-Syndrom ist eine Schwangerschaftskomplikation mit Leberschädigung und Veränderungen im Blutbild. HELLP ist ein Akronym für hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count. Es stellt eine schwere Form einer Präeklampsie dar. Die kindliche Sterblichkeitsrate liegt bei 37 %, die Müttersterblichkeitsrate zwischen 0 und 24 %. (1)BMC Pregnancy Childbirth. 2009;9:8 (2)Pregnancy Hypertens. 2019;18:42–48. (3)Acad Pathol. 2022 Sep 23;9(1):100055. doi: 10.1016/j.acpath.2022.100055.
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Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Beim HELLP-Syndrom ist eine schwerwiegende Schwangerschaftskomplikation im letzten Drittel der Schwangerschaft (etwa 34. Schwangerschaftswoche).
Es handelt sich um eine meist schwer verlaufende Variante der Präeklampsie (schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck mit vermehrter Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie) ), bei der zusätzlich
Das HELLP-Syndrom beruht auf einer Störung des Trophoblasten (der die Plazenta bildet) und ist gehäuft mit einem Gerinnungsdefekt (dem APS: Antiphospholipid-Syndrom) assoziiert, das auch nach Beendigung des HELLP-Syndroms für weitere Komplikationen verantwortlich sein kann. Eine schwere Verlaufsform des HELLP-Syndroms ist eine Indikation zu einer vorzeitigen Entbindung. Erfahrungen zeigen, dass möglicherweise eine Hemmung des Komplementsystems zu einer Beherrschung der Symptomatik führt, was wünschenswert ist, um die Schwangerschaft bis zu einer möglichst hohen Reife des Kinds zu verlängern (s. u.). → Patienteninfos: HELLP-Syndrom – einfach erklärt |
Inzidenz
Die Inzidenz des HELPP-Syndroms ist mit 1 auf 150-300 Geburten relativ hoch.
Patientinnen mit schwerer Präeklampsie (eine Eklampsie kommt in etwa 5% aller Schwangerschaften vor (4)Kidney Int. 2005 Jun;67(6):2101-13 ) entwickeln in 10-20% ein HELLP-Syndrom. (5)Am J Obstet Gynecol 1993; 169: 1000-1006
Ein vorangegangenes HELLP-Syndom prädisponiert zum HELLP-Syndrom bzw. einer Präeklampsie bei folgenden Schwangerschaften.
Entstehung
Das HELLP-Syndrom wird vielfach als besonders schwere Form einer Präeklapsie angesehen; aber im Gegensatz zur Präeklampsie haben bis zu 30 % der Frauen mit HELLP-Syndrom keine Hypertonie oder Proteinurie, so dass der Zusammenhang umstritten ist. (6)Clinica Chimica Acta; Int J Clin Chem 2015; 451: 117–120
Für das HELLP-Syndrom wird eine genetische Grundlage angenommen; jedoch ist nicht ein einzelnes Gen, sondern wahrscheinlich eine Kombination verschiedener Genvarianten für die Prädisposition verantwortlich.
Umweltfaktoren werden als Auslöser diskutiert. Die Mechanismen, die zur Entwicklung des HELLP-Syndroms führen, ähneln denen einer Abstoßungsreaktion; entsprechend häufig finden sich hohe Spiegel von HLA-DR im mütterlichen Blut.
Plazentare Faktoren
Beim HELLP-Syndrom ist die Invasion mütterlicher Blutgefäße in den Trophoblasten (entwickelt sich zur Plazenta) gestört. Faktoren, die aus der Plazenta stammen, bewirken laut vorherrschender Hypothese in mütterlichen der Leber den Zerfall der sinusoidalen Endothelzellen (LSEC) und verursachen schließlich ein sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS), das den Blutfluss durch die Leber behindert. (7)Pregnancy Hypertens. 2019 Oct;18:42-48. DOI: 10.1016/j.preghy.2019.08.004 (8)Pregnancy Hypertens. 2020 Jan;19:37-43. DOI: 10.1016/j.preghy.2019.11.012 Es verlangsamt sich messbar der Pfortaderfluss.
Im Blut finden sich erhöhte Spiegel an antiangiogenetischen Faktoren, was die sich entwickelnde Angiodysplasie und die ischämischen Veränderungen des Trophoblasten erklärt. Plazentare Toxine schädigen die Leberzellen (Hepatozyten) mit periportalen Nekrosen und Erhöhung der Transaminasen. Die Blutgerinnung wird aktiviert, es werden Entzündungsmediatoren gebildet und es entwickelt sich eine thrombotische Mikroangiopathie (Verschluss kleinster Blutgefäße mit Gerinnseln) mit Thrombozytenverbrauch (Folge Thrombozytopenie) und Hämolyse. Bei etwa der Hälfte der Frauen mit HELLP-Syndrom kommt es zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC), die lebensbedrohlich werden kann. (9)Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2013 Feb;166(2):117-23
Die Plättchenaktivierung führt ebenfalls zu einer erhöhten Freisetzung von Thromboxan A2 und Serotonin, die beide vasokonstriktiv (damit widerstandserhöhend) wirken.
Während der Schwangerschaft bildet die Plazenta Substanzen, die für eine maternofetale Toleranz und eine gute Perfusion gewährleisten. Dazu gehört Glycodelin A (Substanz PP14). Glycodelin-A-Expression in der Decidua der Placenta von Patientinnen mit HELLP-Syndrom ist vermindert. (10)Virchows Arch. 2005; 446: 360-8
Mitbeteiligung der Leber
Die Lebermitbeteiligung beim HELLP-Syndrom resultiert möglicherweise von zytotoxischen Substanzen, die sich im Serum der Patientinnen nachweisen lässt. Extrakte der Placenta dieser Patientinnen sind zytotoxisch für Leberzellen (Hepatozyten) und bewirken eine Apoptose, die über CD95 vermittelt wird. Eine Blockierung des toxischen Prinzips aus der Plazenta vermag die Apoptose von Leberzellen zu reduzieren. Aus diesen Erkenntnissen könnte ein therapeutischer Ansatz folgen. (11)Gastroenterology 2004; 126: 849-58
HELLP Syndrom und APS
Das HELLP Syndrom ist manchmal assoziiert mit anderen pathogenetischen Konditionen, wie dem Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom (Antiphospholipid-Syndrom (APS)). (12)Ann Rheum Dis. 2005; 64: 273-8 Eine Testung auf APS ist bei Vorliegen eines HELLP-Syndroms empfehlenswert; andererseits bedürfen Patientinnen mit APS in der Schwangerschaft einer besonderen Überwachung, da etwa 1/3 von ihnen eine Präeklampsie entwickeln. (13)Curr Rheumatol Rep. 2007 Jun;9(3):219-25 Patientinnen mit APS können in seltenen Fällen auch nach Beendigung der Schwangerschaft zu rezidivierenden Lebernekrosen neigen. (14)Lupus. 2006;15(12):889-91
Klinik und Symptomatik
Das HELLP-Syndrom entwickelt sich in der Regel im 3. Trimenon der Schwangerschaft, im Schnitt in der 34-sten SSW. Typische Symptome sind Schmerzen im Abdomen, Erbrechen, rasch auftretender Ikterus und Hypertonie. 30-60% der Betroffenen klagen über Kopfschmerzen, etwa 20% über Sehstörungen. Die Ausprägung der Symptome kann sehr unterschiedlich sein, so dass gelegentlich von einem patriellen und kompletten HELLP-Syndrom gesprochen wird. (15)BMC Pregnancy Childbirth. 2009 Feb 26;9:8. doi: 10.1186/1471-2393-9-8 Betroffen sind meist jüngere Erstgebärende. In etwa 30% tritt das HELLP-Syndrom auch erst in den ersten sechs Wochenbettstagen auf. Die Symptomatik bei praepartalem und postpartalem HELLP-Syndrom ist gleich; das postpartale HELLP-Syndrom ist jedoch durch häufigeres Lungenödem und Niereninsuffizienz kompliziert. (16)Am J Obstet Gynecol. 1993 Oct;169(4):1000-6
Verlauf
Die Erkrankung verläuft meist schwerwiegend, kann aber auch sehr unterschiedlich sein mit einem Spektrum zwischen subklinischer (nicht symptomatischer) Verbrauchskoagulopathie, die nur durch pathologische Gerinnungswerte auffällt, und einer Dekompensation des Gerinnungssystems mit Multiorganversagen. Gelegentlich ist der Verlauf fluktuierend.
Komplikationen
Mütterliche Komplikationen
zerebrale Blutungen, Niereninsuffizienz, Lungenödem und in ca. 1,5% Leberruptur bei subkapsulärer Blutung. In etwa 20% können die laborchemischen Parameter zwar vorhanden sein, aber die Präeklampsiesymptome (Hypertonie und Proteinurie) fehlen. Klinisch herrschen oft Oberbauchschmerz, manchmal Übelkeit und Erbrechen vor.
Die Mirkozirkulationsstörungen im Rahmen der Präeklampsie können in seltenen Fällen auch eine (sonst unerklärte) Pankreatitis und Cholezystitis bedingen. (17)Hypertens Pregnancy. 2007;26(1):23-9
Kindliche Komplikationen
Bei einem kleinen Teil der Kinder von Frauen mit HELLP-Syndrom besteht eine angeborene mitochondriale Fettsäureoxitationsstörung. Ursache ist ein Defekt der Longchain 3-Hydroxy-Acyl-CoA-Dehydrogenase (LCHAD). Bei allen Kindern von Müttern mit HELLP-Syndrom sollten daher die Acylcarnitine quantitativ untersucht werden. Therapiert werden die Kinder mit ausreichender Kalorienzufuhr und mittelkettigen Triglyceriden (MCT-Kost).
Differentialdiagnosen
- akute Schwangerschaftsfettleber (Häufigkeit: 1 auf 13000 Schwangerschaften; vorherrschende Befunde: Ikterus, Fieber, Leukozytose, Hypoglykämie, Syntheseleistungsstörung der Leber),
- akute Virushepatitis (häufigste Ikterusursache in der Schwangerschaft),
- intrahepatische Schwangerschaftscholestase (Häufigkeit 1 auf 500 bis 5000 Schwangerschaften, zweit häufigste Ikterusursache in der Schwangerschaft, Leitsymptom Juckreiz)
- thrombotische Mikroangiopathie (hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (Morbus Werlhof) )
Diagnostik, Laborbefunde
- Hämolysezeichen (Coombs-negativ)
- Erhöhung von Transaminasen, der Creatinkinase (CK) und des Laktats
- Erniedrigung der Thrombozyten
Bei dieser Laborkonstellation sollte auch an eine Sepsis (bakterielle Blutvergiftung) gedacht werden.
Klassifikation
Entsprechend der Schwere des Verlaufs wird das HELLP-Syndrom nach dem Mississippi-Triple-Class-System in die Klassen 1, 2 und 3 eingeteilt, wobei Klasse 1 die schwerste Ausprägung darstellt. (18)Am J Obstet Gynecol. 1991 Jun;164(6 Pt 1):1500-9 (19)Am J Obstet Gynecol. 1999 Jun;180(6 Pt 1):1373-84 Bei Schweregrad 1 und 2 findet man eine Hämolyse AST-Werte über 70 U/L, bei Klasse 3 über 40 U/L, jeweils zusammen mit LDH-Werten über 600 U/L und einer Thrombopenie. Die Klasse 3 hat das Risiko einer Progression zu den Klassen 2 und 1. (20)American Journal of Obstetrics and Gynecology. 1999;180(6 Pt 1):1373–84
Therapie
Kortikosteroide verringern die perinatale Morbidität und Mortalität bei bei absehbarer Frühgeburt durch Verbesserung der vorgeburtlichen Lungenreifung. (21)Cochrane Database of Systematic Reviews. 2006;(Issue 3) [DOI: 10.1002/14651858.CD004454.pub2] (22)Cochrane Database Syst Rev. 2010 Sep 8;(9):CD008148. doi: 10.1002/14651858.CD008148.pub2.
Ein Schwangerschaftsabbruch führt zur Rückbildung des HELLP-Syndroms.
Das HELLP-Syndrom lässt sich postpartal mit Kortikosteroiden bessern, was jedoch wegen des guten Spontanverlaufs selten nötig ist. Eine Plasmapherese scheint in vielen Fällen keinen Vorteil zu bringen. Allerdings wird für Klasse-1-HELLP mit Niereninsuffizienz ein positiver Verlauf unter einem Plasmaaustausch bei zusätzlichem Einsatz von Glukokortikoiden und ergänzender Behandlung mit Blutdrucksenkern, Transfusionen und Antibiotika und berichtet. (23)Transfus Apher Sci. 2014 Dec 24. pii: S1473-0502(14)00264-X. doi: 10.1016/j.transci.2014.12.026 (24)Caspian J Intern Med. 2014 Fall;5(4):243-7
Die Senkung des Blutdrucks kann beispielsweise mit mit Hydralazin erfolgen. Bei Gefährdeten kann versucht werden, eine Eklampsie mit Magnesiumsulfat zu vermeiden.
Diee Entscheidung, ob die Schwangerschaft sofort beendet werden sollte oder Zuwarten (in der Erwartung einer Besserung des HELLP-Syndroms und damit der Chance einer weiteren Reifung des Feten, wobei man durch Kortikosteroide die Lungenreifung fördern kann) angeraten werden kann, ist immer schwierig und individuell zu stellen. (25)Am J Obstet Gynecol 1999; 180: 1283-1288; JAMA 1995; 273: 413-418
Eculizumab, ein Antikörper und Inhibitor des Complementprotein C5, wurde in einem Fall in der 26. Schwangerschaftswoche erfolgreich bei einer schweren Präeklampsie mit HELLP-Syndrom eingesetzt: die klinischen Symptome und pathologischen Laborparameter besserten sich deutlich. Die Schwangerschaft konnte um 17 Tage verlängert werden. Es wird angenommen, dass eine Hemmung des Komplementsystems eine wirksame Strategie zur Behandlung des HELLP-Syndroms darstellt. (26)Placenta. 2013 Feb;34(2):201-3
Prognose
Die Mortalität der Mutter beträgt ca. 3%, die perinatale Mortalität des Kindes ca. 25%. Rezidive bei folgenden Schwangerschaften sind selten aber übernormal.
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Verweise
Fachinfos
- Ikterus
- Antiphospholipid-Antikörper (Lupus-Antikoagulans)
- Schangerschaftsassoziierte Leberkrankheiten
- Hepatopathie bei Prä-/Eklampsie
- Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
- Akute Schwangerschaftsfettleber
Patienteninfos
Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)
Literatur