Systemische Sklerose

Veröffentlicht von

Die systemische Sklerose (SSc), auch als progressive Systemsklerose oder systemische Sklerodermie bezeichnet, ist eine chronische, autoimmunologisch bedingte Erkrankung mit fortschreitenden Vernarbungen (Fibrosierung) an Haut (Sklerodermie), Gelenken und inneren Organen. Oft betroffen sind Speiseröhre (Ösophagus), Lungen, Herz und Nieren. Charakteristisch ist eine Einbeziehung der kleinen Blutgefäße (Vaskulopathie) mit multiplen Veränderungen, die zu Durchblutungsstörungen führen können. 1 2

→ Sklerodermie

Ursachen und Entwicklung

Die systemische Sklerose entsteht bei Menschen mit einer genetischen Veranlagung für eine Autoimmunkrankheit vermutlich durch einen Kontakt mit bestimmten Auslösern.

Genetische Voraussetzungen: Derzeit haben genomweite Studien zu Assoziationen auffälliger Genorte mit der autoimmunen Reaktionslage, der Fibrosierungsneigung und der Vaskulopathie der progressiven Systemsklerose durchgeführt. Es wurden verschiedene SSc-assoziierte Genorte identifiziert. 3 Ein defekter DNA-Reparaturmechanismus (defektes DDR/R) soll den Interferonweg vom Typ I anheizen und darüber zur Gewebefibrose bei SSc beitragen. 4 Epigenetische Einflüsse bezüglich DNA-Methylierung scheinen eine große Rolle zu spielen. 5 6 Insgesamt ist die Entstehung der Systemsklerose damit klarer geworden, aber immer noch weitgehend unverstanden.

Auslöser: Als auslösende Ursachen werden infektiöse Prinzipien diskutiert. Speziell Viren wurden verdächtigt. 7. Das menschliche Cytomegalievirus (CMV) ist dabei ins Blickfeld geraten. 8

Autoimmune Genese: Eine autoimmunologische Genese mit Bildung von Antikörpern gegen Endothelzellen kleiner Blutgefäße, die zu Gefäßschäden führt, ist wahrscheinlich. Hierbei spielen abnormal funktionierende Lymphozyten (B-Zellen) eine Rolle. Entsprechend finden sich pathologische Antikörper im Blut. Antinukleäre Antikörper werden sehr häufig nachgewiesen, wobei es sich vielfach um Autoantikörper gegen Histone handelt. Der Anti-Topoisomerase-I-Antikörper gilt als hochspezifisch für SSc gilt, fehlt aber bei der lokalisierten Sklerodermie (LC) 9.

Gefäßschäden: Es kommt lokal zu einem Übergewicht gefäßverengender (vasokostriktorischer) über gefäßerweiternde (vasodilatatorische) Prinzipien, so dass eine Neigung zu Gefäßspasmen auftritt. Von Bedeutung hierbei sind z. B. Serotonin, Thromboxan, Endothelin-1  als Gefäßverenger und Prostaglandine und NO als Gefäßerweiterer. Zudem werden die Gefäße undicht; es kommt zum Austritt von Flüssigkeit und Blutbestandteilen und schließlich zu einer Verdickung der Gefäßwände mit Lumeneinengung (obliterative Vaskulopathie).

Bedeutung von Relaxin: Relaxin (RLX) ist ein antifibrotisches Hormon, welches über spezielle Rezeptoren wirkt; es wird bei der Systemsklerose erhöht gefunden. 10 RLX kann die Fibrosebildung blockieren, die Aktivierung von Myofibroblasten hemmen und den Kollagenabbau beschleunigen. 11

Formen

Die sytemische Sklerose kann grob in 2 Unterformen eingeteilt werden:

  • Limitierte SSc, bei der die Veränderungen nur an einem Organ oder einem Körperort, vor allem an der Haut, auftreten; die Prädilektionsstellen an der Haut sind Ellenbogen, Knie, Kinn, Mundregion.
  • Diffuse SSc, bei der innere Organe einbezogen sind.
    • SSC-assoziierte interstitielle Lungenerkrankung (SSc-ILD): bei 35–52 % der Patienten, macht 20–40 % der SSC-Mortalität aus. 12

Zum Inhaltsverzeichnis 

Symptomatik, klinische Zeichen

Fehlendes Zungenbändchen bei systemischer Sklerose
Große subkutane Kalkspange
Teigig verdickte Haut bei systemischer Sklerose

Die systemische Sklerose hat eine breite Symptomatik. Sie hängt von den befallenen Organen und der Krankheitsausprägung ab. Einige von ihnen sind bei starker Ausprägung lebensbedrohlich. Geachtet werden sollte auf folgende Zeichen:

  • generalisierte Hautverdickung, beginnend oft als schleichende Verdickung der Fingerhaut, möglich als Monosymptomatik im Sinne einer Sklerodermie oder einer Oligosymptomatik mit Einbeziehung innerer Organe im Sinne eines CREST-Syndroms,
  • Gefäßanomalien: besenreiserartige Gefäßverzweigungen und -erweiterungen und Blutschwämmchen: Teleangiektasien,
  • Mikrostomie: kleiner Mund mit sternförmiger Hautfältelung,
  • fehlendes Zungenbändchen,
  • Verkalkungen an Körperenden und Vorsprüngen: Akrosklerose, auch mit Ulzerationen und Nekrosen,
  • Calcinosis cutis: Hautverkalkungen,
  • Verhärtung der Finger (Sklerodactylie mit zunehmender Induration und Atrophie), später schlecht heilende aufplatzende Fingerkuppen (nekrotische Ulzera),
  • Gefäßverkrampfungen (Vasospasmen) an den Fingern (Raynaud-Syndrom): die Finger werden phasenweise weiß und blutleer, Auslösung vor allem durch Kälte und Stress. Dieses Phänomen tritt oft schon Jahre vor sonstigen Symptomen der SSc auf.
  • Lungensymptome bei Alveolitis und Lungenfibrose: Atemnot, Husten. Folge der Lungenstarrheit: pulmonale Hypertonie, radiologisch Muster einer interstitiellen Pneumonie, 13
  • Herzsymptome: Rechtsherzbelastung und schließlich -versagen wegen Lungenstarrheit, Linksherzinsuffizienz bei schwer behandelbarem Bluthochdruck und durch fleckförmige Vernarbungen (Fibrose) bei Mangeldurchblutung und Entzündungen in der Herzmuskulatur 14
  • Schluckstörungen, Dysphagie, Sodbrennen,
  • Tendinitis und Verdickung von Gelenkkapseln, dadurch  Gelenkbeschwerden,
  • Gasansammlung in der Wand des Darms (Pneumatosis cystoides intestinalis) durch Degeneration der Mucularis mucosae und Eindringen gasbildender Bakterien,
  • Sackförmige Ausstülpungen (Divertikel) im Dünn- und Dickdarm bei segmentaler Atrophie (Abbau, Verdünnung) der glatten Muskulatur,
  • Lebersymptome: Symptomatik einer primär biliären Zirrhose (PBC): Zeichen einer autoimmunologischen chronischen Gallenwegsentzündung mit Juckreiz und Vernarbung der Leber,
  • Nierenbeteiligung: Niereninsuffizienz, Versagen der Entgiftungsfunktion wegen Intimahyperplasie der kleinen Gefäße; Anstieg der Nierenwerte,
  • Bluthochdruck: maligne, schwer therapierbare Hypertonie.

Häufige Kombination von Symptomen

Die systemische Sklerose kann sich nur auf die Haut beziehen (Sklerodermie) oder in verschiedenen Ausprägungen innere Organe befallen:

  • CRST-Syndrom: Akronym für Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Sklerodactylie, Teleangiektasien.
  • CREST-Syndrom: CRST plus „esophageal dilation“, eine Erweiterung der Speiseröhre mit Schluckstörung; siehe hier.

Die Symptomatik kann durch Kombination mit anderen Kollagenosen (Überlappung z. B. mit dem Sjögren Syndrom) noch vielfältiger werden.

ZumInhaltsverzeichnis 

Diagnostik

Die systemische Sklerose lässt sich in ihren Anfangsstadien schwer diagnostizieren. Erster Hinweis kann ein unerklärtes Raynaud-Phänomen an den Fingern sein. Wenn Hautverkalkungen tastbar sind, ist die Diagnose bereits klinisch zu stellen.

Folgende Kriterien sind bei der Diagnosestellung einer SSc zu berücksichtigen :

  • Geschlechtsverhältnis f:m = 4:1
  • Labor:
    • positive ANA sehr häufig (>90%) (wenn positiv: Anti-Doppelstrang-DNA,
    • Antinukleäre Antikörper vom Typ Anti-Scl-70 (Autoantikörper gegen die Topoisomerase I, ATA): in etwa 20 % bei SSc, bis zu 25 % positiv auch beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) 15.
    • Anti-Zentromer-AK (ACA): Sie sind bei der limitierten, lokalisierten SSc zu ca. 70% positiv, bei der diffusen SSc dagegen selten.
    • Anti-Topo-IIalpha-Antikörper: Sie wurden bei 76 % (35 von 46) der Patienten mit lokalisierter Sklerodermie (LC) und bei 85 % (11 von 13) der Patienten mit generalisierter Morphea nachgewiesen 16.
    • Anti-RNA-Polymerase-Antikörper (Anti-RNAP): sie sind assoziiert mit diffusen Hauterkrankungen und einer Nierenbeteiligung 17.

Anti-Zentromer-Antikörper sind mit einer begrenzten Hautbeteiligung und einem Risiko für pulmonale Hypertonie assoziiert, Anti-Topoisomerase I dagegen mit einer diffusen fortschreitenden Erkrankung, inkl. einer schweren interstitiellen Lungenerkrankung 18 19.

Weitere Diagnostik:

  • Kapillarmikroskopie: Typisch ist eine Verminderung der Kapillardichte, Devaskularisation.
  • Diagnostik der Komplikationen: Untersuchung von Lungen, Herz, Nieren, Verdauungskanal.

Differentialdiagnosen

Differentialdiagnostisch ist an andere Kollagenosen zu denken, insbesondere an den Lupus erythematodes.

Therapie

Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.

Therapeutische Optionen

Wegen der Seltenheit der Krankheit fehlen große Studien. 20

  • Cyclophosphamid gehört zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten, hat aber wegen seiner Gonadenschädigung und Teratogenität (bei Föten Fehlbildungen hervorrufend) bedeutsame Nebenwirkungen. 21
  • Das Raynaud Phänomen ist beeinflussbar durch Kalziumantagonisten, z. B. durch Amlodipin oder Nifedipin; auch topische Nitrate können in Einzelfällen wirken. Es wird auch der Einsatz von Iloprost, einem Prostaglandin-Derivat, empfohlen 22 23. Neuderdings kommen auch Endothelin-Inhibitoren und Phosphodiesterase-Hemmer in Betracht (siehe hier).
  • Eine Lungenbeteiligung (Alveolitis, Lungenfibrose) ist möglicherweise durch eine Cyclophosphamid-Stoßbehandlung positiv beeinflussbar. 13 Eine Experten-Empfehlung (Expertenrat nach Delphi-Prozedur) führt Mycophenolatmofetil als Erstbehandlung der Wahl an. Nintedanib (ein Tyrosinkinase-Inhibitor), Pirfenidon (reguliert die Produktion von Wachstumsfaktoren und Prokollagenen I und II herunter) und Tocilizumab (Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor) kommen als Optionen hinzu. 12
  • Eine Herzbeteiligung kann vielfältige Erscheinungsbilder hervorrufen: von asymptomatischen Durchblutungsstörungen und subklinischen Herzerkrankungen bis hin zu diastolischer Dysfunktion mit Herzinsuffizienz oder akuter Myokarditis. 24
  • Eine Nierenbeteiligung ist häufig Ursache einer schweren Hypertonie. Die Behandlung wurde durch die Einführung von Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren (ACE-Hemmer) revolutioniert. 25 Bei unzureichendem Ansprechen kommen zusätzlich Alpha-Blocker und weitere Antihypertonika in Betracht.
  • Kalkherde der Haut: Eine Exzision kann bei Komplikationen wie Druckschmerz, Entzündungen und Ulzerationen erforderlich werden.

Neuere Überlegungen und therapeutische Optionen

Eine immunsuppressive Therapie kann unter Umständen erwogen werden. Verschiedene therapeutische Ansätze werden diskutiert. 26

  • Rituximab zeigt eine Wirksamkeit speziell bezüglich Lungenbefall und Hautsklerose. 27 Größere Studien stehen aus 28. Auch wirkt es hocheffizient nach einer autologen Stammzelltransplantation zur Unterdrückung einer Krankheitsprogression und von sekundären Autoimmunerkrankungen 29. (Zu Rituximab siehe hier.)

Die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation hat sich für die rapid progressive SSc und für die therapierefraktäre SSc als eine mögliche Therapieoption erwiesen. Hierbei wird die Zahl der autoreaktiven Immunzellen weitgehend reduziert und danach das Knochenmark mit seinen Immunzellen wieder aufgebaut. Das Überleben soll einer Studie zufolge besser sein als das der Cyclophosphamid-Kontrollgruppe. 30 Die Stammzelltransplantation hat sich auch die Stabilisierung der Lungenfunktion als günstig erwiesen 31.

Mikrobiota des Darms (Zusammensetzung der Darmflora) beeinflussen das Immunsystem und spielen bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten eine bedeutende Rolle. Patienten mit systemischer Sklerose weisen veränderte Mikrobiota auf: „gute“ Darmkeime (Faecalibacterium, Clostridium und Bacteroides) mangeln, „schlechte“ dagegen (Fusobacterium, Prevotella, Erwinia) treten in Überzahl auf. Dies ist der Hintergrund für Untersuchungen zur Behandlung der SSc durch Stuhltransplantation. 32 (Zu Mikrobiota siehe hier.)


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der
Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Zum Inhaltsverzeichnis 

Verweise

 

Referenzen

  1. Clin Dev Immunol. 2005; 12: 165-73[]
  2. Med Klin 2007; 102: 209-218[]
  3. Hereditas. 2019 Jun 4;156:17. doi: 10.1186/s41065-019-0091-y. PMID: 31178673; PMCID: PMC6549285.[]
  4. Front Immunol. 2020 Oct 2;11:582401. doi: 10.3389/fimmu.2020.582401. PMID: 33123169; PMCID: PMC7566292.[]
  5. Nat Rev Rheumatol. 2018 Nov;14(11):657-673. doi: 10.1038/s41584-018-0099-0. PMID: 30305700.[]
  6. J Autoimmun. 2017 Sep;83:73-94. doi: 10.1016/j.jaut.2017.05.004. Epub 2017 May 16. PMID: 28526340; PMCID: PMC5573604.[]
  7. Clin Exp Rheumatol. 2013 Mar-Apr;31(2 Suppl 76):3-7. Epub 2013 Jul 22. PMID: 23910606.[]
  8. Viruses. 2018 Sep 18;10(9):508. doi: 10.3390/v10090508. PMID: 30231575; PMCID: PMC6163388.[]
  9. Rheumatology (Oxford). 2005 Mar;44(3):274-9. doi: 10.1093/rheumatology/keh487.[]
  10. J Rheumatol. 2005; 32: 2164-6[]
  11. Front Cell Dev Biol. 2023 Apr 11;11:1131481. doi: 10.3389/fcell.2023.1131481[]
  12. Respir Res. 2023 Jan 9;24(1):6. DOI: 10.1186/s12931-022-02292-3[][]
  13. Lancet Respir Med. 2020 Mar;8(3):304-320. doi: 10.1016/S2213-2600(19)30480-1. Epub 2020 Feb 27. PMID: 32113575.[][]
  14. Lupus. 2005; 14: 702-7[]
  15. Autoimmun Rev. 2010 Sep;9(11):756-60[]
  16. Arthritis Rheum. 2004 Jan;50(1):227-32. doi: 10.1002/art.11432[]
  17. J Dermatol. 2010 Jan;37(1):42-53[]
  18. Wien Med Wochenschr. 2008;158(1-2):19-28[]
  19. J Dermatol. 2010 Jan;37(1):42-53. doi: 10.1111/j.1346-8138.2009.00762.x[]
  20. Semin Arthritis Rheum. 2017 Jun;46(6):767-774. doi: 10.1016/j.semarthrit.2016.12.003. Epub 2016 Dec 9. PMID: 28088339.[]
  21. Ann Rheum Dis. 2017 Aug;76(8):1327-1339. doi: 10.1136/annrheumdis-2016-209909. []
  22. Cochrane Database Syst Rev 2000; 2: CD000953[]
  23. Z Rheumatol 2005; 64: 90-92[]
  24. Best Pract Res Clin Rheumatol. 2021 Sep;35(3):101668. doi: 10.1016/j.berh.2021.101668[]
  25. Kidney Blood Press Res. 2020;45(4):532-548.[]
  26. Arthritis Rheum. 2017 Jun;46(6):767-774. doi: 10.1016/j.semarthrit.2016.12.003. Epub 2016 Dec 9. PMID: 28088339.[]
  27. Semin Arthritis Rheum. 2017 Apr;46(5):625-631. doi: 10.1016/j.semarthrit.2016.10.003[]
  28. Medicine (Baltimore). 2019 Sep;98(38):e17110. doi: 10.1097/MD.0000000000017110[]
  29. Front Immunol. 2022 Jan 17;12:817893. doi: 10.3389/fimmu.2021.817893[]
  30. Front Immunol. 2018 Oct 16;9:2390. doi: 10.3389/fimmu.2018.02390[]
  31. Cells. 2022 Mar 1;11(5):843. doi: 10.3390/cells11050843[]
  32. Medicine (Baltimore). 2020 Jul 10;99(28):e21267. doi: 10.1097/MD.0000000000021267[]