Tocilizumab

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Allgemeines

Tocilizumab ist ein monoklonaler, humanisierter Antikörper zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Er stellt eine Option dar, wenn die Standardtherapie mit DMARDs („disease modifying antirheumatic drugs“ wie Prednisolon, Azulfidine, Methotrexat oder Azathioprin) oder Anti-TNF-alpha-Wirkstoffe (wie Infliximab oder Adalimumab) nicht ausreichend anschlagen oder intolerable Nebenwirkungen hervorrufen. Tocilizumab ist der erste interleukin-6-Rezeptor-Hemmer gewesen. Ein alternativer Ansatz zur Unterdrückung der IL-6-Wirkung ist eine Hemmung von IL-6 selbst (z. B. durch den monoklonalen Antikörper gegen IL-6 Siltuximab).

Das Wichtigste

Kurzgefasst
Tocilizumab (Roactemra®) ist ein Medikament zur

Tocilizumab unterdrückt als ein künstlicher Antikörper gegen Interleukin-6 gezielt Entzündungsvorgänge.

Nebenwirkungen sind u. a. gelegentlich grippeähnliche Symptome, eine Lungenentzündung und eine Neigung zu Bluthochdruck.

 Wirkungsweise

Interleukin-6 (Il-6) ist ein Entzündungsvermittler (proinflammatorisches Zytokin), das in aktiven Phasen der rheumatoiden Arthritis vermehrt gebildet wird und im Blut nachweisbar ist. Tocilizumab bindet sowohl an membrangebundene als auch an gelöste IL-6-Rezeptoren und unterdrückt auf diese Weise die IL-6-abhängigen Entzündungsprozesse. 1 2

Zu den Wirkungen von Tocilizumab gehört die Normalisierung der Aktivität der durch IL-6 gehemmten Zytochrome der Leber, so die von CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19 und CYP3A4. Damit normalisiert sich auch der von ihnen abhängige Medikamentenstoffwechsel2

Pharmakokinetik

Tocilizumab (TCZ) wird durch Infusion verabreicht. Die Halbwertszeit im Blut beträgt bis zu 11 Tage. Der Antikörper wird wie auch alle endogenen Antikörper durch das RES abgebaut. 3

Empfohlene Dosierung

8 mg pro kg Körpergewicht; Infusion über 1 Stunde (nicht ungeprüft übernehmen).

Wirksamkeit bei der rheumatoiden Arthritis

  • Patienten mit rheumatoider Arthritis sprechen in der Mehrzahl exzellent auf Tocilizumab an, auch solche, die zuvor mit Methotrexat und Infliximab (Anti-TNF-alpha-Therapeie) erfolglos therapiert wurden. 2
    • Die Höhe des Rheumafaktor-IgM-Titers ist nach einer Untersuchung positiv mit der Verbesserung des klinischen Aktivitätsgrads (CDAI, clinical disease activity index) korreliert.
    • Patienten nach erfolgloser Anti-TNF-alpha-Therapie profitieren von Anti-IL-6 ebenso wie von Etanercept; beide Therapiealternativen scheinen gleich gut zu wirken.

Studienbefunde zur Therapie der rheumatoiden Arthritis

  • In einer Studie an insgesamt 359 Patienten mit rheumatoider Arthritis zeigte Tocilizumab in einer Dosierung von 4 bzw. 8 mg/kg alle 4 Wochen eine Verbesserung nach dem ACR20-Kriterium (Kriterien des American College od Rheumatology) in 61 bzw. 63%, bei einer Kombination mit low-dose-MTX um 63 bzw. 74%. Die Entzündungsparameter (CRP-Spiegel und erhöhten BSG-Werte) sanken und normalisierten sich unter der 8 mg/kg-Dosierung weitgehend. Die Placebo-plus-MTX-Kontrollgruppe zeigte dagegen keinen Effekt. An schweren Nebenwirkungen traten 2 Fälle von Sepsis (in der 8 mg/kg-Gruppe) auf, die gut behandelbar war. 4
  • In einer Studie an insgesamt 125 Patienten mit rheumatoider Arthritis, die unzureichend auf Low-dose-Methotrexat ansprachen, wurde der Effekt von 8 mg/kg Tocilizumab alle 4 Wochen über 6 Monate untersucht. In der Kontrollgruppe zeigten 25% eine Verbesserung nach dem ACR20-Kriterium, in der Tocilizumab-Gruppe waren es 80,3%, wobei der VEGF-Spiegel (vascular endothelial growth factor) deutlich sank. (VEGF spielt eine wesentliche Rolle bei der Entzündungsaktivierung.) Tocilizumab wurde gut vertragen; es wurden keine besonderen Infektionen beobachtet, speziell auch keine Reaktivierung einer Tuberkulose. 5
  • In einer Studie an insgesamt 556 Patienten mit MTX-refraktärer rheumatoider Arthritis zeigte der Zusatz von Tocilizumab zur MTX-Medikation eine deutliche Verbesserung der Symptomatik. Eine Remission (nach 24 Wochen) wurde in 40,4% der Fälle erreicht, wohingegen eine Fortführung der Behandlung mit Tocilizumab ohne MTX (statt dessen Placebo) zu einer Remission in 34,8% der Fälle führte. Die Ansprechraten nach ACR20/50/70/90 waren für TCZ+MTX 71.5%/45.5%/24.5%/5.8%, für TCZ alleine 70.3%/40.2%/25.4%/5.1%. Schwere Nebenwirkungen und Infektionen lagen bei 21 (bei TCX + MTX) und 18 (bei TCX + Placebo) pro 100 Patientenjahre. Tocilizumab wird als Therapieoption angesehen, wenn MTX unzureichend wirkt, wobei die Monotherapie nicht unterlegen war. 6

Mögliche weitere Indikationen

Beobachtungen und Studien zeigen einen positiven Effekt von Tocilizumab (TCZ) auch bei folgenden Erkrankungen:

  • Riesenzellarteriitis (Horton) 7 In einer Studie an 471 Patienten hat nach Beginn einer Behandlung mit TCZ keiner mehr eine Verschlechterung der Sehfähigkeit erfahren; bei 11 von 60 mit permanenter Sehverschlechterung hat sich eine gewisse Verbesserung ergeben. 8
  • nichtinfektiöse Uveitis, 9
  • einer nichtinfektiösen Aortitis, 10
  • AA-Amyloidose, wobei die Amyloidablagerungen in den meisten Organen (außer den Nieren) rückläufig waren. 12
  • juvenile idiopathische Arthritis (pJIA). Sie ist mit anhaltendem Erfolg und guter Verträglichkeit mit Tocilizumab behandelt worden. 13
  • Morbus Bechterew: er wurde bei fehlendem Ansprechen auf Anti-TNF-alpha mit Tocilizumab erfolgreich therapiert. 14
  • Morbus Behçet (Behçets disease): Er wurde mit Tocilizumab erfolgreich therapiert, nachdem die Behandlung mit Colchicin, Prednisolon, Cyclosporin A und Infliximab einen Relaps nicht verhindern konnte. Die Symptomatik inklusive einer akuten Visusverschlechterung besserte sich für etwa 1 Jahr. Daher wird gefolgert, dass Tocilizumab eine Behandlungsoption für den Morbus Behçet sein kann. 15
  • steroidrefraktäre Abstoßungsreaktionen (graft versus host disease, GVHD): Transplantationspatienten wurden mit Tocilizumab erfolgreich behandelt. Vier von 6 Patienten mit akuter und 1 von 2 Patienten mit chronischer GVHD zeigten ein deutliches Ansprechen. Als Nebenwirkungen wurden Erhöhungen von Bilirubin und Transaminasen erwähnt, die z.T. passager verliefen. 16  17
  • Neuromyelitis optica bzw. Neuromyelitis optica spectrum disorder (NMO/NMOSD, verwandt der Multiplen Sklerose): Progrediente Verlaufsformen, die auf die herkömmliche Erstlinientherapie (Steroide, Plasmapherese, dann Rituximab) nicht anschlagen, sprechen auf Tocilizumab gut an 18. In einer kleinen Fallstudie sank die jährliche Relapsrate von im Schnitt 2,9 auf 0,4 19.
  • bei kardiovaskulären Erkrankungen: Es wirkt als potenzieller Gefäßschutz, da IL-6 bei der Entwicklung von Gefäßschäden im Rahmen einer Arteriosklerose und bei der Bildung von Aneurysmen (Gefäßaussackungen) eine Rolle spielt. 20
  • Krebserkrankungen: bei manchen malignen Erkrankungen spielen Entzündungsprozesse eine Rolle. In der Tumormikroumgebung vermittelt IL-6 einen Cross-Talk zwischen Tumorzellen und aktivierten Fibroblasten (z. B. beim Ösophaguskarzinom). 21 Eine gegen IL-6 gerichtete Therapie kann beim Magenkrebs eine Strategie zur Überwindung der Stroma-induzierten Resistenz gegen Chemotherapie sein. 22 Eine Hemmung der IL-6-Wirkung kann daher als Zusatztherapie bei der Krebsbehandlung u. U. von Bedeutung sein. 23

Nebenwirkungen

Insgesamt wird in Studien eine relativ gute Verträglichkeit festgestellt. Es wird von vereinzelten Fällen gehäufter und schwerer Infektionen, Magendarmproblemen, Kopfschmerzen, erhöhter Leberwerte, Leukopenie, Cholesterinerhöhungen und Hauterkrankungen berichtet.

Nebenwirkungen in 5 Phase-3-Studien beinhalten schwere Infektionen (4.7/100 Patientenjahre), opportunistische Infektionen (0.23/100 PJ), gastrointestinale Perforationen (0.28/100 PJ), bösartige Erkrankungen (1.1/100 PJ), Herzinfarkt (0.25/100 PJ) und Schlaganfall (0.19/100 PJ). Die Häufigkeit der Nebenwirkungen stieg nicht mit der Dauer der Therapie. 24

Die Mortalität einer rheumatoiden Arthritis ist wegen einer erhöhten Inzidenz einer koronaren Herzkrankheit etwas erhöht. Eine Tocilizumab-Therapie kann dieses Risiko wegen des Anstiegs des Cholesterinspiegels weiter erhöhen. Eine gleichzeitige Statin-Therapie wirkt dem entgegen. 25

Infektionen des Respirationstraktes können unter Tocilizumab schwer verlaufen. In einer Studie, die ansonsten eine exzellente Wirksamkeit bestätigte, wurden Pneumonien mit 8/232 als häufigste schwere Komplikationen gefunden. 26 27

Sehr vereinzelt wird von weiteren Komplikationen berichtet. Bei einer Langzeitbehandlung trat nach 4 Jahren eine nekrotisierende Fasciitis an den Beinen auf. 28


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Verweise

Referenzen

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