Morbus Wegener

Allgemeines

Der Morbus Wegener (Wegener’sche Granulomatose, engl.: „granulomatosis with polyangiitis“, GPA) ist eine Autoimmunkrankheit. Er stellt eine granulomatöse und nekrotisierende Entzündung kleiner Blutgefäße (Vaskulitis) dar, die mit dem Nachweis von ANCA (spezielle Antikörper) assoziiert ist und gehört zu den ANCA-assoziierte Vaskulitiden (AAVs). Der Morbus Wegener betrifft anfangs die Nase und Atemwege (inkl. Asthma) und führt zu einer fortschreitenden Nierenentzündung. Wegen der multiplen Organmanifestationen, inklusive dem Gehirn, ist er eine Systemerkrankung. 1

Entstehung

ANCA-assoziierte Vaskulitis: Die Wegener-Granulomatose (WG) gehört zu der Gruppe der ANCA- (Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper) -assoziierten Vaskulitiden (AAV), einer systemische Entzündung der kleinen Blutgefäße, die auch die mikroskopische Polyangiitis (MPA) und die renal limitierte Vaskulitis enthält. AAV beinhaltet drei verschiedene Typen: Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), mikroskopische Polyangiitis (MPA) und eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA). 2

cANCA Autoantikörper: Patienten mit WG haben i. d. R. Autoantikörper gegen die Proteinase 3 (zytoplasmatische ANCA, cANCA). Die benachbarte „mikroskopische Polyangiitis“ hat häufiger Autoantikörper gegen die Myeloperoxidase (perinukleäre ANCA). Eine granulomatöse Entzündung ist nur für die WG typisch. Beide Typen werden dennoch oft als „ANCA-assoziierte Vaskulitis“ zusammengefasst. Nicht geklärt ist, ob sie in unterschiedlicher Weise auf die jeweilige Behandlung ansprechen. 

Genetische Empfänglichkeit: Ursache und Entstehung der Wegener’schen Granulomatose sind nicht völlig geklärt. Eine genetische Prädisposition sowie Autoantikörper gegen die Proteinase 3 scheinen eine Rolle zu spielen. Ein Risiko-Allel ist HLA-DQ. In der Nasenschleimhaut findet man oft Staphylokokkus aureus. Spezielle Peptide des Keims (PR3) sind sehr ähnlich solchen der Betroffenen. Als Auslöser sind Drogen (wie Kokain), Levamisol und Propylthiouracil bekannt. Wegen der Eosinophilie kommt dem Interleukin IL-5 (von Th2-Zellen und lymphoiden Zellen) eine Rolle zu. 3

Infektionen als Auslöser: Als ein Risikofaktor für eine Exazerbation der Erkrankung bei Wegener-Granulomatose (WG) wurden besondere Bakterien in der NAsenschlleimhaut identifiziert. Ursächlich sollen Staphylokokken-Superantigene (SAg) eine Determinante für einen Krankheitsrückfall darstellen. 4 Auch ein Patient, der während der COVID-19-Genesung mukokutane hämorrhagische Bullae und erhöhte ANCA-Werte entwickelte, erhielt schließlich nach einer Nierenbiopsie die Diagnose einer WG. 5 Es wird vermutet, dass das Mikrobiom immunvermittelte Krankheiten auslösen und aufrechterhalten kann. 6

Organbefall und Symptomatik

Nase, Nieren Lungen: Die Symptomatik wird durch die befallenen Organe bestimmt. Typischerweise befällt der Morbus Wegener die Nase und die Nasennebenhöhlen relativ früh, dann aber auch Nieren und Lungen.

Weitere Organe: Als Systemerkrankung kann der Morbus Wegener Gefäße aller kleiner Strombahnen des Körpers befallen, so auch die von Gehirn und Nervensystem, Haut, Augen, Darm und Gelenken.

  • Augen: Es können sich eine Konjunktivitis, Skleritis und Iritis entwickeln. Es kommt zu Sehstörungen, und es droht die Erblindung.
  • Peripheres Nervensystem : Es entwickelt sich eine periphere Neuropathie, die sowohl sensibel, sensorisch als auch motorisch sein kann. Es können periphere Nerven und die Hirnnerven betroffen sein, so dass die Symptomatik oft sehr bunt ist.
  • Gehirn: Der Befall weist vor allem das Bild eines ischämischen Schlaganfalls oder einer Hirnblutung auf. In einer Zusammenstellung fanden sich folgende Manifestationen: ischämische zerebrovaskuläre Läsionen 52 %, intrazerebrale Blutung und/oder Subarachnoidalblutung 24 %, Verlust der Sehschärfe 33 % (Optikusneuritis, Verschluss der zentralen Netzhautarterie, kortikale Erblindung) und Hirnnervenlähmungen (21 %). 7

Diagnostik

Die Diagnose muss bei Verdacht auf einen Morbus Wegener rasch gestellt werden, um die Progredienz noch vor Eintritt einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz, der häufig am raschest eintretenden schwerwiegenden Komplikation, stoppen zu können. 8

Der Verdacht auf die Wegener-Erkrankung entsteht durch eine rasche Verschlechterung der Nierenwerte mit Proteinurie und glomerulärer Erythrozyturie zusammen mit einer Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis) oder Bluthusten (Hämoptysen).

  • Laborwerte: Gleich auffällig ist eine maximale Blutsenkungsgeschwindigkeit. Von Bedeutung sind Nierenwerte und c-ANCA.
  • Röntgenbild der Lungen: Es  zeigt meist bereits Infiltrationen. Die Ausdehnung wird im CT klarer.
  • Sonographie der Nieren: Sie kann im akuten ersten Stadium eine Verdickung des Parenchyms zeicgen
  • MRT des Gehirns: Es  klärt den Verdacht auf eine zerebrale Beteiligung, die nahe liegt, wenn Wesensveränderungen auffällig werden.
  • Schleimhautbiopsie aus der Nase: Sie zeigt die charakteristische eosinophile granulomatöse und nekrotisierende Angiitis. Oft ist auch eine dann rasch durchzuführende Nierenbiopsie angezeigt.

Differenzialdiagnosen

Eine wichtige Differenzialdiagnose zum Morbus Wegener ist die Panarteriitis nodosa. Multiple Aneurysmata der kleinen und mittleren arteriellen Gefäße, die in CT-Untersuchungen nachweisbar sind, helfen bei der Unterscheidung.

Auch kann das Churg-Strauss-Syndrom gelegentlich als Differenzialdiagnose in Betracht kommen. Die Histologie mit der exzessiven Eosinophilie lässt eine Abgrenzung zu.

Laborbefunde

Marker, Antikörper: Anti-neutrophil cytoplasmic antibodies (c-ANCA) sind in etwa 50% der Fälle positiv. ANCA gegen Proteinase 3 (ANCA-PR3) ist sehr viel spezifischer und in 95% der Fälle positiv. 9

Die Labowerte umfassen routinemäßig

Histologie

Eine Nierenpunktion sollte rasch durchgeführt werden. Die Histologie zeigt eine typische Pauci-Immunglomerulonephritis als Ursache der klinisch rapid progressiven Glomerulonephritis.

Therapie

Immunsuppression

Die Behandlung basiert meist auf der Kombination von Prednisolon plus MTX bzw. Cyclophosphamid (CYC). Azathioprin wurde zur Reduzierung der Prednisolondosierung und als Erhaltungstherapie eingesetzt. Hierunter wurde ein etwa 90-prozentiges Ansprechen beobachtet. Rezidive sind möglich und zu gewärtigen. 10 11 In einer Zusammenstellung hatten 75% eine komplette Remission und  44% eine Remission länger als 5 Jahre. 12 Eine Substitution des toxischen Cyclophosphamid durch Metothrexat führte zu einer Remission, die der von CYC vergleichbar war; aber Relapse waren häufig. 13

Biologika

Infliximab: Der Anti-TNF-alpha-Antikörper Infliximab scheint eine gute Wirkung zu haben und gilt als Reservemedikament bei Nichtansprechen auf die immunsuppressive Therapie. 14 Etanercept in der Erhaltungstherapie allerdings erhöhte laut einer Studie zusammen mit Cyclophosphamid das Risiko für Tumore. 15

Rituximab: Rituximab (RTX) ist ein Antikörper gegen Lymphozyten, der offenbar bei der Wegener’schen Granulomatose günstig wirkt. Er gehört zu den EULAR-Empfehlungen zur Behandlung ANCA-assoziierter  Vaskulitiden. 16

  • RTX bewirkte in einer Studie ein rascheres Ansprechen als Cyclophosphamid mit Induktion einer Remission. Es wurde insgesamt auch etwas besser vertragen. 17
  • In einer anderen Studie war die Rate einer Remissionserhaltung durch RTX nach 12 Monaten gleich hoch wie unter Cyclophosphamid. 18
  • Eine Studie mit Rituximab (zusammen mit Glukokortikoiden) an 66 Patienten ergab eine effektive Induktion einer Remission und bei Dosisreduktion ihre Aufrechterhaltung. Die Ansprechrate lag bei fast 80%. Nach Beendigung der Anschlusstherapie zur Aufrechterhaltung der Remission (nach 18 Monaten) wurden die Patienten im Mittel weitere 34 Monate verfolgt. In dieser Zeit kam es zu 11 Relapsen auf 100 Patientenjahre nach im Durchschnitt 13,5 Monaten. 19

Zur Aufrechterhaltung einer Remission werden Rituximab, niedrig dosierte Glukokortikoide und Azathioprin, Methotrexat oder Mycophenolatmofetil empfohlen. 16 Sobald eine Remission erreicht ist, wird von einer Expertengruppe eine verlängerte Erhaltungstherapie mit präventiver niedrig dosierter (500 mg) RTX-Infusion alle zwei Jahre empfohlen. 20

Mepolizumab ist ein Interleukin-5-Inhibitor (IL-5-Hemmer), der beim Churg-Strauss-Syndrom wirksam ist. 21 22 Er soll auch bei der Wegener’schen Granulomatose wirksam sein. 23

Abatacept (ein Fusionsprotein mit Immunglobulinanteil) führte bei einem leichten schubartigen Verlauf häufig zu einer Krankheitsremission. Unter der Behandlung konnte Prednison häufig abgesetzt werden. 24

Sonstige Maßnahmen

In schweren Fällen kann ein Plasmaaustausch (Plasmapherese) notwendig werden. 25

Eine Langzeittherapie zur Therapie und Prophylaxe einer Staphylokokkenbesiedlung des Nasenraums mit Staphylokokken wurde als günstig und therapeutisch sinnvoll betrachtet. 26 Eine Studie zeigte jedoch keinen Effekt einer Eradikation des Keims aus der Nasenschleimhaut. 27

Bei einer progredienten Niereninsuffizienz wird eine Dialyse erforderlich.

Bei dem Bild eines ischämischen Schlaganfalls darf eine sonst übliche Thrombolyse nicht durchgeführt werden, da die intrazerebrale Blutungsgefahr zu hoch ist. 28

Prognose

Früher starben etwa 50% mit Morbus Wegener innerhalb eines Jahres. 29 Durch die Immunsuppression mit Prednisolon und Cyclophosphamid besserte sich die Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich. Die meisten Betroffenen erreichen heute eine Remission. 30 31 Allerdings hängt es von der Geschwindigkeit der Diagnosestellung und damit der Frühzeitigkeit der Einleitung der Therapie ab, ob irreversible Komplikationen, wie eine terminale Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit, vermieden werden können.

Kasuistik: Ein Fall einer fatalen Entwicklung, wie er nicht zu selten vorkommt, wird hier dargestellt.

Verweise

Falldarstellung

Patienteninfos

Referenzen

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  4. Rheumatology (Oxford). 2007 Jun;46(6):1029-33. doi: 10.1093/rheumatology/kem022.[]
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