Die autoimmunhämolytische Anämie (autoimmune haemolytic anaemia, AIHA oder AHA) ist eine Blutarmut (Anämie), die durch Auflösung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) als Folge der Wirkung von Autoantikörpern bedingt ist. Das Immunsystem des Körpers bildet fälschlicherweise Erythrozytenantigene; dies sind Antikörper gegen eigene Erythrozyten. Die Behandlung richtet sich daher im Wesentlichen auf die Ursachen. (1)Hematol Oncol Clin North Am. 2022 Apr;36(2):315-324. DOI: 10.1016/j.hoc.2021.12.001
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Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) ist eine Form der Blutarmut, die durch eine Zersetzung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) durch das eigene Immunsystem gekennzeichnet ist. Das Immunsystem erkennt die Erythrozyten fälschlicherweise als “fremd” und bildet gegen sie Antikörper.
Diagnostik: In etwa 1/3 der Fälle liegt eine primäre AIHA, bei der keine Ursache erkennbar ist, in etwa 2/3 der Fälle eine sekundäre AIHA, die in Assoziation mit einer anderen Krankheit vorkommt. Als Ursache einer sekundären AIAH kommen allem bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems (CLL und NHL) sowie der Lupus erythematodes infrage. Behandlung:
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Ursachen
Die Ursache einer autoimmunhämolytischen Anämie ist weitgehend ungeklärt. Sie entwickelt sich in der Mehrzahl der Fälle im Rahmen einer anderen Erkrankung. Gemeinsam ist die Bildung von Antikörpern gegen die körpereigenen roten Blutkörperchen (Autoantikörper gegen eigene Erythrozyten).
Einteilung
Die Klassifikation der AIHA richtet sich nach der Assoziation mit einer anderen Krankheit sowie nach der Art der Antikörper gegen die Erythrozyten. (2)Expert Rev Hematol. 2011 Dec;4(6):607-18
Einteilung nach Assoziation mit einer anderen Krankheit
- Primäre autoimmunhämolytische Anämie: In der Minderzahl der Fälle entsteht die AIHA idiopathisch, d. h. ohne erkennbaren Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung.
- Sekundäre autoimmunhämolytische Anämie: In der Mehrzahl der Fälle entsteht die AIHA im Rahmen einer anderen Erkrankung, am häufigsten im Rahmen einer lymphoproliferativen Krankheit, wie einer chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) oder – seltener – einem Non-Hodgkin-Lymphom, und dem Lupus erythematodes. (3)Am J Hematol. 2014 May 21. doi: 10.1002/ajh.23767
Einteilung nach Art der Autoantikörper
- Wärmeantikörper: Wärmeantikörper gegen Erythrozyten sind in etwa 50% Ursache einer autoimmunhämolytischen Anämie (wAIHA); es sind meist IgG-Antikörper. Die Auflösung der Erythrozyten (Hämolyse) erfolgt bei Körpertemperatur. Assoziiert sind überwiegend lymphoproliferative Erkrankungen, hauptsächlich die chronisch lymphatische Leukämie (CLL), und der systemische Lupus erythematodes (s. o.). Aber auch Tumorkrankheiten und andere Autoimmunkrankheiten können assoziiert sein.
- Kälteautoantikörper: Kälteantikörper gegen Erythrozyten können ebenfalls Ursache einer autoimmunhämolytischen Anämie (cAIHA) sein. Es handelt sich um Kälteagglutinine vom IgM-Typ. Ihr Wirkungsoptimum liegt bei Temperaturen, die niedriger als die Körpertemperatur sind. Damit werden sie vor allem an den der Kälte ausgesetzten Körperpartien (Füße, Finger) wirksam. Dort kommt es zu einer Verklebung der Erythrozyten mit Verschlüssen kleinster Gefäße und in diesem Rahmen zu ihrer Auflösung. Das lokal freigesetzte Hämoglobin kann Gefäßspasmen verursachen. Assoziiert sind lymphoproliferative Krankheiten (u. a. besonders der Morbus Waldenström). Bei einem akuten Auftreten einer cAIHA kann eine akute Infektion (z. B. eine atypische Pneumonie durch Mykoplasmen oder eine infektiöse Mononukleose) assoziiert sein.
- Mischtyp: In seltenen Fällen lassen sich Wärme- und Kälteantikörper gegen Erythrozyten nachweisen.
Symptomatik
Es herrschen die Symptome einer Anämie vor (siehe hier); zudem finden sich klinische Zeichen einer Hämolyse, insbesondere eine Rotfärbung des Urins durch eine Hämoglobinurie (siehe hier).
Diagnostik
Zuerst wird eine Hämolyse und eine Anämie gesichert:
- Anämie: Die Diagnosestellung erfolgt im Rahmen der Abklärung einer Blutarmut (erniedrigte Werte für Erythrozyten, Hämoglobin und Hämatokrit). Die Anämie ist meist normozytär (normal große Erythrozyten). Sie kann aber auch mikrozytär oder makrozytär sein, wenn ein begleitender Eisenmangel oder ein Folsäuremangel z. B. bei einer Tumorkrankheit vorliegt.
- Hämolyse: In jedem Fall finden sich unter den Laborwerten positive Hämolyseparameter (Nachweis freien Hämoglobins, Haptoglobin erniedrigt, LDH und indirektes Bilirubin erhöht). (Siehe hier.)
- Der Coombstest ist positiv (Test auf Antikörper gegen menschliches Globulin, Antiglobulintest). Der Nachweis von Wärmeautoantikörpern oder Kälteagglutininen gegen Erythrozyten führt zur Diagnose einer immunbedingten Hämolyse.
- Der Coombs-Test ist negativ: Eine AIAH ist unwahrscheinlich.
Fallstrick: Bestimmte Kombinationen von hinweisenden Laborwerten sind deutlich sensitiver als die Einzelparameter. Aber auch sie können fehlinterpretiert werden. Beispiel: Eine Erhöhung der Laktatdehydrogenase (LDH) und eine Erniedrigung von Haptoglobin kann auf eine Hämolyse zurückzuführen sein, aber auch auf eine Leberkrankheit.
Ursachendiagnostik
Zur weiteren Eingrenzung werden Untersuchungen zur Ursache angeschlossen:
Immun-bedingte Hämolyse: positiver direkter Anti-Globulin-Test (DAT). Der DAT beweist, dass Immunglobulin G (IgG) und/oder Komplement (in der Regel C3d) an die Erythrozytenmembran gebunden ist. In selteneren Fällen ist IgA oder IgM der Auslöser.
Auslösende Krankheiten können folgende sein (Beispiele):
- Wärme-Hämolyse – Ursachen
- Virusinfektionen: HIV, Hepatitisviren: HBV, HCV
- Erkrankungen mit positiven Kernantikörpern (Lupus erythematodes mit Anti ds-DNA, ANA)
- Kälteagglutinin-bedingten Hämolyse – Ursachen:
- häufig Infektionen vor allem mit Mycoplasma pneumoniae und dem Ebstein-Barr-Virus (EBV).
Differenzialdiagnosen einer AIAH
Von einer AIAH abgegrenzt werden müssen hämolytische Erkrankungen aus nicht- immunologischer Ursache:
- Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
- Marsch-Hämoglobinurie (mechanische Zerstörung)
- Paroxysmale Kältehämoglobinurie
- Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
- Sepsis mit DIC (disseminierte intravasale Gerinnung)
- Fehltransfusion
- Herzklappen (mechanische Zerstörung der Zellen)
- Gifte (Schlangen, Spinnen, Kupfer, Zink …)
- Medikamente, wie Methyldopa (4)Blood Rev. 1988 Mar;2(1):36-42, Ceftriaxon (5)Pediatr Nephrol. 2006 May;21(5):733-6 oder Piperacillin (6)Infection. 2010 Apr;38(2):131-4. DOI: 10.1007/s15010-009-9227-8 (7)BMJ Case Rep. 2016 Oct 24;2016:bcr2016216937
Therapie
Bei einer ausgeprägten und symptomatischen Anämie kann eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erforderlich werden; allerdings wird dadurch die Hämolyse nicht behandelt.
Die Behandlung der autoimmunhämolytischen Anämie richtet sich nach ihrer Ursache. Ziel ist es, das Ausmaß der Hämolyse zu verringern.
- Eine akute Infektion als Ursache kann zu einer passageren hämolytischen Episode führen, die nach Überwindung wieder verschwindet; sie braucht oft nicht behandelt zu werden.
- Werden Medikamente als Ursache angeschuldigt, müssen sie abgesetzt bzw. durch andere ersetzt werden.
- Ansonsten steht die Therapie der Grunderkrankung (z. B. einer CLL oder eines LE) im Vordergrund. Meist kommen in erster Linie Kortisonpräparate (Kortikosteroide) und ggf. zusätzlich Azathioprin zum Einsatz, als Zweitlinientherapie auch Rituximab und Cyclosporin. (8)Clin Dev Immunol. 2013;2013:561852. doi: 10.1155/2013/561852 (9)Blood. 2021 Mar 11;137(10):1283-1294. doi: 10.1182/blood.2019003808
Behandlung der Wärme-AIAH (wAIAH):
Glukokortikoide sind die erste Wahl. Bei unzureichender Wirkung kann Rituximab zur Besserung führen und in seltenen Fällen eine Milzentfernung (Splenektomie) indiziert sein. Es werden weitere Therapieoptionen (Checkpoint-Inhibitoren) gesucht. (10)Front Immunol. 2023 Apr 24;14:1180509. DOI: 10.3389/fimmu.2023.1180509
Behandlung der Kälteagglutinin-bedingten AIHA (cAIAH):
Zur Behandlung sollten keine Kortikosteroide sondern gleich Rituximab eingesetzt werden. B-Zell-basierte Behandlungen gelten als erste Wahl (Stand 2023). Vielfach werden 4-Zyklen aus Bendamustin plus Rituximab verabreicht. Dies gilt als hochwirksam und ausreichend sicher und bewirkt bei den meisten Patienten ein dauerhaftes Ansprechen. Allerdings kann die Zeit bis zum Ansprechen kann mehrere Monate betragen. (11)Blood. 2021 Mar 11;137(10):1295-1303. DOI: 10.1182/blood.2019003809
Verweise
Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)
Literatur