Histaminintoleranz

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Die Histaminintoleranz (HIT, engl.: histamine intolerance, adverse reactions to histamine, enteral histaminosis, sensitivity to dietary histamine) ist eine relativ häufige, jedoch selten diagnostizierte Form der Nahrungsmittel- und Medikamentenunverträglichkeit. Sie muss von einer allergischen und pseudoallergischen Unverträglichkeitsreaktion unterschieden werden. Bis zu 20 % der Bevölkerung sollen unter einer Histaminintoleranz leiden. Ihre Symptomatik wird als Histaminintoleranz-Syndrom bezeichnet. Die Diagnostik beinhaltet den Ausschluss von Krankheiten mit ähnlicher Symptomatik und standardisierte Histamin-Provokationstests. Die Behandlung stützt sich auf die Vermeidung von Histamin und anderen biogenen Aminen in der Nahrung. 1


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Histamin

Histamin ist ein biogenes Amin, welches

  • entzündliche und allergische Reaktionen vermittelt,
  • die Salzsäureproduktion im Magen anregt und
  • im Gehirn als Neurotransmitter wirkt.

Es entfaltet seine Wirkung über verschiedene Rezeptoren, die zu therapeutische Zwecken medikamentös blockiert werden können.

Toxische Histaminreaktionen

Histamin kann in höheren Dosen toxisch wirken und eine Reihe von Symptomen auslösen:

Liegt eine Intoleranz vor, treten solche Wirkungen in abgeschwächter Form bereits bei geringen Histamindosen auf.

Pathophysiologie

Eine breite experimentelle Basis für die Erklärung der Histaminintoleranz fehlt bisher. 2

Es wird angenommen, dass eine Histaminintoleranz in aller Regel auf einer überschießenden Reaktion des Körpers oder einiger seiner Organe auf Histamin beruht, wobei folgende mögliche Mechanismen unterschieden werden:

  • eine erhöhte Histaminfreisetzung aus weißen Blutkörperchen (Basophilen) 3 z. B. bei der Nahrungsmittelallergie oder durch Antibiotika (Fluorchinolone setzen Histamin direkt frei 4)
  • eine erhöhte Histaminzufuhr über Nahrungsmittel (z. B. verdorbener Fisch),
  • ein beeinträchtigter Histaminabbau („Inaktivierung“ von Nahrungshistamin durch die Diaminoxidase, DAO): das Enzym verhindert eine überschießende Histaminaufnahme in den Körper; es wurden SNPs (single-nucleotide polymorphisms) im DAO-kodierenden Gen gefunden, die mit einer herabgesetzten Funktion einhergehen. Eine DAO-Unterfunktion kann auch durch Interaktion mit Medikamenten (z. B. einige Antibiotika), im Rahmen einer Entzündung der Dünndarmmukosa und einer nicht-Coeliakie-Glutenüberempfindlichkeit (NCGS) entstehen. Etwa 20 % der europäischen Bevölkerung sollen DAO-hemmende Medikamente einnehmen. 2
  • Veränderungen der Histaminrezeptoren H1 – H4 (sehr selten, wohl genetisch bedingt): sie bestimmt möglicherweise die Ausprägung der einzelnen Symptome einer Histaminintoleranz.

Erhöhte Histaminzufuhr

Eine erhöhte Histaminfreisetzung erfolgt durch einige Kontrastmittel in der Radiologie 5 sowie durch Medikamente, wie Penicilline (z. B. Amoxicillin). 6 und einige Nahrungsmittel 7

Nahrungsmittel, die relativ viel Histamin enthalten oder freisetzen können, sind beispielsweise 2

  • viele Fischprodukte, vor allem konservierter Fisch (frischer Fisch ist weniger mit Histamin belastet), Herkunft sind Histamin produzierende Bakterien. 8,
  • geräuchertes, getrocknetes, eingemachtes Fleisch
  • trocken fermentierte Würste,
  • Soja und Sojaprodukte,
  • Sauerkraut,
  • viele Lebensmittelkonserven,
  • ältere und verdorbene Lebensmittel,
  • einige Obstsorten wie Bananen und Birnen,
  • Hülsenfrüchte,
  • Erdbeeren,
  • Ananas,
  • Tomaten.

Diese Histaminquellen enthalten meist weitere Quellen biogener Amine, wie Tyramin, Putrescin und Cadaverin; sie sind bakterielle Abbauprodukte aus den Aminosäuren Tyrosin, Ornithin und Lysin. Daher ist die Symptomatik nicht immer eindeutig dem Histamin zuzuordnen. 9

Beeinträchtigung des Histaminabbaus

Eine Verminderung des Histaminabbaus durch Hemmung der Diaminoxidase führt zur Histamin-Akkumulation. Gehemmt werden kann der Abbau durch folgende Substanzen:

  • Alkohol (z. B. Sekt, Rotwein)
  • Kakao,
  • Schwarztee, grünen Tee, Mate Tee
  • andere biogene Amine und Polyamine, die die Diaminoxidase hemmen,
  • verschiedene Medikamente, z. B. einige Antibiotika (wie Metronidazol, Amoxicillin und einige Cephalosporine), Diazepam, einige Antiarrhythmika (wie Verapamil, Chinidin oder Propafenon), Schleimlöser (wie Acetylcystein, Ambroxol), Diuretika (wie Furosemid, Amilorid), Blutdruckmedikamente (wie Verapamil, Dihydralazin), Analgetika (wie Pethidin, Morphin, Metamizol), NSAR.

Ein Polymorphismus des Diaminoxidase ist möglicherweise mit einer Histaminintoleranz bei erhöhter Histaminbelastung assoziiert. 10

Symptomatik der Histaminintoleranz

Eine überempfindliche Reaktion des Körpers auf Histamin kann innerhalb von 20 – 30 Minuten zu sehr variablen klinischen Bildern führen.

  • Hautsymptome: plötzlich auftretende Rötung (Flush), Schwellungen, Juckreiz, lokale Ödeme und Entzündungen.

Die Symptomatik löst sich i. A. innerhalb von wenigen Stunden von selbst.

Hauterscheinungen

Hauterscheinungen gehören zu den häufigeren Symptomen einer Histaminüberempfindlichkeit. Dazu gehören vorübergehende Rötungen der Haut, spontane Urtikaria 11 und Flush des Gesichts.

Die atopische Dermatitis profitiert von einer Diät mit niedrigem Histamingehalt 12, sodass auch sie eine Form der Histaminintoleranz darstellen könnte.

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Diagnostik

Die Diagnostik einer Histaminintoleranz kann aufwändig sein. 2 Zu Beginn steht eine ausführliche Anamnese inklusive der Erfragung von Ernährungsgewohnheiten.

  • Bestehen die Symptome seit längerer Zeit und wird vom Patienten angegeben, dass er eine Abhängigkeit von Nahrungsmitteln für möglich hält, sich ansonsten unverändert bzw. nicht krank fühlt, so kommt eine Histaminintoleranz als Ursache der Nahrungsmittelunverträglichkeit in Betracht.
  • Bei einer Unverträglichkeitsreaktion sollten zunächst Allergien, Entzündungen und Tumore im Körper ausgeschlossen sein. Die Werte für IgE und eosinophile Granulozyten sollten im Normbereich liegen.
  • Ein Ernährungstagebuch hilft, die Nahrungsmittel, die zu adversen Reaktionen führen, einzugrenzen.
  • Eine Provokation durch Hartkäse, Fisch oder Sekt kann anschließend helfen, die Hypothese einer Histaminintoleranz zu festigen.
  • Eine Phase mit histaminarmer Kost sollte im Fall einer Intoleranz die Häufigkeit der Symptomatik vermindern.
  • In Zweifelsfällen kann ein Histaminbelastungstest weiterhelfen. Er kann durch einen Belastungstest mit anderen biogenen Aminen ergänzt werden. Erweist sich eine positive Reaktion auf biogene Amine, handelt es sich nicht nur um eine Histaminunverträglichkeit, sondern allgemeiner um eine Intoleranz von biogenen Aminen. 13
  • Ergänzend können in Gewebeproben aus der Dünndarmwand DAO-SNPs und die DAO-Enzymaktivität bestimmt werden.

Therapie

Die Behandlung der Histaminintoleranz besteht in einer Umstellung der Ernährung.

Nahrungsmittel mit nur geringem Histamingehalt sind allgemein frische Nahrungsmittel, so z. B.:

Eine histaminarme Diät ist immer dann als eine ex-juvantibus-Maßnahme (zum Ausprobieren) indiziert, wenn sonstige Erklärungen für eine Symptomatik, wie sie bei einer Histaminüberempfindlichkeit vorkommen können, fehlen. Gute Erfolge solch einer Diät werden beispielsweise bei urtikariellen 11 oder ekzematösen 14 Hauterscheinungen beschrieben.

Verweise

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Referenzen

  1. Allergo J Int 2017; 26: 72–9[]
  2. Biomolecules. 2020 Aug 14;10(8):1181. doi: 10.3390/biom10081181. PMID: 32824107; PMCID: PMC7463562.[][][][]
  3. Int Arch Allergy Immunol. 2001 Dec;126(4):277-85[]
  4. Medicine (Baltimore) 2016;95:e3679.[]
  5. Invest Radiol. 1970 Nov-Dec;5(6):510-3[]
  6. J Investig Allergol Clin Immunol. 2017;27(6):356-362[]
  7. Allergy Proc. 1993 Jul-Aug;14(4):243-9.[]
  8. Front Microbiol. 2014; 5():500[]
  9. Front. Microbiol. 2016;7 doi: 10.3389/fmicb.2016.01218.[]
  10. Allergy. 2011 Jul;66(7):893-902[]
  11. Allergy. 2010 Jan;65(1):78-83[][]
  12. Ann Dermatol. 2011 Sep;23 Suppl 1:S91-5 []
  13. Z Gastroenterol 2012; 50:1302-1309[]
  14. Ann Dermatol. 2011 Sep;23 Suppl 1:S91-5[]