Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Urtikaria bedeutet Nesselsucht. Sie ist eine Überempfindlichkeitsreaktion, die sich an der Haut manifestiert. Es bildet sich dabei eine stark juckende, unscharf begrenzte Rötung und Schwellung der Haut mit relativ raschem Aufblühen und Vergehen. Die Schwellungen werden als Quaddeln bezeichnet.
Ihre Entstehung wird noch nicht völlig verstanden. Zentral ist eine Überaktivität von Mastzellen. Bereits auf kleinste Reize hin setzen sie überschießend Stoffe frei, welche die Quaddelbildung hervorrufen. Die akute Nesselsucht hängt meist mit Auslösern zusammen, die rasch herausgefunden und gemieden werden können. Die Auslöser sind offenbar vielfältig und beinhalten verborgene Infektionen im Körper, Medikamente, eine besondere Anstrengung, Nahrungsbestandteile und physikalische Reize wie Kälte, Druck und Licht. Sie müssen individuell herausgefunden werden. Die Symptome der Quaddeln sind Rötung, lokale Schwellung und Juckreiz. Die Behandlung zielt auf die Vermeidung der Auslöser sowie auf die Unterdrückung der Symptome; H1-Antihistaminika der zweiten Generation sind die Medikamente der ersten Wahl. In therapieresistenten Fällen ist Omalizumab oft wirksam. Siehe auch unter Allergie. |
Entstehung
Eine urtikarielle Quaddelbildung kommt in den meisten Fällen ohne Beteiligung einer IgE-vermittelten Immunreaktion zustande, wie sie bei Allergien eine Rolle spielen. Sie beruht vielmehr auf einer erheblichen Überempfindlichkeit der Zytokin-produzierenden Zellen bezüglich der Freisetzung von Urtikaria-auslösenden Mediatorstoffen. Der Mechanismus ist unbekannt. Etwa 40 % der chronisch-spontanen Urtikaria gehören hierzu und sind mit einem Angioödem assoziiert; etwa 10 % manifestieren sich zuerst mit einem Angioödem. Auch die chronische spontane Nesselsucht verläuft in den meisten Fällen selbstlimitierend und verschwindet nach 2 – 5 Jahren. (1)J Allergy Clin Immunol Pract. 2018 Jul-Aug;6(4):1097-1106. DOI: 10.1016/j.jaip.2018.04.013.
In selteneren Fällen ist IgE erhöht; in diesem Fall ist eine allergische Immunreaktion im Sinne einer Typ-1-Allergie anzunehmen. Ausgelöst wird sie durch allergene Fremdstoffe. Entscheidend ist die Anwesenheit von Mastzell-aktivierenden Autoantikörper. Denn Mastzellen spielen dabei eine zentrale Rolle. An ihrer Oberfläche ist allergenspezifisches IgE über ihr Fc-Teil gebunden. Erkennt es ins Gewebe eindringende Allergene, so führt dies zu einer Mastzelldegranulation und Freisetzung von Mediatorstoffen, u. a. von Histamin, welche die allergische Reaktion in der Haut mit Erweiterung und erhöhter Permeabilität der kleinen Blutgefäße (Quaddelbildung) in Gang setzen (siehe hier). (2)J Allergy Clin Immunol. 2014 May;133(5):1270-7. doi: 10.1016/j.jaci.2014.02.036. PMID: 24766875.
Bradykinin-Rezeptoren sind bei der chronischen spontanen Urtikaria hoch reguliert und scheinen eine ausschlaggebende Rolle zu spielen. Dies eröffnet mögliche neue Therapiemöglichkeiten. (3)Medicina (Kaunas). 2021 Oct 19;57(10):1133. DOI: 10.3390/medicina57101133.
Formen der Urtikaria
Es werden verschiedene Formen unterschieden: (4)Clin Rev Allergy Immunol. 2018 Feb;54(1):88-101. doi: 10.1007/s12016-017-8628-1. PMID: 28748365.
- Spontane Nesselsucht:
- akute (Dauer unter 6 Wochen),
- chronische Form (unter 6 bzw. über 6 Wochen)
- chronisch spontane Urtikaria (CSU)
- chronisch induzierbare Urtikaria (CindU)
- Physikalische Formen:
- im Rahmen einer Nahrungsmittelunverträglichkeit. Bei ihr können die zu verdächtigenden Nahrungsbestandteile durch eine Eliminationsdiät eingeengt werden.
- ausgelöst durch physikalische Reize (Kälte, Wärme, Druck, Licht).
- Weitere Typen
- Der anstrengungsinduzierte Typ. Bei ihm sollte ebenfalls eine allergische Typ-1-Reaktionen in Betracht gezogen werden. Gelegentlich lässt sich durch Behandlung einer Helicobacter-Infektion oder einer sonstigen gastrointestinalen Infektion (z. B. mit Lamblien oder Yersinien) eine Besserung der rezidivierenden chronischen Urtikaria erreichen. Es müssen offenbar verschiedenste Infektionen im Körper in Betracht gezogen werden.
- Der autoreaktive Typ. Er wird durch einen autologen Serumhauttest nachgewiesen, bei dem die Haut auf körpereigenes Serum mit vermehrter Histaminfreisetzung reagiert. Es scheint sich hierbei um eine Art einer Autoimmunkrankheit zu handeln. Diese Form ist mit anderen Autoimmunkrankheiten und Symptomen der Atemwege assoziiert.
Symptomatik
Das typische klinische Bild sind rote und juckende Quaddeln (juckende und gerötete lokale Schwellungen der Haut). Sie verschwinden meist nach wenigen Stunden wieder spontan, rezidivieren jedoch häufig.
Der Dermographismus (überstarke Reaktion der Haut auf leichtes Kratzen mit Rötung und Schwellung) ist häufig stark positiv und zeigt die auf Druck und Scherkräfte bereits einsetzende Freisetzung der Mediatorstoffe an.
Bei der chronischen spontanen Urtikaria (CSU) hält die Bildung von Quaddeln 6 Wochen oder länger an.
Diagnostik
- Die Anamnese sollte Fragen nach einer Atopie und allergischen Reaktionsbereitschaft auch in der Familie, nach Medikamenten und Nahrungsmitteln und ihrer Assoziation mit der Quaddelbildung umfassen.
- Die Bestimmung von IgE ergibt im Falle einer (seltenen) Beteiligung von Allergenen erhöhte Werte. Ansonsten sind die Laborwerte wenig diagnoseweisend.
- Eine ASST-Untersuchung auf Histamin-freisetzende Autoantikörper führt zur Diagnose einer autoreaktiven Urtikaria. (Siehe Histamin-Überempfindlichkeit)
- Sorgfältige Untersuchung auf bakterielle und virale Infektionen: Dazu gehört u. U. auch die Suche nach Helicobacter pylori und Lamblien (z. B. im Rahmen einer Gastroskopie).
- Bei einer durch Licht induzierten Urtikaria sollten andere Lichtdermatosen, wie die Porphyrie, differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
- Expositionstests: Je nach klinischer Erscheinungsform der Urtikaria: Exposition von Kälte (Kälte-Urtikaria), Wärme, Druck, Licht (Licht-Urtikaria), Wasser (aquagene Urtikaria).
Schweregrad
Die Aktivität der Urtikaria kann durch einen Score erfasst werden. Verrechnet werden dabei die Zahl der Quaddelbildungen und die subjektiv empfundene Stärke des Juckreizes.
Therapie
Die Therapie der Urtikaria stützt sich auf mehrere Ansätze: (5)Clin Rev Allergy Immunol. 2022 Sep 1. doi: 10.1007/s12016-022-08952-y.
- Wenn physikalischen Auslöser gefunden werden, sollten sie vermieden werden.
- Wenn infektiöse und entzündliche Prozesse im Körper gefunden werden, sollten sie behandelt werden (z. B. Helicobacter-Eradikation).
- Medikamentöse Therapie (6)Leitlinien zur Urtikaria der ersten Wahl zur symptomatischen Behandlung der Urtikaria sind
- H1-Antihistaminika. Empfohlen werden beispielsweise Fexofenadin und Desloratadin; Levocetirizin ist laut einer Studie ebenfalls wirksam. (7)Allergy 2009; 64: 596–6 Ist die Standarddosis nach 2-wöchiger Behandlung nicht ausreichend, kann schrittweise laut Leitlinie die Dosis erhöht werden. Bei Schwangeren wird das H1-Antihistaminikum Loratadin empfohlen.
- Bei nicht ausreichender Wirkung kann zusätzlich ein Leukotrienantagonist versucht werden (z. B. Montelukast).
- Glukokortikoide können zur akuten Überbrückung einer schweren Symptomatik dienen, eignen sich aber wegen der Langzeitnebenwirkungen nicht zur Dauerbehandlung.
- Cyclosporin A ist ein Reservemedikament und sollte nur in Zentren als Alternative in Erwägung gezogen werden.
- Omalizumab ist ein Anti-IgE-Antikörper, der in einigen Fällen einer therapierefraktären Urtikaria mit erhöhtem IgE zu einer deutlichen Verbesserung geführt hat. (8)Allergy 2008; 63: 247– (9)J Allergy Clin Immunol 2008; 121: 1351–8
Die Zweitgenerations-H1-Antihistaminika Bilastin, Cetirizin, Levocetirizin, Ebastin, Fexofenadin, Loratadin, Desloratadin, Mizolastin und Rupatadin sollen alle ein gutes Sicherheitsprofil aufweisen und keine Herzprobleme (wie QT-Verlängerung) hervorrufen. (10)Clin Exp Allergy. 2019 Dec;49(12):1615-1623. doi: 10.1111/cea.13500. Epub 2019 Oct 18. PMID: … Continue reading
Cetiticin wird bereits seit Jahrzehnten mit gutem Erfolg und ohne wesentliche Nebenwirkungen auch bei Kindern eingesetzt. (11)Clin Mol Allergy. 2020 Feb 26;18:2. DOI: 10.1186/s12948-020-00118-5 . PMID: 32127782; PMCID: … Continue reading Bei einer Schwangerschaft scheint es nicht mit einem adversen Ausgang assoziiert zu sein. In einer Studienauswertung wurden 83,7 % Lebendgeburten festgestellt; kongenitale Fehlbildungen traten bei 2/41 Lebendgeburten auf. Es wird auf die Notwendigkeit größeren Studien hingewiesen. (12)J Obstet Gynaecol. 2018 Oct;38(7):940-945. doi: 10.1080/01443615.2018.1441271. Epub 2018 Mar 22. … Continue reading
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Verweise
Literatur