Das Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome, IBS) ist eine funktionelle Störung des Darms, die zu einer Beeinträchtigung des Lebensgefühls führt. Unter „Reizdarmsyndrom – Neues“ wird auf wichtige und neue Arbeiten hierzu hingewiesen.
→ Reizdarm
→ Reizdarmsyndrom – einfach erklärt.
Auszüge aus ausgewählten Veröffentlichungen
Stuhltransplantation: Besserung der Beschwerden
Da das Reizdarmsyndrom mit einer Dysbiose der Darmbakterien zusammenhängt, wurden Untersuchungen zum Effekt einer Stuhltransplantation durchgeführt. Sie sind meist erfolgreich, aber offenbar nicht dauerhaft. 1
Darmmikrobiom gestört
Beim Reizdarm mit überwiegender Diarrhö (IBS-D) ist die bakterielle Besiedelung des Darms mit Lactobacillus, Bifidobacterium und Faecalibacterium prausnitzii, stark herunterreguliert. 2 Das IBS wird daher auch als eine Krankheit des Darmmikrobioms betrachtet. 3
Darmmikrobiota und viszerale Überempfindlichkeit
Tierexperimentell wurde nachgewiesen, dass eine Dysbiose der Darmmikrobiota zu einer viszeralen Überempfindlichkeit im postinfektiösen IBS-Mausmodell führte. Assoziiert waren erhöhte kurzkettige Fettsäuren im Blinddarminhalt und im Kot und eine höhere Expression von 5-HT (5-Hydroxytryptamin, ein Überträgerstoff). Antibiotika-Cocktails und gemeinsame Unterbringung mit normalen Mäusen besserten die Symptomatik. 4
IBS als Krankheit des Darmmikrobioms
Darmmikrobiota beeinflussen über ihre Stoffwechselprodukte das Gehirn und das Nervensystem des Darms und bewirken eine viszerale Überempfindlichkeit und eine veränderte Kolonmotilität und beeinflussen die Psyche. Eine besondere Rolle dabei spielen entstehende kurzkettige Fettsäuren 5 und besondere Gallensäuren. Die Evidenzen dazu stellen Reviewartikel zusammen. 6 7
Das Probiotikum Saccharomyces boulardii bessert Darmsymptome
In einer Studie wurde festgestellt, dass die übermäßige Keimbesiedlung des Dünndarms, die hier im Rahmen einer Systemsklerose aufgetreten ist, durch den Hefepilz Saccharomyces boulardii in bis zu 60% der Fälle gebessert wird. 8
Rifaximin bessert in vielen Fällen die Symptomatik
Rifaximin ist ein nicht resorbierbares Antibiotikum. Es wirkt in etwa 70% der Fälle, da offenbar viele Symptome des Reizdarms auf eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms mit Keimen zurückzuführen ist. 9
Laktobazillen schützen den Darm
Als zentral für die Entstehung eines Reizdarms wird ein Defekt der Schleimhautbarriere des Darms angesehen. Nun konnte gezeigt werden, dass Lactobacillus rhamnosus GG die Barrierefunktion schützt bzw. wiederherstellt. 10
Neuer Genort prädisponiert zum Reizdarm bei Frauen
Eine genomweite Studie fand nun speziell bei Frauen einen neuen Genort auf Chromosom 9 (9q31.2). Bei dem dort befindlichen Gen könnte es sich um ELP1 handeln. Damit bestünde eine Nähe zur „familiären Dysautonomie“. 11
Psychische Störungen und neuroendokrine Dysregulation
Reizdarmpatienten können unter psychischen Störungen leiden. Dazu gehörten laut einer Untersuchung auch Fehlanpassungen (60%), Ängstlichkeit (17%), Zwangsstörungen (23%) und depressive Symptome (23%). In diesen Fällen wurde eine Assoziation mit einer Störung der autonomen kardiovaskulären Regulation (unter Stress besonders auffällig) und eine höhere Konzentration an Endothelin, Neuropeptid Y, Serotonin und Cortisol gefunden. Unter mentalem Stress stiegen Herzfrequenz und Cortisolausscheidung im Urin besonders an. 12
Zu Probiotika
Eine Zusammenstellung von neueren Studien zur Wirkung von Probiotika auf das Reizdarmsyndrom wie auch auf die chronische Verstopfung lässt erkennen, dass Therapiestrategien mit dem Ziel der Beeinflussung der Darmflora verheißungsvoll sind. 13 Sie ergänzt frühere Bewertungen, nach denen die Wiederherstellung der veränderten Darmflora als eine ideale Behandlung für IBS angesehen wird 14. Dass das Reizdarmsyndrom mit einer Veränderung des Darm-Mikrobioms zusammenhängt ist aus vielen Beobachtungen und Studien bekannt. 15
Zu Probiotika siehe hier.
Subjektive Wahrnehmung
In einer Studie wurde das subjektive Empfinden von Symptomen beim Reizdarmsyndrom (IBS) und der Fibromyalgie (FM) untersucht. Menschen mit IBS berichten über signifikant höhere Stressbelastung und eine schlechtere körperliche und geistige Gesundheit als die Kontrollgruppe; wenn zusätzlich eine FM vorliegt, so wird die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit weiter verschlechtert. Die Ergebnisse zeigten statistisch signifikant relativ große Unterschiede in der Wahrnehmung der Lebensqualität und der Einschätzung der eigenen Gesundheit in der Kontrollgruppe und den drei klinischen Gruppen. 16
Zur Rektalen Stuhlkontrolle
Patienten mit d-IBS (Reizdarm mit überwiegender Diarrhö) haben eine Überempfindlichkeit in der Rektumampulle, die zu frühzeitigem und starkem Stuhldrang führt (verminderte rektale Compliance). 17
Serotonin und Stuhldrang
Bei IBS-Patienten mit überwiegender Diarrhö (d-IBS) findet sich eine frühzeitige und heftige Auslösung des Stuhldrangs durch rektale Überempfindlichkeit. In einer Studie wird gefunden, dass d-IBS-Patienten eine signifikant geringeres Rektales Volumen und eine verminderte adaptive Relaxation aufweisen als Normalpersonen. Diese rektale Reaktion ist nicht durch Citalopram beeinflussbar (anders als die intestinale Schmerzüberempfindlichkeit 17 ) und scheint von einer Aktivierung des emotionalen Reaktionsnetzwerks im Gehirn unabhängig zu sein. 17
Positiver Placebo-Effekt
IBS spricht auf Placebo-Therapie relativ gut an. 18 Dabei spielt eine Aktivierung des Dopaminsystems im präfrontalen Cortex des Gehirns eine entscheidende Rolle. Ein Schlüsselenzym in diesem Stoffwechsel ist COMT (Catechol-O-Methyltransferase), von dem es mehrere genetische Varianten gibt. Der val158met-Polymorphismus von COMT prädisponiert für ein gutes Ansprechen von Placebo-Maßnahmen. 19
Reizblase bei Reizdarmsyndrom
Japanische Studien stellen eine hohe Koinzidenz von Reizdarm und Reizblase fest. In der Patientengruppe mit Reizblase hatten 33% gleichzeitig einen Reizdarm. 20 Patienten mit funktioneller Dyspepsie inklusive Reizdarmsyndrom litten umgekehrt gehäuft (20,5%) an einer Reizblase. 21
Restless Legs bei Reizdarmsyndrom
Das Syndrom unruhiger Beine (restless leggs syndrome, RLS) ist mit 1 – 10% von Betroffenen in der Bevölkerung relativ häufig und ist mit Darmkrankheiten, so auch mit IBS assoziiert. In einer Vergleichsstudie aus Teheran fand sich RLS in 25,3% der IBS-Patienten im Vergleich zu 6,5% der Normalbevölkerung. 22 In einer amerikanischen Studie vor 1 Jahr wurden je 30 IBS-Patienten einer Gruppe mit überwiegendem Durchfall, überwiegender Verstopfung und wechselndem Stuhlverhalten 3 x täglich 200 mg Rifaximin verabreicht. Von den 90 IBS-Patienten hatten 26 (29%) auch ein RLS. Die meisten RLS-Patienten fanden sich in der Gruppe mit überwiegender Diarrhö (62%), danach in der mit wechselndem Stuhlgang (33%) und kaum in der mit überwiegender Verstopfung (4%). Eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms (SIBO, small intestinal bacterial overgrowth) scheint dabei eine, wenn auch nicht ausschließliche, Rolle zu spielen. 23 Dies bestätigt frühere Feststellungen, nach der IBS und SIBO bei RLS gehäuft vorkommen. 24
Nahrungsallergene und Reizdarm
In einer amerikanischen Studie wurde ein Hauttest auf Allergene in Nahrunngsmittel und Nahrungsmittelzusätzen bei IBS-Patienten und auf den Resultaten basierend eine Allergen-Vermeidungsdiät durchgeführt. Einen schwach oder deutlich positiven Test hatten 30 von 51 Probanden. Eine mehr oder weniger deutliche Besserung der Symptomatik durch die individuelle Allergen-Vermeidungsdiät fand sich bei 14 von ihnen. 25
Akupunktur beim Reizdarmsyndrom
Eine Cocchrane-Zusammenstellung von 17 randomisierten Studien mit insgesamt 1806 Patienten zur Akupunkturtherapie des Reizdarmsyndroms kommt zum Schluss, dass diese Behandlung Erfolge zu verzeichnen hat gegenüber pharmakologischen Behandlungen (z. B. Spasmolytika). Unklar ist dabei, ob bereits die Erwartungshaltung dabei eine Rolle spielt. 26 Eine britische Studie lässt vermuten, dass die individuelle Auswahl des Akupunkturpunkts nach Angaben des Patienten für den Erfolg wesentlicher ist als Zusatzbehandlungen oder Ratschläge zum Lebensstil. 27
Ernährung
In einer Schwedischen Studie wurden 187 Patienten (Mittel 40 Jahre, 2/3 Frauen) mit IBS aufgefordert, über 4 Tage ein genaues Tagebuch über ihre Ernährung zu führen. Als Kontrollgruppe dienten 374 Normalpersonen. In der IBS-Gruppe war die Zufuhr von Eiweiß tendenziell höher. Signifikant höher war die Zufuhr von Vitamin E, Folsäure, Eisen, Vitamin C und Ballaststoffen, wohingegen die Zufuhr von Vitamin A, Riboflavin, Kalzium und Kalium geringer war. IBS-Patienten tendierten insgesamt zu einer höheren Zufuhr von Früchten und Gemüsen. Insgesamt waren die Ernährungsgewohnheiten jedoch recht ähnlich. 28
In einer Norwegischen Querschnittsstudie an 11078 Personen eines Bevölkerungsbereichs wurde bei 388 (8,4%) ein Reizdarmsyndrom festgestellt. Bei 44,8% bestand ein Wechsel von Verstopfung und Durchfall, bei 26,5% überwiegend Verstopfung und bei 28,6% überwiegend Durchfall. Die Schwere der Symptome war bei IBS mit überwiegender Verstopfung assoziiert mit Gemüse und Kartoffeln, bei überwiegend wechselndem Stuhlgang mit Gemüse und bei überwiegendem Durchfall mit Verzehr von Früchten, Beeren, kohlensäurehaltigen Getränken und Alkohol. 29
Verweise
Infos für Patienten
Referenzen
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