Probiotika sind lebende Bakterien, die bei Aufnahme in den Darm günstige Wirkungen für den Körper hervorrufen. Das Konzept, schädliche Bakterien der Darmflora durch nützliche zu ersetzen, geht auf Elie Metchnikoff (1907) zurück. 1
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Voraussetzung für die Bezeichnung
Damit Bakterien als Probiotika gewertet werden können, müssen sie genotypisch und phänotypisch identifiziert und taxonomisch eingeordnet sein. Vielfach sind die günstigen probiotischen Eigenschaften nur für bestimmte Stämme spezifisch, nicht dagegen für nahe verwandte. Die Einordnung einer Spezies als Probiotika lässt sich nicht automatisch auf andere Stämme oder Spezies desselben Genus übertragen.
Wirkmechanismen
Es wurden Wechselbeziehungen (“cross-talk”) zwischen der Bakterienflora des Darms und der Darmschleimhaut (Darmmukosa), dem Immunsystem und dem Gehirn gefunden.
Beeinflussung des Immunsystems: Eine sehr direkte Wechselwirkung betrifft den Cross-Talk mit Lymphozyten in der Darmwand. Unter ihnen sind die natürlichen Killerzellen offenbar die wesentlichen Partner einer bidirektionalen Beziehung zwischen Mikrobiom und Wirt, deren Aktivität das Gleichgewicht zwischen ihnen bestimmt und Entzündungen vermeiden kann 2. Eine Entzündung ist immer mit einer ständig gestörten Integrität der Darmschleimhaut verbunden, wodurch es zu vermehrtem Eintritt von Bakterien und auch von bakteriellen Toxinen (u. a. von Lipopolysacchariden, die als Endotoxine wirken, kommt. Die wiederum wirken sich vielfältig im Körper aus und führen u. a. zu Auswirkungen an entfernten Organen.
Einfluss auf die Leber: In den Leber kommt es zu einer vermehrten TNF-alpha-Produktion in den Kupffer’schen Sternzellen 3.
Darm-Hirn-Achse: Die Kommunikation vom Darmmikrobiom zum Zentralnervensystem (ZNS) erfolgt über verschiedene Weg. Mikrobielle Stoffwechselprodukte, wie kurzkettige Fettsäuren, sekundäre Gallensäuren und Tryptophan-Metaboliten interagieren direkt mit enteroendokrinen Zellen, enterochromaffinen Zellen und dem mukosalen Immunsystem, die wiederum über Mediatoren das Gehirn beeinflussen. Einige bakterielle Produkte, die in den Kreislauf gelangen, können sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden und direkt mit den Zellen des Gehirns interagieren.
Bei der Hirn-Darm-Mikrobiom-Wechselwirkung spielt Serotonin als Neurotransmitter eine zentrale Rolle. Es wird vermutet, dass das Darmmikrobiom die Bildung von Tryptophan des Wirts in den enterochromaffinen Zellen des Dickdarms steigert, wodurch die des Serotonins reduziert wird 4. Auch ein Einfluss der von Bakterien ausgehenden Mediatorstoffe auf die Bluthirnschranke wird vermutet 5.
Probiotisch wirksame Bakterienstämme
Häufig untersuchte probiotisch wirksame Bakterienstämme sind
- Bifidobakterien: Bifidobacterium bifidum, Bifidobacterium lactis, Bifidobacterium infantis 35624, Bifidobacterium breve BR03 und
- Laktobazillen: Lactobacillus acidophilus (z. B. R0052), Lactobacillus plantarum, Lactobacillus salivarius LS01, Lactobacillus rhamnosus GG.
- Escherichia coli Nissle 1917: Dieser Stamm ist nicht pathogen. Er reduziert die Infektiosität von enteropathogenen E. coli (EPEC) drastisch, indem es deren Bakterienadhäsion und ihr Wachstum in Mikrokolonien hemmt. 6.
Wirkungen der Probiotika
Probiotika wurden wegen ihrer vielfältigen günstigen Wechselwirkungen mit dem Immunsystem 7 hinsichtlich ihrer Wirkung bei vielen immunologisch bedingten und entzündlichen Krankheiten untersucht. Zu den günstigen Wirkungen, die einzelne Stämme ausüben, zählen die folgenden:
- Darm
- Darmschleimhaut: Stabilisierung der Barrierefunktion der Darmmukosa durch ein Multispezies-Probiotikum gegenüber pathogenen Keimen, 8
- günstige Beeinflussung der Darmmotorik. 9
- günstige Beeinflussung des Reizdarmsyndroms und der chronisch idiopathischen Verstopfung, 10
- Vorbeugung von Krankheiten durch Infektionserreger (nicht nur von Darmkrankheiten, auch z. B. von Harnwegsinfekten), 11
- Günstige Beeinflussung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung durch Kapseln mit 3 Probiotika (Streptococcus faecalis, Clostridium butyricum und Bacillus mesentericus) bezüglich Relapsverhinderung der Colitis ulcerosa 12
- Vorbeugung und günstige Beeinflussung von Durchfällen unter Antibiotikatherapie: Ein hochdosiertes Präparat aus Laktobazillen und Bifidobakterien war wirksam bezüglich Vorbeugung von Antibiotika-assoziiertem Durchfall durch Clostridium difficile 13
- Der Stamm Limosilactobacillus reuteri (L. reuteri) wirkt sich regulatorisch auf die Darm-Mikrobiota, Epithelzellen, Immunzellen und Zytokine aus. Antioxidative Enzyme werden induziert und antibakterielle und entzündungshemmende Wirkungen ausgelöst. 14
- Probiotika werden für eine Vorbeugung von Relapsen bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten als besonders erfolgversprechend angesehen. Ein Cocktail aus Laktobazillen (L. plantarum, L. rhamnosus, L. brevis und L. ruteri) und Bifidobakterien (B. bifidum, B. langum und B. breve) hat in Laborversuchen an Zellkulturen die Expression proentzündlicher Zytokine (IL-1ß und IL-6) sowie die Aktivität ihrer Gene herunterreguliert. 15
- Haut
- Vorbeugung und günstige Beeinflussung von Hautkrankheiten, wie einer atopischen Dermatitis oder eines allergischen Ekzems bei Neugeborenen. 16
- Leber
- Stoffwechsel
- Günstige Wirkung beim Diabetes mellitus 19, und möglicherweise beim Gestationsdiabetes. 20
- Günstige Wirkung auf den Cholesterinspiegel im Blut Exp Diabetes Res. 2012;2012:902917. doi: 10.1155/2012/902917 und damit vermutlich auf die koronare Herzkrankheit J Altern Complement Med. 2015 May;21(5):288-93.
- Allergie
- Günstige Wirkungen beim allergischen Asthma. 21
- Gehirn
- Günstige Beeinflussung und Prophylaxe einer minimalen hepatischen Enzephalopathie 22
- Wahrscheinlich günstige Wirkungen auf Depressionserkrankungen, 23
- Wahrscheinlich günstige Wirkung auf das chronische Müdigkeitssyndrom (chronic fatigue syndrome, CFS), 24
- Wahrscheinlich günstige Wirkung beim Autismus 25 26 27 (siehe hier).
- GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn. Er wird auch von den Familien Bifidobacterium, Lactobacillus und Streptococcus produziert. 28 Auch andere Neurotransmitter werden von Darmbakterien gebildet. Andere Bakterienstämme wirken über Toxine auf das Gehirn. Somit haben Probiotika, die das Mikrobiom verändern, einen großen Einfluss auf das Fortschreiten von neurodegenerativen Krankheiten, wie der Alzheimer-Demenz. 29
- In Versuchstieren wurden günstige Effekte einer Probiotika-Formulierung von 9 Bakterienstämmen (neun lebende Bakterienstämme (Streptococcus thermophilus, Bifidobacterium longum, B. breve, B. infantis, Lactobacillus acidophilus, L. plantarum, L. paracasei, L. delbrueckii subsp. bulgaricus, L. brevis) auf eine Neuroprotektion (neuronale antioxidative Abwehr- und Reparatursysteme, Wiederherstellung der SIRT1-Funktionalität) festgestellt. 30
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Verweise
Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)
Referenzen
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- Gut Pathog. 2013 Mar 14;5(1):3. doi: 10.1186/1757-4749-5-3[↩]
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