Die Entstehung des Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit, hängt mit einer abnormen Entzündungsreaktion der Darmschleimhaut und einer erheblich veränderten Keimbesiedlung des Darms (Mikrobiom) zusammen.
Eine genetische Empfänglichkeit (Prädisposition) bedeutet ein erhöhtes Risiko für immunologische und entzündliche Fehlregulationen. Umweltfaktoren und speziell diätetische Faktoren und Darminfektionen können eine auslösende Rolle spielen. Die Johne-Krankheit bei Wiederkäuern und der Morbus Crohn (MC) beim Menschen werden heute als dieselbe Infektionskrankheit angesehen, eine Paratuberkulose. 1
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Bakterien als Auslöser
Schon 1895 wurde eine Beobachtung des Deutschen Veterinärs H. A. Johne über eine chronische Darmerkrankung einer Kuh im Oldenburger Land veröffentlicht. Sie entsprach einer später als Morbus Crohn beim Menschen bekannten Erkrankung. Bereits damals wurde eine Infektion mit säurefesten Stäbchen, die den Tuberkulosebakterien verwandt waren, als Ursache ausgemacht. Johne bezeichnete die Erkrankung als „Pseudotuberkulöse Enteritis“; sie wurde später als Johne’s disease bekannt (nach 2. Die Analogie zum später bekannt gewordenen Morbus Crohn beim Menschen ist weitgehend unbeachtet geblieben.
Mycobacterium avium ss. paratuberculosis (MAP)
Dieses Bakterium ist der Auslöser der Johne’schen Rinderkrankheit 3 und ruft bei empfänglichen Menschen Autoantikörper hervor. Es wird als Auslöser verschiedener Autoimmunkrankheiten angesehen 4, so auch
- des Morbus Crohn,
- des Typ-1-Diabetes (T1D) und
- der Hashimoto-Thyreoiditis .
MAP vermehren sich intrazellulär und entgehen auf diese Weise vielen Antibiotika. Zudem können sie in Sporenform Hitze überdauern und wurden selbst in pasteurisierter Milch nachgewiesen. 5) Sie werden fast ubiquitär gefunden.
Grundlage der MAP-Pathogenität ist eine molekulare Mimikry zwischen Bakterienproteinen und menschlichen Proteinen (z. B. MAP 3865c und Znt8). Heute wird daher angenommen, dass eine gezielte antibiotische Behandlung einen therapeutischen Durchbruch beim Morbus Crohn bringen könnte 6.
Auf der Suche nach wirksamen Antibiotika wurde für 2 Phytochemikalien (Solasodin und Ursolsäure) eine bessere Wirksamkeit als für bisher bekannt wirksame Antibiotika nachgewiesen. 7 8
Dysbiose
Die Keimbesiedlung des Darmkanals ist bei MC-Patienten gegenüber Gesunden verändert; während der aktiven Phase der Erkrankung findet sich eine ausgeprägte „Dysbiose“ (Fehlbesiedlung). Die Zahl der Bakterienarten nimm ab. Im Vergleich zu den Kontrollen kommt es zu einer
- Verarmung an Butyrat-produzierenden Faecalibacterium prausnitzii und Roseburia und einer
- Erhöhung anderer Bakteriengruppen, wie Enterobacteriaceae, zu denen Escherichia coli gehört.
Die Häufigkeit dieser Keimarten korrelieren mit dem Schweregrad der Erkrankung. 9 Wenn die Entzündungsphase durch Therapie überwunden wird, normalisiert sich das Mikrobiom (die Keimzusammensetzung) wieder. 10
Genetische Disposition
MC-Patienten weisen in ihrer Blutsverwandtschaft übernormal viele Mitglieder mit einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit, anderen Autoimmunkrankheiten oder Auffälligkeiten im Immunsystem auf, so dass eine genetische Prädisposition schon lange angenommen wurde.
NOD2-Mutation: in einer schwedischen Studie fand sich eine Crohn-Konkordanz von 50 % bei monozygoten Zwillingen. 11 Als eine wesentliche Ursache für eine Crohn-Empfänglichkeit wurde eine Mutation des NOD2-Gens identifiziert.
Das NOD2-Gen kodiert für einen intrazellulären „bacterial pattern „-Rezeptor (PRR) und wirkt sich auf die Bildung von „Defensinen“ und weiterer Abwehrstoffe aus. Alpha-Defensine werden als Reaktion auf mikrobielle Stimuli durch Paneth’sche Körnerzellen in den Krypten der Kolonschleimhaut gebildet und zum Darmlumen hin abgegeben. 12 Sie beeinflussen die bakterielle Zusammensetzung in der Darmschleimhaut; umgekehrt beeinflussen die Darmbakterien die Bildung der Defensine. 13
- NOD2 wird daher als die Spitze eines Schutzprogramms angesehen, welches das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Darmepithel und der Schleimhautflora reguliert. 14
Das NOD2-Gen befindet sich auf Chromosom 16, das als „Caspase recruitment domain“ identifiziert wurde (CARD15). CARD15-Mutationen führen zu einer Erhöhung des Crohn-Risikos. Das Crohn-Risiko für den Zwilling eines Crohn-Patienten, der zwei CARD15-Mutationen trägt und raucht, beträgt etwa 35 %; hingegen liegt das Risiko ohne CARD15-Mutationen und ohne Rauchen bei 2%. 15
NOD2 reguliert die Konzentration von DMBT1 (einem sezernierten Cysteine-reichen Protein) 14, das Pathogene binden kann. Das NOD2-System wird als antibakterieller Erkennungsmechanismus angesehen, das zur Bekämpfung eingedrungener Bakterien erforderlich ist. Es schützt die Schleimhaut und verhindert Entzündungsreaktionen. Eine gestörte NOD2-Funktion führt zu einer veränderten zellulären Abwehr eingedrungener Bakterien, d.h. zu einer gestörten Autophagie. Dies trägt entscheidend zur Pathogenese des Morbus Crohn bei. 16 17
Gestörte Autophagie: Bei der Suche nach weiteren Ursachen einer gestörten bakteriellen Abwehr wurden Polymorphismen in den Autophagie-Genen ATG16L und IRGM gefunden, die darauf schließen lassen, dass ganz generell ein Defekt des zellulären Abwehrsystems zu einer Crohn-Prädisposition führt. 18
Weitere genetische Ursachen: Neben NOD2/CARD15 wurden durch genetische Untersuchungen weitere Krankheits-Loci identifiziert, die bei der Entstehung des M. Crohn wie auch der Colitis ulcerosa eine Rolle spielen; einige von ihnen spielen auch bei anderen Krankheiten, wie dem Morbus Bechterew und der Psoriasis, eine Rolle. 19 20
Immunologische Phänomene
Immunologische Phänomene: Bei MC-Patienten finden sich Antikörper gegen Membranproteine von E. coli (gegen Porin C, Anti-OmpC) und gegen Saccaromyces cerevisiae, allerdings unregelmäßig. 21 Oft sind ANCA positiv. In einer neueren Studie wurden Assoziationen gefunden zwischen Antikörpern gegen bakterielle Flagellen (Flagelline) und Erkrankungen des Dünndarms an M. Crohn. Bei ihnen lag auch ein 21e Assoziation mit NOD2-Mutationen vor.
Antikörper gegen Saccharomyces cerevisiae (ASCA) waren korreliert mit Crohn-Fisteln. 22Solche Antikörper könnten diagnostische Bedeutung für die des Risikos eines komplizierten Verlaufs erlangen und helfen, den Morbus Crohn besser von der Colitis ulcerosa zu differenzieren. 23
Permeabilitätsstörung der Darmschleimhaut
Bakterieninvasion durch Permeabilitätsstörung der Darmschleimhaut: Eine gestörte Permeabilität der Schleimhaut scheint ätiologisch (für die Entstehung der Erkrankung) bedeutsam zu sein. Auch Verwandte von Crohn-Patienten haben eine erhöhte Bereitschaft, mit einer Permeabilitätsstörung zu reagieren. Sie reagieren auf ASS mit deutlich gestörter Permeabilität.
Die natürliche Toleranz gegenüber der normalen Darmflora ist bei erhöhter Permeabilität durchbrochen; es finden sich Antikörper bei Crohn-Erkrankten gegen bakterielle Allergene.
Ein kritischer Aspekt der immunmodulierenden Therapie des M. Crohn liegt darin, dass die verwendeten Medikamente das Risiko für eine Infektion mit MAP (s.o.) erhöhen können, die wiederum die Krankheit befördern. 24
Weitere Einflussfaktoren
- Antibiotika erhöhen das Risiko der Entstehung eines Morbus Crohn (1,74-fach), nicht dagegen einer Colitis ulcerosa (1,08-fach). Antibiotika erhöhen besondere bei Kindern das IBD-Risiko (2,75-fach. Am höchsten ist es für Metronidazol (5,01-fach) und Fluorochinolone, nicht dagegen für Penicillin. 25
- Kaiserschnitt: Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, haben laut Auswertung verschiedener Studien ein bis 1,7-fach erhöhtes Risiko für einen Morbus Crohn. 26
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
Crohn-Kompendium
- Morbus Crohn: Hauptblatt
- Crohn-Kolitis
- Morbus Crohn Pathogenese
- Morbus Crohn Diagnostik
- Morbus Crohn Therapie
- CDAI nach Best
Referenzen
- Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. doi: 10.3390/microorganisms7100466.[↩]
- http://www.johnes.org/history/index.html[↩]
- Front Vet Sci. 2017 Nov 6;4:187. doi: 10.3389/fvets.2017.00187. [↩]
- Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. DOI: 10.3390/microorganisms7100466.[↩]
- Appl Environ Microbiol. 1996 Sep;62(9):3446-52[↩]
- Front Immunol. 2015 Mar 4;6:96. DOI: 10.3389/fimmu.2015.00096[↩]
- Molecules. 2022 Dec 29;28(1):274. doi: 10.3390/molecules28010274[↩]
- Molecules. 2023 Apr 15;28(8):3490. DOI: 10.3390/molecules28083490[↩]
- Gastroenterology. 2014 May;146(6):1489-99. doi: 10.1053/j.gastro.2014.02.009[↩]
- Gut Pathog. 2018 Oct 10;10:44. doi: 10.1186/s13099-018-0265-6.[↩]
- Gastroenterology 2003; 124:1767–1773[↩]
- Cell Mol Life Sci. 2011 Jul;68(13):2215-29[↩]
- Proc Natl Acad Sci U S A 2009; 106:15813–15818[↩]
- J Immunol. 2007 Jun 15;178(12):8203-11[↩][↩]
- J Med Genet. 2007 Nov;44(11):689-94[↩]
- PLoS One. 2013 Nov 5;8(11):e77773. doi: 10.1371/journal.pone.0077773[↩]
- Autophagy. 2010 Apr;6(3):412-4[↩]
- J Innate Immun. 2013;5(5):434-43[↩]
- Nature. 2012 Nov 1;491(7422):119-24[↩]
- Proc Natl Acad Sci U S A. 2007 Sep 11;104(37):14747-52[↩]
- J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2007 Oct;45(4):409-13[↩][↩]
- Inflamm Bowel Dis. 2009 Sep;15(9):1358-67 [↩]
- Inflamm Bowel Dis. 2013 May;19(6):1139-48[↩]
- World J Gastroenterol. 2018 Jul 7;24(25):2764-2775. doi: 10.3748/wjg.v24.i25.2764.[↩]
- Am J Gastroenterol. 2014 Nov;109(11):1728-38. DOI: 10.1038/ajg.2014.246[↩]
- Scand J Gastroenterol. 2014 Jul;49(7):834-44[↩]