Der Typ-1-Diabetes (T1D) ist die jugendliche Form der Zuckerkrankheit Diabetes mellitus. Es handelt sich um eine Stoffwechselkrankheit, die durch einen Insulinmangel von Beginn an gekennzeichnet und daher von vorneherein insulinpflichtig ist. Ursache ist eine Autoimmunkrankheit, bei das Immunsystem des Körpers die eigenen Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (ß-Zellen) angreift. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes sind die Betroffenen nicht übergewichtig, sondern in der Regel schlank. Die erste Manifestation ist oft ein ketoazidotisches Koma mit den Vorboten einer Polydipsie (erhöhte Trinkmenge) und einer Polyurie (vermehrtes Wasserlassen).
→ Behandlung des Typ-1-Diabetes
Häufigkeit
Der Diabetes Typ 1 betrifft etwa 5 % der Diabetespatienten. Seine Häufigkeit hat in den letzten Jahrzehnten um 3 – 4 % zugenommen, wofür Umweltfaktoren verantwortlich gemacht werden. 1
Entstehung
Die Krankheit beruht auf einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Faktoren, wobei eine genetische Bereitschaft (Empfänglichkeit, Prädisposition) und zusätzlich auslösende Faktoren zusammenkommen müssen. So lässt sich eine Konkordanz bei eineiigen Zwillingen von nur 50 % erklären 2.
Genetische Voraussetzungen
Eine genetische Veranlagung zur Entwicklung eines T1D wurde schon lange als gesichert angesehen. Die Tatsache, dass etwa 5 % der Typ-I-Diabetiker gleichzeitig eine Sprue haben und auch eine Hashimoto-Thyreoiditis gehäuft vorkommt (beides Autoimmunkrankheiten), spricht für eine autoimmunologische Reaktionsbereitschaft. Folgende Gene wurden in Assoziationsstudien identifiziert: PTPN22, IFIH1, SH2B3, CD226, TYK2, FUT2, SIRPG, CTLA4, CTSH und UBASH3A. 3 Inzwischen wurden über 60 Genloci gefunden, die mit dem Typ-1-Diabetes assoziiert sind. 4
Autoimmunreaktionen, Destruktion der Beta-Zellen
Im Zentrum der Pathogenese (Entstehung) steht eine Autoimmunreaktion gegen die Insulin bildenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Hierbei spielt das Darm-assoziierte Immunsystem (GALT) und die in ihm produzierten regulatorischen T-Zellen eine zentrale Rolle. Dieser Lymphozytentyp verhindert normalerweise eine überschießende Immunreaktion in Richtung Autoimmunität. Wenn sie durch die Wirkung entzündlicher (proinflammatorischer) Mediatoren (Zytokine) in ihrer Funktion geschädigt werden, können sie eine Autoimmunreaktion zulassen. 5 Im Fall eines T1D entstehen vor allem Antikörper gegen 3 Autoantigene: Insulin, Glutamatdecarboxylase und Thyrisinphosphatase IA-2. Wenn diese Antikörper bereits im Alter von 2 – 3 Jahren nachweisbar sind, haben sie einen hohen Vorhersagewert bezüglich eines später auftretenden Typ-I-Diabetes. Damit ist ein Screening möglich 6.
Auslöser
Zur Auslösung eines Typ-1-Diabetes werden verschiedene Umweltfaktoren verantwortlich gemacht. Neben diabetogenen Viren werden vor allem Milch und Milchprodukte sowie glykierte Proteine in prozessierten Nahrungsmitteln diskutiert.
Diabetogene Viren: Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass Virusinfektionen zu den wichtigsten Auslösern zählen, insbesondere Enteroviren 7 inkl. Coxsackie-Viren (insbesondere Coxsackie B4) 8 und SARS-Cov-2 9. Auch eine intrauterine Rötelninfektion führt in bis zu 20 % zum T1D. 10
Kuhmilch-Hypothese zur Erklärung des erhöhten Risikos von Kindern mit nur kurzer Stillzeit für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 1: Bovines Serumalbumin hat große Ähnlichkeit mit Inselzellproteinen. 11 Durch eine frühe Kuhmilch-Ernährung von Säuglingen kann, so eine Hypothese, eine autoimmune Destruktion von Inselzellen ausgelöst werden. Umgekehrt senkt Stillen mit Muttermilch das Risiko eines autoimmunen Diabetes (siehe hier). 12
Glykierte Proteine der Nahrung: Glykierte Proteine und Polypeptide können im Körper entstehen, indem sich reduzierende Zucker nicht-enzymatisch mit freien Aminosäuregruppen verbinden (Beispiel HbA1C). Sie können mit anderen Proteinen so reagieren, dass ein oxidativer Stress ausgelöst wird und entzündliche Stoffwechselwege angestoßen werden. Solche Produkte finden sich auch in heutigen Nahrungsmitteln. Bei Versuchstieren können sie in höherer Konzentration zu einer ausgeprägten Insulitis (Entzündung der Pankreasinseln) führen. 13 14
→ Grundlagen zum Diabetes mellitus siehe hier.
Auswirkungen auf den Stoffwechsel
Durch den Insulinmangel in den Zellen kommt es zu folgenden Stoffwechelstörungen: Fettabbau (Lipolyse), Proteinabbau zugunsten einer Zuckerneubildung aus Aminosäuren: Glukoneogenese und Ketogenese. Wegen des relativen Insulinmangels sind Menschen mit einem Typ-1-Diabetes meist eher schlank. Bedingt ist die vor allem durch den kompensatorisch vermehrten Abbau von Fett und von Proteinen. In Phasen häufiger Unterzuckerungen wirkt sich der Stoffwechsel katabol (abbauend) aus.
- Überschießende Lipolyse (Abbau von gespeichertem Fett) durch Insulinmangel in den Zellen des Fettgewebes, damit Neigung zur Ketonkörperbildung und zur Azidose. Der übermäßige Fettabbau soll den Zellen die dringend benötigte Energie liefern, die normalerweise überwiegend durch den Abbau von Glukose zur Verfügug gestellt wird. Beim Fettabbau fällt jedoch übermäßig Acetyl-CoA an, welches nicht rasch genug im Zitratzyklus abgebaut werden kann. Folge ist die Bildung von Aceton, Acetoacetat und ß-Hydroxybutyrat.
- Ketoazidose: Bei gesteigerter Lipolyse lassen sich „Ketonkörper“ im Urin nachweisen. Es kann sich eine diabetische Ketoazidose mit pH-Verschiebung im Blut entwickeln. Wenn wegen des intrazellulären Glukosemangels im Gehirn eine Bewusstlosigkeit eintritt, entsteht ein ketoazidotisches Koma. Die Patienten wirken ausgetrocknet (exsikkiert), ihr Atem riecht wegen der Ketonkörper fruchtig. Jugendliche mit einem Typ-1-Diabetes haben mehrheitlich solch ein Koma oder Präkoma erlebt. In der Vorphase entwickeln sie einen starken Durst, weil die hohe Glukoseausscheidung mit dem Urin (Glukosurie) Lösungswasser aus dem Blut mitnimmt. Typisch ist eine Polyurie.
- Erhöhung der Glukoseneubildung (Glukoneogenese) in Leber und Nieren aus Aminosäuren: der Insulinmangel bewirkt, dass im Muskel Protein vermehrt zu Aminosäuren abgebaut wird; diese gelangen ins Blut und werden unter erhöhtem Glukagonspiegel in der Leber zu Glukose umgewandelt. Diese soll dem Körper helfen, die peripheren Zellen, die wegen des Insulinmangels intrazellulär an Glukose verarmen, dennoch besser mit Glukose zu versorgen.
- Frühzeitige Arteriosklerose: Bei einem schlecht eingestellten Typ-1-Diabetes entwickeln sich frühzeitig arteriosklerotische Folgeschäden und Komplikationen. Zwar werden die Komplikationen meist erst im Erwachsenenstadium erkennbar, sie starten jedoch bereits viele Jahre früher. Zu ihnen gehören vor allem auch eine diabetische Nephropathie (Nierenschädigung) und kardiale Komplikationen (Koronarsklerose). Die Folgeschäden ähneln denen des Typ-2-Diabetes (siehe hier). 15
Therapie des Typ-1-Diabetes
Häufig wird die Stoffwechselkrankheit bei Kindern und Jugendlichen erst durch ein ketoazdotisches Koma diagnostiziert. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes ist der Patient mit einem frisch entdeckten Diabetes Typ 1 von vorneherein insulinpflichtig.
→ Zur Diabetes-Therapie siehe hier.
→ Zur Insulin-Therapie siehe hier.
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Verweise
Referenzen
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- Curr Diab Rep. 2019 Nov 4;19(11):116. DOI: 10.1007/s11892-019-1235-1 . PMID: 31686270.[↩]
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- Front Endocrinol (Lausanne). 2024 Aug 12;15:1411686. doi: 10.3389/fendo.2024.1411686[↩]
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