Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Bakterielle Überwucherung des Dünndarms (engl.: small intestinal bacterial overgrowth, SIBO) bedeutet erhöhte Keimzahl im Dünndarm. Sie kommt relativ häufig vor. Definiert wird sie durch eine bakterielle Besiedlung des Dünndarms von >1000 Keime pro Milliliter Dünndarmflüssigkeit.
SIBO ist für eine Reihe unspezifischer Bauchbeschwerden und Stuhlunregelmäßigkeiten verantwortlich und in bedeutendem Maße mit einem Reizdarmsyndrom assoziiert. Allerdings ist die Rolle einer Dysbiose beim Reizdarmsyndrom noch nicht völlig geklärt. 1 Die effektivste Diagnostik basiert auf Atemtests. Therapie der ersten Wahl ist die Bekämpfung der bakteriellen Überwucherung mit Probiotika und ggf. mit nicht resorbierbaren Antibiotika. Eine Ernährungsumstellung kann helfen, die Dysbiose (Fehlbesiedlung) zu bessern. 2 3 |
Häufigkeit
SIBO ist eine relativ häufige Diagnose. Beim Reizdarmsyndrom wird eine gestörte mikrobielle Flora in etwa 15 – 20 % der Fälle gefunden.
Ursachen und Entstehung
Der Dünndarm ist normalerweise sehr keimarm. Man findet dort nicht mehr als 103 Keime pro Milliliter. Dies ist im Wesentlichen bedingt durch die bakterizide (keimtötende) Wirkung des sauren Magensafts, die Bauchspeicheldrüsenenzyme und das intestinale Immunsystem. Ab 105 Keimen pro ml, nach neuerer Definition über 103, liegt eine „bakterielle Überwucherung“ vor. Sie wird gefördert durch folgende Faktoren und Krankheiten: 4
- Syndrom der blinden Schlinge (Blind-Loop-Syndrom): Wenn durch eine Operation eine Schlinge ausgeschaltet wird und blind endet (beispielsweise um eine Drainage des Gallengangs zu gewährleisten), können sich dort Bakterienkolonien ansiedeln, die bei mangelnder Darmpropulsion dort verharren und durch ihre Stoffwechselaktivität zu Beschwerden eines Blind-Loop-Syndroms führen.
- Trägheit des Dünndarms (Dünndarmdyskinesie): Bei mangelhafter Propulsion des Dünndarminhalts kann es bei verlängerter Verweildauer zu einer bakteriellen Überwucherung kommen, die in gleicher Weise wie beim Blind-Loop-Syndrom zu Symptomen führen kann. Ursachen sind beispielsweise:
- eine neurologische oder motorische Trägheit der Dünndarmmuskulatur bei verschiedenen Krankheiten, wie
- bei der Systemsklerose 5,
- bei der zystischen Fibrose 6,
- bei der Coeliakie 7,
- beim diabetischen Spätsyndrom 8,
- eine Darmverengung (Obstruktion) mit Subileus / Ileus sein.
- eine neurologische oder motorische Trägheit der Dünndarmmuskulatur bei verschiedenen Krankheiten, wie
- Weitere fördernde Faktoren:
- Unterdrückung der Magensäure z. B. bei einer Typ-A-Gastritis oder durch Säureblocker; Folge: Wegfall des bakteriziden (Bakterien abtötenden) Milieus im Magen,
- Immunschwäche bei schweren Krankheiten oder Erkrankungen des Immunsystems,
- Dünndarmkrankheit, inkl. Reizdarmsyndrom 9,
- Leberzirrhose: SIBO bei Zirrhose wird auf eine Motilitätsabnormalität zurückgeführt. 10 Sie verstärkt das Risiko einer hepatischen Enzephalopathie und einer spontan bakteriellen Peritonitis 11
Ein wesentlicher Mechanismus, der zu den Folgen einer Maldigestion und Malabsorption führt, ist die bakterielle Zersetzung von Nahrungsbestandteilen und von Gallensäuren (duodenojejunale Dekonjugation konjugierter Gallensäuren). Gallensäuren können damit nicht mehr ausreichend für die Verdauung und Resorption von Fetten und Fettsäuren zur Verfügung stehen (dazu siehe hier); ein Abbau von Intrinsicfaktor bedingt einen Vitamin-B12-Mangel. 12
Eine Dysbiose beim Reizdarmsyndrom (in bis zu 20 % der Fälle) ist in seiner Bedeutung noch ungeklärt. Denn im Gegensatz zu anderen dysbiotischen Bedingungen entstehen durch diese Überwucherung keine Maldigestion und Malabsorption. 1 13
Symptomatik
Eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms kann symptomlos sein, aber auch zu einer variablen Symptomatik führen:
In einigen Fällen entwickelt sich eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut, die eine mangelhafte Aufnahme von Nahrungsbestandteilen (Malabsorption) mit Gewichtsverlust bedingt. Bakterien im Dünndarm können auch einen Mangel an Vitaminen und Spurenelementen verursachen. Ein Vitamin-B12-Mangel führt zu einer Blutarmut (makrozytäre Anämie)
Über eine Mangelernährung kann sich eine Leberverfettung (im Sinne einer NASH) entwickeln.
Die Symptome können überlagert sein von denen, die von einer gelegentlich ursächlichen Grunderkrankung ausgehen, so von einem Diabetes mellitus, einem Morbus Crohn oder möglicherweise auch einer Coeliakie / Sprue 14.
Diagnostik
Die Anamnese weist bereits auf mögliche prädisponierende Faktoren (Vorbedingungen, s. o.) hin. Der H2-Atemtest mit Glukose zeigt eine gegenüber dem mit Laktulose einen deutlich früheren Anstieg des H2 in der Atemluft. Der Schilling-Test weist einen Vitamin-B12-Mangel nach. Eine Studie zeigt, dass SIBO durch den Lactulose-Atemtest besser als durch den Glukose-Atemtest erkannt werden kann. Durch Atemtests wurde bei Reizdarm-Patienten eine Prävalenz von 35,5 % (vs. 29,7 % bei Kontrollen) gefunden; durch Kulturen bei 13,9 % (vs. 5,0 %). 15
Therapie
Die bakterielle Überwucherung des Dünndarms ist heute besser behandelbar als früher.
Therapeutische Optionen: Am effektivsten ist die Behandlung der Ursache (ggf. operativ). Hilfreich können Prokinetika, Antibiotika (z. B. Ciprofloxacin, Metronidazol, Rifaximin) und Probiotika sein.
Rifaximin: Rifaximin ist bei verschiedenen Ursachen einer SIBO erfolgreich eingesetzt worden, so auch bei der zystischen Fibrose 6. Inzwischen wird es oft für das vorwiegend Diarrhö-assoziierte Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome, IBS) mit positivem H2-Atemtest nach Glukose eingesetzt. 16 17 18
Eine Veränderung der Ernährung kann die SIBO-Symptome lindern. Die Ernährungsempfehlungen lehnen sich an die Empfehlungen beim Reizdarmsyndrom an. Diäten mit hohem FODMAP-Gehalt inkl. löslicher Ballaststoffe bessern die Dysbiose bei SIBO-Patienten. Eine gezielte probiotische Therapie kann auch die Wirksamkeit einer Antibiotikabehandlung erhöhen und den Stuhlgang regulieren. 3
Probiotika: Probiotika (Pilze und Bakterien, die das Mikrobiom günstig beeinflussen und die Darmwand stabilisieren können) können die Symptomatik bei SIBO bessern. 19
- SIBO bei Diabetes: Nach der Behandlung der SIBO von Patienten mit Typ-2-Diabetes mit Probiotika besserten sich die abdominellen Beschwerden, wie Durchfälle und auch die Einstellbarkeit des Blutzuckers (glykämische Kontrolle). 20 Sie können eine sinnvolle Zusatztherapie darstellen 21.
- SIBO bei Systemsklerose: Auch bei der Systemsklerose wirken Probiotika günstig 22.
- SIBO bei Leberzirrhose: Eine Untersuchung zeigt, dass das Probiotikum Saccharomyces boulardii zur Behandlung der bakteriellen Überwucherung im Dünndarm (SIBO) bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose symptomlindernd und sogar heilend wirkt. Nach dreimonatiger Behandlung war bei 80,0 % der Patienten in der Probiotikagruppe und bei 23,1 % in der Placebogruppe keine SIBO mehr nachweisbar. 23
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
Referenzen
- Gastroenterology. 2022 Sep;163(3):593-607[↩][↩]
- Cureus. 2020 Jun 27;12(6):e8860. doi: 10.7759/cureus.8860.[↩]
- Nutrients. 2022 Aug 17;14(16):3382. doi: 10.3390/nu14163382[↩][↩]
- World J Clin Cases. 2022 May 26;10(15):4713-4716. doi: 10.12998/wjcc.v10.i15.4713[↩]
- Dig Dis Sci. 2020 Apr;65(4):1134-1143. doi: 10.1007/s10620-019-05830-0. Epub 2019 Sep 23. PMID: 31549334.[↩]
- J Gastroenterol. 2019 Mar;54(3):261-270. doi: 10.1007/s00535-018-1509-4. Epub 2018 Sep 19. PMID: 30232597.[↩][↩]
- Dig Dis Sci. 1994 Sep; 39(9):1947-54.[↩]
- Indian J Clin Biochem. 2017 Mar;32(1):84-89. doi: 10.1007/s12291-016-0569-6. Epub 2016 May 3. PMID: 28149017; PMCID: PMC5247367.[↩]
- Gut Liver. 2017 Mar 15;11(2):196-208. doi: 10.5009/gnl16126. PMID: 28274108; PMCID: PMC5347643.[↩]
- Hepatology. 1993 May;17(5):828-32. PMID: 8491451.[↩]
- J Clin Exp Hepatol. 2019 Mar-Apr;9(2):257-267. doi: 10.1016/j.jceh.2018.08.006. Epub 2018 Aug 27. PMID: 31024208; PMCID: PMC6477138.[↩]
- Clin Gastroenterol Hepatol. 2016 Aug;14(8):1223. doi: 10.1016/j.cgh.2016.02.021. Epub 2016 Feb 27. PMID: 26923735.[↩]
- World J Gastroenterol. 2010 Jun 28;16(24):2978-90. doi: 10.3748/wjg.v16.i24.2978.[↩]
- Neurogastroenterol Motil. 2017 Jun;29(6). doi: 10.1111/nmo.13028. Epub 2017 Feb 12. PMID: 28191721.[↩]
- Am J Gastroenterol. 2020 Feb;115(2):190-201. DOI: 10.14309/ajg.0000000000000504[↩]
- Rev Gastroenterol Peru. 2019 Apr-Jun;39(2):111-115. English. PMID: 31333225.[↩]
- Mini Rev Med Chem. 2015;16(3):186-92. doi: 10.2174/1389557515666150722105340. [↩]
- Aliment Pharmacol Ther. 2017 Mar;45(5):604-616. doi: 10.1111/apt.13928.[↩]
- Gastroenterol Res Pract. 2020 Sep 17;2020:4181748. doi: 10.1155/2020/4181748[↩]
- Pol Arch Med Wewn. 2015; 125(11):803-13[↩]
- Medicine (Baltimore). 2016 Jun;95(26):e4088. doi: 10.1097/MD.0000000000004088.[↩]
- Dig Dis Sci. 2020 Apr;65(4):1134-1143. doi: 10.1007/s10620-019-05830-0. .[↩]
- J Clin Med. 2024 Feb 5;13(3):919. doi: 10.3390/jcm13030919.[↩]