Genistein ist eine biologisch hochaktive Substanz mit pharmakologischen Wirkungen. Es hemmt die Tumorentwicklung und Metastasierung vieler Krebsformen und wirkt gegen einige chronische Erkrankungen, indem es die Selbstreinigung des Körpers von entarteten Zellen durch Apoptose stärkt. Als Isoflavon gehört es zu den Flavonoiden, die zu den pflanzlichen Polyphenolen gehören. Besonders hoch kommt es in Soja vor. In den letzten Jahren hat es großes medizinisches Interesse erlangt.
→ Programmierter Zelltod – Apoptose
→ Soja
Vorkommen
Genistein kommt vor allem in Sojabohnen, aber auch in anderen Pflanzen, wie der Ackerbohne (Vicia faba) und Lupinen, vor. Insbesondere erhält Soja durch das in ihm enthaltene Genistein seine gesundheitsfördernde Wirkungen (siehe hier). Der Gehalt von Soja an Genistein ist sehr unterschiedlich. Im Mittel wird 81 mg/100g angegeben 1.
Bioverfügbarkeit
Genistein ist nur beschränkt wasserlöslich und nur mäßig gut resorbiert. Es erscheint rasch im Blut. Es wird zur biologisch aktiven Aglycon-Form verstoffwechselt. Toxische Wirkungen bei Aufnahme selbst relativ großer Mengen sind nicht bekannt; adverse Reaktionen werden allerdings nach besonders hohen Einzeldosen, die bei der Ernährung nicht erreicht werden, beschrieben 2. Wegen der beschränkten Bioverfügbarkeit werden Derivate entwickelt, die besser resorbiert werden und zur Chemotherapie von Tumoren in Betracht kommen 3.
Wirkungen
Genistein hat vielfältige günstige Wirkungen, die als unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit betrachtet werden, obgleich die positiven Wirkungen von Soja, dessen Hauptwirkstoff Genistein ist, überwiegend im ostasiatischen Raum (wo Soja-reiche Kost üblich ist) beobachtet werden. Dies wird dem hohen Anteil von Soja an der Ernährung zugeschrieben. Denn Immigranten von Asien nach westlichen Ländern, die dort weniger Soja-haltige Nahrung zu sich nehmen, zeigen eine ähnliche Krebs-Inzidenz, wie die westliche Bevölkerung 4 5.
Hormonähnliche Wirkungen: Genistein hat eine strukturelle Ähnlichkeit mit 17β-Östradiol und bindet ebenfalls an Östrogenrezeptoren im Körper, über die es auch östrogenartige Wirkungen auslöst. Es zählt daher zu den Phytoöstrogenen.
Wirkungen auf Apoptose und Krebsrisiko: Genistein übt, wie auch das in Soja mit Genistein zusammen vorkommende Daidzein (ebenfalls ein Isoflavon), eine Vielzahl biologischer Wirkungen aus 6 7. Zu ihnen gehören
- die Stimulierung der Autophagie bzw. der Apoptose,
- eine Beeinflussung der DNA-Replikation und des Zellzyklus (über Hemmung von Zellzyklus-Regulatoren),
- eine Hemmung der Durchblutung, Ausbreitung und Metastasenbildung von Tumoren und
- antioxidative Wirkungen.
Eine Untersuchung zeigt, dass die tägliche Einnahme einer Genistein-reichen Ernährung den Effekt einer Cis-Platin-Antitumorbehandlung bei ERα-/ERβ-Brustkrebsfällen über Apoptose-Anregung steigert 8.
Komplexe Auswirkungen: Insgesamt tragen die Hauptwirkungen dazu bei, dass Genistein
- chronische Erkrankungen mildert,
- die Nieren vor chronischer Entzündung schützt (siehe hier) und
- das Risiko einiger Krebsarten, vor allem des Prostatakarzinoms und des Mammakarzinoms, senkt 9 10 11.
Die Wirkmechanismen von Genistein beinhalten eine Hemmung von NF-κB und eine Aktivierung von PPARs, was (über entsprechende Signalwege) viele Wirkungen erklärt 12 13.
Wirkungen auf das Herz, Endothelregeneration: Das in Soja enthaltene Genistein fördert laut in-vitro-Studien die Regeneration von Endothelien und die kardiale Erholung beim Herzinfarkt 14.
Wirkungen auf die Nieren: Genistein schützt die Nieren bei beginnender diabetischer Nephropathie, was sich bereits bei Kurzzeit-Applikation nachweisen lässt 15. Zur nephroprotektiven Wirkung von Genistein siehe hier.
Wirkung auf den Knochen: Durch Langzeitzufuhr von Isoflavon-reicher Nahrung (mit östrogenartiger Wirkung) kommt es offenbar nicht zu einem vermehrten Knochenabbau im Sinne einer Osteoporose 16. Im Gegenteil, Sojaproteine unterdrücken den Knochenabbau und verbessern die trabekuläre Mikroarchitektur der Knochen, wie an Versuchstieren festgestellt wurde. 17
Wirkung gegen Strahlenschäden: Genistein, sowie Ascorbinsäure, Curcumin und Resveratrol aktivieren Signalwege, die als Reaktion auf strahleninduzierten oxidativen Stress in den Zellen des Körpers angestoßen werden, und fördern die Reparatur von DNA-Schäden und das Überleben der Zellen 18.
Genistein bei Kindern
Die Befürchtung, dass die östrogenartige Wirkung von Soja / Genistein zu einer nachteiligen Beeinflussung der Entwicklung von Kindern inklusive der Pubertät führen, haben sich in Studienauswertungen nicht bestätigt. Es ist jedoch darauf zu achten, dass bei Kindern, die wegen einer Hypothyreose eine Substitution von Schilddrüsenhormonen erhalte, die Hormonspiegel überprüft werden müssen, da sie Isoflavone in Soja ihre Resorption im Darm beeinträchtigen können. 19
Genistein gegen Krebs
Die Wirkung gegen Krebs beruht auf verschiedenen Mechanismen, unter denen die Beeinflussung des programmierten Zelltods (Apoptose), die Hemmung der Gefäßneubildung in Tumoren (Antiangiogenese) und die Hemmung von Enzymen in Zellkernen (DNA-Methyltransferase (DNMT) und Telomerase-Reverse-Transcriptase (hTERT) ) gehören. 20 21
Prostatakarzinom
Prostatakrebs ist im Ostasiatischen Raum geringer ausgebreitet als im westlichen, wofür der dort erhöhte Soja-Verzehr verantwortlich gemacht wird 22. Der in Soja enthaltene Hauptwirkstoff Genistein beeinflusst das Prostatakarzinom günstig und senkt erhöhte PSA-Werte 23 24 25 (siehe hier). In Versuchstieren (transgenen Ratten) unterdrückt Genistein die Entwicklung eines Prostatakarzinoms durch Reduktion der Zellproliferation und Erhöhung der Apoptose 26 27. An der protektiven Wirkung auf das Prostatakarzinom sind Östrogenrezeptoren (ER-ß) beteiligt, die durch Genistein erhöht exprimiert werden 28. Die Genisteinwirkung von wird dadurch komplex, dass es zudem an speziell mutierte Androgenrezeptoren bindet (kompetitiv zu Androgenen), was potenziell zu einer Stimulation von Tumoren im Spätstadium nach Androgen-Ablationstherapie führen kann, wie hypothetisch angenommen wird 29.
→ Dazu siehe auch hier.
Darmkrebs
Darmkrebs und Leberkrebs 30 31 32 zeigen bei in-vitro-Versuchen, ein günstiges Ansprechen. Beim Kolonkarzinom (Darmkrebs) hemmt Genistein die Metastasenbildung 33.
Brustkrebs
Brustkrebs reagiert auf Soja-haltige Ernährung nicht negativ 34, wie wegen der östrogenartigen Wirkung von Genistein vermutet wurde, sondern wegen der Wirkung auf Östrogenrezeptoren (am besten erkennbar wegen des hohen Sojaverzehrs bei ostasiatischen Frauen) sogar günstig 35.
Statistiken zeigen einen schützenden Effekt von Sojaprodukten zusammen mit anderen Pflanzenprodunkten auf die Inzidenz des Mammakarzinoms. Beispiel ist eine Studie aus Vietnam 36.
Laboruntersuchungen an in vitro Östrogenrezeptor-positiven Zelllinien (ER+) durch Genistein weisen darauf hin, dass jin isolierten Systemen ein beschleunigtes Wachstum auftreten kann. 37. Eine in Nacktmäusen wachsende ER-negative Zelllinie, die positiv für den humanen epidermalen Wachstumsfaktor 2 (HER2+) ist, zeigte jedoch ein vermindertes Wachstum und im Körper eine geningere Metastasierung 38.
Effekte von Genistein auf Brustkrebszellen
Unabhängig vom Typ des Mammakarzinoms wird durch Genistein die Apoptose angeregt, was sich gegen eine Tumorausbreitung auswirkt. Dies ist ein von Östrogenrezeptoren unabhängiger Effekt. 39 40.
Inzwischen wird damit davon ausgegangen, dass Genistein in Zellen des Mammakarzinoms unterschiedliche antitumoröse Effekte bewirkt:
- Es beeinflusst die Zusammensetzung der Östrogenrezeptoren (ERα/ERβ), was sich positiv auf die Krebsprognose und die Wirksamkeit von Chemotherapeutika auswirkt. 7
- Zudem bestehen einige ER-unabhängige Wirkungen, die sich positiv auf die Krebsdiagnosen auswirken. So fördert es vor allem den programmierten Zelltod entarteter Zellen (Apoptose), und es hemmt die Krebsstammzellen an ihrer Ausbreitung (über den Hedgehog-Gli1-Signalweg) 41.
Einige Untersuchungen ergeben eine erhöhte Krebsgefährdung durch Sojainhaltsstoffe (Genistein und Daidzein). 42 43
Genistein günstig bei ER-/HER2+
Der Genisteineinfluss auf das Mammakarzinom muss damit differenziert betrachtet werden: Es wirkt vermutlich nur bei definierten Brustkrebsarten (z. B. ER-/HER2+) antiproliferativ, bei anderen dagegen nicht. Das bestätigt auch eine Langzeitstudie: Frauen wurden daraufhin untersucht, welche Auswirkungen Soja-Produkte auf Brustkrebs haben. Von 76000 Frauen über 50 Jahren, die im Durchschnitt etwa 60 Jahre alt waren und 11,2 Jahre verfolgt wurden, entwickelten 3600 Brustkrebs. Verglichen mit denen, die nie Soja zu sich nahmen, lag das Risiko für Brustkrebs bei denen, die Soja verzehrten, etwas geringer (HR 0,92). Die Aufschlüsselung ergab jedoch, dass diejenigen mit einem Östrogenrezeptor-negativen (ER-neg.) Krebs eine HR von nur 0,78 aufwiesen (also etwas geschützt waren), diejenigen mit einem ER-positiven Krebs jedoch 2,01 (also ein deutlich erhöhtes Risiko hatten) 44. Frauen, die genetisch vorbelastet sind (mit Brustkrebsfällen in der Familie), sind daher durch Soja wahrscheinlich eher gefährdet als geschützt.
Zum komplizierten Bild gehört, dass die nicht Östrogenrezeptor-abhängige Wirkung (ER-) bei einigen Menschen so ausgeprägt ist, dass in jedem Fall eine Schutzwirkung vorliegt. Solche individuellen Gegebenheiten herauszufinden, bedarf es noch weiterer Forschung.
Leukämie
Genistein zeigt im Tierversuch (Xenografts von menschlichen HL-60-Zellen) ein Rückgang der Tumorgröße. Zentral dabei ist die Anregung des Apoptose-Signalwegs. 45
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Verweise
Referenzen
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