Vergiftungen (Intoxikationen) sind mehr oder weniger ausgeprägte gesundheitliche Beeinträchtigungen der Körperfunktion durch schädigende Agenzien (Noxen). Toxine (Giftstoffe) können chemische Substanzen sein, so auch Medikamente und auch pflanzliche und tierische Gifte. Schädigend wirken können auch toxische Stoffwechselprodukte des eigenen Körpers.
Viele Erkrankungen werden durch chronische Belastung von toxischen Stoffen am Arbeitsplatz hervorgerufen. Besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und Krankheitsgeschehen nach arbeitsmedizinischen Richtlinien, kann eine Berufserkrankung mit Rentenanspruch begründet sein.
Eine Zusammenstellung der Giftnotrufzentralen wird von Seiten des Bundes (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) bereitgestellt: siehe hier.
Inhaltsverzeichnis
Vergiftungen durch chemische Noxen
Methanol
Wirkung: Bei Methanolvergiftung kommt es zunächst zu lokalen Haut- und Schleimhautreizungen und einem Rauschzustand. Nach einem symptomfreien Intervall treten Gangunsicherheit, Erregtheit, Zuckungen, Bewusstseinsstörungen und eine Optikusneuropathie mit Sehstörungen bis zur Erblindung auf. Die Intoxikation weitet sich auf das gesamte Organsystem aus, es kann zu Azidose, Schock und einer Hirnblutung kommen. (1)World J Clin Cases. 2022 Jul 6;10(19):6571-6579
Therapie: Zwei Gegenmittel blockieren den ADH-vermittelten Metabolismus von Äthyenglykol und Methanol: Ethanol und Fomepizol. (2)Neth J Med. 2014 Feb;72(2):73-9 Eine Studie zeigte, dass Erythropoetin (EPO) und Methylprednisolon den Visus wirksam verbessern konnte. (3)World J Clin Cases. 2023 May 26;11(15):3502-3510. doi: 10.12998/wjcc.v11.i15.3502
Nickel
Wirkung: Plattenepithelkarzinom der Nase.
Mangan
Wirkung: Parkinson-Syndrom mit Rigor, Tremor und Akinese.
Cadmium
Wirkungen: Cadmium (Cd) einer der wichtigsten Schadstoffe am Arbeitsplatz und in der Umwelt. Mikroplastik verstärkt Cadmium-induzierten oxidativen Stress, Autophagie, Apoptose und Fibrose. Cadmium werden toxische Wirkungen auf die Nieren, das Nervensystem, das Skelett, die Reproduktionorgane, sowie eine Genotoxizität und Karzinogenität zugeschrieben. Es trägt zur Emphysementstehung bei Rauchern bei. An den Lungen führt es akut zu einer Reizung der Atemwege bis hin zum Lungenödem. Am Gehirn entstehen bei Ratten durch akute Intoxikation eine Depression und Gedächtnisstörungen. Zurückzuführen ist dies auf eine verminderte Superoxiddismutase (SOD)-Aktivität und gleichzeitig erhöhte Hirnlipidperoxidation (LPO). (4)Metab Brain Dis. 2015 Feb;30(1):83-92. doi: 10.1007/s11011-014-9578-4 Bei chronischer Cadmiumvergiftung treten Nierenschäden auf und das Risiko für Nierenkrebs und Lungenkrebs (Raucher) ist erhöht (5)Arh Hig Rada Toksikol. 2011 Mar;62(1):65-76. doi: 10.2478/10004-1254-62-2011-2075. Es besteht ein Stoffwechselantagonismus von Cadmium und Magnesium, der hypothetisch zu einer Therapie ausgenutzt werden könnte. Eine Mg-Supplementierung hemmt die Cd-Aufnahme, -Akkumulation und -Toxizität im Körper. (6)Magnes Res. 2010 Mar;23(1):19-26 (7)Arh Hig Rada Toksikol. 2011 Mar;62(1):65-76
Exposition: Zigarettenrauch, Metalle, Galvanik, Batterien (NiCd).
Nachweis in Vollblut oder Urin.
Therapie: Antioxidantien werden zur Vorbeugung von Cadmium-induzierter endothelialer Dysfunktion vorgeschlagen. Experimentelle Studien zeigten, dass Ascorbinsäure und Curcumin positive Auswirkungen hatten (8)Curr Pharm Des. 2020;26(30):3667-3675. Eine Untersuchung zeigte, dass der Pflanzenstoff Morin (ein Pentahydroxyflavone) in Tiermodellen wirksam ist. Es linderte den Cd-induzierten oxidativen Stress in der Leber durch die Hochregulierung der Expression von Antioxidantien (SOD, GSH, Gpx, CAT und Nrf2) und die Verringerung der Expression von ER-Stressmarkern. (9)Biol Trace Elem Res. 2024 Jan 19. doi: 10.1007/s12011-024-04064-0
Quecksilber
Exposition: Thermometer, chemische Industrie, Amalgam-Zahnfüllung.
Wirkung: bei akuter Quecksilbervergiftung: Bronchopneumonien, Gastroenteritis, Nierenversagen. Symptome bei chronischer Quecksilbervergiftung: Ulzerationen der Mundschleimhaut, ZNS- und Nierenbeteiligung. Nachweis im Blut oder Urin.
Blei
Wirkungen: Blei ist eines der wichtigsten Industriegifte. Im Körper interagiert es mit dem Erbgut; es ist genotoxisch (10)Med Sci Monit. 2018 Jun 22;24:4295-4304. Und es reagiert mit einer Reihe von Proteinen (eine Arbeit hat 23 Proteine identifiziert), die verschiedene Stoffwechselwege beeinflussen. Dazu gehören die Hämsynthese (Bildung von rotem Blutfarbstoff und von Myoglobin, dem Sauerstoffträger im Muskel), dem Kalziumstoffwechsel (mit Auswirkung auf den Knochen), der Neurotransmission (mit Auswirkungen auf das Gehirn). Blei wird als Phosphat fest in den Knochen eingebaut und hat so eine hohe Halbwertszeit von ca. 10 Jahren. Organische Bleiverbindungen sind aufgrund der Lipophilie v. a. neurotoxisch. Die Wirkungen sind vielfältig und lang anhaltend. (11)Crit Rev Toxicol. 2018 May;48(5):375-386
Symptom-Trias bei Bleivergiftung: Anämie (Erythrozyten mit Heinz-Körpern), Darmkoliken und Lähmungen (v.a. Nervus radialis mit Fallhand).
Labor: Tüpfelzellen im Blutaustrich (basophile Tüpfelung der Erythrozyten).
Pathogenetisch liegt eine Hemmung der delta-Aminolävulinsäure zugrunde, die zu einer Blockierung der Hämsynthese führt (Anämie, gesteigerte ALA-Ausscheidung im Harn.)
Exposition: Blei kommt vor z. B. in Autobatterien, Farben, Rostschutzanstrichen, Rohrleitungen, Metalllegierungen.
Nachweis nur im Vollblut, da es zu 95 % an Erythrozyten gebunden vorliegt.
Therapie: Optimal wäre eine Chelat-Therapie, die Blei aus seinen Verbindungenherauslöst und ausscheidungsfägig macht. (12)Minn Med. 1992 Nov;75(11):25-7 Eine Arbeit berichtet über eine kurzfristige Wirksamkeit von oraler Dimercaptobernsteinsäure (DMSA) bei Kindern mit leichter bis mittlerer Bleivergiftung. Bei 80 Prozent kam es zu einer Reduktion von 20 % oder mehr ohne wesentliche Nebenwirkungen. (13)Pediatrics. 1995 Oct;96(4 Pt 1):683-7 Es ist als Succimer zugelassen für die Behandlung von Schwermetallintoxikationen. Es bindet auch Arsen und Quecksilber (14)Clin Pharm. 1991 Dec;10(12):914-22 (15)Am Fam Physician. 1993 Dec;48(8):1496-502.
Chrom
Je höher die Oxidationsstufe des Chroms in seiner Verbindung, desto stärker kanzerogen wirkt es.
Exposition: Galvanik, Farbstoffe, Legierungen, Glasindustrie, Zement.
Wirkung: Ulkus der Nasenscheidewand durch Fingerkontamination (starke Ätzwirkung). Inhalativ führt es zur Chromstaublunge und zum Lungenkarzinom. Allergisches Kontaktekzem. Nachweis im Blut oder Urin.
Benzol
Exposition: Benzin enthält Benzol (laut EU-Vorschrift maximal 1%); auch entsteht es bei Verbrennung von Benzin. Zigarettenrauch. Einige Lösungsmittel.
Wirkung: Bei Benzolvergiftungen wird durch Epoxide als Abbauprodukte v.a. das blutbildende System geschädigt. Es führt zu Leukämien (besonders die akute myeloische Leukämie AML, auch CML). Agranulozytose.
Arsen
Exposition: bis zu den 50er Jahren Pestizid. Kontamination des Grundwassers.
Wirkung: Stark lebertoxisch: Leberverfettung, Leberzirrhose, hepatozelluläre Karzinome, Hyperkeratosen der Hand- und Fussflächen bis zu Hautkrebs.
Tetrachlormethan
Exposition: Lösungsmittel in Ölen und Harzen.
Wirkung: stark leberschädigend.
Aromatische Amine
Wirkung: Krebs der harnableitenden Wege (z. B. Blasenkrebs).
Trichlorethylen
Wirkung: Humankanzerogen: Nierenzellkarzinome
Styrol
Wirkung: irritativ-toxische Reizung der oberen Atemwege. Toxische Hirnschädigung (Enzephalopathie). Reversible narkotische Effekte.
Nitrobenzol
Wirkung: Durch Metabolisierung von Nitrobenzol entsteht Methämoglobin, was aufgrund des dreiwertigen Eisens den gebundenen Sauerstoff nicht mehr im Gewebe an die Zellen abgeben kann. Es führt zu einer blauschwärzlichen Zyanose, ab ca. 60 % MetHb Konzentration im Blut kommt es zum Kollaps und Tod.
Cyanide
Wirkung: Bei der Cyanidvergiftung kommt es durch Wirkung der Blausäure zu Reizerscheinungen der oberen Luftwege, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot.
Bittermandelgeruch und rosige Hautfarbe typisch!
Teer
Wirkung: Spinozelluläre Karzinome der Haut (Spinaliome), Basaliome
Vergiftungen durch schädliche Stäube
Hartholzstaub
Wirkung: Adenokarzinom (maligner Tumor von Drüsen ausgehend) der Nasenhöhle und Nasennebenhöhlen.
Asbest
Wirkung: Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose). Mesotheliom des Peritoneums, des Pericards oder der Pleura. Lungenkarzinom. Larynxkarzinom.
Feinstaub
Quarzstaub
Wirkung: tubuläre und glomeruläre Nierenschädigung mit Niereninsuffizienz.
Vergiftungen durch biologische Substanzen
Pflanzliche und tierische Gifte können zu akuten und chronischen Gesundheitsstörungen führen. Sie führen zu toxischen Organschäden und Funktionseinbußen, die mehr oder weniger ausgeprägt oder gar lebensbedrohlich sein können.
Beispiele für pflanzliche Gifte sind die verschiedenen Pilzgifte. Beispiele für tierische Gifte sind Insektengifte und Schlangengifte.
Vergiftungen durch Medikamente
Sie sind sehr häufig, haben unterschiedliche Auswirkungen und können tödlich enden. Entsprechende Warnhinweise sind auf den Beipackzetteln vermerkt. Eine Übersicht über z. B. in Brasilien gemeldete Fälle sind hier zu finden. (16)Rev Bras Epidemiol. 2019 Apr 1;22:e190018. doi: 10.1590/1980-549720190018.
Vergiftung durch toxische Stoffwechselprodukte
- Bei einer Nierenisnuffizienz kommt es zu Schädigungen durch Harnstoff, Harnsäure und andere ausscheidungspflichtige Substanzen. Die Folgen sind unter “Niereninsuffizienz” beschrieben.
- Bei einer Leberinsuffizienz kommt es zu einer Schädigung des Körpers durch Substanzen, die normalerweise durch die Leber über die Galle in den Darm ausgeschieden werden. Dazu gehört Bilirubin. Die Folgen sind unter “obstruktive Cholestase” beschrieben.
- Bei einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Darms, z. B. bei bakteriellen Durchfallerkrankungen, beim Blind-Loop-Syndrom oder bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten, kommt es zu einer Überschwemmung des Körpers mit Endotoxinen, die zelluläre und immunologische Abwehrreaktionen, Entzündungen und vielfältige Organreaktionen hervorrufen. Zu Endotoxinen siehe hier.
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
Literatur