Die Thalassämie gehört zu den häufigsten genetisch bedingten Erkrankungen.
Allgemeines
Die Thalassämie ist bei Menschen aus dem Mittelmeerraum oder bei denjenigen, deren Vorfahren aus diesem Raum stammen, eine häufig anzutreffende Form der Blutarmut (Mittelmeeranämie). Es handelt sich um eine Fehlbildung des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, bei der die Bildung des Globinteils gestört ist (siehe auch hier). Wie die Sichelzellanämie scheint die Thalassämie einen evolutionären Vorteil in Malariagebieten gebracht und sich daher dort ausgebreitet zu haben 1.
Es werden zwei große Gruppen der Thalassämie unterscheiden:
- die Alpha-Thalassämie (α-Thalassämie) mit Mutationen auf Chromosom 16 und
- die Beta-Thalassämie (β-Thalassämie) mit Mutationen auf Chromosom 11.
Für jede der Formen ist inzwischen eine Vielzahl an Mutationen bekannt; die meisten von ihnen werden rezessiv vererbt. Fast alle führen zu einer Bildungsstörung des Hämoglobins mit ausgeprägter Blutarmut (Anämie).
Alpha-Thalassämie
Die Alpha-Thalassämie ist selten. Sie ist bei Homozygotie und Mutation aller 4 Alpha-Gene mit dem Leben nicht vereinbar; es kommt zum Fruchttod. Ist jedoch eines der Gene noch intakt, wird genügend funktionsfähiges Hämoglobin gebildet, was je nach Ausprägung zur HbH-Krankheit, einer leichten Form der Thalassämie, führen kann. Wenn 2 oder 3 Gene noch funktionsfähig sind, ist nicht mit einer nennenswerten Symptomatik zu rechnen.
Beta-Thalassämie
Die Beta-Thalassämie ist die häufigste Form einer Thalassämie und tritt in einer heterozytgoten Minor- und einer homozygoten Major-Form auf. Die klinischen Manifestationen sind wegen der Verschiedenartigkeit der Genvarianten vielfältig 2.
Thalassämia minor
Diese Form der Thalassämie ist symptomlos oder symptomarm. Sie ist durch Heterozygotie eines Beta-Thalassämie-Gens bedingt und ist auf eine Fehlproduktion einer ß-Globinkette zurückzuführen. Gelegentlich ist eine geringfügige Milzvergrößerung (Splenomegalie) feststellbar. Wenn beide Eltern heterozygot sind, kann es bei Nachkommen zu einer Thalassämia major kommen, der schweren Form der Thalassämie.
Thalassämia major
Diese Form ist durch Homozygotie der Beta-Thalassämie-Gene verursacht. Die Beta-Globinketten des Hämoglobins können nicht mehr gebildet werden und es entsteht eine ausgeprägte Anämie, die durch Targetzellen (Schießscheibenerythrozyten) im Differenzialblutbild auffällt. Das Knochenmark bildet kompensatorisch vermehrte, jedoch durch fehlerhafte Hämoglobinsynthese defekte Erythrozyten, die vom retikuloendothelialen System (RES), insbesondere von der Milz, rasch wieder entsorgt werden.
Symptome und Komplikationen
Durch ständige Entsorgung pathologischer Erythrozyten und von Erythrozyten aus Bluttransfusionen kommt es zu einer erheblichen Hyperplasie des RES und einer Vergrößerung der Milz (Splenomegalie). Dadurch steigt die Gefahr einer Milzruptur. Früher wurde daher häufig eine Splenektomie (operative Milzentfernung) durchgeführt.
Makrophagen des RES setzen aus dem abgebauten Hämoglobin Eisen frei, was zu einer ausgeprägten Hämosiderose der Organe führt (siehe auch unter Eisenstoffwechsel). Es kommt zu einer erworbenen Eisenüberladung des Körpers, die der Eisenüberladung einer Hämochromatose gleicht und in der Leber zu einer Zirrhose führen kann. Die Eisenüberladung der Herzmuskulatur führt zu einer Herzinsuffizienz, diejenige in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zur Entstehung eines Diabetes mellitus durch Zerstörung der Inselzellen.
Bei der Thalassämie kommt es zu einer sekundären Osteoporose und zu Gonadenstörungen.
Diagnostik
Eine schwere, hypochrome mikrozytäre und ständig transfusionsbedürftige Anämie bei jungen Menschen weist auf die Diagnose einer Thalassämia major, insbesondere wenn auch andere Familienmitglieder unter einer Anämie leiden. Die erythropoetische (Erythrozyten bildende) Reihe im Knochenmark (Knochenmarkpunktion) ist hyperaktiv.
Bei allen Personen mit mikrozytärer hypochromer Anämie und fehlendem Eisenmangel sollte die Diagnose einer β-Thalassämie in Betracht gezogen werden.
Zur Diagnostik gehören der Nachweis von eventuellen Folgen einer Eisenüberladung (siehe hier) und die Kontrolle der Eisenparameter, vorwiegend des Ferritins.
Zu den Laborwerten, die zu kontrollieren sind, gehören Parameter der Hämolyse (Haptoglobin, freies Hämoglobin), da sie die Anämie verstärken kann und das thromboembolische Risiko erhöht.
Die Diagnose kann durch molekulargenetische Analyse der bekannten Hämoglobin-Gene untermauert werden. Eine solche Analyse kann auch sinnvoll sein, wenn bei klinisch Gesunden mit familiärer Belastung Kinderwunsch besteht.
Genetik
Eine genetische Analyse bestätigt den Verdacht auf eine Thalassämie und spezifiziert den Typ. Die β-Globin-Kette (HBB) befindet sich auf Chromosom 11 an der Position p15.5. Bei Patienten mit β-Thalassämie sind mehr als 400 HBB Varianten beschrieben worden. Im Gegensatz zur α-Thalassämie, die hauptsächlich durch größere Deletionen in den HBA1- und HBA2-Genen verursacht wird, findet man bei den meisten HBB-Varianten Punktmutationen 2.
Therapie
Aus klinisch praktischen Gründen wurde eine Klassifizierung eingeführt, die sich nach der Transfusionsbedürftigkeit richtet: die transfusionsabhängige Thalassämie (TDT) und die nicht-TDT (NTDT). Patienten mit TDT benötigen regelmäßig und lebenslang Bluttransfusionen, die bereits vor dem Alter von 2 Jahren beginnen. Patienten mit NTDT benötigen Bei TDT sind regelmäßige Erythrozytentransfusionen, in der Regel alle 2 bis 5 Wochen erforderlich. Ziele dabei sind 3 2
- die Aufrechterhaltung des Hb-Wertes vor der Transfusion (> 9 g/dl bis 10,5 g/dl) erforderlich, um die Anämie zu korrigieren,
- die ineffektive Erythropoese zu unterdrücken und
- die erhöhte gastrointestinale Eisenabsorption zu verhindern.
Thalassämia minor
Sie braucht in der Regel nicht behandelt zu werden.
Die Thalassämia major
Sie ist wegen der Blutarmut in aller Regel symptomatisch. Die Behandlungsindikation hängt von der Ausprägung der Anämie ab.
Bluttransfusionen: Bei den Formen, bei denen eine Anämie nur langsam zunimmt, werden Transfusionen meistens zurückhaltend in größeren Abständen durchgeführt, um den Prozess einer Eisenüberladung nicht unnötig zu beschleunigen. Bei den im Laufe des Lebens notwendigen multiplen Transfusionen steigt das kumulative Risiko einer Infektionsübertragung gering an; in Indien und Pakistan beispielsweise scheint das Hauptproblem in der nicht völlig vermeidbaren Infektion mit Hepatitisviren zu liegen, während HIV keine Rolle spielt 4 5.
Bei einer Thalassämie sind die (bei einer familiären Hämochromatose indizierten) Aderlässe zur Senkung der transfusionsbedingten Eisenüberladung kontraindiziert (verboten), da sie die sowieso kritische Anämie lebensbedrohlich verstärken würde. Es kommen nur Methoden der Bildung von Eisenkomplexen (z. B. mit Chelatbildnern, wie Desferrioxamin-Infusionen (Desferal)), die über die Nieren oder die Galle ausgeschieden werden können, in Betracht.
Hämatopoetische Stammzelltransplantation: Heute wird bei geeigneten Patienten mit einer Thalassämie und schwerer, ständig transfusionspflichtiger Anämie meist schon im frühen Kindesalter (mittleres Alter in Studien meist 6 – 7 Jahre) eine hämatopoetische Stammzelltransplantation des Knochenmarks durchgeführt. Sie führt bei Erfolg zur klinischen Heilung; die Betroffenen bleiben jedoch Genüberträger, was bei späterem Kinderwunsch berücksichtigt werden muss. Eine Stammzelltransplantation birgt jedoch einige Risiken; heute kann ein 3-Jahresüberleben von über 90 % erreicht werden 6. In einer französischen Langzeitstudie wurde ein 15-Jahresüberleben von 87 % und ein Thalassämie-freies Überleben von 69 % festgestellt 7.
Gentherapie: Eine neue und Erfolg versprechende Therapie für transfusionsabhängige Formen ist die Einbringung von Zellen mit dem gesunden Gen für den Globinanteil des Hämoglobins. Nach Transfusion speziell vorbereiteter CD34+-Zellen (durch einen viralen Vektor mit dem gesunden Gen beladen), so verschwindet oder reduzieren sich die fehlerhafte Blutnachbildung, die krankheitsbedingte Hämolyse und die regelmäßige Transfusionspflichtigkeit. Nach im Mittel etwas über 2 Jahren benötigten 12 von 13 so behandelter Patienten keine Blutkonserven mehr. 8
Ein Problem für die Therapie stellt das Ungleichgewicht zwischen α-/ß-Globin dar, das durch das defekte ß-Globin entsteht. Eine Herunterregulierung von überschüssigem α-Globin durch CRISP-basiertes Genome Editing kann das α/β-Globin-Ungleichgewicht verbessern. So sind weitere Fortschritte zu erwarten sind 9.
Verweise
Referenzen
- Proc Assoc Am Physicians. 1999 Jul-Aug;111(4):278-82[↩]
- World J Clin Cases. 2025 Apr 6;13(10):100223. doi: 10.12998/wjcc.v13.i10.100223[↩][↩][↩]
- Lancet. 2018 Jan 13;391(10116):155-167. doi: 10.1016/S0140-6736(17)31822-6[↩]
- Asian J Transfus Sci. 2012 Jul;6(2):151-4[↩]
- J Coll Physicians Surg Pak. 2012 Sep;22(9):610-1[↩]
- Blood. 2012 Nov 8;120(19):3875-81. doi: 10.1182/blood-2012-03-417998[↩]
- Galambrun C Biol Blood Marrow Transplant. 2012 Aug 11. [Epub ahead of print][↩]
- N Engl J Med 2018; 378:1479-1493 DOI: 10.1056/NEJMoa1705342[↩]
- Front Genome Ed. 2021 Sep 30;3:752278. doi: 10.3389/fgeed.2021.752278[↩]