Inhaltsverzeichnis
- 1 Allgemeines
- 2 Vorsorgekoloskopie: wann?
- 3 Bedeutung von Darmpolypen
- 4 Unvollständige linksseitige Koloskopie
- 5 Effektivität und Komplikationen
- 6 Komplikationen
- 7 Werbung für die Vorsorgekoloskopie
- 8 Qualitätskontrolle
- 9 Kontrolluntersuchung bei Normalbefund: wann?
- 10 Weitere Entwicklung: liquid biopsy
- 11 Verweise
Allgemeines
Vorsorgekoloskopie bedeutet Dickdarmspiegelung zur frühzeitigen Erkennung von Krebs oder Krebsvorstufen im Dickdarm (kolorektales Karzinom, KRK). Sie senkt das Krebsrisiko in einer Studie bei einer Überwachungsgdauer von 15 Jahren um über 50% gegenüber der nicht kontrollierten Bevölkerung! (1)NEJM 2012;366:687-696 Die Vorsorgespiegelung gilt als die aussagekräftigste Methode zur Darmkrebsvorsorge. (2)Clin Endosc. 2018 Jan;51(1):37-49. doi: 10.5946/ce.2017.141.
Die AWMF-Leitline “Kolorektales Karzinom” (2019; siehe hier) gibt in 6.1. folgendes Statement ab:
“Die komplette Koloskopie stellt das Standardverfahren zur Detektion kolorektaler Polypen und Karzinome dar. Sie besitzt die höchste Sensitivität und Spezifität für das Auffinden eines KRK und von kolorektalen Polypen.” |
→ Darmkrebs – einfach erklärt: siehe hier.
→ Dickdarmspiegelung siehe hier.
Vorsorgekoloskopie: wann?
Eine Vorsorgekoloskopie zur Erkennung von sporadischem Darmkrebs sollte durchgeführt werden
- ab dem vollendeten 50. Lebensjahr, sofern nicht eine genetische bzw. familiäre Belastung vorliegt (siehe unten),
- nach vollständiger Entfernung gutartiger Darmpolypen, wobei Größe, Zahl und Entartungsgrad für die Empfehlung ausschlaggebend sind. Beispielsweise ist bei Patienten mit 1 – 2 Adenomen (dysplastische Polypen) unter 1 cm Durchmesser ohne höhergradige Entartungen eine Kontrollkoloskopie laut AWMF-Leitlinie 2014 nach 5 Jahren ausreichend. Hyperplastische Polypen (Polypenknospen)
- nach unauffälliger Koloskopie nach 10 Jahren erneut,
- bei den genetisch verankerten Darmkrebsarten HNPCC und FAP bereits deutlich früher und häufiger (siehe dort).
Die Vorsorgekoloskopie ist zu differenzieren von der diagnostischen Koloskopie zur Abklärung von Symptomen, wie sie gehäuft bei Darmkrebs vorkommen (siehe hier).
Aktuelle Leitlinie
Folgende Richtlinie wurde von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) zum 1.10.2018 erarbeitet (3)Empfehlungen der DGVS zur Vorsorgekoloskopie:
- Versicherten steht ein organisiertes Screening-Programm, d.h. eine regelmäßige Einladung verbunden mit begleitenden Informationen der Versicherten über die jeweilige Untersuchung, den Datenschutz und Widerspruchsrechte, die Durchführung der Untersuchungen sowie eine Programmbeurteilung zur Verfügung.
- Zur Früherkennung von Darmkrebs können, wie bisher, Tests auf nicht sichtbares Blut im Stuhl und Darmspiegelungen in Anspruch genommen werden.
- Da wissenschaftliche Daten zeigen, dass Männer im Vergleich zu Frauen ein höheres Risiko haben, an Darmkrebs zu erkranken, wird Männern künftig bereits ab einem Alter von 50, und nicht wie bisher ab 55 Jahren, eine Darmspiegelung angeboten.
- Im Alter von 50 bis 54 Jahren können Frauen und Männer jährlich einen immunologischen Test (iFOBT) auf okkulte (nicht sichtbare) Blutspuren im Stuhl durchführen lassen.
- Ab einem Alter von 50 Jahren haben Männer Anspruch auf zwei Früherkennungskoloskopien (Darmspiegelungen) im Mindestabstand von zehn Jahren.
- Ab einem Alter von 55 Jahren haben Frauen Anspruch auf zwei Früherkennungskoloskopien im Mindestabstand von zehn Jahren. Ab einem Alter von 55 Jahren haben Frauen und Männer alle zwei Jahre Anspruch auf einen immunologischen Test (iFOBT), solange noch keine Früherkennungskoloskopie in Anspruch genommen wurde.
- Bei auffälligen Stuhltests besteht der Anspruch auf eine Abklärungskoloskopie.“
Bei wem eine frühzeitige Vorsorge- oder Kontrollkoloskopie erfolgen sollte
Vorsorgeuntersuchungen sollten sehr viel frühzeitiger erfolgen bei
- familiäre Belastung mit Darmkrebs (siehe unter FAP und HNPCC),
- Colitis ulcerosa: die chronische Entzündung des Dickdarms bedeutet ab einer Laufzeit von etwa 10 Jahren ein deutlich ansteigendes Krebsrisiko (siehe hier),
- Polyposis des Kolons: wenn in der Darmschleimhaut ganz besonders viele Polypen wachsen, so ist eine genetische Grundlage dafür anzunehmen. Hier besteht ein sehr hohes Risiko für früh entstehenden Darmkrebs. Diese Sonderformen sind die FAP und das Gardner-Syndrom.
Der Arzt sollte wegen der unterschiedlichen Krebsrisiken individuell beraten!
Bedeutung von Darmpolypen
Darmpolypen sind Schleimhautwucherungen, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten. Meist handelt es sich bei kleinen Polypen um sog. “hyperplastische Polypen”, die noch keine besonderen Unregelmäßigkeiten der Schleimhaut aufweisen. Sie sollten jedoch aus diagnostischen Gründen alle abgetragen werden, denn erst die Histologie (Untersuchung unter dem Mikroskop ergibt den vorliegenden Schleimhauttyp.
Ist die Schleimhaut unregelmäßig, so handelt es sich um eine Schleimhautdysplasie. Erst sie bedeutet ein gewisses Risiko zu einer Krebsentartung. Dysplastische Polypen findet man gehäuft unter den größeren Polypen, besonders ab einer Größe über 1 cm.
Da auch kleine Polypen zu einer solchen Größe heranwachsen können, sollten alle vorsorglich endoskopisch entfernt werden. Eine Nachkontrolle ist bei solchen “sporadischen” Polypen erst alle 10 Jahre erforderlich (dazu siehe hier).
AI-basierte Diagnosehilfe
Die makroskopische Einordnung von Dickdarmpolypen in verschiedene Typen, kann u. U. schwierig sein. Ein Bilderkrennungsprogramm (AI-basiert) soll helfen einen Polypen in ein traditionelles Adenom, sessiles serratiertes Adenom und einen hyperplastischen Polypen zu klassifizieren. (4)BMC Gastroenterol. 2024 Mar 5;24(1):99. doi: 10.1186/s12876-024-03181-3
Unvollständige linksseitige Koloskopie
Da die meisten Polypen und Darmtumoren im linken Teil des Dickdarms entstehen, ist die “Linkskoloskopie” oder “Sigmoideoskopie” am wichtigsten (5)J Natl Cancer Inst. 2010 Jan 20;102(2):89-95. Sie alleine bewirkt bereits die entscheidende Reduzierung des Karzinomrisikos durch die Vorsorgespiegelung (mit Entfernung zufällig gefundener Polypen). Eine Spiegelung des rechten Dickdarms dagegen erhöht die vorbeugende Wirkung statistisch nicht weiter.
Auch wenn nur eine einmalige Sigmoideoskopie (distale Darmspiegelung nach Reinigung durch einen Einlauf) durchgeführt wird, so wirkt sich diese Untersuchung statistisch effektiv vorbeugend aus. In einer Studie über 17 Jahre wurde die Krebsrate um über 30% gesenkt (6)The Lancet Volume 389, No. 10076, p1299–1311, 1 April 2017, DOI: … Continue reading.
Effektivität und Komplikationen
In einer multinationalen Studie (2016) zur Vorsorgekoloskopie bei Menschen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren wurden folgende wesentlichen Ergebnisse erzielt (7)JAMA Intern Med. 2016 May 23. doi: 10.1001/jamainternmed.2016.0960. [Epub ahead of print]:
- Die Bereitschaft zur Teilnahme war in den verschiedenen Ländern unterschiedlich: in Norwegen 60,7%, in Schweden 39,8 %, in Polen 33 %, in den Niederlanden 22,9 %.
- Das Coecum wurde in 97,2 % erreicht (vollständige Koloskopie; Vorgabe waren 95 %; sie wurde von 6 von 35 Untersuchern nicht erreicht).
- Eine Darmperforation wurde in 1 und eine Blutung (nach Polypektomie) in 18 von 12574 Untersuchungen gemeldet (0,01 %).
- Gefunden wurden bei 12 574 Untersuchungen 62 Kolonkarzinome (0,5 %) und 3861 Adenome (30,7 %), darunter 1304 (10,4 %) Hochrisikoadenome. (Als Vorgabe galt eine Polypen-Entdeckungsrate von mindestens 25 %! Sie wurde von 10 von 35 Endoskopikern nicht erreicht.)
- Schmerzen nach der Endoskopie traten bei 601 von 3611 Teilnehmern (16.7 %) auf, die eine Luftinsufflation erhalten hatten, und bei 214 von 5144 Teilnehmern, die eine CO2-Gasinsufflation erhalten hatten.
Damit bestätigt sich die Effektivität einer Vorsorgekoloskopie in dieser Studie. Die Abwägung von Nebenwirkungen und Komplikationen spricht eindeutig für ihre Durchführung. Zur Aufdehnung des Darmlumens sollte wegen der rascheren Resorption allerdings CO2 statt Luft bevorzugt werden.
Effektivität
Für die vollständige Koloskopie zeigt eine Untersuchung, dass 5 Jahre nach der ersten Vorsorgekoloskopie die Wahrscheinlichkeit für ein inzwischen entstandenes fortgeschrittenes Adenom nur 1,3 % beträgt (8)NEJM 2008; 359: 1218-1224. Dies bedeutet ein nur geringes Risiko. Die Untersuchung bestätigt, dass die bei einer Vorsorgekoloskopie durchgeführte Abtragung zufällig gefundener Polypen vorbeugend wirksam ist. Die Wahrscheinlichkeit für ein fortgeschrittenes Adenom (Krebsvorstufe) unterschied sich nicht signifikant zwischen Patienten ohne Adenom in der ersten Endoskopie und solchen mit anfänglich hyperplastischen Polypen.
In einer multinationalen Studie (2022), bei der 11843 Menschen zwischen 55 und 64 Jahren sich einer Screening-Spiegelung unterzogen hatten, fanden sich in einem 10-jährigen follow-up deutlich weniger Krebsfälle als bei 56365 nicht untersuchten Kontrollen (259 vs. 622 Fälle von Darmkrebs). Eine Darmperforation war bei niemandem aufgetreten. Das Darmkrebsrisiko nach 10 Jahren wurde zu 0,98 % vs. 1,20 % berechnet. Um einen Fall von Darmkrebs zu verhindern, ist es demnach nötig, 455 Menschen dieser Altersgruppe endoskopisch zu untersuchen. (9)N Engl J Med. 2022 Oct 9. DOI: 10.1056/NEJMoa2208375
Komplikationen
Eine große kalifornische Studie (2018) zum Thema schwerwiegende Komplikationen lief zwischen 2005 und 2011 an insgesamt 1,58 Millionen Patienten im Alter von durchschnittlich 60,4 Jahren. Sie kam zu folgenden Ergebnissen: Auf 10.000 Personen ereigneten sich 5,3 untere Darmblutungen (= 0,00053%), 2,9 Perforationen des Darms, 2,5 Herzinfarkte und 4,7 Schlaganfälle. Werden bei der Spiegelung Gewebeproben (Biopsien) entnommen, so waren es 34,6 untere Darmblutungen, 6,3 Perforationen, 4,2 Herzinfarkte und 9,1 Schlaganfälle. Das Risiko für eine schwerwiegende Komplikation stieg ab einem Alter 70-79-Jährigen (RR=1,57) und lag bei über 80-Jährigen bei RR=2,43. Die Autoren meinen, dass die Ereignisse nicht zu vernachlässigen seien, dass sie sich aber in einem ähnlich niedrigen Bereich bewegen würden wie andere vergleichbar gering riskante Eingriffe (wie z. B. Gelenkinjektionen, Arthroskopien, Carpaltunnel- oder Kataraktoperationen). (10)Gastroenterology 2018; 154:540-555 DOI: https://doi.org/10.1053/j.gastro.2017.10.006
Werbung für die Vorsorgekoloskopie
Die Vorsorgekoloskopie wird zu wenig genutzt (ca. nur 1,5% der Zielgruppe). Die Häufigkeit, mit der verdächtige Befunde entdeckt werden, ist zu wenig bekannt; und das Risiko einer Untersuchung wird deutlich überschätzt. In einer Zusammenstellung von 245000 Untersuchungen fand man in etwa 26% der Untersuchten eine kolorektale Läsion; bei 1,3% Karzinome! Die Komplikationshäufigkeit der Koloskopie lag weit unter 1% (0,22% Blutungen, 0,03% Darmperforationen, 0,06% kardiorespiratorische Komplikationen. (11)Dtsch Arztebl 2008; 105: 434-440
Qualitätskontrolle
Um eine möglichst effektive Vorsorge zu erhalten, sollte der durchführende Arzt eine möglichst gute Untersuchungstechnik und viel Erfahrung haben. Er sollte laut Anforderungen der einschlägigen Literatur
- zu mindestens 95% den gesamten Dickdarm besichtigen, d.h. das Coecum (entferntester Teil des Dickdarms) erreichen,
- in mindestens 20% Polypen entdecken und entfernen. Dies erreicht man am besten, wenn die Rückzugszeit mindestens 7 Minuten beträgt.
Ärzte reduzieren das Krebsrisiko ihrer Patienten deutlich, wenn sie diese Standards erfüllen! Liegt die Rate der Adenomerkennung unter 20%, so steigt die Krebshäufigkeit um den Faktor 10. (12)NEJM 2010;362:1795-1803
Die Erkenntnis, dass auch serratierte Polypen eine Präkanzerose darstellen, führt zur Forderung, dass auch die Zahl der bei einer Koloskopie entdeckten Polypen dieser Art in die Qualitätskontrolle einfließen sollte. Die Prävalenzraten von 2 % for SSL (sessile serratierte Läsionen) und 10 % für proximale serratierte Polypen werden als Anhaltspunkte vorgeschlagen. (13)Endosc Int Open. 2021 Apr;9(4):E610-E620. DOI: 10.1055/a-1352-4095. Epub 2021 Apr 13. PMID: … Continue reading
Kontrolluntersuchung bei Normalbefund: wann?
Eine große Studienauswertung 2019 (insgesamt 1 251 318 Teilnehmer ohne erhöhtes Krebsrisiko, 50 – 75 J) zeigt, wie wirksam eine Vorsorgespiegelung ist. Wer keinen auffälligen Befund hat, dessen Darmkrebsrisiko bleibt lange niedrig: gegenüber einer Vergleichsgruppe lag es nach 10 Jahren immer noch um 46% niedriger! Die Leitlinienempfehlung einer neuerlichen Vorsorgekoloskopie (bisher 10 Jahre nach einer ersten Spiegelung) wird die lang anhaltende Senkung des Risikos berücksichtigen müssen; es läuft wohl auf ein längeres Intervall hinaus. (14)JAMA Intern Med. 2019;179(2):153-160. doi:10.1001/jamainternmed.2018.5565
Weitere Entwicklung: liquid biopsy
Die Vorsorgekoloskopie ist aufwändig und patientenbelastend. Dies ist der Hauptgrund, weshalb sie nicht massentauglich ist. Neue Entwicklungen gehen in die Richtung massentauglicher Tests aus Blut- und Stuhlproben. Es werden biochemische Marker gesucht, die eine ausreichend hohe Sensitivität und Spezifität für prämaligne Darmpolypen und Darmkrebs aufweisen. Als solche scheinen zirkulierende Tumor-DNA im Blut aussichtsreich zu sein. In einer Multiplexanalyse verschiedener dieser DNA aus eine “liquid biopsy” (Blutprobe) wurde bereits eine Sensitivität und Spezifität von 885 und 83 erzielt. (15)Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Feb 2;118(5):e2017421118. DOI: 10.1073/pnas.2017421118
→ Liquid Biopsy
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Verweise
Patienteninfos
Literatur