Beta2-Mikroglobulin (ß2-Microglobulin, ß2M) wird als Marker für Nierenkrankheiten und als Tumormarker verwendet. Es ist ein Protein der Zellmembran, das eine Reihe von Funktionen erfüllt, insbesondere in der Abwehr von fremden und allergen wirkenden Substanzen (s. u.).
Nachweis, Normbereich
Beta2-Mikroglobulin wird im Blut und im Urin durch einen Immunassay nachgewiesen.
Normwerte
im Serum:
- Erwachsene: 0,8 – 2,4 mg/l;
- Kinder bis 1,6 mg/l.
im Urin:
- oberer Grenzwert etwa 1,000 μg/L
Aussagekraft
Erhöhte Werte sind vieldeutig und nur als Verlaufsparameter einer bereits bekannten Diagnose aussagekräftig.
Nierenkrankheiten
ß2M spiegelt das Fortschreiten einer Nierenkrankheit in Richtung Urämie / Dialysepflichtigkeit wider 1 2. Es gilt als Surrogatmarker für Dialyse-assoziierte Amyloidose. Der β2-M-Serumspiegel ist laut einer Studie ein signifikanter Prädiktor (Voraussagewert) für die Gesamtmortalität (AUC = 0,898; p <0,001; Grenzwert: 74,9 mg / l, Sensitivität = 93,3%, Spezifität = 92,9%). 3 Bei der IgA-Nephropathie kann die Urinausscheidung von ß2M als prognostischer Marker verwendet werden. 4 Bei der tubulointerstitiellen Nephritis mit Uveitis kann ß2M als Marker für den Verlauf dienen. 5 6
Lupus erythematodes
Der ß2M-Spiegel reflektiert den Schweregrad eines systemischen Lupus erythematodes nach dem „SLEDAI-2K disease activity index“ 7.
Kardiale Amyloidose
ß2M kann in der Frühphase einer Amyloidose der Herzmuskulatur als Marker dienen. 8
Viruserkrankungen
Beta2-Mikroglobulin reflektiert
- den Verlauf einer Hepatitis B, HBV/HCV-Koinfektion, HBV/HDV-Koinfektion 9 10, es kann bei einer asymptomatischen chronischen Hepatitis B anzeigen, wann eine Progredienz der Aktivität eintritt und eine Therapie eingeleitet werden sollte 11,
- die Progression einer HCV-Infektion 12,
- die Progression einer HIV-Infektion 13 14.
Tumore/ Malignome
Beta2-Mikroglobulin wird bei folgenden Malignomen erhöht gefunden:
Non-Hodgkin-Lymphome: ß2M wird als Tumormarker verwendet bei folgenden NHL: 15
- multiples Myelom 16,
- chronisch lymphozytische Leukämie,
- follikuläres Lymphom,
- Mantelzelllymphom,
- diffuses großzelliges Lymphom,
- akute myeloische Leukämie 17,
Hepatozelluläres Karzinom (HCC): ß2M kann als Marker für ein HCC dienen, und war in einer Untersuchung bereits positiv, als in bildgebenden Verfahren ein Tumor noch nicht erkennbar war. Die Eignung als Marker ist wertvoll, da die dem HCC zugunde liegenden Erkrankungen, wie eine chronische Hepatitis und eine Leberzirrhose keinen entsprechenden ß2M-Anstieg aufweisen. 18
Prostatakarzinom 19: ß2M stellt einen Wachstum-fördernden Faktor des Prostatakarzinoms dar. 20 Der Serumspiegel von ß2M korreliert eng mit der Ausdehnung und der Progredienz des Prostatakarzinoms, seinem Stadium, dem Gleason-Grad und dem Ansprechen einer Therapie; er eignet sich daher als Verlaufs- und Prognosemarker. 21
Plattenepithelkarzinome des Mundrachenraums 24
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Bedeutung des Molleküls, Allgemeines
ß2M ist Teil eines größeren Proteinkomplexes und stellt die leichtkettige Untereinheit des Haupt- (maior) Histokompatibilitätskomplexes Klasse 1 (MHC Klasse 1, humanes Leukozytenantigen, HLA) dar, welches auf der Zelloberfläche aller kernhaltiger Zellen vorkommt (99 Aminosäuren, MW 11,8 kDa). 25
Durch Turnover des MHC-Proteinkomplexes wird ß2M freigesetzt und gelangt ins Blut. Seine Konzentration im Blut stellt ein Maß für den Zellumsatz dar und dient diagnostisch als Marker für einige Krankheiten, wie der Niereninsuffizienz und spezieller Malignome (bösartige Wucherungen). Es wird in den Nieren glomerulär filtriert und in den Nierentubuli aufgenommen und abgebaut. Bei Krankheiten der Nieren kann der Abbau- und Ausscheidungsprozess gestört sein, so dass sich ß2M sich im Körper ansammeln kann.
Da sich ß2M zu Amyloidfäden zusammenfinden können, sind zu hohe Blutwerte ein Risiko für eine Amyloidose. Sie tritt besonders bei schwerer Niereninsuffizienz und Dialysepflichtigkeit auf (Dialyse-assoziierte Amyloidose). Durch Fortschritte in der Herstellung geeigneter Dialysemembranen ist die heute seltener geworden.
ß2M kann die Entstehung und Progredienz (das Weiterwachsen) von Tumoren fördern, so des Nierenzellkarzinoms 26 und des Prostatakarzinoms 20. Es fördert die Entstehung von Brustkrebs. Bei einigen Tumoren wird ß2M vermehrt exprimiert und freigesetzt und kann als Tumormarker für Verlauf und Prognoseabschätzung dienen (s. u.).
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Funktionen
Beta2-Mikroglobulin ist in eine Vielzahl von Funktionen involviert, insbesondere in die Regulation von Überleben und Proliferation von Körper- und Krebszellen, sowie von Metastasenbildung und Apoptose 25.
ß2M-Rolle bei der Immunantwort: Als Bestandteil des auf Zelloberflächen befindlichen MHC1 übt es eine bedeutende Rolle bei der Erkennung von körpereigenen und fremden Antigenen durch CD8-positive Lymphozyten (Suppressorzellen, zytotoxische T-Zellen) aus. Es hilft bei der Präsentation antigener Peptide aus intrazellulärem Proteinabbau für den Angriff der CD8-Lymphozyten, die eine immunologische Abwehrreaktion hervorrufen.
ß2M und Eisenstoffwechsel: HFE ist ein Protein, dessen Mutation in die Entwicklung einer Hämochromatose involviert ist. HFE wurde als β2-Mikroglobulin–abhängiges MHC-I–artiges Molekül identifiziert. 27 Der β2-m/HFE-Komplex schützt die Zellen gegen die Aufnahme und Ansammlung von Eisen durch Interaktion mit dem Transferrin-Rezeptor. So wird auch der Eisengehalt von Krebszellen negativ einreguliert. 28
Krankheiten des Nierenparenchyms führen zu einer vermehrten Ausscheidung mit dem Urin, schließlich zu einer Einschränkung mit Anstieg des Blutspiegels. Wenn eine Dialysepflichtigkeit erreicht wird, kann der Spiegel auf das 60-fache ansteigen. ß2M ist in diesen Konzentrationen für die Bildung einer Dialyse-assoziierten Amyloidose verantwortlich. 29 30
Amyloid-Bildung: Die bei Dialysepatienten früher häufige Amyloidose mit Komplikationen als Karpaltunnelsyndrom und Arthopathie (Gelenkaffektion) hat sich als fibrilläre Ablagerung von ß2M-Aggregaten herausgestellt. 31 Sie lässt sich durch intensive Dialyse bessern. 32 Epigallocatechin-3-gallate (EGCG) aus grünem Tee hemmt die Bildung von ß2M und von ß2M-Amyloid; sie kann bei Langzeitdialyse einer Amyloidose vorbeugend wirken. 33
ß2M, Demenz und Hirnfunktion: ß2M gilt als ein „Proaging-Faktor“ und trägt zu altersbedingtem kognitivem Abbau (Demenz) bei. 34 Der Mechanismus beinhaltet die Anregung einer Neuroinflammation (diskrete Entzündung im Nervengewebe des Gehirns) und einer Apoptose (progammierter Zelltod) von Hirnzellen. 35 Experimentell wurde gezeigt, dass die Angstreaktionen und die Abnahme von kontextuellem Gedächtnis, die bei einer Sepsis (bakterielle Blutvergiftung) entstehen, durch ß2M im Hippocampus des Gehirns vermittelt wird. 36
Beta2-Mikroglobulin als therapeutisches Zielmolekül
β2M ist ein Wachstumsfaktor, der mit seinem Rezeptor HFE (Hämochromatose-Protein) wechselwirkt und den Übergang („transition“) von Epithelzellen zu Mesenchymzellen und damit die Krebsbildung über einen eisenabhängigen Signalweg fördert. Speziell entwickelte Antikörper sollen diese Wege unterbinden. Untersuchungen lassen annehmen, dass sie therapeutisch bei einigen Krebsarten wirksam sind, so bei Lungen- Brust-, Prostata und Nierenzellkrebs. 37 Eine Hemmung durch Anti-ß2M-Antikörper soll sich speziell zur Vorbeugung und Behandlung von Knochenmetastasen eignen. 38 Beim Nierenzellkarzinom scheinen sich Antikörper gegen ß2M bereits als wirksam zu erweisen. 39
Monoklonale Antikörper gegen Beta2-Mikroglobulin eignen sich als Therapeutika. 28 Es wurde gezeigt, dass sie im Fall der Resistenz eines multiplen Myeloms gegen Bortezomib wirksam waren und die Bortezomib-induzierte Apoptose verstärken konnten. 40 41
Verweise
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Referenzen
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