Diabetes insipidus

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Diabetes insipidus (DI) bedeutet Wasserharnruhr. Er wird durch eine abnorm erhöhte Urinproduktion (Polyurie bis über 20 Liter pro Tag) und entsprechend erhöhten Durst (Polydipsie) gekennzeichnet. Die meisten Fälle sind erworben; nur etwa 10% sind genetisch bedingt. (1)Horm Res Paediatr. 2012;77(2):69-84


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Formen und ihre Entstehung

Es werden zwei Formen unterschieden:

  • die zentrale Form (Diabetes insipidus neurohormonalis), bei der ein Mangel an Adiuretin zugrunde liegt,
  • die renale (nephrogene) Form (Diabetes insipidus renalis), bei der die Nieren nicht auf Adiuretin ansprechen.

Zentral bedingter Diabetes insipidus

Der zentral bedingte Diabetes insipidus ist assoziiert mit einer verminderten Bildung und Ausschüttung von Adiuretin (antidiuretisches Hormon, identisch mit Vasopressin). Dieses wird im Hypothalamus gebildet, zum Hypophysenhinterlappen transportiert, dort gespeichert und bei Bedarf ausgeschüttet. Eine Störung der Bildung, Unterbrechung zwischen Bildungsort und Speicherort und eine Funktionsstörung der hinteren Hypophyse führen zur Erkrankung. Sie wird in die Subtypen  idiopathisch, sekundär und familiär eingeteilt. (2) 2016 Dec;78(4):349-358. doi: 10.18999/nagjms.78.4.349.

  • Idiopathische Form: Als Ursache wird eine Infundibulo-Neurohypophysitis (Entzündung der Neurohypophyse) diskutiert. (3)Clin Exp Immunol 2009; 155: 403–411
  • Sekundäre Form: Tumore des Zentralnervensystems wie das Kraniopharyngeom und Keimzelltumoren sind die häufigsten Ursachen.
  • Familiäre Form: Sie wird meist autosomal-dominant vererbt. (4)Ann Endocrinol (Paris). 2012 Apr;73(2):117-27 Mehr als 80 betroffene Genloci sind bereits bekannt.

Diese zentrale Form des DI kommt durch einen Mangel an Adiuretin (ADH, identisch mit Vasopressin) zustande. Ursachen sind:

  • ein krankhafter zentralnervöser Prozess im Bereich des Hypothalamus (Degeneration von Neuronen im Nucleus supraopticus und den Nuclei paraventriculares),
  • ein krankhafter Prozess der Hypophyse sein, beispielsweise ein Trauma (Schädelbasisbruch) oder ein Tumor,
  • eine autoimmunologische Erkrankung der Hypophyse in Betracht (“autoimmune Hypophysitis”).

Beim zentralen DI ist die ADH-Konzentration im Blut ist deutlich erniedrigt. Die Nieren haben ihre Fähigkeit zur Harnkonzentrierung erhalten, ihnen fehlt jedoch der hormonelle Befehl aus der Hypophyse.

Die Behandlung der Symptomatik erfolgt durch Desmopressin (Minirin®), einem Vasopressin-Analogon mit geringerer Wirkung auf den Blutdruck und verlängerter Wirkungszeit.

Nephrogener Diabetes insipidus

Der nephrogene DI kann genetisch bedingt oder erworben sein. Grundlage ist ein Defekt in der Erkennung und Umsetzung der von Adiuretin ausgehenden Signale in der Niere, angefangen von einem Defekt am Adiuretin/Vasopressin-Rezeptor der Niere.

  • Erworbener nephrogener Diabetes insipidus: Diese Form ist die häufigste. Die nephrogene Form des DI ist durch eine Resistenz der Nieren gegenüber Adiuretin gekennzeichnet. Die ADH-Konzentration im Blut ist dabei deutlich erhöht. Ursachen können sein
    • eine Litium-Intoxikation: sie wird selten als Therapie-Nebenwirkung bei der Behandlung einer Depression gefunden.
    • Hyperkalzämie: sie kann beispielsweise bei einer Sarkoidose oder einer ossären Metastasierung auftreten (siehe hier).
    • eine Nierenerkrankung: beispielsweise können eine Amyloidose und eine polyzystische Nierenkrankheit zu einem Diabetes insipidus führen.
  • Genetisch determinierter nephrogener Diabetes insipidus: In etwa 2/3 der Fälle liegt den genetischen Formen des nephrogenen Diabetes insipidus (NDI) ein Vasopressinrezeptordefekt (X-chromosomal gebunden) und ein Aquaporindefekt (autosomal rezessiv und dominant) zugrunde. (5) 2016 Oct;27(10):3022-3034. (6) 2018 Nov 1;315(5):F1416-F1421. doi: 10.1152/ajprenal.00266.2018. Die Symptomatik besteht bereits bei der Geburt; die Kinder sind zu 90% männlich. Eine Ursache liegt in einer Mutation des Gens für den Arginin-Vasopressin-Receptor-2 (AVPR2); die Vererbung ist X-chromosomal rezessiv. (7)Adv Chronic Kidney Dis. 2006 Apr;13(2):96-104 (8) 2016 Mar;30(2):263-76. doi: 10.1016/j.beem.2016.02.010.

Eine Behandlung des nephrogenen DI ist problematisch. Ein Ansatz wird in dem löslichen (Pro)reninrezeptor (PRR) gesehen. (9) 2018 Nov 1;315(5):F1416-F1421. doi: 10.1152/ajprenal.00266.2018. PRR wird in der Niere gebildet, angeregt durch PGE2, und beeinflusst die Primärharnkonzentrierung über die Regulation von Aquaphorin. Mäuse ohne PRR-Bildung haben ein erhöhtes Harnvolumen. (10) 2016 Oct;27(10):3022-3034.

Komplikationen

Die unablässige Diurese führt ohne adäquate Flüssigkeitszufuhr rasch zur Austrocknung (Exsikkose). Bei lang dauerndem DI kann sich eine Ausdehnung der Blase (Megablase) und des Nierenbeckens (Pyelonektasie oder nicht-obstruktive Hydronephrose) entwickeln. (11)J Urol. 1988 Apr;139(4):784-5

Differenzialdiagnosen

  • Es sollte eine psychogene Polydipsie ausgeschlossen werden.
  • Eine chronische Nierenerkrankung mit schwerer Funktionsstörung der Nierentubuli (z. B. bei einer schweren Pyelonephritis, Lithium-Intoxikation, Phenacetin-Niere oder Nephrokalzinose) kann zu einem dem Diabetes insipidus ähnlichen Bild führen; es wird auch als erworbener Diabetes insipidus bezeichnet (s. o.).

Diagnostik

Der Urin beim DI ist wasserhell, das Volumen überschreitet 2 l/m2 Körperoberfläche pro 24 h und erreicht bei Erwachsenen bis über 20 Liter pro Tag. Im Blut ist die Konzentration der Elektrolyte erhöht (hypertone Dehydratation); es besteht eine Hypernatriämie, oft auch eine Polyglobulie durch Eindickung.

Der Vasopressinspiegel ist bei der zentralen Form erniedrigt, bei der renalen erhöht.

Der Durstversuch kann ebenfalls zur Differenzierung dienen:

  • Im Durstversuch reagieren beide Formen nicht mit einer Steigerung der Urinosmolalität, was die Diagnose eines Diabetes insipidus stützt.
  • Eine Zufuhr von ADH (oder Lysyl-Vasopressin, Minirin-Test) führt
    • bei der zentralen Form zum Ansprechen mit einer Steigerung der Urinosmolalität und Reduktion der Urinproduktion,
    • bei der renalen Form bleibt die Urinproduktion unverändert hoch.

Zur Diagnostik von Veränderungen beim zentralen Diabetes insipidus dient am besten das MRT, bei dem traumatische oder tumoröse Veränderungen, aber bei Kindern auch eine Hyperintensität im Bereich des Hypophysenhinterlappens diagnostiziert werden kann. (12)Horm Res Paediatr. 2012;77(2):69-84

Therapie

Für beide Formen des Diabetes insipidus gilt in erster Linie eine Vermeidung der drohenden Exsikkose durch genügende Flüssigkeitszufuhr unter Berücksichtigung der Elektrolyte des Bluts. Sie sollte gleichmäßig über den Tag erfolgen, unter klinischen Bedingungen am besten bilanziert elektrolytfrei über eine Magensonde und in schwer zu behandelnden Fällen unter ZVD-Kontrolle. Die Ernährung sollte salzarm sein.

Beim zentralen Diabetes insipidus wirkt Minirin (Desmopressin, z. B. als Nasenspray) recht zuverlässig mit einer Reduktion des Urinvolumens.

Beim renalen Diabetes insipidus können die Kombination von Indometacin und Hydrochlorothiazid zu einer Verbesserung führen. Die Kost sollte salzarm und eiweißarm sein.

Verweise

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Literatur[+]