Schizophrenie

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Allgemeines

Die Schizophrenie (engl. schizophrenia, SZ) ist eine Erkrankung des Gehirns, bei der eine Fehlverarbeitung externer und interner Informationen zu verschiedenartigen psychiatrischen Symptomen führt. Meist dominieren phasenweise auftretende wahnhafte Symptome. Bei ihr finden sich morphologische, neurobiologische und biochemische Veränderungen, die einen polygenetischen und epigenetischen Hintergrund haben. Eine Behandlung einer ausgeprägten Symptomatik wird daher nicht alleine auf einer Verhaltenstherapie liegen, sondern hauptsächlich auf einer medikamentösen Behandlung. Von einer psychologichen Intervention und einer kognitiven Therapie können nur eher geringe zusätzliche Effekte erwartet werden. 1

Die Schizophrenie wird bei bis zu 1 % der Bevölkerung manifest und tritt meist im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter auf. Männer und Frauen erkranken etwa gleich häufig, Männer jedoch oft früher und schwerer.

Führend sind akustische Halluzinationen und das wahnhafte Gefühl, unter dem Einfluss einer imaginären Macht zu stehen. Das Spektrum der Symptome und der Verlauf der Erkrankung variieren stark, so dass von Schizophrenie-Spektrum-Krankheiten gesprochen wird (schizophrenia-spectrum disorders).

Der Verlauf variiert stark. Etwa 1/3 der Erkrankten hat eine mehr oder weniger kurze Phase schizophrener Symptome und heilt wieder aus. Andere erleiden immer wieder schubartige akute Phasen, wieder andere verschlechtern sich kontinuierlich und haben einen überwiegend chronischen Verlauf.

Die unterschiedliche Ausprägung der Symptome, sowohl was ihre Kombination als auch ihre Stärke betrifft, und die unterschiedlichen Verläufe führen zu einer differenzierten Klassifikation (s. u.), die sich an ihren Rändern stark überlappt.

Die Behandlung ist komplex und beinhaltet zusätzlich zu einer medikamentösen Behandlung eine Verhaltenstherapie, Psychotherapie, Familientherapie und je nach Ausprägung der Symptome Psychopharmaka.

Aufbau und Funktionen des Gehirns

Evolution – ein Aspekt

Die bei der Schizophrenie (SZ) vorherrschende Problematik, Gesprochenes richtig zu organisieren, wird in Zusammenhang mit der Sprachentwicklung bei der Evolution des Menschen gesehen. Mit dem Erwerb der Sprachfähigkeit mussten die Sprachinhalte gespeichert, richtig erinnert und zugeordnet werden. Diese Fähigkeiten sind bei den Betroffenen gestört, hypothetisch ähnlich wie in einem Stadium vor der Vollentwicklung der Sprache und des Selbstverständnisses des Menschen. In diesem Zusammenhang wird ein „Domestikationssyndrom“ vermutet, das aus einer relativen Unterfunktion des Gehirns auf morphologischer, physiologischer und Verhaltensebene resultiert. Fast 20% der Kandidatgene für die SZ sind an der Entwicklung und Funktion der Neuralleiste beteiligt; die meisten von ihnen sind in Sprachfunktionen involviert. Die Schizophrenie kann daher als abnormale ontogenetische Entwicklung der menschlichen Sprachfähigkeit aufgefasst werden 2. Ein ähnlicher Aspekt wird für den Autismus diskutiert, bei dem ebenfalls sprachliche Defizite auftreten. Die Kandidatgene unter den Genen, die an der Sprachentwicklung beteiligt sein sollen, sind bei beiden Erkrankungen überrepräsentiert. 3  4

Entstehung

Die Ursache und die molekularen Vorgänge, die zur Entwicklung einer Schizophrenie (SZ) führen, sind nicht geklärt. Offenbar können vielfältige genetische Ursachen zu einer gemeinsamen Symptomatik führen. Die beteiligten Gene und möglicherweise auch Umweltfaktoren sind Gegenstand der Forschung.

Genetische Grundlagen

Wie eine SZ zustande kommt, ist weitgehend unbekannt. Allerdings spricht die beobachtbare familiäre Häufung für eine genetische Grundlage. Genomweite Assoziationsstudien haben über 100 Gene identifiziert (128 unabhängige Assoziationen), die zur Entwicklung der SZ-Erkrankung beitragen können.

  • Dopaminrezeptoren: Unter den mit der Erkrankung assoziierten Genen sind befinden sich Allele von DRD2 – einem Dopaminrezeptor – und verschiedenen Genen, die den dopaminergen Übertragungsweg im Gehirn (dopaminerge Neurotransmission) bestimmen 5.
  • Gehirndurchblutung: Ein anderes Kandidatgen ist NOTCH4, das die Gefäßversorgung des Gehirns beeinflusst 6 7.
  • Acetylcholinrezeptoren: Ein weiteres der Kandidatgene kodiert den nikotinischen Acetylcholinrezeptor (nAChR). Er bestimmt im präfrontalen Kortex (Frontallappen, Teil des vorderen Großhirns) das neurokognitive Verhalten, die Bewältigung sensomotorischer Aufgaben und die sozialen Interaktionen mit. Ist das Gen (durch eine Mutation oder epigenetische Veränderung) funktionsgemindert, kommt es zu einer eingeschränkten Aktivität des Frontalhirns (hypofrontality), die mit psychiatrischen Erkrankungen, wie der Schizophrenie und Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Drogenabhängigkeit), assoziiert ist. Eine dauerhafte Verabreichung von Nikotin vermag die Symptome zu mildern 8.
  • Allgemeiner Transskriptionsfaktor 2i: Von zentraler Bedeutung scheint das GTF2i-Gen (general transcription factor 2I, GTF2I) zu sein, dessen Überrepräsentanz zu Autismus und Schizophrenie prädestinieren, dessen Deletion (Verlust) oder „Haploinsuffizienz“ dagegen zu übersteigerten sozialen Interaktionen (Williams-Beuren-Syndrom). 9 10 11 12

Untersuchungen legen nahe, dass die Hauptgene, die mit der SZ assoziiert sind, für ein miteinander verwobenes Proteinnetzwerk in den Nervenzellen des Gehirns kodieren. Dieser Befund würde die erhebliche genetische Heterogenität der Erkrankung erklären: eine Mutation eines jeden molekularen Mitglieds des Netzwerks würde zur selben funktionellen Folge führen und zur Erhöhung des SZ-Risikos beitragen 13.

Epigenetik

Umweltfaktoren können über DNA-Methylierung die Aktivität einzelner Gene verändern und auf diese Weise die Aktivität von Erkrankungen bestimmen. Eine solche epigenetische Beeinflussung wird auch für die Schizophrenie angenommen 14 15.

In einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) wurden eine Reihe hypo- oder hypermethylierter Promoter ausgemacht, die die Expression Schizophrenie-assoziierter Gene regulieren. Eine Fehlfunktion der durch sie kodierten Signalwege soll zur Entstehung der Symptome beitragen 16.

Lange nicht-kodierende RNA

Long noncoding RNAs (lncRNAs) sind Ribonukleinsäurepartikel, die wie die MikroRNA (miRNA) Gene, Stoffwechsel- und Signalwege von Zellen beeinflussen. Sie entstammen den nicht-kodierenden Anteilen des menschlichen Genoms und sind auch in Hirnzellen zu fnden. Es wurde festgestellt, dass 7 lncRNAs als Biomarker für die Schiziophrenie (SZ) dienen können, und dass 3 potenziell als Ziele einer Therapie infrage kommen. 17 Unter ihnen hat Gomafu besondere Aufmerksamkeit erlangt. Es soll mit RNA-bindenden Proteinen interagieren. Eine Störung der Gomafu-Signalwege wird als ein Mechanismus angesehen, der zur Entstehung einer SZ beitragen kann. 18

Umweltfaktoren

Umweltfaktoren wirken sich vielfältig auf die Aktivität von Genen aus, beispielsweise über epigenetische Veränderungen (z. B. durch Veränderung des Methylierungsgrads von Genen). So sind auch Umwelteinflüsse auf die Symptomatik einer Schizophrenie bekannt.

Dämmerlicht während der Schwangerschaft wird als möglicher Faktor diskutiert, der die Entwicklung einer Schizophrenie beim Kind fördern soll. Dies wird in Zusammenhang mit einer verminderten Produktion von Melatonin gebracht. Denn Melatonin ist ein Faktor, der die Ausbildung der neuralen Axone und deren Verzweigungen stimuliert. Offenbar wirkt sich Melatoninmangel nachteilig auf das sich entwickelnde fetale Gehirn aus 19.

Eine städtische Umgebung während der ersten Lebensjahre ist ein Risikofaktor für die Schizophrenie. Das Risiko ist nach einer Untersuchung 1,4-fach erhöht 20. Eine zunehmende Urbanisierung stellt nach Auffassung der Autoren einer Untersuchung ein ernstzunehmendes Problem für die Ausbreitung der Erkrankung in der Zukunft dar 21.

Die Ernährung spielt für die Gehirnentwicklung ganz allgemein eine entscheidende Rolle; ein Mangel an Mikro- oder Makronährstoffen wirkt sich vielfältig auf die zukünftigen Funktionen des Gehirns aus. Ihre Blutspiegel unterscheiden sich laut einer chinesischen Studie bei schizophrenen Patienten in über 50% von denen gesunder Kontrollpersonen deutlich 22. Verschiedene neurologische und psychiatrische Erkrankungen, inkl. der Schizophrenie und dem Autismus, können mit einem solchen Mangel in Verbindung gebracht werden 23.

Gluten erhöht das Risiko einer Schizophrenieerkrankung etwa zweifach. Einige kleinere Studien deuten darauf hin, dass glutenfreie Kost zu einer Besserung der Symptomatik führt. Eine überzeugende Studie fehlt jedoch 24. Jedenfalls scheint es in einer Untergruppe der Schizophreniekranken immunologische Gemeinsamkeiten bezüglich Antikörper gegen Gliadin zu geben 25.

Krankheit des Gehirns

Es lassen sich messbare Veränderungen des Gehirns nachweisen. Zu ihnen zählen eine Verringerung der Hirnsubstanz um etwa 2% und eine entsprechende Aufweitung der Seitenventrikel. Den morphologischen Veränderungen parallel gehen eine Reihe biochemischer Veränderungen.  26

Neurotransmitter

Lange Zeit wurde die Schizophrenie als Krankheit des dopaminergen Systems im Gehirn aufgefasst und antidopaminerg mit Neuroleptika behandelt. Die Positivsymptome, wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen besserten sich dadurch; die Negativsymptome, wie sozialer Rückzug und Depression, reagierten jedoch nicht. Heute werden eine Reihe von Transmitter und verschiedenste funktionelle Schaltkreisen des Gehirns in die Überlegungen zur Pathogenese einbezogen. 27

Eine Fehlfunktion des GABA-Systems soll zu einer Enthemmung der glutaminergen pyramidalen Neurone und zu einer Desynchronisierung der kortikalen neuronalen Aktivitäten führen. Die Bildung des Neurotransmitters GABA im Gehirn durch das Enzym GAD67 (Isoform, die für 90% der GABA-Produktion verantwortlich ist) wird deutlich reduziert gefunden. 28 29.

Fehlfunktionen des Gehirns

Hypothesen

Zur Erklärung der Symptome werden verschiedene Hypothesen diskutiert, die unterschiedliche Fehlfunktionen des Gehirns ins Zentrum stellen, die sich jedoch nicht ausschließen 30:

  • Eine Theorie zur Erklärung der Symptome besagt, dass die Konsequenzen der eigenen Vorhaben und geplanter Handlungen von den zuständigen Zentren des Gehirns falsch vorhergesagt werden. Davon abhängige Hirnzentren arbeiten damit auf der Grundlage falscher Voraussetzungen.
  • Eine andere Theorie zielt auf eine Fehlfunktion von Gedächtnisprozessen und der Fähigkeit, Schlussfolgerungen aus Eindrücken verschiedenster Art sowie aus Informationen des Gedächtnisses zu ziehen, ihre Ursachen zu erkennen und sie in die richtigen Zusammenhänge zu stellen. Alles dies ist mit einer Schwierigkeit verknüpft, sich selbst richtig einzuordnen.
  • Eine weitere Theorie betrifft eine Störung in der Vorstellungskraft. Eine überschießende, sehr lebendige Einbildung soll es schwierig machen, den Ursprung der innerlich entstandenen Bilder, akustischen Vorstellungen und Einbildungen als eigen oder von außen kommend zuzuordnen. 31
  • Ein Ansatz befasst sich mit der Abnahme der Fähigkeit, ungewollte und schädliche Erinnerungen los zu werden. Emotional belegte Worte bleiben zu lange in Erinnerung. 32 Es entwickelt sich eine gestörte kognitive Kontrolle über den gesunden emotionalen Abstand zu Geschehnissen, Gesprochenem und Beziehungen, was auch förderlich für Halluzinationen ist. 33 Am Prozess des aktiven Vergessens ist das Frontalhirn (Region N2) besonders beteiligt. 34

Veränderungen im Gehirn

Morphologische Veränderungen

In einer Studie an Zwillingen fand sich eine signifikante Verminderung aller Hirnareale, der grauen wie der weißen Substanz ausgenommen des linken Hippocampus. In einer Studie an Zwillingen fand sich bei dem schizophrenen gegenüber dem nicht-schizophrenen Zwilling in etwa 90% eine Verkleinerung des Hippocampus und eine Erweiterung der Ventrikel 35. Es wird vermutet, dass ein gemeinsames familiäres Umfeld (gleichartige Risikofaktoren) dabei eine Rolle spielt 36. In manchen Fällen kommt es zu einem zunehmenden Substanzverlust während der Erkrankung; er soll zum Teil genetisch bedingt sein 37.

Abnorme Konnektivität zwischen Hirnregionen

Sowohl bei Patienten mit manifester Schizophrenie als auch bei ihren engen Blutsverwandten ist eine kognitive Dysfunktion (s.u.) feststellbar. Untersuchungen zeigen, dass sie assoziiert ist mit einer vermehrten Konnektivität (neuronalen Vernetzung) im Gehirn, dort im medialen und dorsolateralen praefrontalen Kortex (MPFC und DLPFC). Eine überschießende Vernetzung in diesen Bereichen führt zu einer Abnahme der neuronalen Funktionsfähigkeit. 38 Im fMRI wurde ebenfalls eine Fehlregulation der neuronalen Verbindungen zwischen Hirnrinde, Striatum und Kleinhirn festgestellt. Damit wird nun die Schizophrenie als eine Fehlkonnektivitätserkrankung („disconnectivity model“) betrachtet. 39 40

Zusammenhang mit Halluzinationen: Bei der Schizophrenie besteht, wie Untersuchungen zeigen, eine erhöhte Konnektivität (neuronale Verbindungen) speziell auch zwischen Hör- und Sprachregionen und Regionen des Striatums, die mit dem Gedächtnis assoziiert sind. Auch wurden in anatomischen und funktionellen Assoziationsstudien festgestellt, dass eine zwischenhemisphärische Konnektivität der hinteren auditorischen Regionen mit fortschreitender Erkrankung abnimmt. Und es ließ sich eine abnorme frontotemporale Konnektivität feststellen. Alle diese Veränderungen stehen offenbar in einem Zusammenhang mit auditorischen verbalen Halluzinationen 41. Die Studien zeigen, dass die Hörregionen derjenigen schizophrenen Patienten, die auditive Halluzinationen erleben, auf akustische Reize besonders stark ansprechen, und dass zudem bei ihnen eine ungewöhnliche Konnektivität zwischen den Arealen für Sprachperzeption und Sprachgenerierung besteht 42.

Assoziation mit anderen Krankheiten

Die Schizophrenie ist gehäuft mit anderen, vorwiegend immunologisch bedingten Krankheiten assoziiert.

Autoimmunkrankheiten: Nach epidemiologischen Untersuchungen besteht eine schwache Assoziation zwischen Schizophrenie und Autoimmunkrankheiten (Komorbidität). In einer genomweiten Assoziationsstudie wurden zwei Genloci gefunden, die dafür verantwortlich sein könnten; Signifikanz wird jedoch dafür nicht erreicht 43.

Typ-2-Diabetes: Es besteht eine Assoziation zum Typ-2-Diabetes. Auch hier wurden keine signifikanten genetischen Gemeinsamkeiten gefunden 44. Allerdings wurden Kandidatgene identifiziert, die für beide Erkrankungen gemeinsame Signalwege beeinflussen (über Proteine, die mit verschiedenen anderen Proteinen interagieren, welche bei beiden Erkrankungen eine Rolle spielen) 45.

Psoriasis: Wer an Schizophrenie erkrankt ist, hat ein 2,3-fach erhöhtes Risiko für eine Psoriasis. Es wird vermutet, dass der Th17-Signalweg und proinflammatorische (entzündungsfördernde) Zytokine dabei eine Rolle spielen 46.

Chronische Nierenkrankheit: Eine retrospektive Kohortenstudie legt nahe, dass schizophrene Menschen ein um 25% erhöhtes Risiko haben, innerhalb von nur 3 Jahren eine chronische Nierenkrankheit zu entwickeln 47.

Klassifikation

Je nach Symptomkombination kann die Schizophrenie nach ICD-10 (International Classification of Diseases) folgendermaßen eingeteilt werden:

  • Paranoide Schizophrenie (Wahnvorstellungen und Halluzinationen überwiegen),
  • Hebephrenie (Störungen des Gefühlslebens, Denkens und Antriebs überwiegen, meist jüngere Menschen betroffen),
  • katatone Schizophrenie (Bewegungsarmut bis hin zum Erstarren in Positionen dominiert),
  • undifferenzierte Schizophrenie (wenn keine andere Einordnung möglich),
  • postschizophrene Depression (nach akutem Schub, Suizidgefährdung),
  • schizophrenes Residuum (Restzustand nach akutem Schub mit beibehaltener Negativsymptomatik),
  • Schizophrenia simplex (Negativsymptome dominieren, chronische Verschlechterung).

Symptome

Anfangs kann eine Schizophrenie lange unentdeckt bleiben, da die ersten Symptome meist fehlgedeutet werden.

Eine Reihe von Symptomen lassen auf eine Schizophrenie aufmerksam werden, wobei nicht alle bereits zu Beginn vorhanden sein müssen.

Zu den Anfangssymptomen, die bereits mehrere Jahre vor einem ersten akuten psychotischen Schub auftreten können, gehören Ruhelosigkeit, Schlafstörungen und besondere Nervosität, alles unspezifische Symptome.

Erste Hinweise

Zu den Symptomen, die das Vorliegen einer Schizophrenie nahe legen, gehören insbesondere

  • eine allmählich zunehmende Verarmung der Sprache, sowohl in der Wortwahl als auch in der Häufigkeit sprachlicher Kommunikation, bis hin zur Wortkargheit,
  • eine allmählich zunehmende Abflachung der Affekte (Gefühle mitzuempfinden und zu zeigen), es entwickelt sich im Laufe der Krankheitsgeschichte eine mangelnde Fähigkeit, Schönes und Glück zu empfinden (Anhedonie); die Empfindungen flachen allgemein ab (Brébion et al., 1999, 2009), die Fähigkeit zur Gefühlsmodulation nimmt ab (beispielsweise unangemessene und unangebrachte ständige Fröhlichkeit o. ä.),
  • eine allmählich zunehmende Schwäche von Aufmerksamkeit und Antrieb (Willen) bis hin zur Willenlosigkeit, Apathie und Katatonie.

Starke Hinweise

Treten erst einmal folgende Symptome auf, so liegt die Diagnose einer Schizophrenie meist nahe:

  • verbal-auditive Halluzinationen („auditory verbal hallucinations (AVHs)“, Stimmenhören, tritt auf bei 60-80% der Betroffenen 30 ),
  • wahnhafte Fremdeinflüsse: die fehlerhafte Beurteilung und Zuordnung innerer Sprache, selbst generierter Gedanken, Gewissheiten und Glaubensannahmen als von einem Agenten, einer anderen Person oder Macht, herrührend; hierhin gehören der häufig erlebte Gedankenentzug und Gedankeneingebungen; eigene Gedanken und Vorhaben (oft befehlsartig und zwingend) werden gegen jede rationale Argumentation als fremd beeinflusst empfunden,
  • fehlerhafte Selbstbezogenheit: es wird vom Betroffenen empfunden, dass sich alles um den ihn selbst dreht (z. B. jeder Blick, jedes Verhalten eines anderen Menschen wird auf sich bezogen; es kann sich ein Verfolgungswahn entwickeln).

Positiv- und Negativsymptome

Vielfach werden die Symptome eingeteilt in

  • Positivsymptome: Halluzinationen, wahnhafte Störungen mit Mangel an Krankheitseinsicht, Denkstörungen, Störungen des Ich-Erlebens und
  • Negativsymptome: Abnahme des Arbeitsgedächtnisses, Sprachverarmung, Sprachentgleisungen, Danebenreden (Kontext im Gespräch nicht begreifen), Gefühlsarmut, Apathie, Affektverarmung, verminderte Aufmerksamkeit.

Die Positivsymptome treten vorwiegend in den akuten Phasen der Erkrankung auf, die Negativsymptome dominieren in den dazwischen liegenden Phasen und beim chronischen Verlauf. Akute Phasen treten häufiger in den Anfangsstadien und bei jüngerem Alter auf, während in fortgeschrittenerem Verlauf die chronischen (negativen) Symptome zu überwiegen beginnen.

Halluzinationen und Wahnvorstellungen

Sie gehören zu den Positivsymptomen und sind charakteristisch für eine akut-psychotische Phase der Erkrankung.

  • Halluzinationen sind Sinnesvorstellungen, die von innen heraus ohne äußeren Sinnesreiz generiert werden. Bei der Schizophrenie kommen vorwiegend akustisch-verbale Halluzinationen (Stimmenhören), aber auch optische Halluzinationen (Erscheinungen) vor. Sie sind für sich genommen nicht diagnoseweisend und kommen auch bei anderen Erkrankungen, oft bei Demenz, und gelegentlich auch bei Gesunden vor.
  • Wahn ist eine nicht rational korrigierbare fehlerhafte Überzeugung, die verschiedene Inhalte betreffen können. Belastend für Sozialpartner sind vor allem der Beziehungswahn und der Größenwahn. Religiöse Wahnvorstellungen sind ebenfalls häufig.

Spezielle Aspekte zu Symptomen

Selbsteinschätzung: Die Einschätzung und Beurteilung der eigenen Person leidet unter den Defiziten, und offenbar besonders ausgeprägt, wenn Halluzinationen erlebt werden 30.

Erinnerungsfehler: Ein Teil der Schizophrenie-Kranken vermag es nicht, Worte exakt zu erinnern. Mitgliedern dieser Gruppe unterlaufen in entsprechenden Tests mehrfache Fehler. Sie schneiden in neurokognitiven Tests, die auf die Fähigkeit einer Selbstreflexion gerichtet sind, schlechter ab, als die Vergleichsgruppe, die keine Probleme in verbalen Erinnerungstests haben. Fehler bei verbaler Erinnerung sind assoziiert mit einer mangelnden Fähigkeit, eigene Gedanken zu organisieren und zu beurteilen 48.

Reduzierte Salienz: alle Eindrücke sind etwa gleichwertig, Wichtiges sticht kaum hervor. Die Bedeutsamkeit von Informationen z. B. innerhalb eines Textes oder eines Bildes wird schlechter erkannt als von einem durchschnittlichen Menschen 49 50.

Visuelle Halluzinationen: Visuelle Halluzinationen kommen bei der Schizophrenie, aber auch bei einer Reihe anderer neurologischer und psychiatrischer Krankheiten (inkl. Demenzerkrankungen und der Parkinson-Krankheit, speziell der Lewy-Körperchen-Demenz) vor 51.

Auditive Halluzinationen, Hören nicht vorhandener Stimmen / Innere Stimmen und akustische verbale Halluzinationen: Das Hören real nicht vorhandener Stimmen kommt bei gesunden Menschen im Rahmen eines inneren Dialogs vor und kann als verbales Denken aufgefasst werden. Solche innere Stimmen sind im Ansatz dialogisch und sozial. Für sich genommen sind sie kein Symptom, das auf eine Schizophrenie hinweist. Bei ihr kommt hinzu, dass diese Stimmen fehlerhaft nicht sich selbst sondern einer externen Quelle (z. B. einer anderen Person) zugeordnet werden 52. Es handelt sich um verbale Halluzinationen. Worte, die gerade in der Einbildung auftauchen, werden als gehört 53 und still gelesene Worte als laut ausgesprochen erinnert 54 . Die Verbindung zwischen Gedachtem und Gesagtem ist desorganisiert, und die Fähigkeit zur richtigen Zuordnung der inneren Stimmen ist vermindert. 55.

Abnorme Lautstärke aller innerer Stimmen: Eine Untersuchung zeigt auf, dass nicht-schizophrene Personen die Lautstärke, in der sie innere Stimmen als Ausdruck des gerade Durchdachten wahrnehmen, als deutlich leiser beschrieben als tatsächlich gehörte Stimmen. Auch diejenigen schizophrenen Menschen, die keine akustischen Halluzinationen erleben (sie machen einen Anteil von 20-40% aus, s.o.) können ebenso innere Gedanken als Stimmen wahrnehmen wie gesunde Personen. Sie empfinden sie ebenfalls als deutlich leiser als reale Stimmen. Dagegen empfinden Schizophrene, die Stimmen halluzinieren, auch die nicht halluzinierten inneren Stimmen, die durch die eigenen Gedanken bedingt sind, in der gleichen Lautstärke wie externe Stimmen. Daraus wird geschlossen, dass die bei Schizophrenie fehlerhafte Beurteilung ihrer Herkunft zumindest zum Teil durch die besondere Lautstärke bedingt ist 56.

Nikotinabhängigkeit

Schizophrene Menschen sind häufig nikotinabhängig. Dies wird damit begründet, dass sie dadurch besser in der Lage sind, am sozialen Leben teilzunehmen. Sie vermögen aufmerksamer zu sein und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden (Rauchen erhöht die Salienz, s. u.).

Schizophrene Menschen entwickeln daher häufiger als die Normalbevölkerung eine Arteriosklerose mit ihren Komplikationen und sterben im Schnitt 28 Jahre früher 57. Eine neue Begründung dafür liegt in der Tatsache, dass Nikotin einen positiven Effekt auf kognitive Hirnleistungen ausübt.

Bei der Schizophrenie ist die Fähigkeit eingeschränkt, aus den Sinneseindrücken spezielle Informationen als besonders wichtig herauszufiltern und die Aufmerksamkeit auf sie zu richten (eingeschränkte Salienz). Ist in einem Bild beispielsweise etwas Bedeutsames enthalten, wird dies nicht so rasch erkannt wie von einem Gesunden. Nikotin steigert diese Fähigkeit jedoch. Es erhöht die Konnektivität und die Neuronendichte in speziellen Hirnregionen signifikant, was auch für Alzheimer-Tiermodelle gilt 58. Es wird vermutet, dass dies ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Menschen mit Schizophrenie, sozusagen im Sinne einer Selbstmedikation ihrer kognitiven Defizite, häufiger zur Zigarette greifen als die Normalbevölkerung 59 60.

Eine der genetischen Anomalien, die mit schizophrenen Symptomen assoziiert sind, betrifft den nikotinischen Acetylcholinrezeptor (nAChR). Seine Unterfunktion im Frontalhirn führt zur Störung sozialer Interaktionen. Eine Zufuhr von Nikotin behebt dies weitgehend, wie Tierversuche zeigen. Es wird vermutet, dass in Fällen, in denen solch eine genetische Grundlage vorliegt, Nikotin für den betroffenen Menschen eine Therapieoption darstellt 61.

Depression

Depressive Symptome treten gegenüber der Normalbevölkerung relativ häufig auf; in der Literatur wird eine Häufigkeit von 13%  – 80% angegeben 62. Sie sind mit einer erhöhten Suizidalität  von 4% – 13% assoziiert und betrifft besonders Menschen höherer Bildung 63 und bedürfen daher einer besonderen Aufmerksamkeit. Depressive Symptome sind ein wesentlicher Hinderungsgrund für eine soziale Wiedereingliederung.

Erhöhte Mortalität

Menschen mit Schizophrenie haben eine erhöhte Sterberate. Sie ist wesentlich zurückzuführen auf mangelhafte Gesundheitsvorsorge, erhöhte Suizidalität und Abhängigkeitserkrankungen. Auch Nebenwirkungen von Medikamenten zur Behandlung des Schizophrenie führen zu einem erhöhten Krankheitsrisiko. Zweitgenerations-Antipsychotika bedingen eine erhöhte Mortalität wegen kardiovaskulärer Erkrankungen. Einer Untersuchung zufolge ist dennoch die Gesamtmortalität durch eine solche Behandlung durch günstige Auswirkungen auf andere Faktoren erhöhter Sterblichkeit verringert 64. Clozapin gilt als einziges Medikament, von dem ein günstiger Einfluss auf die Suizidalität nachgewiesen ist. Es wird darauf hingewiesen, dass eine Unterbrechung jedweder antipsychotischer Therapie eine Erhöhung des suizidalen Risikos bedeutet. 65

Kognitive Beeinträchtigung

Die kognitive Beeinträchtigung ist ein zentrales und prognostisch wichtiges Krankheitszeichen, das eine funktionelle Verschlechterung anzeigt. Zu ihr gehören eine Störung der Aufmerksamkeit, des Erinnerungsvermögens und der Fähigkeit, komplexere Probleme zu lösen. Schulische und berufliche Erfolge sind von ihnen abhängig und bleiben aus. Das Alltagsleben ist beeinträchtigt, soziale Kontakte leiden. Beobachtungen lassen annehmen, dass Serotoninrezeptoragonisten (Serotonin (5-HT) 1A Receptoragonisten) die kognitiven Beeinträchtigungen verbessern können; daran beteiligt sind offenbar GABA-erge neuronale Mechanismen. 66

Gesundheitliche Vernachlässigung

Menschen mit Schizophrenie geraten relativ häufig in gesundheitliche Gefährdungssituationen und damit in ein erhöhtes Risiko einer HIV- und eine Hepatitis-Infektion. Sie leiden häufiger als die Allgemeinbevölkerung unter Übergewicht, Herzkreislaufkrankheiten, schlechten Zähnen, Alkohol- und Drogenabusus. (Leucht et al., 2007).) Etwa 60 % sind körperlich inaktiv. Die Prävalenz für Alkoholkrankheiten beträgt laut einer Studie 9,4 % und über die Lebenszeit um 20 %. (Koskinen et al. 2009) Die Erfassung von Abhängigkeitserkrankungen ist für die Therapie der Schizophrenie von erheblicher Bedeutung.

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Diagnosestellung

Wenn die Möglichkeit einer Schizophrenie im Raum steht, so obliegt es Fachpsychiatern, die Kriterien zu überprüfen. Wenn in einer akuten Phase beispielsweise Halluzinationen und Wahnvorstellungen zusammenkommen, liegt die Diagnose auf der Hand. Desorganisiertes Sprechen und Katatonie sind ebenfalls hochrangige Symptome. Schwieriger wird es, bei alleinigem Vorliegen einer Negativsymptomatik zur richtigen Diagnose zu kommen. In jedem Fall wird man die Anamnese (Frage nach früher bereits vorgekommenen akuten Phasen) inkl. einer ausführlichen Fremdanamnese zu Hilfe ziehen. Die Diagnosekriterien sind im DSM-5 (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen, Klassifikationssystem der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft) niedergelegt.

Abgrenzung von Differenzialdiagnosen

Die DSM-5-Kriterien sind darauf ausgelegt, die Schizophrenie von Differenzialdiagnosen, wie dem Autismus, der dissoziativen Identitätsstörung oder der schizoiden Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden.

Auch müssen abnorme körperliche Zustände ausgeschlossen werden, die zu Schizophrenie-ähnlichen Symptomen führen können, wie eine Hypoxämie (Sauerstoffmangel) des Gehirns, eine Hypoglykämie oder ein Vitamin-B12-Mangel. Demenzielle Syndrome sind ebenfalls abzugrenzen; sie können auch mit Halluzinationen und wahnhaften Vorstellungen gepaart sein.


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Therapie

Die Behandlung der Schizophrenie hat zum Ziel, psychotische Symptome zu mildern und Sozialfähigkeit zu gewährleisten. Da die der Krankheit zugrunde liegenden abnormen neuronalen Verbindungen (Konnektivitäten) im Gehirn nicht heilbar sind, beschränkt sich die Behandlung im Wesentlichen auf die Auswirkungen.

Komplexe Behandlung

Die Behandlung unterteilt sich in die Maßnahmen zur Beherrschung der akuten Phase, die Rezidivprophylaxe und die Langzeittherapie. In der Akutphase sind Antipsychotika (Neuroleptika) angezeigt, zur Rezidivprophylaxe oft ebenfalls. Ansonsten stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

Zu den wichtigsten nicht-medikamentösen Maßnahmen gehören:

  • Zur Langzeitbehandlung gehören psychotherapeutische Maßnahmen zur Beherrschung der negativen Auswirkungen des Erlebten auf die eigene Psyche und Maßnahmen zur Stärkung der Denk- und Gefühlsfähigkeiten sowie der sozialen Beziehungen. Eine besondere Aufmerksamkeit kommt der Verhaltenstherapie und einer Familientherapie, die eine Hilfe beim Umgang mit dem betroffenen Kranken vermittelt, zu. (Eine eindringliche Beschreibung über die Notwendigkeit und die Erfolge einer Verhaltenstherapie ist Jan Foudraine mit seinem Buch „Wer ist aus Holz“ gelungen).
  • Zur Beherrschung depressiver Zustände können phasenweise Antidepressiva, von Angst- und Unruhezuständen Beruhigungsmittel (Sedativa) notwendig werden.
  • Zur Behandlung der Nikotinabhängigkeit gibt es eine aktuelle Diskussion: einerseits wirkt Nikotin im Sinne einer Verbesserung der kognitiven Leistungen, was erwünscht ist. Andererseits beschleunigt es arteriosklerotische Komplikationen und verkürzt die Lebensspanne beträchtlich. Es gibt dennoch Befürworter einer Anti-Nikotin-Therapie. Sie empfehlen, eine intensive Entwöhnungsbehandlung (inkl. einer Dauermedikation z. B. mit Vareniclin oder Bupropion und einer mindestens 12-wöchigen Verhaltenstherapie) einzuleiten. Bei Abbruch der Therapie kommt es laut Studien i. d. R zu raschem Relaps, aber nicht zu einer vermehrten Rate an neuropsychiatrischen Komplikationen als bei Placebotherapie 67.
  • Nikotin als Substitution wird bei genetisch bedingt abnormalen nikotinischen Acetylcholinrezeptoren diskutiert. Im Tierversuch werden die Symptome gebessert 61.
  • Ernährung: Heute wird angenommen, dass die Bakterienflora des Magendarmtrakts (Mikrobiota des Darms) einen wesentlichen Einfluss auf die Funktionalität des Gehirns ausübt. Sie wird durch die Zusammensetzung der Nahrung beeinflusst. Ziel der Beeinflussung ist eine Erhöhung der kurzkettigen Fettsäuren Azetat, Butyrat und Propionat. Sie entstehen durch bakterielle Zersetzung faser- und ballaststoffreicher Kost, also vorwiegend bei einer Ernährung mit hohem pflanzlicher Anteil. Es wir eine Mittelmeerkost empfohlen. Auch eine glutenfreie Ernährung hat für eine Untergruppe einen positiven Effekt erkennen lassen.68 Eine Mittelmeerdiät verändert die Expression von Genen, die mit verschiedenen Erkrankungen zusammenhängen, so auch mit der Schizophrenie. 69 Auch eine glutenfreie Ernährung hat für Untergruppen einen positiven Effekt erkennen lassen. 70

Medikamente

Früher wurde die Schizophrenie als Erkrankung des Dopamin-Systems mit einem abnormal erhöhten mesolimbischen Dopaminstoffwechsels gesehen. Entsprechend standen lange Zeit vorwiegend eine gegen eine Dopamin-Überfunktion gerichtete Medikamente im Mittelpunkt der Behandlung. Das erste in dieser Richtung erfolgreiche Medikament war Chlorpromazin; später wurden weitere Medikamente dieser Art, die als Neuroleptika zusammengefasst wurden, entwickelt. Begleitwirkung waren jeweils Bewegungsstörungen (extrapyramidal motorische Störungen), die die Dosierungen begrenzten. Die Positivsymptome (wie Halluzinationen) reagierten jedoch, die Negativsymptome (wie Zurückgezogenheit, Depression) nicht. Heute sieht man die Erkrankung breiter: Es müssen multiple „Makro- und Mikroschaltungen“ im Gehirn bei der Behandlung berücksichtigt werden, solche, die sich in kognitiven, verhaltensbezogenen und sozialen Dysfunktionen auswirken. Einzubeziehen sind Eingriffe zur Stabilisierung des oxidativen Gleichgewichts, des Immunsystem und der glutaminergen Systeme des Gehirns. Es werden Gedanken zu einer umfassenderen Therapie unter Einbeziehung neuer Behandlungsziele „jenseits der Dopaminhypothese“ entwickelt, die den Fokus auch auf Glutamat, Serotonin, Acetylcholin, GABA und entzündliche Zytokine legen. 27

Antipsychotische Medikamente

Sie können audiovisuelle Halluzinationen unterdrücken und Verhaltensstörungen mindern; sie haben auf Dauer jedoch erhebliche Nebenwirkungen, vor allem Tremor, Gewichtszunahme, Unruhe, vermehrte Prolaktinproduktion (mit sekundärem Östrogenmangel), indirekt Förderung einer Osteoporose und Erhöhung eines kardiovaskulären Risikos (Herzinfarkt, Schlaganfall), als Langzeitfolge sind auch kognitive Störungen in Diskussion, die die krankheitsbedingten kognitiven Anomalien überlagern 71. Eine Langzeitbehandlung mit Anticholinergika soll zu kognitiven Defekten und Erinnerungsstörungen führen 72.

  • Clozapin ist ein atypisches Antipsychotikum, das keine wesentlichen extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen aufweist, dafür aber andere, die ebenfalls schwerwiegend ausfallen können, vor allem Blutbildveränderungen. Andere atypische Antipsychotika weisen als Nebenwirkungen ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Herzkreislaufkrankheiten und Fettstoffwechselstörungen auf.
  • Aripiprazol (Abilify) ist ein neueres antipsychotisches Medikament der zweiten Generation. In einer Studie wurde gezeigt, dass es in einer Dosierung von 10-30 mg/Tag nach 4 Wochen die sprachliche Kognition verbessert, was vor allem die phonemische, aber nicht die semantische Fehleranfälligkeit betraf. Während der Behandlung stieg die Lebensqualität, was sich in einem Anstieg des CGI-S-Scores (Clinical Global Impression-Severity of Illness) widerspiegelte. Mit der verbalen Verbesserung waren auch die sozialen Beziehungen korreliert 73.  Aripiprazol wurde in einer Auswertung verschiedener Studien mit anderen Antipsychotika (Clozapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon und Olanzapin) verglichen. Gegenüber Clozapin und Quetiapin führte es zu einer signifikanten Anhebung des Quality-of-Life-Scores (nach der WHO-QOL-100 Skala), ohne dass extrapyramidalmotorische Symptome vermehrt waren. Gegenüber Risperidon war der mentale Zustand besser und die extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen geringer. Gegenüber Ziprasidon wurde eine stärkere Gewichtszunahme bei Aripiprazol-Einnahme verzeichnet, gegenüber Olanzapin eine geringere. Die Einordnung von Aripiprazol in die individuellen Behandlungsschemata wurde wegen noch fehlender Langzeitbeobachtungen als problematisch angesehen 74. Eine neuere Studie bestätigt die Wirksamkeit und gute Verträglichkeit von Aripiprazol. 75
  • Risperidon ist ein oft verordnetes Medikament bei Schizophrenie. Es weist relativ starke extrapyramidalmotorische Symptome (EPS) als Nebenwirkungen auf und bewirkt eine höhere Prolactin-Ausschüttung als andere Antipsychotika der zweiten Generation 76. Die EPS treten nur in etwa 1/3 der Fälle auf, wobei Tremor am häufigsten beobachtet wird. Eine Hyperprolaktinämie (Folge ggf. Milchfluss und Östrogenmangel mit Menstruationsstörungen der Frau),  tritt in fast 90% und eine Gewichtszunahme in etwa 50% der Fälle auf. Weitere Nebenwirkungen betreffen Sedierung (etwa 10%), Magendarmsymptome (um 5%) und Amenorrhö (um 6%). Die vermehrte Prolaktinproduktion unter Risperidon ist assoziiert mit  einem DRD2 – 141 Ins/Del und Del/Del Polymorphismus 77. In einer anderen Untersuchung, in der bei etwa 50% der Risperidon-Behandelten eine vermehrte Prolaktinproduktion gefunden wurde, waren  TaqIA A1- und A-241G-Allele des DRD2-Gens assoziiert gewesen 78.
  • Paliperidon (Invega ®) gehört zu den hochpotenten Medikamenten, die bei Schizophrenie wirksam sind (das erste dieser Gruppe war Clozapin, das kein EPMS-Risiko aufweisen soll). Es ist ein „atypisches“ Neuroleptikum (bzw. Antipsychotikum), also eine Fortentwicklung der „typischen“ Neuroleptika (wie Haloperidol und Phenothiazine) und Hauptmetabolit von Risperidon (9-hydroxyrisperidone). Es dämpft überschießende psychische Erregbarkeit mit weniger Nebenwirkungen bezüglich Zittrigkeit (Tremor) und unkoordinierte Bewegungen (Dyskinesie) als Neuroleptika der ersten Generation. Solche „extrapyramidal-motorischen Symptome“ (EPMS) ähneln den Bewegungsmustern beim Morbus Parkinson und werden als „Parkinsonoid“ bezeichnet. Die Nebenwirkungen führen zu einer relativ hohen Rate an Therapieabbrüchen, besonders wenn die Therapie nicht gut kontrolliert werden kann. Als Abkömmling von Risperidon ähneln Wirkungen und Nebenwirkungen von Paliperidon denen des Risperidon. Sie beruhen auf einer Hemmung von Serotonin (5-HT2A)- und Dopamin (D2)-Rezeptoren im Gehirn  (wobei das Verhältnis der Bindungen an die Rezeptoren zugunsten des Serotoninrezeptors gegenüber Risperidon überwiegt und damit auch die Wirkungen etwas unterschiedlich ist). Über die D2-Rezeptoren wird zudem der Prolaktinspiegel angehoben, was zu sexueller Dysfunktion, Amenorrhoe und Gynäkomastie führen kann. Auch eine Bindung an weitere Rezeptoren wurde nachgewiesen (so an adrenerge und Histamin-H1-Rezeptoren) 79. Das relative Ausmaß dieser Rezeptorbindungen bestimmen Wirkungen und Nebenwirkungen. Für Paliperidon als Langzeitpräparat wurden Prolaktin-Effekte, Gewichtszunahme und extrapyramidale Symptome als Hauptnebenwirkungen festgestellt. 79 Langwirkendes Paliperidon verbessert die Behandelbarkeit der Schizophrenie durch erhebliche Reduktion der Behandlungsausfälle/-abbrüche wegen nebenwirkungsbedingter mangelhafter Mitarbeit (Compliance). In einer ostasiatischen Studie erlangten sowohl in der Gruppe, die monatlich als auch 3-monatlich eine Injektion bekamen zu 50% eine Symptomremission am Ende einer 48-Wochen Doppelblind-Phase. (Symptomfreiheit jedoch bedeutet bei der Schizophrenie noch nicht bereits soziale Wiedereingliederung.) Die Studie weist gleichzeitig mit der Verbesserung der Symptomatik eine deutliche Reduktion der Belastung der Betreuer nach. 80 Die Erfahrungen werden durch eine chinesische Studie bestätigt. 81

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Verweise

Referenzen

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