Ghrelin ist das Akronym für „Growth Hormone Release Inducing“. Es wurde 1999 entdeckt und ist ein Hormon aus der Magenschleimhaut, das seine Hauptwirkung im Gehirn entfaltet („gut-brain axis“) und den Appetit anregt. Es spielt eine wichtige Rolle bei der kurzfristigen Regulierung des Appetits und der langfristigen Regulierung des Körpergewichts.
Pathophysiologie
Ghrelin ist ein Magenhormon. Es ist ein Polypeptid aus 28 Aminosäuren, das aus einer Vorstufe (Präproghrelin) entsteht, die im Fundus des Magens (Parietalzellen) und wahrscheinlich in geringen Mengen in anderen Organen gebildet wird. Es findet sich auch in hypothalamischen Kernen des Gehirns, die die Produktion des Wachstumshormons (Growth Hormone, somatotropes Hormon (STH)) in der Hypophyse mitbestimmen.
Ghrelin bindet an den Wachstumshormon-Sekretagogen-Rezeptors 1a und induziert die Freisetzung von Wachstumshormon (wirkt daher als Sekretagog für Somatotropin), stimuliert den Appetit und beeinflusst Motilität und Säuresekretion des Magens über die Aktivierung des „pGrowth-Hormone-Secretagogue“-Rezeptors.
Ghrelin wird gebildet, wenn der Magen leer ist, wenn also Energiemangel droht. Es fördert den Appetit und gleichzeitig Maßnahmen des Körpers zur Energieeinsparung. Dazu reduziert es die Thermogenese (Wärmebildung, siehe hier) und die Aktivität des Sympathikus. 1 Bei Hunger ist der Ghrelinspiegel erhöht. Mit Ghrelin lässt sich eine Gewichtszunahme erreichen. 2 Dabei wird einerseits durch Beeinflussung des zentralen Nervensyststems der Appetit angeregt und andererseits das abdominelle (weiße) Fett (Bauchfett) vermehrt gebildet; übermäßige Ghrelinproduktion führt zur Fettleibigkeit. Eine experimentelle Zufuhr von acetyliertem Hormon bewirkt eine Leberverfettung. 3
Obestatin ist ein Hormon, welches ebenfalls aus Präproghrelin entsteht. Es scheint ein physiologischer Gegenspieler des Ghrelinhormons bei der Nahrungsaufnahme zu sein (siehe Regulierung des Appetits).
→ Hungergefühl und Körpergewicht: Basics
Einfluss auf Krankheiten
Anorexie
Erhöhte Ghrelinwerte findet man bei der Anorexia nervosa 4 5 und besonders stark beim Prader-Willi-Syndrom, einer seltenen genetisch determinierten Erkrankung, bei der u. a. „Fressattacken“ auftreten. 6
Adipositas
Bei der Behandlung des Übergewichts werden zunehmend die pathophysiologischen Erkenntnisse zur Ghrelinwirkung berücksichtigt. Die Adipositas-Chirurgie verwendet Operationsmethoden, die die Ghrelinbildung vermindern sollen (Resektion von Magenanteilen mit Fundus). 7
Im Tierexperiment an jungen Schweinen wird die Ghrelinproduktion im Fundus des Magens, die etwa 90 % der Ghrelinproduktion ausmacht, durch eine selektive arterielle Embolisation (gastric artery chemical embolization) stark unterdrückt. Die Versuchstiere nahmen im Vergleich zu den Kontrolltieren nicht weiter an Gewicht zu. 8
Das kardiovaskuläre System
Ghrelin verbessert die endotheliale Dysfunktion durch Erhöhung der Bioverfügbarkeit von NO (Stickstoffmonoxid), insbesondere beim metabolischen Syndrom. Es bewirkt eine Verbesserung der linksventrikulären Funktion, vermindert den peripheren Gefäßwiderstand und den arteriellen Blutdruck. 9
Prader-Willi-Syndrom
Beim Prader-Willi-Syndrom, einer genetisch fixierten Krankheit, die durch unbändigen Hunger bei fehlendem Sättigungsgefühl charakterisiert ist, findet sich ein deutlich erhöhter Ghrelinspiegel. 6 Es liegt eine komplexe Dysregulation verschiedener Hormonsysteme vor, bei der das Zwischenhirn eine entscheidende Rolle spielt. Möglicherweise ist eine erhöhte Aktivierung des Insulin-Signalwegs ein pathogenetischer Mechanismus. 10
Alzheimer-Krankheit
Ghrelin vermag bei der Alzheimer-Krankheit einen gewissen Schutz zu vermitteln. Es wurde festgestellt, dass es die diskreten entzündlichen Aktivitäten (Inflammasom) im Gehirn dämpft und die Apoptose der Hirnzellen moduliert. Eine Ghrelinbehandlung senkte die Spiegel der Entzündungsmediatoren IL-1β und IL-18 in den Zellen. Es milderte eine experimentell induzierte Neurotoxizität und linderte neuronale Schäden durch Hochregulierung der Autophagie. Damit wird in Ghrelin ein therapeutisches Potenzial vermutet. 11
Verweise
- Adipositas
- Ernährung bei Adipositas
- Adipositas-Chirurgie
- Appetit
- Gewichtszunahme
- Hungergefühl und Körpergewicht: Basics
Referenzen
- Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2013 Nov;16(6):619-24.[↩]
- Rev Endocr Metab Disord. 2006 Dec;7(4):237-49[↩]
- Mol Endocrinol. 2009 Jun;23(6):914-24[↩]
- Biol Psychiatry. 2008 Aug 1;64(3):252-5[↩]
- J Clin Endocrinol Metab. 2008 Nov;93(11):4418-21. DOI: 10.1210/jc.2008-1138[↩]
- J Neuroendocrinol. 2019 Jul;31(7):e12728. doi: 10.1111/jne.12728[↩][↩]
- Obes Surg. 2008 Jul;18(7):819-28[↩]
- Radiology. 2008 Oct;249(1):127-33[↩]
- Int J Pept. 2010;2010:864342. DOI: 10.1155/2010/864342[↩]
- Obes Sci Pract. 2023 Feb 17;9(4):383-394. doi: 10.1002/osp4.663[↩]
- In Vitro Cell Dev Biol Anim. 2023 Oct;59(9):665-673.[↩]