Als Pulsus bigeminus oder kurz Bigeminus wird ein episodenartiger Wechsel zwischen einer durch den Sinusknoten induzierten Herzaktion (normaler Herzschlag) und einem Extraschlag (Extrasystole) bezeichnet; jedem Normalschlag folgt ein Extraschlag. Die Impulse für die Extraschläge können aus den Herzkammern oder den Vorhöfen stammen.
Inhaltsverzeichnis
Pathophysiologie
Ein Normalschlag ist von einem vorzeitig einfallenden Herzschlag gefolgt. In der Regel ist der zweite Schlag eine ventrikuläre Extrasystole; er hat also seinen Ursprung in einer der Herzkammern. Meist sind es monomorphe Erregungen im EKG, was darauf hinweist, dass sie vom selben Erregungszentrum ausgehen.
Durch den vorzeitigen Einfall der Extrasystole kommt es zu einer kurzzeitigen Refraktärperiode (Zeitraum fehlender Erregbarkeit), in der keine Kammerkontraktion stattfinden kann. Der nächste Impuls vom Sinusknoten wird damit nicht von der Kammer beantwortet. Erst die übernächste vom Sinusknoten stammende Erregung trifft wieder auf ein reaktionsbereites Myokard: Nach der Extrasystole kommt es zu einer verlängerten „kompensatorischen“ Pause.
- In der verlängerten Pause zwischen Extrasystole und nächstem Normalschlag füllt sich die Kammer vermehrt mit Blut, und der darauf folgende, vom Sinusknoten ausgehende Normalschlag wird als besonders kräftig empfunden. Die Füllungsphase zwischen Normalschlag und Extrasystole dagegen ist sehr kurz, und die Kammerfüllung und das Ejektionsvolumen fallen damit entsprechend gering aus: Die Amplitude der Pulswelle ist sehr viel geringer. Wenn der Puls neben dem kräftigen ersten Schlag kaum oder nicht zu fühlen ist, wird die Pulsfrequenz gelegentlich nur halb so hoch wie die Herzfrequenz angegeben. Es lässt sich ein Pulsdefizit messen (über zeitgleiche periphere Pulsmessung und auskultatorische Messung der Herzaktion).
Die regelmäßig hinter einer normalen Systole einfallende Extrasystole kann nicht nur ventrikulären (aus den Herzkammern kommenden), sondern selten auch supraventrikulären (in den Vorhöfen entstehenden) Ursprungs sein.
→ Das Herz
Bigeminus bei ventrikulären Extrasystolen
Handelt es sich beim Bigeminus um ventrikuläre Extrasystolen, so sind sie meist monomorph, stammen also aus demselben Gebiet des Herzmuskels. Die Herzschlagfolge ist folgendermaßen:
- Normale Sinusfrequenz (zum Vergleich):
– – A – – A – – A – – A – – A – – A
(A = Herzaktion mit tastbarem Puls; – – = Diastole, Füllungsphase der Kammern mit Blut)
- Ventrikulärer Bigeminus:
– – A – a – – – A – a – – – A – a – – – A – a
(A = verstärkt tastbarer Puls; a = Puls mit verminderter Stärke)
Bei ventrikulären Extrasystolen ist der Normalschlag wegen der durch die kompensatorische Pause verlängerten Füllungsphase stärker als normal. Da eine erhöhte Ejektion (Volumenauswurf) zu erhöhtem systolischen Blutdruck führt, kann ein ventrikulärer Bigeminus eine Hypertonie vortäuschen, die jedoch bei Normalisierung der Rhythmusstörung verschwindet; dies ist bei supraventrikulärer (vom Sinusknoten ausgehender) Extrasystolie nicht der Fall.
Bigeminus bei supraventrikulären Extrasystolen
Er ist eher selten und dann oft auf ein zweites Erregungsbildungszentrum (einen zweiten Schrittmacher) im Vorhofbereich zurückzuführen. (1)J Electrocardiol. 2012 Nov-Dec;45(6):797-8. doi: 10.1016/j.jelectrocard.2012.06.026. PMID: 23259157.
- Supraventrikulärer Bigeminus:
– – A – A – – A – A – – A – A – –
Symptomatik
Lang dauernde Bigeminusphasen können ähnliche Auswirkungen wie eine Bradykardie haben: kurz dauernde Episoden eines Bigeminus werden oft kaum verspürt; länger dauernde dagegen können zu Leistungsabnahme und Schwindel und Flimmern vor den Augen bis hin zu präsynkopalen bis synkopalen Situationen führen. Die besonders kräftigen Herzaktionen nach langer kompensatorischer Pause können unangenehm verspürt werden.
Ursachen
Als Ursachen eines Bigeminus kommen infrage:
- koronare Herzkrankheit,
- Herzmuskelentzündung (Myokarditis),
- parainfektiöse Herzmitreaktion z. B. bei einem viralen Allgemeininfekt oder nach einer Impfung (Arrhythmien gelegentlich z. B. nach einer Covid-Impfung beschrieben), (2)Nat Med. 2022 Feb;28(2):410-422. doi: 10.1038/s41591-021-01630-0 (3)Ceylon Med J. 2021 Dec 31;66(4):177-184. doi: 10.4038/cmj.v66i4.9508
- Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie; in einem veröffentlichten Fall bedingt durch eine Sprue (4)Dtsch Med Wochenschr. 2000 Aug 4;125(31-32):932-6 ),
- Sympathicusaktivierung bei adrenergem Stress; über diesen Weg auch Auslösung bei psychischer Belastung und Aufregung,
- Medikamente wie Theophyllin and Terbutalin in der Asthmatherapie. Sie können bei Schwangeren auf das Kind übergehen und dort bigeminusartige Arrhythmien auslösen (5)Geburtshilfe Frauenheilkd. 1986 Aug;46(8):545-6,
- Schlafapnoe mit niedriger Sauerstoffsättigung des Bluts, wobei die Bigeminusphasen oft mit der anschließenden hyperpnoeischen Phasen (Phasen vermehrter Atmung) zusammenfällt. (6)Circulation. 2008 Sep 23;118(13):1398-401. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.108.783282. PMID: 18809809.
- Syndrom des kranken Sinusknotens (Sick-Sinus-Syndrom): Zum Sick-Sinus-Syndrom gehört eine verlangsamte Frequenz der Erregungsbildung im Sinusknoten. Wenn in den dadurch bedingten langen Pausen ein zweites Erregungsbildungszentrum anspringt, das oft im Reizleitungssystem oder in den Kammern sitzt, so überbrückt dieses die Pause bis zur Sinusknotenerholung, und es entsteht ein Bigeminus.
Diagnostik
Die Art und Kreislaufrelevanz des Bigeminus wird durch EKG, Langzeit-EKG und Pulsaufzeichnung differenziert. Eine koronare Herzkrankheit sollte bei entsprechender Disposition ausgeschlossen werden (Belastungs-EKG, Stressecho, Herzkatheteruntersuchung). Bei Verdacht auf eine Myokarditis ist evtl. eine Myokardbiopsie erforderlich. Bei Verdacht auf eine Anomalie im Reizleitungssystem kommt ein kardiales Mapping in Betracht. Dazu wird eine elektrophysiologische Untersuchung (EPU) durchgeführt, um ektope Foci und akzessorische Leitungsbahnen zu identifizieren.
→ Zum Elektrokardiogramm (EKG) siehe hier.
Therapie
Die Behandlung eines Bigeminus richtet sich nach seiner Ausprägung und Auswirkung auf den Kreislauf sowie auf die Ursache: Infrage kommen entsprechend Antiarrhythmika, Betablocker, Entzündungshemmer wie NSAR, ein Kaliumausgleich und eine Magnesiumsubstitution. Eine Antikoagulation hilft, das Schlaganfallrisiko durch mögliche zwischenzeitliche Phasen einer absoluten Arrhythmie zu verringern.
Sind die o. g. Therapieoptionen wirkungslos, kommen eine Verödung akzessorischer Leitungsbahnen im Rahmen einer elektrophysiologischen Untersuchungen (EPU) oder eine Katheterintervention, z. B. zur Behebung einer eventuellen Koronarstenose, in Betracht.
Rhythmusstörungen aus paraentzündlichen Ursachen verschwinden meist nach einigen Tagen bis Wochen von selbst wieder. In der Übergangszeit kann eine Beta-Blocker-Behandlung und eine Antikoagulation zu empfehlen sein, da auch zwischenzeitlich höhergradige Rhythmusstörungen mit erhöhtem Schlaganfallrisiko auftreten können.
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Verweise
Patienteninfos
Literatur