Allgemeines
Alkoholabusus bedeutet Missbrauch des Genussmittels Alkohol. Gemeint ist ein Alkoholkonsum über das Maß hinaus, das gesundheitlich und sozial unbedenklich ist. Alkohol gehört zu den am weitesten verbreiteten Drogen. Er schädigt den Körper konzentrationsabhängig in unterschiedlichem Maße, insbesondere das Gehirn, die Leber und das Herz.
Alkohol hat Suchtpotenzial. Suchtgefährdete Menschen sind häufig alkoholabhängig und hochgradig gefährdet, akute und chronische gesundheitliche Schäden zu erleiden.
Ein einmaliger oder seltener Alkoholexzess ist auch Alkoholmissbrauch, wird aber noch nicht als Alkoholismus bezeichnet. Ein häufiger oder andauernder Missbrauch deutet immer auf eine pathologische Trunksucht hin.
Akuter Alkoholabusus kann eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Hirnleistungsfähigkeit jeglicher Art haben und in einem Hirnödem mit Bewusstlosigkeit (Koma) münden. Eine akute Alkoholintoxikation kann zudem zu Herzinsuffizienz (alkoholische Kardiomyopathie) und lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen. Binge-Drinking (Rauschtrinken) endet gelegentlich tödlich. Binge-Trinken ist ein starker Risikofaktor für spätere psychiatrische Krankheiten.
Andauernder Alkoholabusus hat schwerwiegende Langzeitfolgen für die Leber, das Gehirn, das Herz und andere innere Organe. Eine Grenzmenge für akute und chronische Schäden liegt in etwa bei 60 – 80 g Alkohol pro Tag für Männer und 20 – 40 g pro Tag für Frauen. 1
→ Zu Alkohol als Genussmittel siehe hier.
Entstehung
Alkoholmissbrauch hat unterschiedliche Ursachen und Entwicklungsgeschichten. Eine Rolle spielen genetische und epigenetische Modifikationen des Erbguts, Depressionen, die Persönlichkeitsstruktur (mangelnde Emotionalität vs. impulsive Persönlichkeiten) sowie erste Alkoholerfahrungen in Gesellschaft im Jugendlichenalter (sozialer Zwang). Angst und Depression kann im Teufelskreis einen Alkoholabusus verstärken. Binge-Trinken (Koma-Trinken) kann ein Starter sein.
Epigenetik, Amygdala: Eingebunden ist zentral der Mandelkern, bei dem man Veränderungen in der Chromatinstruktur und epigenetische Veränderungen festgestellt hat. Binge-Trinken im Jugendlichenalter beispielsweise führt zu einer epigenetischen Umprogrammierung im Mandelkern mit der Folge einer veränderten synaptischen Aktivität (über das Cytoskelett; Enhancer-Region des Arc-Gens). 2 3 An dieser Stelle lässt sich, wie vermutet wird, therapeutisch eingreifen, um einen Alkoholentzug zu fördern. Dies wurde (mit der Methoden von CRISPR/dCas) an einem Rattenmodell bereits verifiziert. 4
Darm-Hirn-Achse: Alkohol verändert die Zusammensetzung der Darmmikrobiota und der Permeabilität der Schleimhaut. Die folgen sind vielfältig: Cytokine gelangen in das Gehirn und bewirken eine niederschwellige Entzündung. Es tritt ein Thiaminmangel ein, unter dem das Gehirn beeinträchigt ist. Die Gallensäure-Signalwege ändern sich. Die Wertigkeit der einzelnen Veränderungen ist noch nicht bekannt.
Bedeutung der Magen-ADH: Es gibt 5 Alkoholdehydrogenaseklassenn: Die Klasse-1 und Klasse-IV-Dehydrogenasen (Isoenzyme) sind mit Alkoholabusus assoziiert. Die im Magen produzierte Alkoholdehydrogenase (ADH) gehört zur Klasse IV. Seine genetische Modifikation (ADH7) beeinträchtigt den ersten Alkoholabbau. Auch nach einer bariatrischen Operation (zur Gewichtsreduktion bei Adipositas) kommt es zu einem Wegfall der Magenentgiftung von Alkohol. Dadurch erhöht sich das Risiko eines Alkoholabusus, wie mehrere Studien belegen. 5 6 7
Auswirkungen
Beim Alkoholabusus beginnt der Trinker die Kontrolle über sein Denken, Fühlen und Handeln zu verlieren. Es kann zu akuten und chronischen Organschäden kommen.
Grenzkonzentrationen: Bei akutem Alkoholgenuss treten anxiolytische (Angst lösende) und euphorische Wirkungen ab ~12 mM auf. Ab ~18 mM sind die Reaktionszeiten verlangsamt, die motorische Koordination gestört und kognitive Funktionen beeinträchtigt. Oberhalb von 50 mM verstärken sich die Bewegungsstörungen erheblich und es treten Störungen der lebenswichtigen Stammhirnfunktionen ein, wie Atemdepression und Koma. Bei Gelegenheitstrinkern werden Blutkonzentration bis zu 100 mM ausgehalten. 8
Die wichtigsten akuten Schäden sind eine Hirnleistungsstörung (akute alkoholische Enzephalopathie), die sich psychisch und im Verhalten sehr unterschiedlich bemerkbar machen kann, so vor allem durch unkontrolliertes Reden, Torkeln, Lallen, Bewusstseinsverlust, Erbrechen, Aggressivität, Weinerlichkeit, Halluzinationen etc.
Die wichtigsten chronischen Schäden sind
- die alkoholische Fettleber, Fettleberhepatitis und Leberzirrhose, 9
- die akute und chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis),
- die Hirnleistungsstörung (Wernicke Enzephalopathie) aufgrund eines Vitamin-B1-Mangels und eines Abbaus der grauen Substanz,
- Korsakoff-Syndrom (amnestisches Syndrom mit Zerstörung des Gedächtnisses) als irreversible Progressionserscheinung der Wernicke-Enzephalopathie 10
- die alkoholische Herzmuskelschädigung (alkoholische Kardiomyopathie),
- die Fruchtschädigung (alkoholische Embryopathie) bei schwangeren Frauen.
→ Alkoholgenuss
→ Alkoholschädigung des Körpers
Diagnostische Kriterien
Eine Alkoholkrankheit (alcohol use disorder, AUS) liegt vor, wenn 2 von 11 Kriterien für mindestens 12 Monate vorliegen (nach dem „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5). 5th edition. American Psychiatric Association. 2013.) 11:
- Haben Sie jemals mehr oder länger getrunken als beabsichtigt?
- Wollten Sie oder haben Sie mehr als einmal versucht, weniger zu trinken oder mit dem Trinken aufzuhören, konnten es aber nicht?
- Haben Sie viel Zeit mit Alkohol verbracht oder waren Sie krank/erholten Sie sich von den Folgen des Trinkens?
- Hatten Sie jemals ein Verlangen (d. h. ein starkes Bedürfnis oder Drang) zu trinken?
- Haben Sie festgestellt, dass Alkoholkonsum oder Alkoholkrankheit oft die Pflege Ihres Hauses oder Ihrer Familie beeinträchtigt oder Probleme in Ihrem Job oder in der Schule verursacht hat?
- Haben Sie weiter getrunken, obwohl es Probleme mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden verursacht hat?
- Haben Sie Aktivitäten aufgegeben oder reduziert, die für Sie wichtig oder interessant waren, um zu trinken?
- Sind Sie während oder nach dem Trinken mehr als einmal in Situationen geraten, die Ihr Verletzungsrisiko erhöht haben (z. B. Autofahren, Schwimmen, Bedienen von Maschinen, Gehen in einem gefährlichen Bereich oder unsicherer Sex)?
- Haben Sie weiter getrunken, obwohl Sie sich dadurch depressiv oder ängstlich fühlten oder ein anderes Gesundheitsproblem verstärkten? Haben Sie nach einem Gedächtnisschwund weiter getrunken?
- Mussten Sie viel mehr trinken als früher, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, oder stellten Sie fest, dass Ihre übliche Anzahl von Getränken viel weniger Wirkung hatte als zuvor?
- Haben Sie festgestellt, dass Sie nach Abklingen der Alkoholwirkung Entzugserscheinungen hatten (z. B. Schlafstörungen, Zittern, Reizbarkeit, Angst, Depression, Ruhelosigkeit, Übelkeit oder Schwitzen)? Haben Sie Dinge gespürt, die nicht vorhanden waren?
Therapie
Die Behandlung des Alkoholmissbrauchs bleibt wegen der Rückfallneigung problematisch. Grundlage jeder Therapie sollte eine psychosoziale Betreuung mit dem Ziel einer Verhaltensänderung sein. Unter den pharmakologischen Optionen haben Disulfiram, Naltrexon und Acamprosat die größte Bedeutung. Baclofen scheint ein relativ sicheres Medikament zu sein, um die Alkoholsucht zu reduzieren. 12
Die Behandlung sollte die Folgeschäden an Leber, Gehirn und Herz beinhalten. Eine oft vorliegende Unterversorgung mit Vitaminen und Spurenelementen sollte erkannt und ausgeglichen werden. Insbesondere ist bei Alkoholismus, der hochgradig mit einer Hirnfunktionsstörung assoziiert ist, bei seiner Behandlung auf eine begleitende ausreichende Zufuhr von Vitamin B1 (Thiamin) zu achten, um eine Wernicke-Enzephalopathie nicht entstehen zu lassen und ihre Progression einem irreversiblen Korsakoff-Syndrom zu vermeiden. 13
Alkoholentzugssyndrom
Alkoholentzug tritt bei Patienten auf, die ihren Alkoholkonsum innerhalb kurzer Zeit völlig eingestellt oder reduziert haben. Häufigen Symptomen sind Angstzustände, Übelkeit oder Erbrechen, autonome Dysfunktion und Schlaflosigkeit. Etwa 5 % der Patienten entwickeln ein Alkoholentzugsdelirium (Delirium tremens) mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Verwirrtheit und Zittern. Bei leichter Ausprägung ist keine besondere Therapie erforderlich. Bei leichten bis mittelschweren Symptomen kann eine Behandlung mit Benzodiazepin (Dosierung je nach Symptomausprägung) erforderlich werden 14.
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Verweise
Referenzen
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- Neuropharmacology. 2017 Aug 1;122:74-84. doi: 10.1016/j.neuropharm.2017.02.002[↩]
- Neurobiol Dis. 2015 Oct;82:607-619. doi: 10.1016/j.nbd.2015.03.019[↩]
- Sci Adv. 2022 May 6;8(18):eabn2748. DOI: 10.1126/sciadv.abn2748[↩]
- Obes Surg. 2012 Feb;22(2):201-7. doi: 10.1007/s11695-010-0346-1[↩]
- Surg Obes Relat Dis. 2015 Jul-Aug;11(4):897-905. doi: 10.1016/j.soard.2014.10.026[↩]
- Obes Surg. 2018 May;28(5):1248-1254. doi: 10.1007/s11695-017-3008-8[↩]
- Neuron. 2017 Dec 20;96(6):1223-1238. doi: 10.1016/j.neuron.2017.10.032[↩]
- Toxicol Rep. 2021 Feb 19;8:376-385. DOI: 10.1016/j.toxrep.2021.02.010. PMID: 33680863; PMCID: PMC7910406.[↩]
- Exp Ther Med. 2021 Oct;22(4):1132. DOI: 10.3892/etm.2021.10566. [↩]
- Gastroenterol Hepatol (N Y). 2020 Nov;16(11):561-570. PMID: 34035691; PMCID: PMC8132623.[↩]
- Am J Health Syst Pharm. 2014 Aug 1;71(15):1265-76. DOI: 10.2146/ajhp140028. PMID: 25027533; PMCID: PMC4170837.[↩]
- Intern Med J. 2014 Sep;44(9):911-5. DOI: 10.1111/imj.12522[↩]
- BMJ. 2023 May 31;381:951. doi: 10.1136/bmj.p951[↩]