Absolute Arrhythmie bedeutet völlige Unregelmäßigkeit des Herzschlags, wobei im EKG ein regelmäßiger Rhythmus und ein führender Taktgeber nicht mehr zu erkennen sind. Sie bedeutet ein deutlich erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall.
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Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Die absolute Arrhythmie ist eine komplikationsträchtige Rhythmusstörung des Herzens bei Vorhofflimmern.
Ursachen sind häufig
Gefürchtet ist das bei Vorhofflimmern erhöhte Risiko für einen Schlaganfall besonders bei älteren Menschen. Diagnostisch ist ein EKG (Elektrokardiogramm) des Herzens, das die Elektrischen Impulse bei jedem Herzschlag registriert, entscheidend. Häufig ist das zugrundeliegende Vorhofflimmern nur vorübergehend. Daher sind oft ein Langzeit-EKG oder eine Telemetrie über einen Sensor, der über eine längere Zeit appliziert wird, erforderlich. Therapeutisch sind verschiedene Optionen möglich. Innerhalb des ersten halben Jahres kann eine Rhythmisierung des Herzens gelingen. Sie ist meist durch eine Kardioversion (medikamentöse oder durch Elektroschock) zu erreichen. In ausgewählten Fällen kommt eine Pulmonalvenenisolation in Betracht. Zur Vorbeugung eines Schlaganfalls wird meist eine Blutverdünnung (Antikoagulation) eingeleitet. Patienteninfos zur absoluten Arrhythmie siehe hier. |
Pathophysiologie
Sinusrhythmus: Normalerweise wird der Herzrhythmus durch den Sinusknoten bestimmt, der etwa 60 – 70 mal pro Minute in regelmäßigen Abständen einen Reiz aussendet, auf den hin sich die Herzmuskulatur kontrahiert. Der Sinusknoten liegt im rechten Vorhof und wird von der rechten Herzkranzarterie arteriell versorgt. Bei seinem Ausfall übernimmt in der Regel der zweitschnellste Taktgeber die Führung, das ist der obere Teil des av-Knotens, danach tiefere Abschnitte. Wenn jedoch in den Herzvorhöfen eigenständig Erregungen produziert werden (wie beim Vorhofflimmern), kommt es zu einer absoluten Unregelmäßigkeit der Herzaktionen, der absoluten Arrhythmie.
Pathologische Erregung: In vielen Fällen findet man Erregungszentren im Bereich der Einmündung der Pulmonalvenen in den linken Vorhof, die dem durch den Sinusknoten geordneten Erregungsablauf zwischenfunken und Vorhofflimmern auslösen können. Diese sekundären Erregungszentren von dem Vorhof abzukoppeln ist eine neue wirksame Methode der Behandlung einer absoluten Arrhythmie (siehe unter Pulmonalvenenisolation).
Sofortige Folge: Ein Umspringen vom Sinusrhythmus in die absolute Arrhythmie wird vom Patienten oft bemerkt und geht mit einer Leistungseinbuße einher, die besonders bei körperlicher Anstrengung symptomatisch wird; manchmal wird sie jedoch nicht bemerkt, anfangs ist sie oft nur vorübergehend, später bleibt sie dauerhaft.
Langzeitfolge: Im Laufe der Zeit führt eine absolute arrhythmische Herzaktion zu einer Umorientierung der kleinsten Muskelfaserabschnitte im Herzen, so dass eine dauerhafte therapeutische Rhythmisierung immer schwerer und dann gar nicht mehr erreichbar ist. Die Umorientierung der Muskelzellen des Herzens bedeutet eine Minderung der Herzkraft. Besteht bereits eine Herzinsuffizienz, so verschlechtert sie sich nun deutlich. Die Umorientierung der Herzmuskelfasern (Remodeling), wie sie über spezielle radiologische Techniken gemessen werden kann (small-angle x-ray diffraction), kann als Maß für die Herzkraft dienen und das Fortschreiten dokumentieren. (1)Biophys J. 2022 Feb 15;121(4):565-574. doi: 10.1016/j.bpj.2022.01.009
Häufigkeit
Etwa 5 % der Menschen im Alter von 65 Jahren haben Vorhofflimmern. Das Schlaganfallrisiko aller Vorhofflimmerpatienten beträgt geschätzt um 5 % pro Jahr. (2) Am Heart J. 2011 Feb;161(2):241-6. doi: 10.1016/j.ahj.2010.11.002
Neu aufgetretenes Vorhofflimmern (NOAF) kann bei einem Herzinfarkt (STEMI) in der akuten Phase entstehen. In einer Untersuchung an 1455 konsekutiven Patienten trat es bei 102 auf und hatte eine sehr unterschiedliche Dauer (8,1 ± 12,5 Minuten). (3)Diagnostics (Basel). 2023 Feb 7;13(4):613. doi: 10.3390/diagnostics13040613
Nach einer Bypass-Operation trat in einer Untersuchung NOAF bei 8,9% auf (durchschnittlich nach 2,7 ± 2,5 Tagen), nach einer katheterbasierten perkutanen Koronarintervention (PCI) dagegen extrem selten (1/919). (4)J Am Coll Cardiol. 2018 Feb 20;71(7):739-748. doi: 10.1016/j.jacc.2017.12.012
Patienten, die gleichzeitig mit einem Angina-pectoris-Anfall ein neu aufgetretenes Vorhofflimmern entwickeln. Die Inzidenz von NOAF bei ACS liegt in der aktuellen Literatur zwischen 2,3 % und 37 %, während sie bei STEMI zwischen 5 % und 14 % liegt. (5)Diagnostics (Basel). 2023 Feb 7;13(4):613. doi: 10.3390/diagnostics13040613
Neben Vorhofflimmern tritt bei 10-30 % der älteren Patienten vorübergehendes Vorhofflattern auf. Flimmern und Flattern werden wegen der bei beiden erhöhten Gefahr eines Schlaganfalls zu “hochfrequenten Vorhofrhythmusstörungen” zusammengefasst.
Schlaganfallrisiko
Patienten mit absoluter Arrhythmie sind 5-6 mal mehr Schlaganfall-gefährdet als Menschen mit normalem Sinusrhythmius. (6)Neurology. 1978 Oct;28(10):973-7 Das jährliche Risiko, einen Schlaganfall (Apoplex, Apoplexia cerebri) zu erleiden, liegt um 5%. Um es zu senken, ist eine Antikoagulation erforderlich, die in der Regel mit Cumarinderivaten (engl: Coumarin, z. B. Marcumar oder Falithrom) durchgeführt wird. Die beste Vorbeugung ist die dauerhafte Überführung (Konversion) in einen Sinusrhythmus (s. u.).
Cerebrale ischämische Insulte, deren Ursache trotz konventioneller Untersuchungen inklusive Langzeit-EKG unbekannt geblieben ist, haben laut Studien in einer Vielzahl von Fällen dennoch einen kardialen Hintergrund: es lässt sich mithilfe eines Langzeitmonitoring in über 10% der Fälle eine passagere absolute Arrhythmie nachweisen (siehe hier).
Prädisposition
Es gibt Vorbedingungen mit erhöhtem Risiko des Auftretens einer absoluten Arrhythmie. Dazu gehören:
- Hyperthyreose, wahrscheinlich auch schon die latente Hyperthyreose (fT3 noch normal, aber TSH bereits erniedrigt). Wenn im Rahmen einer Schilddrüsenersatztherapie mit Thyroxin oder Derivaten eine absolute Arrhythmie auftritt, obwohl der TSH-Wert normal ist, so muss dennoch daran gedacht werden, die Thyroxin-Dosis etwas zu reduzieren (solange der TSH-Wert im Normbereich bleibt)
- Dilatation des linken Vorhofs (z. B. bei Mitralklappenfehler wie der Mitralstenose oder Mitralinsuffizienz): ein Durchmesser > 5,5 cm bedeutet eine erhöhte Gefahr für die Entstehung einer absoluten Arrhythmie sowie eine deutlich verminderte Chance für eine dauerhafte Rhythmisierung,
- koronare Herzkrankheit,
- Myokarditis (Herzmuskelentzündung),
- Alkoholabusus
- Herzoperationen (wie eine Bypassoperation).
Diagnostik
- Anamnese: Herzsensationen? Leistungsschwäche? Atemnot unter Belastung? Bekannte oder behandelte Schilddrüsenerkrankung? Symptome einer Hyperthyreose?
- EKG: Zeichen einer absoluten Arrhythmie (fehlende P-Wellen, kein av-Rhythmus)
- Speicher-EKG: bei Sinusrhythmus im EKG kann bei entsprechender Symptomatik oder anamnestischer Schilderung eine passagere absolute Arrhythmie vorliegen, die im 24-Stunden-EKG (Speicher- oder Langzeit-EKG) meist erkannt werden kann.
- Implantierbare Loop-Rekorder, auch mit Tele-Anbindung an ein Überwachungszentrum.
- Smart-Watches mit Photoplethysmographie zur kontinuierliche Heimüberwachung als Teil einer “Mobile Health Technology” (Qualität noch verbesserungswürdig). (7)Curr Opin Cardiol. 2022 Jan 1;37(1):1-9. doi: 10.1097/HCO.0000000000000930
Therapie
Bei der Behandlung einer absoluten Arrhythmie kommen in der Initialphase meist Beta-Blocker und Klasse-I-Antiarrhythmika zum Einsatz. (8)BMJ Open. 2013 Nov 22;3(11):e003004
Therapie der Grundkrankheit: Die im Einzelfall vorliegende Prädisposition zur absoluten Arrhythmie sollte möglichst behoben werden.
- Eine manifeste Hyperthyreose wird in jedem Fall behandelt.
- Auch eine latente Hyperthyreose) sollte dann behandelt werden, wenn in ihrem Rahmen eine absolute Arrhythmie aufgetreten ist.
- Handelt es sich um eine durch Medikamente hervorgerufene Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreosis factitia), so ist die Dosierung der Schilddrüsenhormone zu überprüfen.
- Eine Herzklappenerkrankung, die zu einer Vergrößerung der Vorhöfe führt (z. B. eine Mitralstenose), sollte auf Behandlungswürdigkeit überprüft werden.
Wenn die absolute Arrhythmie erst kurze Zeit besteht, sollte die Chance einer Rhythmisierung ausgenutzt werden (Kardioversion, Elektroschock-Behandlung). Der Erfolg einer Elektrokonversion kann durch Antiarrhythmika stabilisiert werden.
Antiarrhythmika: Amiodaron und Ranolazin (Ranexa®) sind bezüglich eines neu aufgetretenen Vorhofflimmerns besonders effektiv. (9)Cardiovasc Drugs Ther. 2018 Dec;32(6):559-565. doi: 10.1007/s10557-018-6832-8 (10)J Innov Card Rhythm Manag. 2021 Mar 15;12(3):4429-4431. DOI: 10.19102/icrm.2021.120303
Bei einer Dauer der absoluten Arrhythmie über 1/2 Jahr oder einer Erweiterung des linken Vorhofs über 5,5 cm (Echokardiographie) ist die Chance einer dauerhaften Normalisierung des Rhythmus jedoch gering.
Rückfallquote: Eine erfolgreiche Rhythmisierung sollte durch Langzeit-EKG-Untersuchungen abgesichert werden, da eine nicht unbeträchtliche Rückfallquote besteht. Sie betrifft vor allem Patienten mit zugrunde liegender koronaren Herzkrankheit und Klappenvitien. Während der mehrmonatigen Nachbeobachtungszeit wird die Antikoagulation in der Regel weitergeführt.
Bei einer Tachyarrhythmie sollte die Herzfrequenz medikamentös gesenkt werden, wobei meist Beta-Blocker und Digitalis-Präparate zum Einsatz kommen.
Schlaganfallprophylaxe
Zur Vorbeugung einer Embolie wie insbesondere zur Schlaganfallprophylaxe ist eine Antikoagulation indiziert. Sie soll dieses Risiko um 65 % mindern. (11)J Innov Card Rhythm Manag. 2018 Apr 15;9(4):3116-3125. doi: 10.19102/icrm.2018.090404 Die Entscheidung bezüglich einer oralen Antokoagulation mit einem DOAC oder Coumarin-Präparat wird individuell gestellt, wobei der CHADS2-Score, bzw. der weiterentwickelten CHA2DS2-VASc-Score eine Hilfestellung bieten soll: (12)Eur Heart J. 2012 Nov;33(21):2719-47 (13)Turk J Med Sci. 2022 Aug;52(4):1103-1110. doi: 10.55730/1300-0144.5413 Zu berücksichtigen ist beispielsweise eine erhöhte Sturzgefahr älterer Menschen oder eine unzuverlässige Medikamenteneinnahme. (14)Cleve Clin J Med. 2017 Jan;84(1):35-40. doi: 10.3949/ccjm.84a.16016
CHA2DS2-VASc-Score |
Congestive heart failure (1 Punkt), |
Hypertension (1 Punkt), |
Age über 75 J (2 Punkte), |
Diabetes (1 Punkt), |
Stroke in der Vorgeschichte (2 Punkte), |
Vascukar disease (1 Punkt), |
Age 65-74 Jahre (1 Punkt), |
Sex (weiblich) (1 Punkt). |
Eine Gerinnungshemmung ist empfehlenswert bei einer Punktzahl von 2 und mehr, außer wenn die besondere Gefahr einer Hirnblutung nach dem HAS-BLED-Score besteht: (15)hromb Res. 2014 Apr;133(4):560-6. doi: 10.1016/j.thromres.2014.01.007 (16)Am J Cardiol. 2017 Nov 1;120(9):1549-1556. doi: 10.1016/j.amjcard.2017.07.051
HAS-BLED-Score |
Hypertonie systolisch über 160 mm Hg (1 Punkt), |
Schwerer Leberschaden (1 Punkt), |
Schwerer Nierenschaden (1 Punkt), |
Schlaganfall in der Vorgeschichte (1 Punkt), |
INR-Werte schwer konstant einzustellen (unter 60% der Werte im Zielbereich) (1 Punkt), |
Alter über 65 Jahre (1 Punkt), |
Abusus von Medikamenten / Drogen (1 Punkt). |
Eine erhöhte Blutungsneigung ist ab einer Punktzahl von 3 anzunehmen und bei der Entscheidung über eine Gerinnungshemmung zu berücksichtigen.
Offene Fragen
Ein Screening auf passageres Vorhofflimmern führt laut einer Auswertung von Studien zu einer Verdreifachung der Erkennung von Vorhofflimmern und der Medikation einer Antikoagulation, jedoch nicht zu einer signifikanten Verringerung des Schlaganfallrisikos. Warum das so ist, und welche diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist Gegenstand einer Debatte. (17)Lancet. 2021 Oct 23;398(10310):1507-1516. DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01698-6.
Eine orale Antikoagulation kann bei hochfrequenten Vorhofrhythmusstörungen das Schlaganfallrisiko senken. Sie ist aber auch mit einer nicht vernachlässigbaren Rate schwerer Blutungen von ∼2 %/Jahr assoziiert. Die Abwägung, was bedeutsamer ist, der Nutzen oder die Blutungsgefahr ist individuell schwierig. (18)Europace. 2023 Jul 4;25(7):euad166. doi: 10.1093/europace/euad166
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Verweise
- Herzrhythmusstörung
- Vorhofflimmern
- Schlaganfall
- Antikoagulanzien
- Antiarrhythmika
- Kardioversion
- Pulmonalvenenisolation
Patienteninfos
Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)
Literatur