Medulläres Schilddrüsenkarzinom

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Kurzgefasst
Ein medulläres Schilddrüsenkarzinom (engl: medullary thyroid cancer, MTC) ist ein selener neuroendokriner Tumor, der das Hormons Calcitonin bildet.

Typisch ist die Produktion des Hormons Calcitonin; daher sind Kalzium im Serum erniedrigt und Phosphat erhöht. Der Tumor tritt häufig gleichzeitig an mehreren Stellen im Drüsengewebe (multilokulär) auf.

Tumor im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie: Häufig sind zudem gleichzeitig andere hormonbildende Tumore (von Nebennierenmark und Nebenschilddrüse) zu finden: dann liegt eine multiple endokrine Neoplasie Typ 2 vor (MEN Typ 2).

Frühzeitige Bildung von Tochtergeschwulsten: Bei Diagnosestellung ist der Tumor oft schon metastasiert.

Die Therapie besteht in einer frühzeitigen Operation oder bei Inoperabilität in einer Behandlung mit verschiedenen Medikamenten, darunter mit Somatostatin-Analoga oder neueren Medikamenten, wie Sunitinib oder Sorafenib. 1  2 Selpercatinib ist ein RET-Inhibitor, der eine wesentliche Erweiterung der Therapieoptionen verspricht. 3


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Häufigkeit und Assoziation mit MEN Typ 2

Etwa 5% der Schilddrüsenknoten sind Schilddrüsenkarzinome, wovon die Mehrzahl gut differenzierte papilläre oder follikuläre Karzinome sind. Das von den C-Zellen der Schilddrüse ausgehende medulläre Karzinom ist deutlich seltener.

Das medulläre Schilddrüsenkarzinom kommt in 3/4 der Fälle sporadisch und in 1/4 familiär und im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 vor. Der Nachweis einer Punktmutation des RET-Protoonkogens unterscheidet die familiäre Form von der sporadischen. 4 Beim Nachweis einer MEN-Typ2-typischen Mutation sollte nach anderen neuroendokrinen Tumoren gesucht werden, speziell nach einem Phäochromozytom und nach einem Nebenschilddrüsentumor mit primärem Hyperparathyreoidismus.

MEN Typ 2 (Multiple Endokrine Neoplasie 2)

Klinik und Diagnostik

Schilddrüsenkarzinome sind am häufigsten papilläre Karzinome, die bei jungen Menschen unter 45 Jahren vorkommen und bei Diagnosestellung oft noch kleiner als 4 cm und noch nicht metastasiert sind. Das seltene medulläre Karzinom unterscheidet sich von ihm durch das meist beidseitige Auftreten und die frühe Metastasierung.

Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sind die meisten Karzinome bereits metastasiert. Auch wenn der Tumor meist langsam wächst, liegen schon bei einem Durchmesser des Primärtumors von 1 cm in 25% lokale Lymphknotenmetastasen vor.

Schilddrüsentumor im Ultraschallbild

An ein medulläres Schilddrüsenkarzinom ist zu denken, wenn bei jüngeren Erwachsenen durch Palpation oder eine Ultraschalluntersuchung aus anderen Gründen Knoten in der Schilddrüse gefunden werden, speziell wenn unklare Schilddrüsentumore in der Familienanamnese zu erfragen sind.

Diagnostischer Gang

  • Alter beim MEN-Typ 2A meist unter 50 Jahren, bei Typ 2B schon 2-3 Jahrzehnte früher.
  • Laborwerte:
    • Die Schilddrüsenhormone fT3 und fT4 im Serum sind nicht erhöht; Calcitonin dagegen ist erhöht.
    • Kalzium und Phosphat: bei Erhöhung des Calcitonins ist Kalzium im Serum erniedrigt und Phosphat erhöht.
    • CEA: dieser Tumormarker kann erhöht sein.
    • Wegen der relativ häufigen Assoziation mit einem Phäochromozytom sind bei Verdacht auf ein medulläres Schilddrüsenkarzinom Adrenalin im Blut und Vanillinmandelsäure im Urin mitzubestimmen.
  • Nachweis einer soliden Raumforderung durch bildgebende Verfahren (Schilddrüsensonographie, Computertomographie). Beim medullären Schilddrüsenkarzinom sind die Tumore meist beidseits und multifokal. Zum Zeitpunkt der Untersuchung liegen oft bereits Metastasen in lokoregionären Lymphknoten vor, die sonographisch erkennbar sind.
  • Schilddrüsenszintigraphie: „Kalte Knoten“ zeigen in der Szintigraphie keine Jodspeicherung: sie bilden keine Schilddrüsenhormone.
  • Metastasennachweis an anderen Stellen im Körper über eine Somatostatinrezeptorszintigraphie, Szintigraphie mit Metajodphenylguanidin (MJPG; Nachweis einer Konzentrierung von injiziertem radioaktiven Jod) oder mit einem PET (Positronenemissionstomographie), Ein PET bzw. PET/CT ist jedoch relativ wenig empfindlich, so dass es nicht überall empfohlen wird. 5
  • Feinnadelaspiration und Zytologie bzw. Histologie durch PE. Eine Feinnadelaspiration wird bei kleinen Tumoren unter 10 mm ohne Nachweis von tumorverdächtigen Lymphknoten nicht als zwingend angesehen. 6
  • Genetische Analyse: Nachweis einer Mutation des RET-Protoonkogens. (Mutationen im BRAF und TERT dagegen beim papillären Schilddrüsenkarzinom) 2 Eine RET-Mutation ist in 70% der medullären Schilddrüsenkarzinome zu finden. 7

Nachdem ein medulläres Schilddrüsenkarzinom wahrscheinlich geworden worden ist, sollte ein CT des Abdomens zum Nachweis eines Nebennierentumors (z. B. Phäochromozytom) und eines Tumors in der Bauchspeicheldrüse (Suche nach einem möglichen Insulinom) erfolgen.

Familiäre Kontrollen

Bei Kenntnis einer familiären Belastung wird eine genetische Untersuchung auf das Vorliegen des RET-Protoonkogens angeraten. Kinder und Jugendliche mit positivem Befund sollten regelmäßig klinisch und sonographisch auf Schilddrüsenknoten überprüft werden. Es sollte eine prophylaktische Thyreoidektomie angeboten werden. 6

Therapie

Bei Nachweis eines kalten Knotens in der Schilddrüse sollte eine Histologie gewonnen und ggf. operiert werden. Ist der Tumor auf die Schilddrüse beschränkt, ist eine chirurgische Heilung anzustreben. Wenn ein Knoten über 5 mm misst, ist eine totale Schilddrüsenentfernung indiziert. Sind metastasenverdächtige lokoregionäre Lymphknotenvergrößerungen vorhanden, wird i. d. R. eine ausgedehnte Lymphadenektomie indiziert sein. Postoperativ ist der Calcitoninspiegel regelmäßig zu kontrollieren. Steigt er über 150 pg/ml, sollte über bildgebende Verfahren nach einer neuerlichen Tumorentwicklung gesucht werden. 8 Nach einer vollständigen Schilddrüsenentfernung (Thyreoidektomie) sind die Schilddrüsenhormone zu substituieren.

Ist wegen ausgedehnter Metastasierung eine operative Therapie nicht mehr möglich, wird i.d.R. zunächst unter Calcitonin-Kontrolle zugewartet (watch-and-wait-Strategie). Bei raschem Anstieg des Calcitonins kommen eine palliative Operation und/oder eine medikamentöse Therapie (z. B. mit Sorafenib, Sunitinib, Everolimus, Vandetanib, Cabozantinib) in Betracht. Die neueren Medikamente führen oft zu einer verlängerten Tumorkontrolle. 9  10

Octreotid und Pasireotid hemmen die Proliferation, Auswanderung und Invasivität von MTC-Zellen. Sie kommen demnach ebenfalls zur Tumorkontrolle infrage. 11

Datelliptium ist eine Neuentwicklung: es regelt die RET-Transkriptionsaktivität herunter und senkt im Tierexperiment das Tumorwachstum eines MTC-Xenografts. Es scheint ein aussichtsreiches Medikament sei zu können. 12

Selpercatinib ist ein selektiver RET-Hemmer. Er führte in einer Zulassungsstudie zu einem Ansprechen in 69% und einem 1-jährigen progressionsfreien Überleben von 64% (Nebenwirkung in 21% hoher Blutdruck, in 11% erhöhte Leberwerte, Hyponatriämie in 8%, Diarrhö in 6%, in nur 2% daher Abbruch der Behandlung). 3

Wegen der häufig zu späten Diagnose kommt bei familiärer Belastung und Nachweis einer prädisponierenden Genmutation eine prophylaktische Schilddrüsenentfernung in Betracht.  2


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Verweise

Referenzen

  1. Endocrinol Metab Clin North Am. 2019 Mar;48(1):285-301. doi: 10.1016/j.ecl.2018.11.006. Epub 2018 Dec 26. PMID: 30717909.[]
  2. Front Endocrinol (Lausanne). 2022 Aug 23;13:990668. DOI: 10.3389/fendo.2022.990668[][][]
  3. N Engl J Med. 2020 Aug 27;383(9):825-835. DOI: 10.1056/NEJMoa2005651[][]
  4. Cancer. 1995 Aug 1;76(3):479-89[]
  5. Endocrinol Metab (Seoul). 2021 Jun;36(3):514-524. DOI: 10.3803/EnM.2021.1082[]
  6. J Laryngol Otol. 2016 May;130(S2):S150-S160. doi: 10.1017/S0022215116000578. PMID: 27841128; PMCID: PMC4873931.[][]
  7. N Engl J Med. 2020 Aug 27;383(9):825-835. doi: 10.1056/NEJMoa2005651[]
  8. Recent Results Cancer Res. 2015;204:207-25. doi: 10.1007/978-3-319-22542-5_10. PMID: 26494391.[]
  9. Endocrinol Metab Clin North Am. 2019 Mar;48(1):285-301. DOI: 10.1016/j.ecl.2018.11.006. []
  10. Endocrinol Metab (Seoul). 2021 Jun;36(3):514-524. doi: 10.3803/EnM.2021.1082[]
  11. Mol Cell Endocrinol. 2021 Jan 15;520:111092. doi: 10.1016/j.mce.2020.111092[]
  12. Cancers (Basel). 2021 Jun 30;13(13):3288. doi: 10.3390/cancers13133288[]