Das Lesch-Nyhan-Syndrom (LNS) ist ein seltener Stoffwechseldefekt mit gichtartiger und neuropsychiatrischer Symptomatik, deren Ursache in einer erhöhten Produktion von Harnsäure liegt. Die Erkrankung wird über Mütter X-chromosomal rezessiv weitergegeben. Krankheitssymptome treten schon in den ersten Monaten nach der Geburt auf und können erhebliche neurologische, kognitive und soziale Fehlentwicklungen sowie die Neigung zu Selbstverletzungen beinhalten. (1)Mol Syndromol. 2016 Nov;7(6):302-311. doi: 10.1159/000449296. Epub 2016 Sep 24. PMID: 27920633; … Continue reading
Inhaltsverzeichnis
Genetik
Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist genetisch determiniert. Als Ursache wurde eine Mutation im HPRT1-Gen, identifiziert, welches auf dem X-Chromosom lokalisiert ist. Sie führt zu einem Mangel an dem Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl-Transferase, welches bei der Bildung von Purinen (Bestandteil der DNA) erforderlich ist. Sein Defekt führt zu einer erheblich vermehrten Bildung von Harnsäure, die sich in allen Körperflüssigkeiten ansammelt. Wegen der X-chromosomalen Kodierung ist nur die Mutter eines Erkrankten Konduktorin (Überträgerin). Töchter (mit 2 X-Chromosomen) erkranken nicht, sind aber in 50% ebenfalls Konduktorinnen. Erkrankte Söhne geben das Gen in 50% weiter, jedoch nur an weibliche, nicht an männliche Nachkommen.
Entwicklung und Symptomatik
Neurologische, psychiatrische und soziale Störungen: Nach der Geburt können Kinder mit Lesch-Nyhan-Syndrom durch schwächeren Muskeltonus auffallen, was das Sitzen und Laufen lernen verzögert. Es kann eine erhöhte nervale Reizbarkeit (Hyperreflexie) mit Neigung zu Spastik auftreten. Die Erkrankung wird in diesem Stadium oft als eine primär neurologische Erkrankung fehlinterpretiert.
Schon in frühen Jahren besteht eine Neigung zu Selbstverletzungen (Beißen auf Lippen, Zunge, von Fingernägeln …). Die Entwicklung kognitiver und sozialer Fähigkeiten bleibt zurück; manchmal dominieren aggressives und abwehrendes Verhalten; damit kommen differenzialdiagnostisch oft psychiatrische Erkrankungen in den Vordergrund. (2)Brain. 2014 May;137(Pt 5):1282-303. DOI: 10.1093/brain/awt202. Epub 2013 Aug 22. PMID: 23975452; … Continue reading
Gichtsymptomatik: Die beim Lesch-Nyhan-Syndrom auffällige Überproduktion von Harnsäure führt zu den von der Gicht bekannten Phänomenen einer Auskristallisation in Gelenken, was eine Gichtarthritis hervorruft; in diesem Fall tritt sie jedoch bereits im Kindesalter auf. Bereits wenige Monate nach der Geburt können in den Windeln orangefarbene Kristalle gefunden werden. Sie können zu einer frühen Diagnostik veranlassen. Die Harnsäurekristalle (Uratkristalle) in den Nieren können zu einer Nierenfunktionsstörung (Uratnephropathie) führen. Es kommt zur Bildung von Uratsteinen in der Niere und im harnableitenden System und dadurch zu den Folgen einer Mikrohämaturie, Makrokämaturie und von Koliken.
Verzögerte Diagnosestellung: Das Lesch-Nyhan-Syndrom kann zwar bereits in den ersten 3 Tagen nach der Geburt diagnostiziert werden, in nicht zu seltenen Fällen wird die Diagnose erst sehr viel später gestellt. In manchen Fällen kommen jedoch Patienten erst im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter zur richtigen Diagnose. So wurde exemplarisch von einem 15-jährigen Jungen berichtet, bei dem eine paralytische Erkrankung bekannt war, und der wegen eines Nierenversagens zur Dialyse eingewiesen worden war. Auffällig war ein selbstverletzendes Verhalten und eine deutlich erhöhter Harnsäurespiegel. Die richtige Diagnose lautete LNS. (3)Ren Fail. 2020 Nov;42(1):113-121. DOI: 10.1080/0886022X.2020.1713805. PMID: 31985336; PMCID: … Continue reading
Varianten mit weniger gravierendem Verlauf: Einige Fälle mit einer weniger schwerwiegenden Symptomatik sind auf LNS-Varianten mit einer geringen Restaktivität (5-10%) des Enzyms HPRT zurückzuführen. Sie weisen zwar noch Zeichen einer Gicht auf, jedoch kaum noch die neurologischer oder psychiatrischer Störungen. (4)Mol Syndromol. 2016 Nov;7(6):302-311. doi: 10.1159/000449296. Epub 2016 Sep 24. PMID: 27920633; … Continue reading (5)Mol Genet Metab. 2015 Jan;114(1):55-61. doi: 10.1016/j.ymgme.2014.11.001. Epub 2014 Nov 8. PMID: … Continue reading
Diagnostik
Die Uratausscheidung im Urin ist beim Lesch-Nyhan-Syndrom bereits nach der Geburt erhöht. Dies führt zu einer orangenen Verfärbung der Windeln (durch Harnsäurekristalle). (6)Pediatr Nephrol. 2010 Nov;25(11):2373-4. doi: 10.1007/s00467-010-1557-3. Epub 2010 Jun 2. PMID: … Continue reading Wenn dem nachgegangen wird, wird eine vermehrte Harnsäureausscheidung entdeckt, was zu einer Ursachenforschung veranlasst.
Wenn das Enzym HGPRT in einer Blut- oder Gewebeprobe getestet wird, so liegt seine Aktivität unter 1,5%. Der Nachweis einer HPRT-Genmutation ist beweisend. (7)Mol Genet Metab. 2014 Aug;112(4):280-5. DOI: 10.1016/j.ymgme.2014.05.012. Epub 2014 May 28. PMID: … Continue reading Varianten mit weniger schwer wiegendem Verlauf haben eine Restaktivität von 5-10% (s.o.).
Therapie
Das Lesch-Nyhan-Syndrom lässt sich nicht ursächlich behandeln. Die Therapie ist rein symptomatisch. Gichtartige Beschwerden lassen sich durch Allopurinol behandeln; unerwünschte Folge der Therapie kann die Bildung von Xanthinsteinen (ebenfalls mit möglichem Harnstau und Koliken) sein.
Die gravierenden neurologischen Komplikationen und das abnorme Verhalten lassen sich nicht ursächlich behandeln.
Verweise
Literatur