Flupirtin (z. B. Katadolon®) ist ein Medikament zur Schmerzbekämpfung (Analgetikum), das weder entzündungshemmende (antiphlogistische) noch fiebersenkende (antipyretische) Eigenschaften aufweist. Eine Indikationseinschränkung ergibt sich durch das Risiko schwerer Leberschäden bei längerer Anwendungsdauer.
→ Analgetika
→ Medikamentenschaden der Leber
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Flupirtin ist ein Medikament zur Behandlung chronischer Schmerzen, vor allem, wenn sie mit einer Überempfindlichkeit des Nervensystems einhergehen. So reagieren Migräne, Spannungskopfschmerz und rheumatische Schmerzen (muskulofasciale Schmerzen) oft gut. Antientzündliche oder fiebersenkende Eigenschaften fehlen dem Medikament.
Flupirtin hat neuroprotektive (Nervenzellen-schützende) Eigenschaften, was als Add-on-Therapie bei der multiplen Sklerose günstig wirken könnte. Allerdings kann es spezielle Hirntumore ebenfalls schützen und ihr Wachstum damit fördern. Ein Hirntumor muss vor dem Einsatz sicher genug ausgeschlossen sein. Eine Reihe von Nebenwirkungen und ein mögliches Gewöhnungspotenzial sind zu beachten. Unter den Laborwerten sollten u. a. Leber- und Gerinnungswerte kontrolliert werden. Da nach längerer Behandlung auch schwere Leberschäden beobachtet werden, ist die Anwendungsdauer auf 2 Wochen beschränkt. |
Wirkungsweise
Flupirtin ist ein selectiver neuronaler Kaliumkanal-Öffner, es öffnet die einwärts gerichteten neuronalen Kv-Kaliumkanäle 1. Es gilt als erster K(V)7-Kanal-Aktivator mit zusätzlichen GABA(A)ergen Effekten und damit als erster Vertreter einer neuen Klasse von Analgetika. Seine Wirkung entfaltet er als indirekter NMDAR-Antagonist (N-Methyl-D-Aspartatrezeptor-Antagonist) mit Auswirkungen auf die Kaliumkanäle der Plasmamembranen 2 3 4.
Eigenschaften
Flupirtin ist wasserlöslich, wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, über die Leber verstoffwechselt und zu etwa ¾ über die Niere und ¼ über den Darm ausgeschieden. Die Halbwertszeit im Plasma beträgt etwa 10 Stunden 5.
Als Triaminopyridin ist es mit Opiaten nicht verwandt. Es erhöht jedoch die Wirksamkeit von Morphin etwa 4-fach 1.
Neben der analgetischen Potenz besitzt es auch muskelentspannende Eigenschaften, weshalb es zur Therapie chronisch rheumatischer Beschwerden interessant ist.
Flupirtin vermindert allgemein das Schmerzempfinden, darunter besonders effektiv Migräne, Neuralgien und muskuloskelettale Schmerzen, wozu bei Verspannungen auch die muskelrelaxierende Eigenschaft beiträgt.
Neben- und Wechselwirkungen
Verglichen mit Tramadol und Pentazocin ist Flupirtin gut verträglich. Als Nebenwirkungen von Flupirtin werden Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen, Schläfrigkeit, trockener Mund und Juckreiz angegeben (einzelne Symptome um 10 %) 6.
Flupirtin wechselwirkt mit einer Reihe von Medikamenten; so verstärkt es beispielsweise die Wirkung einiger oraler Gerinnungshemmer (z. B. von Coumarin-Präparaten) und auch von Diazepinen. Vorsicht ist geboten wegen einer Entzugssymptomatik bei Langzeitgebrauch und dem möglichen Abhängigkeitspotenzial des Medikaments 7.
Warnhinweis: Leberschäden
Wegen der Auswirkungen auf Leber und Gerinnungssystem sind Blutwertkontrollen zu empfehlen, vor allem auch der Leberwerte und der Gerinnungswerte. Vereinzelt wurden schwere Leberschäden und Leberversagen (nach einer mittleren Therapiedauer von 60 Tagen, nicht aber nach bereits 2 Wochen) beobachtet, so dass eine Anwendungsbeschränkung erlassen wurde 8 9. Patienten mit Leberschäden sollten das Medikament nicht erhalten; bei einer beginnenden Erhöhung der Leberwerte unter Flupirtin, sollte es abgesetzt werden. Inzwischen wurde ein genetischer Risikofaktor (HLA DRB1*16:01-DQB1*05:02 Haplotyp) gefunden, der für Flupirtin-induzierte Leberschäden verantwortlich ist 10. Ist der Test allgemein verfügbar, so wird die Behandlung mit Flupirtin wahrscheinlich auch für chronisch Kranke möglich sein. Zudem sucht man nach Derivaten, die die negativen Eigenschaften von Flupirtin nicht besitzen. 11
Flupirtin und Neuroprotektion
Eine Wirkung von Flupirtin betrifft die Neuroprotektion. Es schützt retinale Ganglionzellen der Retina vor Degeneration nach tierexperimenteller Durchtrennung des Sehnerven 12 und auch in kultiviertem menschlichen Hirngewebe 13. Daher wurde vorgeschlagen, Flupirtin als Kandidat für eine Add-on-Therapie zu Behandlung der Optikusneuritis (Entzündung des Sehnerven) im Rahmen der Multiplen Sklerose (MS) anzusehen 12.
Flupirtin fördert experimentell nach einem ischämischen Schlaganfall im Mausmodell eine anhaltende Erholung, Neuroprotektion (Schutz von Hirnzellen) und Angioneurogenese (Neubildung von Blutgefäßen im Gehirn) 4.
Warnhinweis: Hirntumore werden gefördert
Die Neuroprotektion erstreckt sich jedoch auch auf die Zellen maligner Gliome. Auch sie werden vor vorzeitigem Abbau (durch Apoptose) geschützt, sodass sie unter dem Einfluss von Flupirtin rascher zu wachsen beginnen. Dies schränkt den Einsatz des Medikaments zu Behandlung von Schmerz bei Hirntumoren ein 14.
Restriktion der Indikation
Die Verschreibung von Flupirtin bei Patienten mit akuten Schmerzen sollte auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen andere Analgetika kontraindiziert sind. Auch sollte die Einnahme auf 2 Wochen beschränkt bleiben. Eine dringende Empfehlung lautet: Bei Patienten mit bereits bestehender Lebererkrankung oder Begleitmedikamenten, von denen bekannt ist, dass sie eine potenzielle hepatotoxische Wirkung haben, sollte das Medikament nicht eingesetzt werden. 15
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Verweise
Referenzen
- CNS Drugs. 2010 Oct;24(10):867-81[↩][↩]
- Br J Pharmacol. 1997 Dec;122(7):1333-8. doi: 10.1038/sj.bjp.0701519[↩]
- Inflamm Res. 2013 Mar;62(3):251-8[↩]
- Oncotarget. 2015 Jun 10;6(16):14033-44. doi: 10.18632/oncotarget.4226[↩][↩]
- Maedica (Buchar). 2012 Jun;7(2):163-6[↩]
- Int J Clin Pharmacol Ther. 2011 Nov;49(11):637-47[↩]
- J Clin Pharmacol. 2013 Dec;53(12):1328-33[↩]
- arznei-telegramm® 2013; Jg. 44, Nr. 7[↩]
- Rote Hand Brief zu Flupirtin 15.7.2013[↩]
- Pharmacogenet Genomics. 2016 May;26(5):218-24. doi: 10.1097/FPC.0000000000000209. [↩]
- ChemistryOpen. 2019 Jan 15;8(1):41-44. doi: 10.1002/open.201800244[↩]
- Am J Pathol. 2008 Nov;173(5):1496-507[↩][↩]
- J Neuroimmunol. 2005 Oct;167(1-2):204-9[↩]
- Cancer Biol Med. 2013 Sep;10(3):142-7[↩]
- Curr Med Res Opin. 2018 Aug 21:1-8. doi: 10.1080/03007995.2018.1499507.[↩]