Morbus Bechterew

Veröffentlicht von

Morbus Bechterew (ankylosierende Spondylitis, Spondylitis ancylopetica, engl: ankylosing spondylitis, AS) ist eine im deutschsprachigen Raum gängige Bezeichnung für die „axiale Spondyloarthritis„.

Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Der Morbus Bechterew (axialen Spondyloarthritis) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule und der Gelenke zwischen Kreuzbein und Becken (Sakroiliakalgelenke) mit der Folge einer allmählichen schmerzhaften Bewegungseinschränkung des Achsenskeletts und einer Rundrückenbildung. Eine Assoziation mit Autoimmunkrankheiten ist häufig. Heute können die Deformierungen bei frühzeitiger Therapie weitgehend abgewehrt werden.

Typen: „Der Bechterew“ umfasst sowohl eine radiologisch nachweisbare als auch die radiologisch nicht nachweisbare Form. 1

Die Behandlungsmöglichkeiten der axialen Spondylarthritis umfassen eine breite Palette wirksamer Maßnahmen, so dass die Prognose heute deutlich besser geworden ist und die Beweglichkeit oft lange erhalten werden kann. Sie umfassen:

  • physikalische Maßnahmen (Bewegungsübungen), die von besonderer Bedeutung sind,
  • Medikamente, insbesondere NSAIDs und Biologika (TNF-alpha-Hemmer, IL-17-Hemmer).

In Ausnahmefällen kommen auch operative Methoden in Betracht. Die Bewegungsübungen sind um so wirksamer, je besser der Schmerz medikamentös unterdrückt werden kann.

Medikamentös spielen wirksame NSAID und danach Biologika eine vorrangige Rolle. Neue Entwicklungen betreffen Hemmer von zellulären Signalwegen, so speziell die Tyrosinkinasehemmer.

Die Prognose ist durch frühzeitige Erkennung und Therapie heute deutlich besser geworden, und die Beweglichkeit kann oft lange erhalten werden.

Ursachen und Entstehung

Fortgeschrittene Ankylosierung der Wirbelsäule mit Verknöcherung des vorderen Längsbandes der Wirbelsäule, die zu einem Rundrücken geführt hat.

Die ankylosierende Spondylitis Bechterew, die heute axiale Spondyloarthritis heißt, ist eine chronische, seronegative Entzündung (Abwesenheit eines Rheumafaktors im Blut) von Knochen und Bändern der Wirbelsäule und ihrer Gelenke zum Becken hin. 2

Entzündungsmediatoren: An der chronischen Entzündung sind der Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha) und Interleukin-17 entscheidend beteiligt.  3

Gruppe der seronegativen Arthritiden: Die Entzündung bei Krankheiten dieser Gruppe ist steril, d. h. sie wird nicht durch Infektionserreger unterhalten. Sie wird als eine Form einer immunvermittelten Arthritis aufgefasst und gehört zu einer Gruppe von Spondyloarthropathien, zu der auch die reaktive Arthritis, Psoriasis-Arthritis und enteropathische Arthritis (Gelenkentzündung im Rahmen von Darmkrankheiten) gehören 4.

Entzündung am Ansatz von Sehnen und Bändern: Die Entzündungen beginnen an den Ansätzen von Sehnen und Ligamenten am Knochen (Enthesiopathie); es kommt dort zu degenerativen und traumatischen Veränderungen, zu Mikrozerreißungen und Verkalkungen, sowie auch zu Veränderungen im Knochenmark unter dem Knorpel und zu abnormalem Knochenanbau an den betroffenen Stellen. Ein röntgenologisches Diagnosekriterium im Spätstadium sind die verkalkten Längsbänder der Wirbelsäule (s. u.). Es kommt zu einer verminderten und schließlich völlig aufgehobenen Beweglichkeit der Wirbelsäule und zu ihrem Umbau sowie einer Fusion (Ankylose) der Wirbelkörper untereinander und der Kreuzbein-Darmbein-Gelenke (Sakroiliakalgelenke).

Genetische Prädisposition

Die Ursachen eines Morbus Bechterew sind komplex. Die bekannte familiäre Häufung spricht für eine genetische Prädisposition. HLA-B27 ist fast immer positiv (um 90%) 5. Eine Reihe von Polymorphismen des HLA-B27-Gens konnte inzwischen mit dem Morbus Bechterew assoziiert werden 6. Inzwischen sind mehr als 100 Subtypen von HLA-B27 gefunden worden. Die häufigsten Subtypen, die mit der ankylosierenden Spondylitis assoziiert sind, sind HLA-B * 27: 05 (Kaukasier), HLA-B * 27: 04 (Chinesen) und HLA-B * 27: 02 (Mittelmeerpopulationen) 7.

→ Zur genetischen Prädisposition von Autoimmunkrankheiten siehe hier.

Darmbakterien als Auslöser

Bei etwa 50% der Patienten mit axialer Spondylarthritis wurde eine veränderte bakterielle Besiedlung des Darms gefunden (Dysbiose). 8 Sie beeinflussen offenbar das Immunsystem; beteiligt sind spezielle Immunzellen (γδ T -Zellen, spezielle Lymphozyten) und Interleukin-17 (IL17). 9

Häufigkeit

Etwa 1 % der Bevölkerung leidet an einem Morbus Bechterew. Das Geschlechtsverhältnis ist m:f = 3:1 10. Die Inzidenz beträgt 7,2 pro 100 000 Personen und Jahr; bei Patienten mit einer Psoriasis liegt die Prävalenz zwischen 6 und 42 % 11.

Klassifikation

Eine neue Klassifikation unterscheidet die axiale Spondyloarthritis (SpA) von einer peripheren, die insbesondere die Psoriasis-Arthritis, die reaktive Arthritis und die IBD-assoziierte Arthritis (Arthritis bei chronisch entzündlicher Darmkrankheit) umfasst. Die axiale Form enthält eine Untergruppe ohne radiologische Veränderungen, die „non-radiographic axial spondylarthritis“. 12

Non-radiographic axial spondylarthritis

Eine Gruppe der ankylosierenden Spondylarthritis (SpA) weist die typischen radiologischen Zeichen einer strukturellen Veränderung an den Sakroiliakalgelenken und/oder der Wirbelsäule nicht auf. Diese Untergruppe wird als „nonradiographic axial SpA“ (nr-axSpA) bezeichnet. Verglichen mit der SpA finden sich in ihr relativ weniger Männer (Männer zu Frauen etwa 1:1, bei der radiologisch nachweisbaren Spondylitis etwa 1:2 13 ); und die Entzündungsreaktionen sind weniger ausgeprägt. 14

Es bestehen Überlappungen mit verschiedenen anderen, nicht infektiös bedingten Arthritisformen. Die nr–axSpA wird nicht als erstes Stadium der SpA (sozusagen als Prä-Bechterew), sondern als eine Sonderform aufgefasst, die dem Morbus Bechterew nahe verwandt ist. 15 14

Klinik und Symptomatik

Der Morbus Bechterew ist durch folgende Hauptmanifestationen charakterisiert:

Am häufigsten:

  • Wirbelsäule: Rückenschmerzen, Kreuzschmerzen, Hüftschmerzen, Brustschmerzen, Bewegungseinschränkungen, Versteifung und Ausbildung eines Rundrückens (Kyphose),
  • Sakroiliakalgelenke (Gelenke zwischen Kreuzbein und Beckenknochen): Sacroileitis (Entzündung) mit Schmerzen, Bewegungseinschränkung, Ankylosierung (allmähliche Versteifung).

Weniger häufig:

  • verschiedene Gelenke (einseitig, meist Hüfte oder Schulter): schmerzhafte Bewegungseinschränkung.

Die ersten Symptome (Frühsymptome) sind nächtliche Beschwerden und Morgensteifigkeit an Wirbelsäule und im Kreuzbereich; erst viel später kommt der typische gebückte Gang hinzu.

Frühe axiale Spondylarthritis“ (early axial spondyloarthritis-axSpA): Sie liegt nach ASAS-Konsensus vor, wenn die axialen Symptome (Hals-/Brust-/Rücken-/Gesäßschmerzen oder Morgensteifheit) ≤ 2 Jahre bestehen, unabhängig vom Vorliegen radiologischer Zeichen 16.

Assoziationen mit anderen Erkrankungen

Es bestehen Assoziationen mit anderen Erkrankungen:

Als Folge der chronisch-entzündlichen Veränderungen kann sich eine Amyloidose entwickeln.

Diagnostik

Anamnese: Auf die Diagnose wird man durch die typische Symptomatik (s. o.) aufmerksam. In der Frühphase wird über Beschwerden bei der Lagerung im Bett berichtet: Drehen im Bett und Kopf seitwärts wenden ist schmerzhaft. Es kommt erschwertes Bücken hinzu.

Klinische Befunde:
Folgende Untersuchungsbefunde werden erhoben:

  • Schmerzauslösung beim Steigen einer großen Stufe (Becken wird in den Ileosakralgelenken belastet)
  • Mennelsches Zeichen: Schmerzauslösung durch Verdrehung des Beckens in Seitenlage, wobei das untere Bein gebeugt und das obere gestreckt wird.
  • Schobersches Zeichen: beim Rumpfbeugen verlängert sich eine 10 cm-Distanz (ausgehend von L5 nach oben) nicht um mindestens 4 cm.

Labor: Die wichtigsten Laborbefunde sind: HLA-B27 positiv (bis 95%); Rheumafaktor negativ.

Röntgen: Fibröse Durchbauung (Ankylosierung) der Gelenke zwischen Kreuzbein und Darmbein des Beckens (Sakroiliakalgelenke); Verknöcherung der Wirbelsäule, beginnend mit Verkalkung des vorderen Längsbandes, Bildung von Kastenwirbeln. Die Befunde lassen sich im MRT früh verifizieren. Die Magnetresonanztomographie ist die diagnostisch wichtigste bildgebende Methode. 3

Die Aktivität der Entzündung beim Morbus Bechterew wird zur Verlaufsbeurteilung in Scores erfasst (z. B. Assessment in Ankylosing Spondylitis (ASAS)).

Diagnostik nach den ASAS-Kriterien

Die neuen Kriterien zur Diagnosestellung einer axialen Spondylarthritis  folgen der „Assessment in Spondyloarthritis International Society“ (ASAS). 17 Ihre Klassifikation beinhaltet folgende Kriterien:

  • Sakroileitis nach bildgebenden Verfahren plus mindestens 1 SpA-Kriterium

oder

  • HLA-B27 positiv plus mindestens 2 weitere SpA-Kriterien

SpA-Kriterien sind:

  • entzündlich bedingte Rückenschmerzen
  • periphere Arthritis
  • Dacrylitis (Entzündung von Fingergelenken)
  • Enthesitiopathie an der Ferse (entzündlicher Sehnenansatz)
  • familiäre SpA-Belastung
  • gutes Ansprechen auf NSAIDs
  • Uveitis (Entzündung des Augapfels)
  • Psoriasis
  • IBD, chronisch entzündliche Darmkrankheit (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
  • HLA-B27
  • CRP erhöht

Therapie

Die Behandlung beinhaltet eine physikalische Therapie in Kombination mit einer angepassten Schmerzbehandlung. Heute werden erhebliche Fortschritte durch neue Biologika erzielt.
Dazu siehe hier.


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

Referenzen

  1. Lancet. 2017 Jul 1;390(10089):73-84. DOI: 10.1016/S0140-6736(16)31591-4.[]
  2. Ann Rheum Dis. 2024 Apr 11;83(5):547-549. doi: 10.1136/ard-2023-225185[]
  3. Lancet. 2017 Jul 1;390(10089):73-84. doi: 10.1016/S0140-6736(16)31591-4.[][]
  4. Nat Rev Rheumatol. 2016 Feb;12(2):81-91. doi: 10.1038/nrrheum.2015.133[]
  5. Ann Rheum Dis. 2006 Jun;65(6):775-80.[]
  6. Ann Rheum Dis. 2015 Jul;74(7):1387-93. doi: 10.1136/annrheumdis-2013-204835.[]
  7. Curr Rheumatol Rep. 2013 Oct;15(10):362. doi: 10.1007/s11926-013-0362-y[]
  8. 2018 Jun;94:36-39. doi: 10.3899/jrheum.180135.[]
  9. 2018 Apr 25;9:885. doi: 10.3389/fimmu.2018.00885. eCollection 2018.[]
  10. Rheumatology (Oxford). 2014 Apr; 53(4):650-7[]
  11. Best Pract Res Clin Rheumatol. 2010 Dec;24(6):747-56. doi: 10.1016/j.berh.2011.02.002.[]
  12. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2018 Jun; 10(5-6): 129–139. Published online 2018 May 17. doi:  10.1177/1759720X18773726[]
  13. Lancet. 2017 Jul 1;390(10089):73-84. DOI: 10.1016/S0140-6736(16)31591-4[]
  14. Arthritis Care Res (Hoboken). 2012 Sep;64(9):1415-22. doi: 10.1002/acr.21688.[][]
  15. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2018 Jun; 10(5-6): 129–139. doi:  10.1177/1759720X18773726[]
  16. Ann Rheum Dis. 2024 Aug 27;83(9):1093-1099[]
  17. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2018 Jun; 10(5-6): 129–139. Published online 2018 May 17. doi:  10.1177/1759720X18773726[]