Der Hodenkrebs (Hodentumor, Hodenkarzinom, testikuläre Keimzelltumore) ist ein bösartiger Tumor der Keimdrüsen des Mannes. In der Regel haben Hodentumore eine gute Heilungschance. 1
Einteilung
Der Hodenkrebs wird in germinale (d.h. von den Keimzellen ausgehende) und nicht-germinale Tumoren eingeteilt.
Germinale Tumoren (Keimzelltumore) sind mit 95 % die häufigste Art der Hodentumore. Sie entstehen aus Keimzellen, die zunächst lokal ( in situ) zu wuchern beginnen (germ cell neoplasia in situ, GCNIS). Sie werden wiederum untergliedert:
- Seminome: bösartige Wucherung der Spermatogonien, sie machen etwa 50 % der testikulären bösartigen Tumore aus. 2
- Nicht-Seminom-Keimzelltumore: Zu ihnen gehören z. B. das Embryonal-, Chorion- und Teratokarzinom. Von Bedeutung sind vor allem die Keimzelltumore (GCTs) des Hodens (testikuläre GCTs, TGCTs), insbesondere die sogenannten Typ-II-TGCTs des jungen erwachsenen Mannes. Sie entstehen aus „germ cell neoplasia in situ“, GCNIS, und unterteilen sich weiter in mehrere Subtypen in Bezug auf
Nicht-germinale Tumoren kommen vor allem bei Kindern vor und betreffen meistens die Leydig- und Sertolizellen. Die Leydigzellen produzieren Testosteron (männliches Geschlechtshormon); die Sertolizellen helfen bei der Spermienbildung und werden von FSH (Follikel-stimulierendes Hormon der Hypophyse) stimuliert. Diese Tumore sind meist gutartig.
Epidemiologie
Der Altersgipfel liegt allgemein zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Hodenkrebs ist der häufigste maligne Tumor des Mannes in diesem Lebensabschnitt. Der Altersgipfel von Seminomen liegt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, von Nicht-Seminomen um das 30. Lebensjahr.
Entstehung
Wichtigster Prädispositionsfaktor: Kryptorchismus (Lageanomalie bei gestörtem Deszensus des Hoden in der Entwicklungsphase), das gilt auch noch , auch wenn er behandelt ist.
Testikuläre Keimzelltumore (GCT) entwickeln sich aus einem Vorstadium (intraepitheliale Neoplasie; intratubuläre Keimzellneoplasie, TIN, germ cell neoplasia in situ, GCNIS). Solche Vorläuferläsionen sind bei Nachweis eines GCT im kontralateralen Hoden oder im Retroperitoneum durch eine chirurgische Biopsie zu suchen. 5
Der Tumor breitet sich überwiegend lymphogen aus (Ausnahme: Chorionkarzinom). Bei einer hämatogenen Aussaat erreichen die malignen Zellen über die Vena testicularis die großen Gefäßhauptstämme und können sich so entfernt absiedeln.
Seminome treten selten extragonadal im vorderen Mediastinum oder retroperitoneal auf und entstammen versprengtem Keimgewebe.
Symptomatik
Schmerzlose, meist einseitige Schwellung des Hodens mit Schweregefühl. Gynäkomastie oder Pubertas praecox (vorzeitiges Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale) bei Gonadotropin-produzierenden Tumoren möglich.
Allgemeine Tumorsymptome können auftreten: Gewichtsabnahme, unklare lokale und allgemeine Beschwerden.
Diagnostik
Bei jedem Mann mit einer soliden Hodenvergrößerung sollte ein Hodenkrebs ausgeschlossen werden. Die Diagnostik stützt sich im Wesentlichen auf sonographische und radiologische bildgebende Verfahren und letztlich auf eine Histologie. 6
Der diagnostische Gang folgt in etwa folgendem Schema:
- Palpation: verhärteter, vergrößerter Hoden evtl. auch knotig.
- Sonographie: Hoden, Metastasen retroperitoneal und intrahepatisch. Seminome sind i. d. R. homogen hypoechogen (wenig reflexreich)
- Tomographische Verfahren (MRT, CT): ergänzen den Ultraschallbefund bezüglich Staging (Stadieneinteilung: retroperitoneale Lymphknotenvergrößerungen? Fernmetastasen?). 7
- Tumormarker: HCG bzw. beta-HCG (v.a. bei Nicht-Seminomen), Alpha-Fetoprotein, nur bei Nicht-Seminomen), LDH, Lactatdehydrogenase). Weitere Tumormarker sind diagnostisch wertvoll: Seminome sind normalerweise positiv für die Keimzellmarker OCT3/4, CD117, PLAP, SOX17, SALL4 und D2-40; sie können zur histologischen Färbung verwendet werden. 8
Herkunft der Tumormarker: 9
- Dottersackelemente bilden AFP.
- Syncytiotrophoblastische Elemente bilden hCG, hPL oder SP1.
- Teratome mit differenzierten Strukturen bilden CEA.
- Zusammengesetzte Tumore können jeden Marker produzieren.
- Weitere Diagnostik: Ausscheidungsurogramm, CT, Röntgen-Thorax zur Beurteilung der Tumorausbreitung (Metastasierung).
Differentialdiagnostisch ist an eine Nebenhodenentzündung (Epididymitis), Hodentorsion, Hydrozele und Orchitis (Entzündung der Hoden, viral, bakteriell, tuberkulös) sowie seltene Tumore wie ein Lymphom 10 zu denken. 11
Die Magnetresonanztomographie mit hoher Gewebeauflösung vermag einige Differenzialdiagnosen exakt zu unterscheiden und stellt eine wichtige Maßnahme vor einer weiteren diagnostischen und therapeutischen Entscheidung dar. In einer Untersuchung zeigten Seminome in der Mehrzahl keine Kapsel, Isointensität in T1W, Hypointensität in T2W. Sie wiesen zudem gehäuft schmale, verstärkte fibrovaskuläre Septen ohne hämorrhagische oder zystische Degeneration auf. Dagegen wiesen Keimzelltumore, die histologisch nicht den Seminomen zugerechnet wurden, eher eine Kapsel sowie im Inneren meist keine Septen, dafür aber hämorrhagische oder zystische Degenerationen auf, und sie boten ein hauptsächlich gemischtes Signal in T1W und T2W. 12 Dies entspricht im Wesentlichen den auch histologischen Unterschieden: Nicht-Seminom-Tumore (NSTs) zeigten häufiger Zysten, Nekrosen, Blutungen, und eine lymphovaskuläre Invasion (LVI) sowie höhere Stadien als Seminome (SEs). 3
Eine Biopsie des Tumors erfolgt chirurgisch oder Sonographie-gestützt. 13
Die „Liquid Biopsy“ ist eine neue Methode, bei der Keimzelltumore durch Analyse einer Blutprobe bezüglich diagnostischer mikro-RNA untersucht wird. Der Nachweis von miR371 im Plasma stellt ein diagnostisches Kriterium für einen aktiven Keimzelltumor mit extrem hoher Sensitivität (96%) und Spezifität (100%) dar. 14
Therapie
Bei frühzeitiger Entdeckung und konsequenter Therapie ist die Heilungsrate von Seminomen sehr hoch. Dies gilt insbesondere für Seminome. Sie werden radikal inguinal orchidektomiert und haben i. A. eine gute Prognose.
Chorionkarzinome sind prognostisch am ungünstigsten. Das therapeutische Konzept richtet sich nach der Histologie (Seminom oder Nicht-Seminom). Die relapsfreie Überlebensrate innerhalb von 10 Jahren beträgt über 90 %. 15
Therapeutische Optionen:
- Opertive Behandlung
- Hohe Semikastration über inguinalen Zugang 16 mit histologischer Aufarbeitung.
- Retroperitoneale Lymphadenektomie.
- Strahlentherapie. Eine nach einer Operation eingeleitete adjuvante Strahlentherapie, die auf das Retroperitoneum und die ipsilateralen Beckenlymphknoten zielt, wird nicht mehr routinemäßig empfohlen. Sie ist zwar mit Überlebensraten etwa 100 % sehr effizient, aber sie birgt erhebliche Langzeitrisiken, insbesondere durch kardiovaskuläre Toxizität, sowie ein erhöhtes Risiko für sekundäre Malignome 17.
- Für Seminom-Patienten im Stadium I wird eine routinemäßige Strahlentherapie nicht mehr empfohlen. Diese sollte laut einer Zusammenstellung von Behandlungsoptionen Patienten vorbehalten bleiben, die für eine aktive Überwachung oder adjuvante Chemotherapie ungeeignet oder nicht bereit sind. Für Patienten im Stadium I wird eine Überwachung empfohlen, während Patienten mit einem höheren Risiko eine adjuvante Chemotherapie empfohlen wird 17.
- Polychemotherapie (bei metastasierenden Tumoren). Die Chemotherapie basiert auf einer Kombination von Cisplatin mit anderen Chemotherapeutika, wie Etoposid und Bleomycin 18. Auch andere Kombinationen, wie mit Etoposid und Ifophamid sind erfolgversprechend. Bei Resistenzen sind weitere Optionen, so mit Gemcitabin und Guadecitabin, in Prüfung. 19
Prognose
Seminome werden am häufigsten im klinischen Stadium I diagnostiziert. Nach einer Orchiektomie haben etwa 15 % der Patienten in diesem Stadium subklinische Metastasen.
Die rezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit Seminomen belief sich laut einer Zusammenstellung auf 100 % für Krankheitsstadium I und II; und 57 bzw. 44 % für Stadium III oder die anderen Hodentumoren. 20
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
Referenzen
- Fac Rev. 2021 Aug 31;10:67. DOI: 10.12703/r/10-67. PMID: 34557871; PMCID: PMC8441995.[↩]
- Clin Adv Hematol Oncol. 2017 Sep;15(9):708-715. PMID: 28949942.[↩]
- Hum Pathol. 2018 Dec;82:113-124. DOI: 10.1016/j.humpath.2018.07.016. Epub 2018 Jul 21. PMID: 30041024.[↩][↩]
- Nat Rev Dis Primers. 2018 Oct 5; 4(1):29[↩]
- Int J Androl. 2011 Aug;34(4 Pt 2):e7-13. DOI: 10.1111/j.1365-2605.2011.01152.x. Epub 2011 May 25. PMID: 21615417.[↩]
- Radiographics. 2017 Jul-Aug;37(4):1085-1098. DOI: 10.1148/rg.2017160164. Epub 2017 Jun 2. PMID: 28574809; PMCID: PMC5548453.[↩]
- Sci Data. 2021 Aug 5;8(1):209. DOI: 10.1038/s41597-021-00990-z. PMID: 34354085; PMCID: PMC8342409.[↩]
- Case Rep Pathol. 2021; 2021: 9992978. doi: 10.1155/2021/9992978[↩]
- Oncology. 1981;38(4):222-9. DOI: 10.1159/000225555. [↩]
- Clin Transl Oncol. 2010 May; 12(5):321-5.[↩]
- Br J Radiol. 2012 Nov;85 Spec No 1(Spec Iss 1):S54-8. DOI: 10.1259/bjr/30496032. Epub 2012 Jun 6. PMID: 22674703; PMCID: PMC3746403.[↩]
- Medicine (Baltimore). 2019 Nov;98(45):e17937. DOI: 10.1097/MD.0000000000017937. PMID: 31702681; PMCID: PMC6855626.[↩]
- Br J Radiol. 2012 Nov;85 Spec No 1(Spec Iss 1):S54-8. DOI: 10.1259/bjr/30496032. Epub 2012 Jun 6. PMID: 22674703; PMCID: PMC3746403.[↩]
- J Clin Oncol. 2019 Nov 20;37(33):3090-3098. DOI: 10.1200/JCO.18.02057. Epub 2019 Sep 25. PMID: 31553692; PMCID: PMC7351323.[↩]
- Diagn Pathol. 2013 Apr 8;8:57. DOI: 10.1186/1746-1596-8-57. PMID: 23566361; PMCID: PMC3632495.[↩]
- Postgrad Med J. 2007 Oct; 83(984):624-32[↩]
- Oncol Res. 2023 Jan 12;30(3):117-128. doi: 10.32604/or.2022.027511[↩][↩]
- JAMA. 2008 Feb 13;299(6):672-84. DOI: 10.1001/jama.299.6.672. PMID: 18270356.[↩]
- Fac Rev. 2021 Aug 31;10:67. DOI: 10.12703/r/10-67. PMID: 34557871; PMCID: PMC8441995.[↩]
- Oncology. 1983;40(1):1-10. DOI: 10.1159/000225681.[↩]