Das Wiskott-Aldrich-Syndrom ist eine genetisch bedingte Krankheit, die durch einen Immundefekt zu rezidivierenden Infektionen, Ekzemen und Hauteinblutungen aufgrund einer Thrombozytopenie mit zu kleinen Blutplättchen charakterisiert ist. Es wurde 1937 von Alfred Wiskott, einem Deutschen Pädiater, zuerst beschrieben. Das verantwortliche defekte Gen (WAS-Gen) wurde 1994 gefunden. Eine Stammzelltransplantation kann im Erfolgsfall alle Symptome heilen. Auch eine Gentherapie ist in Reichweite. (1)Expert Rev Clin Immunol. 2015;11(9):1015-32. doi: 10.1586/1744666X.2015.1062366. Epub 2015 Jul 9.
Inhaltsverzeichnis
Inzidenz
Die Inzidenz der Krankheit wird auf 4 pro Million männlicher Lebendgeburten geschätzt. Eine ethnische Dominanz besteht nicht.
Genetik
Die Erkrankung wird X-chromosomal rezessiv vererbt, d.h. Frauen sind in der Regel Überträger (Konduktorinnen), Söhne von Konduktorinnen sind immer betroffen. Entscheidend ist eine DNA-Mutation im WASP-Gen (Wiskott-Aldrich Syndrome Protein), die aufgrund einer Störung der Aktinpolymerisierung zur verminderten Bildung von Thrombozyten aus den Vorläufern, den Megakaryozyten des Knochenmarks, führt. (2)Allergol Int. 2012 Jun;61(2):183-9. doi: 10.2332/allergolint.11-RAI-0412. Epub 2012 Feb 25. (3)N Engl J Med. 2006 Oct 26;355(17):1790-3.
Es sind mehrere Mutationen im WASP-Gen bekannt. Sie führen zu einer Vielfalt der klinischen Erscheinungsbilder mit einer Breite von klassischer Ausprägung mit Hautblutungen und rezidivierenden Infektionen bis hin zu einem milden Verlauf. (4)Front Immunol. 2022 Aug 18;13:966084. DOI: 10.3389/fimmu.2022.966084
Entstehung
Das Zytoskelett der Zellen ist aus vernetztem Aktin aufgebaut. Der Aktin-assoziierte Proteinkomplex (actin-related protein 2/3 (ARP2/3) complex) ist notwendig, damit sich neue Aktinfilamente richtig vernetzen. Dieser Komplex selbst muss aktiviert werden. Das geschieht durch nukleationsfördernde Faktoren (nucleation promoting factors, NPFs). Dazu gehören Mitglieder der WASP und der WAVE/SCAR-Familien. Diese Faktoren findet man in den Blutplättchen bildenden Megakaryozyten des Knochenmarks. Eine Störung der Zytoskelett-Umformung während der Thrombozytenabspaltung durch eine Arp2/3-Deletion führt zu einem Mangel Thrombozyten und Mikrothrombozyten in Mäusen. (5)Blood Adv. 2017 Aug 8;1(18):1398-1408. doi: 10.1182/bloodadvances.2017006973.
Die Krankheit betrifft wegen der Einbeziehung von Abwehrzellen zudem das Immunsystem, so dass gehäuft Entzündungen und Allergien bzw. Unverträglichkeiten auftreten.
Symptome, Klinik
Das klinische Bild ist durch den Verlust der Thrombozyten, Infektionen wegen mangelnder Immunkompetenz und autoimmunen Phänomen geprägt. Das Malignomrisiko ist erhöht. Ca. 10 % der Patienten erkranken an Leukämie oder malignen Lymphomen.
Hauptsymptome:
- Petechien, thrombozytopenische Blutungen
- Ekzem, ähnlich einer atopischen Dermatitis
- Splenomegalie
- opportunistische Infektionen: Pneumonie, Sepsis, Meningitis, Otitis. Die T-Zellantwort (siehe Lymphozyten) nimmt über die Jahre ab.
Diagnostik
Der definitive Nachweis ist nur über eine Mutationsanalyse möglich. Laborchemisch findet man folgende Konstellation beim Patienten:
- Thrombozytopenie
- Thrombozyten kleiner als normal (der Befund kann bei automatischer Bestimmung entgehen),
- abnorme Immunglobuline
- IgM niedrig
- IgG normal
- IgA, IgD, IgE erhöht
Eine gelegentlich schwierige Differenzialdiagnose betrifft die Immunthrombozytopenie, die beispielsweise durch eine Cytomegalie-Infektion ausgelöst sein kann. (6)SAGE Open Med Case Rep. 2018 Jan 9;6:2050313X17753788. doi: 10.1177/2050313X17753788. eCollection … Continue reading Eine genetische Analyse bringt in jedem Fall Klarheit.
Die beim Wiskott-Aldrich-Syndrom häufig erhöhten Entzündungsmarker sinken nach Stammzelltransplantation meist ab (Biomarker IL-18). (7)Eur J Immunol. 2021 May;51(5):1285-1288. DOI: 10.1002/eji.202049024.
Therapie
Eine Knochenmarkstransplantation ersetzt die defekten Knochenmarksstammzellen und heilt somit. (8)Blood 2001;97:1598–1603 Symptomatisch müssen Infektionen durch Antibiotika und Infusionen von Immunglobulinen gut beherrscht werden. Blutungen durch die erniedrigte Blutplättchenanzahl werden durch Transfusionen behandelt. Aufgrund der verminderten Immunkompetenz darf nicht mit Lebendimpfstoffen (aktiv) geimpft werden.
Eine Stammzelltransplantation kann zur Heilung führen. Interleukin-18 hat sich als potenzieller Biomarker für Entzündungen nach Transplantation erwiesen. (9)Eur J Immunol. 2021 May;51(5):1285-1288. DOI: 10.1002/eji.202049024.
Eine Gentherapie ist eine perspektivische Option. (10)Nat Commun. 2020 Aug 12;11(1):4034. doi: 10.1038/s41467-020-17626-2 (11)Front Immunol. 2022 Aug 18;13:966084. DOI: 10.3389/fimmu.2022.966084. In einer Studie wurde eine Therapie mit Lentiviren durchgeführt, die als Überträger gesunden WAS-Gens dienten. Diese Vektor-vermittelte hämatopoetische Stamm-/Vorläuferzellen-Gentherapie (HSPC) führte zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome und Anhebung der Thrombozytenzahl. Sie wird von den Autoren als eine potenziell heilende Behandlung angesehen, die eine Alternative zur allogenen HSPC-Transplantation darstellt. (12)Lancet Haematol. 2019 May;6(5):e239-e253. DOI: 10.1016/S2352-3026(19)30021-3
Prognose
Die Haupttodesursachen beim Wiskott-Aldrich-Syndrom sind Infektionen (ca. 55%), Blutungen (ca. 30%) und Krebserkrankungen (ca. 5 %). Die Prognose wird sich absehbar durch eine der neuen Therapien (s. o.) bessern.
→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.
Verweise
Literatur