Insulinom

Das Wichtigste in Kürze


Das Insulinom ist ein seltener, Insulin-bildender Tumor der Bauchspeicheldrüse. Er gehört zu den neuroendokrinen Tumoren und verursacht schwere Unterzuckerungen (Hypoglykämien). Die Häufigkeit liegt bei 1 – 4 pro 1 Million. Es macht 1 – 2 % aller Pankreastumore aus und kommt in jeder Altersgruppe vor. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Etwa 10 – 15 % der Insulinome sind bösartig; in 10 – 15 % von ihnen liegen Lebermetastasen vor. Nicht-metastasierte Tumore können durch eine Operation geheilt werden. Metastasierte Tumore dagegen können nur symptomatisch behandelt werden, wobei Somatostatin-basierte Regime am häufigsten verwendet werden. Eine neue Option ist eine Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT), die gute Erfolge erzielt. 1 2

Assoziation mit MEN Typ 1

Das Insulinom ist oft vergesellschaftet mit anderen neuroendokrinen Tumoren der Nebenschilddrüsen, Bauchspeicheldrüse (auch Glukagonome), der Duodenalwand und des Hypophysenvorderlappens. In dieser Konstellation gehört es zur neuroendokrinen Neoplasie Typ 1. In seltenen Fällen kann das Insulinom auch mit einer von-Hippel-Lindau-Erkrankung assoziiert sein. 3

→ Neuroendokrine Tumore

Pathologische Anatomie

Beta-Zell-Tumore sind die häufigsten Geschwülste des endokrinen Pankreas (ca. 20 Operationen pro Jahr in der Bundesrepublik). Sie treten in den Langerhans-Inseln auf. Bei ihrer Diagnose sind sie meist noch gutartig.  4  Sehr selten liegen sie in der Duodenalwand (2 %).

In 80 – 90 % findet sich ein solitäres Adenom (Inselzelladenom), das in der Mehrzahl der Fälle (85 %) intraoperativ palpabel ist. In ca. 10 % finden sich multiple Tumore (je 50 % 2 – 3 Tumore bzw. 4 – 8 Tumore).

Lokalisation: 98 % im Pankreas, bis zu 2 % ektop, meist aber unmittelbar neben dem Pankreas, aber auch in Dünndarm, Lunge, Schilddrüse.

Klinik

Auffällig wird das Insulinom durch seine endokrine Aktivität. Es produziert Insulin und Proinsulin. Immer wiederkehrende Unterzuckerungen (rezidivierenden Hypoglykämien) mit der typischen Symptomatik einer Hypoglykämie mit Schwindel, Tachykardie, Schweißausbruch können ein erster Hinweis auf die Krankheit sein. Diese Symptome, wie auch eine Hypoglykämie-bedingte Bewusstlosigkeit (hypoglykämischer Schock) sind häufig Anlass für eine rasche Diagnostik, die zur Entdeckung des Tumors führt.

Diagnostik

Das Insulinom wird häufig relativ früh diagnostiziert. Etwa 90 % haben noch einen Durchmesser von unter 2 cm und noch keine Metastasen. Bei Verdacht können folgende Tests Klärung verschaffen:

72-Stunden-Hungertest

Durchführung

  • Fastendauer über 72 h.
  • Alle 2 – 6 h Bestimmung von Plasmaglucose, Insulin und Cortisol.
  • Abbruch beim Auftreten von Hypoglykämiesymptomen.
  • Über 90 % der Insulinompatienten werden hypoglykämisch (Männer < 55 mg/dl, Frauen < 35 mg/dl).
  • Ein Insulinspiegel bei Hypoglykämie von > 15 mU/l ist fast beweisend.
  • Zur Interpretation werden Insulin (in µM/ml) und Glucose(in mg/dl) in Beziehung gesetzt.

Aussage von Plasmainsulin (µE/ml) und Plasmaglucose (mg/dl)

  • beim Gesunden ist der Quotient immer < 0,4
  • bei den meisten Insulinompatienten liegen die Werte > 0,4, oft sogar > 1,0.
  • das Insulin/Glucose-Verhältnis wird in der Regel bei Gesunden während des Fastens kleiner.
  • zum Ausschluss einer artifiziellen Hypoglykämie sollte C-Peptid (bei therapeutischer Insulinzufuhr erhöht sich das C-Peptid nicht) mitbestimmt werden.

Typische Konstellation beim Insulinom

  • im Verhältnis zur Blutglukose hohe Nüchternspiegel von Insulin und C-Peptid
  • überschießender Anstieg von Seruminsulin nach Provokation (Glukose, Glukagon oder i. v. Injektion von Kalzium)

Nicht jeder Hyperinsulinismus ist auf ein Insulinom zurückzuführen; in 5 – 10 % findet sich eine diffuse Inselzellhyperplasie.

Das Insulinom ist oft mit anderen hormonaktiven Tumoren assoziiert und gehört in diesemn Fällen zum Syndrom der multiplen endokrinen Neoplasie vom Typ I (MEN Typ I). Wenn ein Insulinom gefunden oder verdächtigt wird, sind daher auch andere endokrin aktive Tumore zu suchen (siehe hier).

Verlängerter oraler Glukosetoleranztest

Er wird bei Verdacht auf postprandiale Hypoglykämie gewählt. Zum Ausschluss eines selbstinduzierten Hyperinsulinismus wird C-Peptid mitbestimmt, dieses verhält sich parallel zum Insulin bei Insulinompatienten.

Lokalisationsdiagnostik

Sensitivität der diagnostischen Methoden

Nach einer Studie anhand von 120 Patienten konnten mit folgenden Methoden das Insulinom erkannt werden 5:

  • Ultraschall 29,5 %
  • CT 24,2 %
  • Angiographie 55,9 %
  • selektive Angiographie (Äste des Truncus coeliacus) 72,2 %
  • intraoperative Palpation 90 %
  • intraoperative Sonographie praktisch 100 %

Therapie

Die Behandlung ist in der Regel operativ. Da das Insulinom meistens in einem gutartigen Stadium diagnostiziert wird, bedeutet die operative Entfernung Heilung.

Operation

Operative Freilegung des Pankreas und Palpation des Organs zur Detektion einer kleinen Raumforderung; ggf. Zuhilfenahme einer intraoperativen Ultraschalluntersuchung. Wenn sich der Tumor nachweisen lässt, selektive Resektion.

Wenn eine Lokalisierung so nicht gelingt: schrittweise Pankreatektomie (Beginn am Schwanz in Richtung Kopf: bei jedem Resektionsschritt Bestimmung der Plasmaglukose zur Anzeige einer nicht palpablen Läsion; Pankreasresektion nach Resektion von 85% des Drüsenkörpers beenden, um Malabsorption zu vermeiden).

Harrison beschreibt eine Auswertung der Operationsergebnisse von 1012 Fällen:

  • operationsbedingte Mortalität: 11 %
  • Heilung: 63 %
  • postoperativer Diabetes: 10 %
  • persistierende Hypoglykämie: 16 %

Medikamentös

  • Bei akuter Hypoglykämie Glucose oral oder i. v.
  • Diät: viele kleine kohlenhydratarme, eiweiß- und fettreiche Mahlzeiten zur Verhinderung der reaktiven Hypoglykämie.
  • Bei erfolgloser Operation oder als OP-Vorbereitung : Diazoxid (Thiazidderivat) wirkt stark diabetogen, (300 – 1200 mg/d, NW: Salzretention -> Kombination mit einem Diuretikum), führt vielfach zur Anfallsfreiheit.
  • Weitere mögliche Nebenwirkungen: Ödeme, Herzinsuffizienz, Tachykardie, Knochenmarkschäden.
  • Versuche mit Streptozotozin, Plicamycin, Doxyrubicin frustran.
  • Kombination Streptozotozin mit 5-Fluorouracil und Doxyrubicin noch die meisten Erfolge.
  • Bei Erfolglosigkeit Tumorverkleinerung oder Embolisierung der A. hepatica.

Bei wiederkehrender Symptomatik kann ein Versuch mit Octreotid oder mit Prednisolon zur Symptomkontrolle versucht werden, wie erfolgreiche Kasuistiken nahelegen. 6

Eine vergleichende Auswertung verschiedener Behandlungsmethoden ergab: Am häufigsten wurden Somatostatinanaloga (SSA), Everolimus, Capecitabin-Temozolomid (CAPTEM) und die Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT) verwendet. Die PRRT zeigte die höchste Wirksamkeit (Kontrolle der Hypoglykämie in 93 %), gefolgt von CAPTEM (68 %) und Everolimus (62 %). SSA, Chemotherapie und Streptozocin waren weniger wirksam. Das Gesamtüberleben (OS) war bei SSA am längsten (84,67 Monate), gefolgt von CAPTEM (81,67 Monate) und Everolimus (74,07 Monate) 2.

Kasuistik

Eine publizierte Falldarstellung legt dar, wie langwierig eine Diagnosefindung sein kann. Ein 12-jähriger Junge litt seit vier Jahren an Absencen (psychischen Abwesenheiten), deren Ursachen später als Hypoglykämien diagnostiziert wurden. Bei der ersten Untersuchung war sein Nüchternblutzuckerspiegel mit 93 mg/dl normal. Der Insulinspiegel lag jedoch bei 60,8 µIU/ml, der C-Peptidspiegel bei 4,25 ng/ml. Im CT wurde eine 6 cm große knotige Läsion im Pankreasschwanz entdeckt. Die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie ergab eine Anreicherung Tracer-Anreicherung im Tumor und keine Hinweise auf eine Lymphadenopathie oder Fernmetastasen. Nach einer operativen Ausschälung ergab die Histologie ein malignes Insulinom. 7

Prognose

Nicht metastasierende Insulinome werden als „indolent“ und metastasierende Insulinome als „aggressiv“ bezeichnet. Die 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit einem indolenten Insulinom liegt bei 94 % bis 100 %; bei Patienten mit einem aggressiven Insulinom bei 24 % bis 67 %. 8


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Verweise

Weiteres

  1. J Clin Endocrinol Metab. 2024 Mar 15;109(4):1109-1118. doi: 10.1210/clinem/dgad641[]
  2. Endocr Relat Cancer. 2025 Jun 10;32(6):e250091. doi: 10.1530/ERC-25-0091[][]
  3. World J Gastroenterol. 2013 Feb 14;19(6):829-37. doi: 10.3748/wjg.v19.i6.829. PMID: 23430217; PMCID: PMC3574879.[]
  4. Dtsch Med Wochenschr 2003; 128: S81-S83[]
  5. Kuzin et al. World -J-Surg. 1998 Jun; 22(6[]
  6. Case Rep Oncol. 2020 Aug 6;13(2):948-954. doi: 10.1159/000508996. PMID: 32999654; PMCID: PMC7506377.[]
  7. Surg Case Rep. 2025;11(1):25-0355. doi: 10.70352/scrj.cr.25-0355[]
  8. J Clin Endocrinol Metab. 2024 Mar 15;109(4):1109-1118. doi: 10.1210/clinem/dgad641. PMID: 37925662[]