Vasopressin

Veröffentlicht von

Vasopressin (identisch mit Adiuretin) ist Hormon der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), das bei der Blutdruckregulation eine wesentliche Rolle spielt. Seine Hauptaufgabe ist die Vermeidung eines zu niedrigen Blutdrucks (Hypotonie). Im Gehirn erhöht es die Bereitschaft zu sozialer Kommunikation und Paarbildung.

Der Blutdruck
Das Hormonsystem: Basics
Das Gehirn – Sitz von Geist, Seele und Psyche

Allgemeines

Vasopressin ist ein kleines Peptidhormon der Hypophyse, das aus 9 Aminosäuren besteht und als Vorläufersubstanz im Hypothalamus des Gehirns gebildet wird. Es liegt im Blut in sehr geringer Konzentration vor (um 3 pg/ml) und hat zwei biologische Angriffsorte, nämlich

  1. die Niere, in der es bewirkt, dass weniger Flüssigkeit ausgeschieden wird. Dies verhindert eine Abnahme des Blutvolumens und damit eine Senkung des Blutdrucks,
  2. die kleinsten Blutgefäße (Arteriolen), die es verengt, wodurch ebenfalls der Blutdruck angehoben wird.

Die gefäßverengende Wirkung an den Arteriolen hat zur Bezeichnung Vasopressin geführt. Wegen der flüssigkeitsretinierenden Funktion (Antidiurese) an den Nieren wird es auch als Adiuretin bezeichnet.

Im Gehirn scheint es multiple Funktionen beim Gedächtnis und beim Sozialverhalten inkl. Paarbindung und Aggressionsverhalten zu erfüllen. 1 2 Die Auswirkungen auf das Sozialverhalten sind typischerweise bei Männern stärker als bei Frauen. 3

Physiologie

Vasopressin (bei Säugetieren und Menschen Arginin-Vasopressin, bei Vögeln Lysin-Vasopressin) wird als Vorläufersubstanz im Hypothalamus (Hirnkern, Verteilerstation im Zwischenhirn) und dort in großzelligen Neuronen des Nucleus supraopticus und paraventricularis gebildet. Von dort gelangt es über die Ausläufer der Hirnzellen (Axone) in den hinteren Lappen der Hypophyse (Neurohypophyse), in dem es gespeichert, und von wo es bei Bedarf (Hypotonie) in die Blutbahn freigesetzt wird.

Vasopressin wird in die Blutbahn ausgeschüttet, wenn

  • die Osmorezeptoren im Hypothalamus eine Eindickung des Bluts anzeigen,
  • die Druckrezeptoren in den Blutgefäßen (u .a. in der A. carotis bds.) eine Druckminderung anzeigen, was bei vermindertem Blutvolumen eintritt, oder
  • das RAAS anspringt und Angiotensin II gebildet wird.

Seine Freisetzung ins Blut erfolgt als Reaktion auf eine Hypovolämie (Flüssigkeitsmangel) oder Hypernatriämie. ADH/Vasopressin bindet an seinen Typ-2-Rezeptor in den Hauptzellen des Sammelrohrs, was (über eine Phosphorylierung von Aquaporin-2, AQP2) schließlich zu einer vermehrten Wasserrückgewinnung aus dem Primärharn führt.

Die Hormonfreisetzung dient vor allem der Konstanthaltung des Blutdrucks bei drohendem Flüssigkeitsmangel, also letztlich der Vorbeugung eines hypovolämischen Schocks z. B. durch starkes Schwitzen oder durch eine Blutung.

Vasopressin besitzt eine strukturelle Ähnlichkeit mit Oxytocin, das ebenfalls ein Nonapeptid und auf Chromosom 20 kodiert ist 4 und welches das Sozialverhalten ebenfalls beeinflusst.

Wirkungen an den Nieren

In den Nieren bewirkt Vasopressin den Einbau von Wasserporen (Aquaporin) in die Zellmembranen der Tubuluszellen und erhöht dadurch die Permeabilität der Sammelrohre und distalen Tubuli (zum Aufbau der Nieren siehe hier). Dadurch gelangt Flüssigkeit des Harns entlang dem osmotischen Gradienten in das Interstitium der Markpyramiden und von dort zurück in die Blutgefäße. Vasopressin bewirkt auf diese Weise eine Konzentrierung des Urins und verhindert gleichzeitig eine Abnahme des Blutvolumens.

Wirkungen an den Blutgefäßen

Im Blutgefäßsystem führt Vasopressin zu einer Kontraktion der Arteriolen (kleinste Aufzweigungen der Arterien), sodass der periphere Gefäßwiderstand steigt. Dies führt zu einem Blutdruckanstieg, sofern das Herz die entsprechende Leistungsfähigkeit besitzt. Für ein insuffizientes Herz bedeutet eine Steigerung des peripheren Gefäßwiderstandes große Belastung, sodass eine grenzwertig kompensierte Insuffizienz dadurch manifest werden kann.

Wirkungen im Gehirn

Im Gehirn spielt Arginin-Vasopressin (AVP) eine herausragende Rolle bei der sozialen Kommunikation und der Paarbindung von Sexualpartnern. Eine Unterdrückung der Vasopressinwirkung im ventralen Pallidum bewirkt eine Lockerung solch einer Bindung. Eine intranasale Applikation von Arginin-Vasopressin (AVP) bei männlichen Probanden führte in einer Studie zu einer besseren Beurteilung zuvor gesehener wütender oder glücklicher Gesichter im Vergleich zu neutralen Gesichtern. 5 In gleicher Weise beschleunigt AVP die Erkennung sexuell gefärbter Worte in einem Text, gleich ob sie positiv oder negativ belegt sind. 6

Vasopressin und Oxytocin aktivieren wechselseitig ihre Rezeptoren und entfalten damit eine systemübergreifende Wirkung. 7 8 Oxytocin verbessert die soziale Kommunikation, indem es Arginin-Vasopressin-Rezeptoren und nicht Oxytocin-Rezeptoren aktiviert. 9

AVP bindet an V1a- und V1b-Rezeptoren (V1bRs). Diese Rezeptoren werden bei sozial besiegten Versuchstieren (Mäusen) hochreguliert und machen das Tier empfänglicher bzgl. neuerlichen sozial gefährlichen Situationen. Sie fördern ein Rückzugsverhalten, ähnlich dem Burnoutsyndrom. Damit werden diese Rezeptoren als ein attraktives Ziel für eine Behandlung von Angtzuständen und von krankhaften sozialen Abwehrreaktionen angesehen 10

Dominante Männchen von Wühlmäusen zeigten in einer Untersuchung deutlich weniger Oxytocin-immunreaktive Neuronen in den paraventrikulären Kernen und mehr Vasopressin-immunreaktive Neuronen in den paraventrikulären Kernen, den supraoptischen Kernen und dem lateralen und vorderen Hypothalamus als untergeordnete Männchen. Dominante weibliche Tiere zeigten signifikant mehr Vasopressin-immunreaktive Neuronen im lateralen Hypothalamus und vorderen Hypothalamus als untergeordnete Weibchen. Damit werden geschlechtspezifischen Unterschiede im Sozialverhalten und bei der Bildung einer sozialen Hierarchie biochemisch erklärbar. 11 12

→ Zum Gehirn siehe hier.

Pathophysiologie

Diabetes insipidus

Eine verminderte bzw. fehlende Wirkung von Vasopressin / Adiuretin an der Niere führt zum Diabetes insipidus. Es werden drei genetisch differente Unterformen unterschieden: 13 14

  • der autosomal dominant vererbte neurogene Diabetes insipidus (Bildungsstörung von Vasopressin im Hypothalamus durch Defekt des Prepro-Arginin-Vasopressin-Neurophysin-II-Gens (prepro-AVP-NPII)),
  • der nephrogene Diabetes insipidus (x-chromosomal, Defekt des Arginine-Vasopressin Receptor 2 Gens (AVPR2)), und
  • der recessive nephrogene Diabetes insipidus (autosomal, Defekt des Vasopressin-sensitiven Wasserkanal-Gens (aquaporin-2, AQP2)).

Alkohol und Vasopressin

Alkoholexzesse vermindern die Adiuretinproduktion. Es kann trotz großer Flüssigkeitsaufnahme zu einer relativen Dehydratation kommen. Alkoholkranke haben einen erniedrigten Vasopressin-Spiegel, der auch unter Abstinenz anhält; sie reagieren jedoch bei Anstieg des osmotischen Drucks adäquat. 15

Vaptane

Vaptane wie z. B. Tolvaptan sind Vasopressinrezeptor-Antagonisten; sie wirken als Aquaretika. Eine spezielle Indikation ist das SIADH-Syndrom (Syndrom der inadäquaten ADH-Produktion, kommt paraneoplastisch und bei Gehirn-Erkrankungen vor) mit Verdünnungshyponatriämie (siehe hier).


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes!
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

Referenzen

  1. Prog Neurobiol. 2008 Jan;84(1):1-24[]
  2. CNS Spectr. 2009 Nov;14(11):602-6[]
  3. Front Endocrinol (Lausanne). 2023 Feb 13;14:1127792. DOI: 10.3389/fendo.2023.1127792[]
  4. Cytogenet Cell Genet. 1992;61(4):271-3[]
  5. Biol Psychiatry. 2010 Jun 15;67(12):1220-2[]
  6. Psychoneuroendocrinology. 2011 Feb;36(2):294-7. doi: 10.1016/j.psyneuen.2010.07.023[]
  7. Front Neuroendocrinol. 2019 Apr;53:100737. DOI: 10.1016/j.yfrne.2019.02.001[]
  8. Front Neuroendocrinol. 2018 Oct;51:14-24. doi: 10.1016/j.yfrne.2017.10.004[]
  9. Psychoneuroendocrinology. 2014 Dec;50:14-9. DOI: 10.1016/j.psyneuen.2014.08.005[]
  10. Physiol Behav. 2011 Jun 1;103(3-4):393-403. doi: 10.1016/j.physbeh.2011.03.007.[]
  11. J Comp Physiol A Neuroethol Sens Neural Behav Physiol. 2014 Feb;200(2):149-59. doi: 10.1007/s00359-013-0870-2[]
  12. Horm Behav. 2024 Jan;157:105452. doi: 10.1016/j.yhbeh.2023.105452[]
  13. Annu Rev Med. 1995;46:331-43[]
  14. J Am Soc Nephrol. 2005 Oct;16(10):2836-46[]
  15. Alcohol Clin Exp Res. 2004 Dec;28(12):1925-30[]