Rett-Syndrom

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Das Rett-Syndrom (benannt nach dem Wiener Arzt Andreas Rett 1 ) zählt zu den Krankheiten, die durch eine Störung der Hirnentwicklung zustande kommen (neurodevelopmental diseases). Es ist eine nur Mädchen betreffende, meist rasch zunehmende Störung von Empfinden und Verhalten im Kleinkindesalter, die dem Autismus ähnelt. Die Häufigkeit wird auf 1 von 10000 bis 15000 Mädchen geschätzt. 2

Ursache und Pathogenese

Dem Rett-Syndrom liegt eine (zumeist de novo-) Mutation des Gens für das Methyl-CpG-Bindungsprotein 2 (MECP2) auf dem X-Chromosom zugrunde, welches als Suppressor der Genexpression wirkt. Es sind eine Reihe von Mutationen bekannt. 3 4 MECP2 spielt über nicht bekannte Wege eine Rolle bei der Hirnentwicklung. 5 6

Mutationen im Methyl-CpG-bindenden Protein 2 (MECP2) führen bei männlichen Föten meist zum Absterben; wenige überleben jedoch. Tritt die Mutation bei Jungen auf, so verursacht sie meist eine schwere Funktionsstörung des Gehirns (Enzepahlopathie) bereits bei der Geburt oder eine mentale Retardierung. Aber es gibt auch Fälle mit einfacher kognitiver Beeinträchtigung. daher wird auch bei Jungen mit neurologschen Problemen ein Gentest auf das Rett-Syndrom empfohlen. 7

Bei Mädchen kann die Gen-Mutation eine Vielfalt unterschiedlicher Verläufe nehmen; sie reicht vom klassischen Rett-Syndrom bis hin zu normalen „Carriern“, offenbar je nach Ausmaß der X-chromosomalen Inaktivierung. 8

Der Lipidstoffwechsel ist beim Rett-Syndrom verändert, begleitet von einer Reduktion eines für die Lipidaufnahme in Zellen zuständigen Rezeptors (SRB1). Damit ist auch die Aufnahme von Cholesterin eingeschränkt. Im Tierversuch war die Cholesterinsynthese nicht nur in Körperzellen sondern auch im Gehirn erhöht. Sie trägt zu einer Fehlfunktion der Glia des Gehirns bei. Es wird vermutet, dass der Cholesterinstoffwechsel ein lohnender therapeutischer Angriffspunkt sein könnte. 9 10

Klinisches Bild

Klinisch gekennzeichnet ist das Rett-Syndrom durch eine rapide Abnahme bereits erworbener kognitiver, motorischer und sprachlicher Fähigkeiten, die ausschließlich bei Mädchen beobachtbar ist, wobei die ersten 6-18 Monate der Säuglings- und Kleinkindsentwicklung normal verlaufen.

Danach kommt es zu einer Verschlechterung der motorischen Fähigkeiten. Der Augenkontakt, die Sprache und die Kontrolle der Körperbewegungen nehmen ab. Es entwickeln sich eine Reihe neurologischer Symptome, darunter Angstzustände sowie Atemrhythmusstörungen mit Hyperventilation und Krampfanfälle. Es treten stereotype Handbewegungen, nächtliches Zähneknirschen und Krampfanfälle auf. Die Abnahme motorischer Fähigkeiten unterscheidet das Rett-Syndrom klinisch von einem infantilen Autismus. 11 12

Neben der vorherrschenden neurologisch-psychiatrischen Fehlfunktion sind vielfältige Anomalien zu beachten: Zu ihnen gehören Anomalien des Atmungs- und Herz-Kreislaufsystems, der Verdauungsorgane, des Stoffwechsels, des Hormonsystems, der Muskulatur, der Nierenausscheidung sowie der Immunantwort. 13

Diagnostik

Die Diagnosestellung beruht auf dem klinischen Bild frühkindlicher zunehmender neurologischer Störungen ab dem Alter von 6-18 Monaten Eine molekulargenetische Untersuchung auf eine Mutation von MECP2 erhärtet die Diagnose.

Therapie

Eine etablierte Therapie gibt es nicht. Die Behandlung erstreckt sich auf eine individuelle Betreuung. Eine früh einsetzende Intervention mit Psychostimulazien und Antidepressiva, die die MeCP2-Bildung anregen können, kann zu einer Verbesserung führen.  14 Ob Memantine nützt, muss ausprobiert werden. 15

Weitere therapeutische Perspektiven ergeben sich aus der Kenntnis des veränderten Cholesterinstoffwechsels (s. o.) und der Anwendung eines neurotropen Faktors aus dem Gehirn (brain-derived neurotrophic factor, BDNF). 16

Als Zukunftspersektive wird die Möglichkeit genetische Eingriffe angesehen, einschließlich einer  Genersatztherapie, einer DNA/RNA-Bearbeitung und einer Reaktivierung des inaktiven X-Chromosoms. 17

Verweise

 

Referenzen

  1. Wien Med Wochenschr. 1966 Sep 10;116(37):723-6[]
  2. Am J Hum Genet. 2000 Dec;67(6):1428-36[]
  3. Nat Genet. 1999 Oct;23(2):185-8[]
  4. Eur Neurol. 2009;61(1):3-10[]
  5. Yi Chuan. 2014 Jul;36(7):625-30[]
  6. J Cell Biochem. 2013 Nov;114(11):2446-53[]
  7. Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet. 2019 Jan;180(1):55-67. DOI: 10.1002/ajmg.b.32707[]
  8. J Mol Med (Berl). 2003 Jun;81(6):346-54[]
  9. PLoS One. 2014 Aug 12;9(8):e104834[]
  10. Int J Mol Sci. 2019 Aug 5;20(15):3813. doi: 10.3390/ijms20153813[]
  11. J Child Neurol. 1988;3 Suppl:S6-16[]
  12. Nat Rev Genet 2015; 16: 261‐75[]
  13. Fac Rev. 2021 Jun 29;10:59. doi: 10.12703/r/10-59[]
  14. Med Sci Monit. 2012 Jan;18(1):HY1-3[]
  15. Front Neurosci. 2013 Dec 17;7:245[]
  16. Med Sci Monit. 2012 Aug;18(8):HY33-36[]
  17. Dev Med Child Neurol. 2023 Feb;65(2):162-170. DOI: 10.1111/dmcn.15383[]