Amyotrophe Lateralsklerose

Autonomes Nervensystem
Autonomes Nervensystem

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS; engl.: amyotrophic lateral sclerosis) ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung, bei der ausschließlich die motorischen Nervenzellen (Motoneurone) vom allmählichen Untergang betroffen sind.  Die Erkrankung nimmt letztlich einen tödlichen Ausgang durch Ateminsuffizienz. Das sensible und sensorische System sowie die Intelligenz und die „Persönlichkeit“ bleiben vom Abbau praktisch unberührt.

Häufigkeit

Die Prävalenz liegt (in den USA) bei 5 pro 100000. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 62 Jahren (zwischen 60 und 79 Jahren). 1

Ursache und Entwicklung

Risikofaktoren sind eine familiäre Belastung und schwere körperliche Anstrengungen, Schwermetalle und Rauchen. Als Gene sind SOD1, C9orf72, FUS und TARDBP und eine Reihe weiterer Gene (inzwischen mehr als 120), die mit ALS assoziiert sein sollen, in das Blickfeld gerückt. 2

Ein abnorm funktionierendes Immunsystem, toxische Stoffe, eine mitochondriale Dysfunktion und eine Glutamat-Toxizität stehen im Mittelpunkt der Forschung. 3 Glutamat wirkt im Gehirn als exzitatorischer Überträgerstoff in Synapsen von Motoneuronen.

Autoimmunkrankheit: Ein Selbstangriff des Immunsystems, eine autoimmunologische Reaktion, die zum Untergang der motorischen Nervenzellen (Motoneurone) führt, steht im Mittelpunkt der Überlegungen. Diese Hypothese wurde 2025 bestätigt. Es wurde das Zielantigen (C9orf72-Antigen) identifiziert. Die autoimmunologische Reaktion beinhaltet eine erhöhte T-Zellaktivität und eine Aktivierung der Mikroglia. Die Autoren sehen einen therapeutischen Ansatz darin, die betreffenden regulatorischen T-Zellen zu beeinflussen 4.

Endoplasmatischer Stress: In den Motoneuronen werden Proteininklusionen gefunden. Offenbar spielt ein endoplasmatischer Stress eine Rolle, der zu vermehrter Apoptose betroffener Motoneurone führt. Die Protein-Disulphid-Isomerase vermag die Proteinaggregation abzumildern; sie verhindert im Tiermodell die Aggregation und Toxizität der mutierten Superoxiddismutase 1. Eine funktionelle Hemmung der Protein-Disulphid-Isomerase durch S-Nitrosylierung trägt möglicherweise zur Entstehung des sporadischen amyotrophen Lateralsklerose bei. 5

Motoneurone im Mittelpunkt: Betroffen sind die oberen und die unteren Motoneurone. Die oberen sind im motorischen Kortex (Großhirnrinde) lokalisiert. Ihr Defekt führt zu lebhaften Reflexen (Hyperreflexie) sowie zu einer verlangsamten Koordination der Gliedmaßen mit Spastik und Steifheit der Muskeln. Die unteren Motoneurone sind die des Rückenmarks. Ihre Störung macht sich zuerst durch spontanes Muskelzucken oder Faszikulationen bemerkbar. In der Folge entstehen Muskelatrophien. Die Symptomatik beginnt in der Regel in den Extremitäten und geht später auf die Muskulatur der Augen und auf den Schließmuskeln über. 2 6

Mit der Erkrankung geht eine Atrophie (Volumenverminderung) der motorisch involvierten Kleinhirnregionen inklusiver der Verbindungen in der weißen Substanz einher und zudem mit einer beidseitigen Atrophie der motorischen Großhirnregionen und des corticospinalen Trakts. 7

Formen

Zwei Haupterscheinungsformen werden unterschieden: eine familiäre und eine sporadische Form. Die familiäre Form betrifft bis zu 10 % der ALS-Patienten, m:f = 1:1, Auftreten in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter, dominante Vererbung. Die sporadische (idiopathische) Form überwiegt. Es sind überwiegend Männer betroffen. Die Krankheit tritt häufig in einem späteren Lebensalter auf.

Verschiedene Verlaufs- und Erscheinungsformen werden unterschieden: 30% bulbäre Symptomatik, 34% spinale Form, 13% Beine betroffen, 9% Pyramide betroffen, 5,5% Arme betroffen, Rest andere Erscheinungsformen motorischer Ausfälle. 6

Symptomatik

Die Krankheit macht durch Schwäche, Faszikulieren oder/und Krämpfe einzelner Muskelgruppen (nicht symmetrisch) auf sich aufmerksam. Hinzu kommen bald unbeholfener Gang, erschwerte zielgerichtete Bewegung und eine Lähmung der Muskulatur. Die Mimik entschwindet der Beeinflussbarkeit. Schluckstörungen (Dysphagie) und Verschlucken mit Aspirationsgefahr treten auf. Die Sprache wird undeutlich („verwaschen“). Schließlich nimmt die Atemkraft ab und es kommt terminal zur Ateminsuffizienz und zum Atemversagen.

Ursprünglich war die Erkrankung nur durch rein motorische Ausfälle definiert. Genauere Untersuchungen besagen, dass kognitive und Verhaltensveränderungen ebenfalls, auch schon früh im Krankheitsverlauf auftreten können (bei 35 bis 50% der ALS-Patienten). 6

Diagnostik

Die Symptomatik hyperreagibler Reflexe (z. B. auch eines Spontan-Babinski-Reflexes) oder zunehmender Schwäche einzelner Muskelgruppen und die Beobachtung atrophischer Muskelareale bei der klinischen Untersuchung führt zur Verdachtsdiagnose. Entzündliche Myopathien (Myositis, Dermatomyositis) und allgemeine Myopathien im Rahmen z. B. einer Hypokaliämie oder einer Hyperkalzämie und auch eine Borreliose müssen ausgeschlossen werden.

Die Elektromyographie (EMG) kann (z. B. durch Nachweis von Faszikulieren) zur Diagnose beitragen.

Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit verläuft meistens nicht diagnoseweisend.

Eine Magnetresonanztomographie (MRT) und eine Liquor-Untersuchung sind zur Differenzialdiagnose entzündlicher und anderer degenerativer Erkrankungen (z. B. multiple Sklerose) erforderlich. Bei der amyotrophen Lateralsklerose findet sich i. d. R. keine Erhöhung der Leukozytenzahl und des Eiweißgehalts im Liquor. MRT-basierte morphometrische Untersuchungen ergeben eine Atrophie der motorisch aktiven Hirnbezirke und Leitungsbahnen. 8

Therapie

Die ALS ist nicht heilbar. Die Behandlung konzentriert auf symptomatische Maßnahmen und die eine Verbesserung der Lebensqualität.

  • Die Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose beschränkt sich auf unterstützende Maßnahmen inklusive einer Atemunterstützung in späten Phasen.
  • Medikamentös kann mit Baclofen die Neigung zur Spastik und mit Riluzol können bulbäre Symptome verringert werden.
  • Physiotherapie und Logopädie helfen, Funktionen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.
  • Bei Schluckstörungen kann eine Ernährungssonde (PEG) helfen, eine Aspirationspneumonie zu vermeiden.
  • Eine Patientenverfügung sollte rechtzeitig erstellt und je nach Krankheitsverlauf aktualisiert werden.

Prognose

Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 2 – 4 Jahren; 20 % leben 5 Jahre und 10 % 10 Jahre. 6

Verweise

Weiteres

  1. Eur J Epidemiol. 2018;33(7):621–34[]
  2. Am J Manag Care. 2018 Aug;24(15 Suppl):S320-S326. PMID: 30207670.[][]
  3. ALS: amyotrophic lateral sclerosis: causes/inheritance. Muscular Dystrophy Association website. mda.org/disease/amyotrophic-lateral-sclerosis/causes-inheritance. Published 2018. Accessed May 21, 2018.[]
  4. Nature. 2025 Oct 1. doi: 10.1038/s41586-025-09588-6[]
  5. Brain. 2010 Jan;133(Pt 1):105-16[]
  6. Lancet. 2022 Oct 15;400(10360):1363-1380. doi: 10.1016/S0140-6736(22)01272-7[][][][]
  7. Brain Commun. 2020 May 15;2(2):fcaa061. DOI: 10.1093/braincomms/fcaa061 . PMID: 33543125; PMCID: PMC7846188.[]
  8. Brain Commun. 2020 May 15;2(2):fcaa061. DOI: 10.1093/braincomms/fcaa061. PMID: 33543125; PMCID: PMC7846188.[]