Die Reizblase (überaktive Blase, overactive bladder, OAB) ist definiert durch häufigen Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz, ohne dass sich eine Infektion oder eine sonstige pathologische Ursache finden lässt. Sie ist eine häufige Ursache für gestörten Schlaf älterer Menschen.
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Inzidenz
Die Inzidenz der Reizblase ist nicht sicher geklärt. Sie steigt mit dem Alter und ist bei einer hohe Dunkelziffer wahrscheinlich hoch.
Symptomatik
Charakteristisch sind ein starker, schwer unterdrückbarer Harndrang sowie nächtlich gehäuftes Wasserlassen. Eine Harninkontinenz kann, aber muss nicht hinzukommen.
Pathogenese
Patienten mit einer Reizblase entleeren ihre Blase bereits bei geringer Füllung, die Harndrang auslöst. Eine retrograde Füllung über einen Katheter löst bei geringem intravesikalem Druck eine Detrusor-Aktivität aus.
Als Ursache wird eine Überaktivität des Detrusormuskels am Blasenausgang (Musculus detrusor vesicae) angenommen, die sowohl muskulär als auch neurogen (sensorisch oder motorisch) erklärt wird. 1 2
Überschießender Harndrang kann auch durch einen operativen Eingriff im Sakralbereich ausgelöst werden, beispielsweise nach einer Operation zur Behebung einer Inkontinenz 3 oder nach einer minimal-invasiven Schlingentherapie zur Behandlung einer Stressinkontinenz. Frauen mit einem präoperativen Detrusor-Druck von > 15 cm (H2O) sind besonders gefährdet. 4
Nach einer japanischen Studie leiden Patienten mit Reizdarmsyndrom oft auch an einer Reizblase 5, so dass eine gemeinsame Pathogenese diskutiert werden kann (siehe hier).
Diagnostik
Die Diagnose wird durch eine urodynamische Untersuchung gestellt, bei der der Detrusor-Druck gemessen wird.
Differenzialdiagnosen
Eine bakterielle Zystitis ist auszuschließen. Eine zystoskopisch nachweisbare interstitielle Zystitis ist ein häufiger Begleitbefund. 6
Therapie
Pharmakotherapie
- Anticholinergika: Die Pharmakotherapie beruht überwiegend auf der Blockierung muskarinerger Rezeptoren 7, wobei berücksichtigt werden muss, dass kein Medikament nur blasenspezifisch wirkt, sondern systemische anticholinerge Nebenwirkungen (u. a. Mundtrockenheit, trockene Augen, Pulsbeschleunigung, Stuhlunregelmäßigkeiten, Leberwerterhöhungen) hervorruft. Als Medikamente werden u. a. Tolterodin (Detrusitol®, 1-2 mg 2x täglich) und Oxybutynin (z.B. Ditropan®) 8, sowie auch Fesoterodin (Toviaz®, Prodrug, wird bei mangelhafter Tolterodin-Wirkung eingesetzt) 9 verwendet. Das Anticholinergikum Oxybutynin soll negative Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns ausüben, so dass es bei älteren Menschen mit Vorsicht zu verwenden ist. 10 Auch andere starke Anticholinergika sollen Demenz verstärkend wirken. 11
- Beta-Agonisten: Beta-3-Rezeptoren spielen bei der Aktivität des Dterusormuskels eine bedeutende Rolle. Ihre Stimulierung durch Beta3-Agonisten verbessert die Reizblasensymptomatik. Beispiel eines Beta3-Agonisten ist Mirabegron. 12
Chirurgische Therapie
Eine chirurgische Therapie zielt auf eine teilweise Denervierung, um die Blasenaktivität zu senken, die jedoch das hohe Risiko in sich birgt, dass anschließend eine dauerhafte Selbstkatheterisierung zur Blasenentleerung erforderlich wird.
Eine Alternative für ältere Frauen scheint nach einer Vergleichsstudie eine vaginale Behandlung mit einem Erbium:YAG-Laser (VEL) sein zu können. 13
Neurostimulation
Bei einer neurogenen Reizblase kann eine modulierende sakrale Neurostimulation des Nervus pudendus eine Reduktion der Blasenaktivität bewirken und zu einer deutlichen Besserung von Harndrang und Blasenkapazität führen. 14 15
Botulinumtoxin
Die Injektion von Botulinumtoxin (Onabotulinumtoxin A) in den Detrusormuskel sollen bezüglich der Verminderung der täglichen Drangepisoden gleich wirksam wie die Neurostimulation (je minus 3), jedoch über einen längeren Zeitraum kostengünstiger sein; sie sind jedoch beide insgesamt kostenaufwändig. 16
Verweise
Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).
Referenzen
- Urol Int. 2004;72(1):1-12[↩]
- World J Urol. 2009 Dec;27(6):705-9[↩]
- Curr Urol Rep. 2002 Oct;3(5):345-53[↩]
- Neurourol Urodyn. 2008;27(5):407-11[↩]
- BJU Int. 2012 Oct 26. doi: 10.1111/j.1464-410X.2012.11591.x. [Epub ahead of print] [↩]
- JSLS. 2010 Jan-Mar;14(1):83-90[↩]
- Med Care. 2018 Feb;56(2):162-170. doi: 10.1097/MLR.0000000000000858. PMID: 29287033; PMCID: PMC5766403.[↩]
- J Urol. 2004 Jul;172(1):236-9[↩]
- Int J Gen Med. 2012;5:943-51[↩]
- Int Neurourol J. 2020 Sep;24(3):231-240. DOI: 10.5213/inj.2040082.041 Epub 2020 Sep 30. PMID: 33017894; PMCID: PMC7538292.[↩]
- JAMA Intern Med. 2015 Mar; 175(3):401-7[↩]
- Neurourol Urodyn. 2014 Jan;33(1):17-30. doi: 10.1002/nau.22505. Epub 2013 Oct 11. PMID: 24127366.[↩]
- World J Urol. 2019 Nov;37(11):2459-2466. doi: 10.1007/s00345-019-02644-7. Epub 2019 Jan 28. PMID: 30687908; PMCID: PMC6825634.[↩]
- BJU Int. 2005 Sep;96 Suppl 1:29-36[↩]
- Res Rep Urol. 2016 Oct 26;8:193-199. DOI: 10.2147/RRU.S89544. PMID: 27822462; PMCID: PMC5087764.[↩]
- J Urol. 2020 May;203(5):969-977. doi: 10.1097/JU.0000000000000656. Epub 2019 Nov 18. PMID: 31738113; PMCID: PMC7204548.[↩]