Einsamkeit ist das bedrückende Gefühl, das bei einem Mangel an befriedigenden sozialen Beziehungen aufkommt. Mit ihr verbunden ist eine Verminderung der organischen und psychischen Gesundheit und mit einem ungesunden Lebensstil. Einsamkeit als Gesundheitsproblem wird zunehmend gesellschaftlich relevant. 1 Die Schwelle, ab der ein Einsamkeitsgefühl aufkommt, ist sehr subjektiv und variiert individuell. Empfundene Isolation ist mit einer veränderten sozialen Interaktion verbunden. Dabei ist vor allem die Qualität der Interaktionen betroffen, weniger die Häufigkeit (Quantität).
Fördernde Faktoren
Äußere Einflüsse
Das Einsamkeitsempfinden hängt von vielen Faktoren ab. Einflussfaktoren sind beispielsweise Erfahrungen in der Kindheit, kulturelle Normen, soziale Bedürfnisse, körperliche Behinderungen, Erwartungen und Wunschvorstellungen. 2
In einer Untersuchung wurden Variable gesucht, die bei älteren Menschen auf eine Einsamkeitsgefährdung hindeuten. Assoziationen wurde gefunden für 3:
- weibliches Geschlecht,
- nicht verheirateter Status,
- höheres Alter, niedriges Einkommen,
- niedriges Bildungsniveau,
- Alleinleben,
- nur oberflächliche soziale Beziehungen,
- Gesundheitsprobleme,
- Behinderungen (Hören, Sehen, Sprechen, Beweglichkeit),
- psychische Probleme, geringes Selbstvertrauen,
- negativer Blick auf das bisherige Leben,
- kognitive Defizite (die in eine Demenz führen können).
Eine Rolle spielen auch Scham, Ängste verschiedener Art, ungelöste Beziehungsprobleme und eine geringe Bereitschaft zu Vertrauen. 4
Genetische Einflüsse
Soziale Isolierung braucht nicht immer vom Gefühl der Einsamkeit begleitet zu sein. Die Bereitschaft, sich einsam zu fühlen, ist von der psychischen Stabilität (Selbstvertrauen) abhängig, die vielfache Wurzeln hat. Sie ist offenbar auch genetisch mitbestimmt ist. 5 6
Umgekehrt hat das Gefühl der Einsamkeit Auswirkungen auf die somatische Gesundheit. Aus der UK-Biobank (Daten aus 2.920 Plasmaproteinen von 42.062 Teilnehmern) ließ sich eine Assoziation mit Genen herausfiltern, welche mit Herz-Kreislauf-Krankheiten, Schlaganfall und vorzeitigem Tod assoziiert sind (GFRA1, ADM, FABP4, TNFRSF10A and ASGR1). Auch bestehen Assoziationen dieser Gene mit den Volumina besonderer Gehirnregionen, die mit emotionalen und sozialen Fähigkeiten in Verbindung stehen. Der Befund, dass Einsamkeit körperlich krank machende Auswirkungen hat, sollte in der Gesundheitspolitik mehr Beachtung finden, meinen die Autoren 7.
Folgen
- Veränderung der Kognition, Risiko einer Demenz: Inzwischen ist gut belegt, dass die subjektive Wahrnehmung einer sozialen Isolation zu einer Verschlechterung der kognitiven Gesamtleistung, sogar zu einem kognitiven Verfall führt. Folge kann eine vorzeitige Demenz sein, deren Risiko laut einer chinesischen Studie an älteren Menschen deutlich steigt 8 Speziell das Gefühl der Einsamkeit ist dafür verantwortlich, nicht eine soziale Isolierung alleine. 9 Zwar findet eine andere Studie keine Korrelation 10, doch wieder andere Untersuchungsergebnisse stützen die Hypothese eines ursächlichen Zusammenhangs: Bei bildgebenden Untersuchungen wurden bestimmte durch Einsamkeit verursachte Veränderungen in den Strukturen des Gehirns festgestellt. „Einsamkeit in jüngster Zeit ein entscheidender Risikofaktor für Demenz zu sein“. 11 Epigenetische Einflüsse sollen dafür mitverantwortlich sein 12. Dementsprechend zeigt eine Metaanalyse von Untersuchungen einen relevanten positiven Einfluss von sozialer Unterstützung auf die Kognition auf 13.
- Depression: Wer dazu neigt, sich einsam zu fühlen, neigt auch zu Depressionen. 6 Über eine Depression werden auch kardiovaskuläre Erkrankungen erklärt (s. u.), die insbesondere bei Frauen mit Einsamkeit assoziiert sind. Einsamkeit selbst ist möglicherweise nicht direkt assoziiert. 14
- Selbstzerstörerische Tendenz: Unter einem Einsamkeitsgefühl steigt die Wahrnehmung und Ahnung von externen Bedrohungen und die Objektivität einer Beurteilung bedrohlicher Situationen wird durch Voreingenommenheit verdrängt. leichzeitig nehmen paradoxerweise selbstzerstörerische Tendenzen zu. 15
- Körperliche Widerstandskraft: Das Empfinden, einsam zu sein, hemmt nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit, sondern auch die körperliche Widerstandskraft. Im Fall einer Krankheit lässt sich die Heilung einer somatischen Krankheit oft durch Verminderung des Einsamkeitsempfindens fördern. 16 17 Kardiovaskuläre Ereignisse sind mit dem Empfinden von Vereinsamung assoziiert. Dies wird mit einer Aktivierung des Sympathicus und der homonellen Achse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebenniere erklärt. Eine Studie legt nahe, dass die mit Einsamkeit assoziierte Depression vice versa die kardiovaskulären Ereignisse bedingt (s. o.).
- Erhöhte Mortalität: Einsamkeit ist mit einer erhöhten Mortalität verbunden. Eine soziale Isolierung alleine ist dabei nicht ausschlaggebend; entscheidend ist das Gefühl, einsam zu sein. 18 19 In einer Metaanalyse von Studien wurde eine Assoziation von Mortalität und sozialer Isolation – Einsamkeit – Alleinleben von 1,29 – 1,26 – 1,32 gefunden. 20
Evolutionärer Aspekt
Der hohe Wert einer sozialen Kommunikation wird evolutionär begründet: Sozial eingebundene Personen sind besser geschützt und profitieren von gemeinschaftlichen Ressourcen. Soziale Isolierung bedeutet dagegen Unsicherheit und Risiko für das Überleben. 21 22
Die hohen sozial kommunikativen Fähigkeiten, die sich beim Menschen entwickelt haben, und die von ihr abhängige hohe Kooperativität werden als wesentliche treibende Faktoren für die kulturelle Evolution betrachtet. Sozialer Zusammenhalt ist daher tief verwurzelt, ebenso daher das Gefühl der Vereinsamung, wenn befriedigende Sozialkontakte abbrechen. 23 Sozialverhalten hat offenbar genetische Grundlagen, die sich in der Evolution herausgebildet haben. 24
Einsamkeit, soziale Kompetenz und Gefährdungsempfinden
Untersuchungen zeigen, dass Einsamkeit zu Defiziten in sozialen Fähigkeiten führt. Die Sensibilität für nonverbale Kommunikation nimmt ab, während die verbale Kommunikation kompetent bleibt. 25
Untersuchungen zeigen, dass einsame Personen zwar Aufgaben bezüglich der Erkennung von Emotionen problemlos lösen können, aber häufiger als üblich während eines Gesprächs Blickkontakt zu ihrem Gegenüber suchten. 26
Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich einsam fühlende Heranwachsende empfindlich auf negative Gesichtsausdrücke ihrer Gesprächspartner reagieren. 27 Es besteht eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber negativen Signalen im sozialen Umfeld. 28 Das gilt insbesondere auch für Kinder. 29 Diese übereinstimmenden Befunde lassen sich mit einem durch Einsamkeit verstärkten Empfinden einer erhöhten Gefährdung in Zusammenhang bringen.
Veränderungen im Gehirn, einzelne Befunde
Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassensein ist assoziiert mit verschiedenen Veränderungen im Gehirn.
- Veränderte Netzwerke im Gehirn: fMRI-Untersuchungen belegen, dass Einsamkeit assoziiert ist mit Veränderungen von Netzwerken im Gehirn. Die Interaktionen zwischen dem dorsalen und ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerk sowie zwischen dem gefühlsbezogenen und dem sehbezogenen Netzwerk umso schwächer ausgeprägt sind, je stärker ein Einsamkeitsgefühl vorherrscht. 30
- Assoziation von Einsamkeit und Depression: Untersuchungen an nicht dementen älteren Menschen sowohl bei Depression als auch bei Einsamkeit zeigen Veränderungen in der Konnektivität (funktionelle Verbindungen) zwischen verschiedenen Hirnarealen. Die bei Depression einbezogenen Hirnareale der frontalen und temporalen Regionen sind involviert in kognitive Kontrolle, affektive Regulationen und das mit dem Selbst assoziierten „default mode network“. Die bei Einsamkeit einbezogenen Hirnareale betreffen andere Regionen, nämlich die bilateralen Sprachgyri, die für ihre Bedeutung für soziale Interaktionen bekannt sind. Auch wenn Einsamkeit und Depression statistisch assoziiert besteht, so kann derzeit im Gehirn noch keine Verbindung zwischen beiden gefunden werden. Wie beide Empfindungen zusammenhängen, ist ungeklärt. 31
- Hirnorganische Veränderungen: Einsamkeit bei jungen Erwachsenen ist assoziiert mit einer Verminderung der weißen Substanz (Leitungsbahnen) vor allem in Regionen, die mit der Selbstbeurteilung, mit sozialen Fähigkeiten und mit Empathie verbunden sind. 32
- Funktionalität des Gehirns bei Bedrohungsempfinden: Bilder von Bedrohungssituationen wirken laut einer Studie auf einsame Personen intensiver; sie werden messbar rascher verarbeitet als von Kontrollpersonen (116 ms vs. 252 ms). Das wird mit ihrer evolutionären Bedeutung in Zusammenhang gebracht (s. o.): Denn Bedrohungen erfordern eine möglichst rasche Reaktion, und einsame Individuen fühlen sich stärker bedroht. 33
Vorbeugung und Gegenmaßnahmen
Hauptsächlich zwei Methoden werden als wirksam angesehen, um ältere Menschen aus ihrem Empfinden einsam zu sein, herauszuhelfen 34 35:
- gruppenbasierte Interventionen (z. B. Gesprächsgruppen, Hilfegruppen z. B. zum Gedächtnistraining oder gemeinsamen Sport etc.)
- Einzelinterventionen (z. B. Videokommunikation über Computer, Vorleser, Haustier, freiwillige Besuche), E-Interventionen (Telemedizin) werden gestestet. 36
Die gruppenbasierten Interventionen waren bei mindestens einer der nachverfolgten Ziele (soziale, mentale und körperliche Verbesserung) den Eins-zu-Eins-Interventionen deutlich überlegen.
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Verweise
Referenzen
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