Von-Gierke-Glykogenose

Die Von-Gierke-Glykogenose ist eine Glykogenspeicherkrankheit (Glykogenose) vom Typ 1 (glycogen storage disease type 1, GSD1). Sie ist genetisch bedingt und durch eine Lebervergrößerung durch Einlagerung von Glykogen in die Leber gekennzeichnet.  Es besteht eine Neigung zu Unterzuckerungen und Übersäuerungen des Körpers.

Zu Glykogenosen siehe hier.

Häufigkeit

Die Inzidenz von GSD Typ I (GSDI) liegt bei 100  000. Der Typ Ia wird viel häufiger diagnostiziert wird als der Typ IbIb. Der Typ Ib wird autosomal rezessive übertragen.

Entstehung

Bei der Von-Gierke-Glykogenose ist der Abbau des Glukose-6-Phosphats (G6P) gestört. Es ist eine autosomal rezessive Stoffwechselkrankheit, die durch einen Aktivitätsverlust der Glucose-6-Phosphatase gekennzeichnet ist. 1

Die Glukose-6-Phosphatase ist ein Enzymkomplex, der aus 2 Membranproteinen besteht: aus dem Entzymanteil (G6Pase) und einem Transporter (G6PT). Die G6Pase wird auf Chromosom 17q21 kodiert, der Glucose-6-Phosphat Transporter (G6PT) auf Chromosom 11q23.  Der Transporter transportiert G6P vom Zytoplasma ins endoplasmatische Retikulum (ER) und die G6Pase hydrolysiert G6P und bildet daraus Glukose und Phosphat. 2

Es werden zwei Typen unterschieden: Beim Typ 1a (GSDIa) liegt ein Defekt der Glucose-6-Phosphatase-α vor, beim Typ 1b (GSDIb) ein Defekt des Glucose-6-Phosphat-Transporters. 3 GSD Ib entsteht aufgrund biallelischer Varianten in SLC37A4. 4

Biochemie: Beim Abbau von Glykogen durch die Glykogenphosphorylase entsteht zunächst Glukose-1-Phosphat (G1P), das durch die Phosphoglukomutase zu Glukose-6-Phosphat (G6P) umgewandelt wird. G6P entsteht auch aus der Glukoneogenese (Zuckerneubildung aus speziellen Aminosäuren).

Von G6P wird normalerweise unter Wirkung der Glukose-6-Phosphatase Phosphat abgespalten, und es entsteht Glukose, das in den Energiestoffwechsel eingeschleust werden kann. Bei der Von-Gierke-Glykogenose dagegen funktioniert der weitere Abbau von G6P nicht.

Stoffwechselauswirkungen: Das bedeutet, dass Betroffene nicht die Möglichkeit haben, durch eigenen Stoffwechsel Glukose zu bilden,

  • weder durch Glykogenabbau,
  • noch durch Glukoneogenese.

Der Enzymdefekt führt sowohl bei GSDIa als auch bei GSDIb  zu typischen sekundären biochemischen Veränderungen.

Beim Typ 1b gelangt Glucose-6-Phosphat (G6P) in das endoplasmatische Retikulum (ER), dort wird es durch das Enzym Glucose-6-Phosphatase gespalten, um freie Glucose freizusetzen. Dies funktioniert beim GSDIb  nicht. Dies führt daher zu einem Verlust des letzten Schritts sowohl der Glykogenolyse als auch der Gluconeogenese und bewirkt einen Glukoseüberschuss, der zur Glykogenablagerung führt. Folgen sind eine Hepatomegalie und eine Fastenintoleranz mit schwerer Hypoglykämie.

Die Auswirkungen, die durch Labortests messbar sind, betreffen hauptsächlich eine Hyperlaktatämie/Laktazidose, Hypertriglyzeridämie, Hypercholesterinämie und Hyperurikämie. Ihre Ausprägung ist z. T. abhängig von der Qualität der diätetischen Behandlung (Einhaltung der Diät) und der erreichten Glukosehomöostase (Gleichgewicht zwischen Glukosebildung und -abbau).

Klinische Auswirkungen: Glykogen kann auf- aber nicht abgebaut werden; in kritischen Hungersituationen kann der Körper zu niedrigen Blutzucker nicht eigenständig restaurieren. Der Glykogengehalt in Hepatozyten der Leber steigt. Die Leber vergrößert sich; es kommt zur klinisch nachweisbaren Hepatomegalie. 5

Symptomatik und Klinik

Kinder mit GSD I leiden häufig schon im Säuglingsalter unter Unterzuckerungen (Hypoglykämie). Es kommt zu einer Wachstumsverzögerung. Bei Personen mit GSD Typ Ia treten typischerweise Symptome im Zusammenhang mit Hypoglykämie auf, wenn das Intervall zwischen den Mahlzeiten auf 3 – 4 Stunden verlängert wird.

Da die Energiegewinnung (durch Nutzbarmachung von G6P) nicht bedarfsgerecht funktioniert, kommt es zu Episoden von Hypoglykämien (Unterzuckerungen) und Übersäuerungen des Bluts (durch Milchsäure, Laktatazidose) bereits bei Säuglingen sowie zu muskulärer Schwäche und einer Wachstumsverzögerung. Es entwickelt sich eine tastbare Hepatomegalie (Lebervergrößerung), die auch ein Druckgefühl im rechten Oberbauch bewirken kann.

Die Glykogenspeicherkrankheit Typ Ib (GSDIb) ist neben einer Hepatomegalie und Nüchtern-Hypoglykämie durch eine Neigung zu einer Neutropenie und zu rezidivierenden Infektionen gekennzeichnet. Es finden sich oft parodontale Entzündungen und entzündliche Darmerkrankungen (CED). Auch können eine Nephromegalie (Nierenvergrößerung) und Bluthochdruck sowie eine renale tubuläre Dysfunktion auftreten.  Eine Anämie kommt ebenfalls oft vor und wird auf eine Darmentzündung und eine ungenügende Eisenaufnahme zurückgeführt. 6 7

Diagnostik

Der Verdacht auf die Von-Gierke-Glykogenose beim Säugling beruht auf der Konstellation von Unterzuckerungen, Azidose und Lebervergrößerung (Hepatomegalie). Unter den Laborwerten können eine Blutübersäuerungen (Laktatazidose), Hyperlipidämie und Hyperurikämie nachgewiesen werden. Die Diagnose wird durch den genetischen Nachweis einer Mutation des Glucose-6-Phosphatase-Gens (G6PC) gesichert. 8

Therapie

Die Behandlung stützt sich auf eine strukturierte Ernährung. Entscheidend ist eine regelmäßige Zufuhr von (komplexen) Kohlenhydraten, um eine Normoglykämie (≥3,5 – 4 mmol/l) aufrechtzuerhalten. Die Essabstände sollten relativ kurz sein und 3 – 4 Stunden nicht überschreiten.

Bei Verbrauch der Blutglukose durch die Körperzellen kommt es zur Hypoglykämie und Azidose, da der Körper selbst keine Glukose nachproduzieren kann. Sie zu vermeiden ist das Ziel der Therapie.

Tags sind häufige kleinere kohlenhydratreiche Mahlzeiten, nachts ist meist eine Sondenernährung erforderlich. Als Kohlenhydrate sollten Stärke und keine zuckerhaltigen Nahrungsmittel verwendet werden. Erfahrung liegt mit Maisstärke vor; Maniokstärke soll etwas günstiger sein 9. Es wird auf eine balancierte und ausreichende Zufuhr essenzieller Nahrungsbestandteile Wert gelegt. 9 10 Die sehr differenzierte diätetische Einstellung wird am effektivsten in Fachzentren vorgenommen.

Empagliflozin ist ein SGLT2-Inhibitor, der eine neuartige und günstige Behandlungsoption für die oft auftretende Neutropenie und neutrophile Dysfunktion bei GSD Ib darstellt. Hypoglykämien traten jedoch bei 50 % einer untersuchten Kohorte auf, sodass eine einschleichende Behandlung empfohlen wurde. 7

Eine Lebertransplantation kann bei einer extrem kurzen Fastentoleranz und einer schlechten Lebensqualität (QoL) indiziert sein. In einer Zusammenstellung konnten alle pädiatrischen Patienten danach über Nacht mindestens 12 Stunden ohne Nahrungszufuhr aushalten, was zu einer enormen Verbesserung der QoL führte. 6


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Verweise

Referenzen

  1. J Inherit Metab Dis. 2022 Mar;45(2):235-247. DOI: 10.1002/jimd.12451.[]
  2. Curr Mol Med. 2001 Mar;1(1):25-44[]
  3. Hum Mutat. 2008 Jul; 29(7):921-30[]
  4. Genet Med. 2014;16:e11. doi: 10.1038/gim.2014.128[]
  5. Orphanet J Rare Dis. 2011 May 20;6:27. doi: 10.1186/1750-1172-6-27.[]
  6. JIMD Rep. 2021 Jan 24;59(1):52-59. doi: 10.1002/jmd2.12200[][]
  7. Orphanet J Rare Dis. 2022 May 12;17(1):195. doi: 10.1186/s13023-022-02345-2[][]
  8. Genet Med. 2014 Nov;16(11):e1. doi: 10.1038/gim.2014[]
  9. Orphanet J Rare Dis. 2024 Jul 30;19(1):283. doi: 10.1186/s13023-024-03201-1[][]
  10. J Inherit Metab Dis. 2011 Jun;34(3):621-9[]