Oxytocin

Oxytocin ist ein Hormon der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und der verbreitetste Neurotransmitter des Gehirns. Es fördert soziale Bindungen und hilft, Ängste und Stress abzubauen und Einsamkeit zu überwinden. Es fördert gruppenbezogene menschliche Kontakte und puffert Stress ab. Oxytocin verbessert Gesundheit und Wohlbefinden. In der nachgeburtlichen Periode fördert es die Mutter-Kind-Beziehung entscheidend.

Struktur und Bildung

Oxytocin (OXT) ist ein Oligopeptid aus 9 Aminosäuren (Nonapeptid), das im Hypothalamus des Zwischenhirns in den supraoptischen und paraventrikulären Kernen als Vorstufe Oxytocin-Neurophysin I (OXT) gebildet wird. Es ist dem Vasopressin strukturell ähnlich und auf Chromosom 20p13 kodiert. (1)Cytogenet Cell Genet. 1992;61(4):271-3 Über Neuriten (lange Fortsätze der Nervenzellen) und Dendriten (kurze Fortsätze) gelangt es in verschiedene Hirngebiete, in denen Rezeptoren für Oxytocin nachweisbar sind. Über Axon-Bahnen gelangt es in den Hypophysenhinterlappen, von wo es auf Anforderung in die Blutbahn sezerniert wird.

Oxytocin wirkt im Gehirn als Neurotransmitter und im Körper über die Blutbahn als Hormon.

Auslösung der Oxytocin-Produktion

Oxytocin wird unter der Geburt vermehrt freigesetzt. Der Oxytocinspiegel im Blut steigt auch an beim Stillen und bei lustvoll empfundenem körperlichem Kontakt („Kuschelhormon“), insbesondere beim Orgasmus. Eine Konditionierung sorgt bei der Mutter dafür, dass bereits die Vorstellung des Stillens oder das hungrige Schreien des Säuglings zur Oxytocin-Ausschüttung führt. Auch eine soziale Problematik, die zu ihrer Lösung starkes Vertrauen erfordert, führt zu einer Oxytocin-Ausschüttung (s. u.).

Wirkungen von Oxytocin

Oxytocin übt eine Reihe von Wirkungen aus, die alle direkt oder indirekt die soziale Bindungsfähigkeit und das engere und auch weitere Sozialgefüge beeinflussen.

  • Stimulation der Uteruskontraktion unter der Geburt: Förderung des Geburtsvorgangs und gleichzeitig einer emotionalen Bindung an das Kind.
  • Stimulation der Milchsekretion durch Kontraktion der Muskulatur um die Drüsenbläschen.
  • Senkung des Blutdrucks, Auslösung eines Wohligkeitsempfindens.
  • Modulation von Entzündungsreaktionen. (2)Am J Physiol Endocrinol Metab. 2008 Dec;295(6):E1495-501
  • Festigung sozialer Bindungen durch Förderung von Vertrauen und Abbau von Aggression sowie durch erhöhte Bereitschaft, Fehler von Gruppenmitgliedern zu vergeben. Insbesondere spielt das Oxytocinsystem für die Paar-Bindung und die Mutter-Kind-Beziehung eine entscheidende Rolle.
  • Förderung der Stressbewältigung; dabei Gegenspieler des Stresshormons Cortisol.

Oxytocinrezeptoren

Die Oxytocinwirkungen hängen von der Wechselwirkung mit seinen Rezeptoren im Körper ab. Besonders reichlich sind solche Rezeptoren im Hippocampus des Gehirns anzutreffen und modulieren dort die neuronale Erregbarkeit, die Aktivität eines neuronalen Netzwerks, die synaptische Plastizität und das soziale Erkennungsgedächtnis. (3)Prog Neurobiol. 2018 Oct 22. pii: S0301-0082(18)30100-X. doi: 10.1016/j.pneurobio.2018.10.003.

Es gibt verschiedene Varianten des Oxytocin-Rezeptors (OXTR). Sie lösen je nach ihrer Kombination etwas unterschiedliche Wirkungen aus. Somit erklärt sich, dass Menschen in Situationen, in denen Oxitocin ausgeschüttet wird, nicht gleichartig reagieren. Solche Varanten können daher auch die emotionalen und sozialen Auswirkungen von Methamphetamin beim Menschen beeinflussen, die von der Aktivierung der von OXTR ausgehenden Signalwege abhängen. (4)PLoS One. 2018 Jun 18;13(6):e0199384. doi: 10.1371/journal.pone.0199384

Oxytocin-Vasopressin-System

Oxytocin gehört zu einem evolutionär zusammenhängenden System mit Vasopressin und seinen Rezeptoren (Oxytocin-Vasopressin-System). Es interagiert mit der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA). Die Interaktionen und Auswirkungen sind komplex und umfassen auch das vegetative Nervensystem, das Immunsystem, eine entzündungshemmende und antioxidative Funktion. Die Komponenten des Systems sind plastisch und leicht durch epigenetische Veränderungen zu beeinflussen. Das bedeutet, dass Oxytocin nicht bei jedem Menschen gleichartig wirkt. Ein gemeinsamer Gesichtpunkt scheint die Steigerung bzw. Sicherung der Gesundheit zu sein.  (5)Pharmacol Rev. 2020 Oct;72(4):829-861. doi: 10.1124/pr.120.019398

Oxytocin und Einsamkeit

Das Gefühl der Einsamkeit ist ein verbreitetes Phänomen in der Adoleszenz. Es kommt zustande, wenn der Drang nach Zugehörigkeit und Kontakt mit anderen Menschen nicht ausreichend befriedigt wird. Entwicklungsgeschichtlich hat es die Funktion, eine schützende Gemeinschaft zu fördern und die Chance auf Überleben zu erhöhen.

Menschen, die sich aufgrund einer sozialen Isolierung einsam fühlen, suchen eher erneute Kontakte zum sozialen Schutz als solche, die sich bei sozialer Isolierung nicht so einsam fühlen. Das Gefühl der Einsamkeit als Drang, aktiv eine Gemeinschaft aufzusuchen und Kontakte zu knüpfen, ist offenbar genetisch determiniert.

  • Bisher wurde in dieser Beziehung vor allem das Serotonin- und Dopamin-System untersucht. Aber es scheint auch das Oxytocin-System eine Rolle zu spielen, wobei sich die Reaktionen je nach Allel-Typ und Geschlecht etwas unterscheiden. Ein A-Allel scheint weniger für ein Einsamkeitsempfinden zu sorgen, als die Kombination zweier G-Allele. (6)Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 2009 Aug 1;33(5):860-6   (7)Psychiatr Genet. 2013 Oct;23(5):204-13

Oxytocin und Stressabwehr

Stressreaktionen des Körpers lassen sich an der vegetativen Reaktion (z. B. Veränderungen des Hautwiderstands) oder durch den Cortisol-Spiegel im Blut ablesen. Dies wird in Untersuchungen verwendet, um eine Assoziation von Stress und Oxytocin, das im Blut oder im Speichel bestimmt wird, unter verschiedenen Bedingungen festzustellen.

Sozialkontakte können vor Stress schützen; eine glückliche Verheiratung reduziert die Anfälligkeit für Depression, Angst, Drogenabhängigkeit und Krankheiten. Umgekehrt kann sozialer Stress und besonders eine Vereinsamung oder eine Ausgrenzung (soziale Isolierung, Mobbing etc.) zu erheblichem Stress und zu Stresskrankheiten (z. B. einem posttraumatischen Stresssyndrom, PTSD) führen. Dies wird beispielsweise durch folgende Untersuchungen nachgewiesen:

  • Neue soziale Umstände können erheblichen Stress auslösen. Mit einer Gewöhnung an sie lassen die Reaktionen deutlich nach. Die Geschwindigkeit der Gewöhnung an neue Sozialbedingungen wird laut einer Untersuchung durch Oxytocin gefördert. (8)Front Psychol. 2013 Oct 18;4:761. doi: 10.3389/fpsyg.2013.00761
  • In einer Untersuchung wurden männliche Teilnehmer in eine psychosoziale Stressreaktion versetzt, die sie entweder allein oder mit der Unterstützung ihrer engen Partnerin bzw. ihres engen Partners lösen sollten. Nur diejenigen, die mindestens 1 G-Allel des Oxytocin-Rezeptorgens (rs53576, s. o.) besaßen, zeigten einen niedrigeren Spiegel des Stresshormons Cortisol im Speichel, wenn sie sozial durch den Partner unterstützt wurden. Daraus wird geschlussfolgert, dass das Oxytocin-System eine wichtige Rolle in der Abwehr von Stress besitzt, indem es die Wirksamkeit einer helfenden sozialen Interaktion als Dämpfer gegen stressige Erfahrung moduliert. (9)Proc Natl Acad Sci U S A. 2011 Dec 13;108(50):19937-42
  • Eine weitere Untersuchung zeigt, dass Träger eines A-Allels des Oxytocin-Rezeptorgens nach einer Erfahrung mit sozial ausgelöstem Stress eine höhere Rate an posttraumatischen Stress-Symptomen als GG-Träger aufweisen. Sie sprechen auf soziale Hilfe schlechter an. Bei GG-Trägern war eine erhöhte Rate an posttraumatischen Stress-Symptomen nur durch ökonomischen Stress auslösbar; bei ihm war eine soziale Unterstützung wirkungslos. (10)Horm Behav. 2013 Apr;63(4):615-24

Oxytocin (OT) und Vertrauen

Vertrauen ist eine unabdingbare Voraussetzung für Liebe, Freundschaft und im geschäftlichen und politischen Leben. Ohne Vertrauen fehlen die Voraussetzungen für dauerhafte persönliche Beziehungen und eine stabile Gesellschaft, ebenso wie für politische und wirtschaftliche Abkommen.

  • Untersuchungen haben gezeigt, dass OT, als Nasenspray appliziert, das Vertrauen zwischen Menschen entscheidend stärkt. Dies beruht, wie die Untersuchung ergeben hat, nicht auf einer allgemeinen Erhöhung der Bereitschaft, Risiken einzugehen. (11)Nature. 2005 Jun 2;435(7042):673-6
  • Bei Menschen, die in einer Versuchsanordnung eine Aufgabe zu bewältigen hatten, in der absolutes Vertrauen eine zentrale Rolle spielte, fanden sich erhöhte OT-Werte im Blut; dies war bei einer schweren Rechenaufgabe (als Kontrolle) nicht der Fall. (12)Physiol Behav. 2011 Feb 1;102(2):221-4
  • Bei Menschen mit Autismus wurde ein genetischer Zusammenhang mit Plasma-OT festgestellt, von dem einige mit bekannten Autismus-Risikogebieten assoziiert sind. Es gibt einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Plasma-OT-Spiegeln und Genexpression und Epigenetik bei autistischen Menschen über mehrere Genwege hinweg. Dies mag zu dem Mangel an Sozialvertrauen beitragen. (13)Autism Res. 2023 Mar;16(3):502-523. doi: 10.1002/aur.2884 Eine experimentelle tägliche intranasale OT-Verabreichung über 4 Wochen bei ASD-Mäusemodellen. Mit OXT behandelte Tiere verbrachten bereits nach zweiwöchiger Behandlung doppelt so viel Zeit mit dem Sozialpartner. (14)Mol Psychiatry. 2024 Feb;29(2):342-347. doi: 10.1038/s41380-023-02330-6

Oxytocin und Moral

Oxytocin fördert gruppenzentriertes Verhalten, indem in kritischen Situationen Entscheidungen für gerechtfertigt gehalten werden, die der eigenen Gruppe nützen, aber aus Sicht einer anderen Gruppe als unmoralisch erachtet werden (siehe hier). Eine Applikation von Oxytocin führt nicht zwangsläufig zu einer moralischen Verbesserung der Handlungen und Einstellungen eines Menschen. (15)Med Health Care Philos. 2017 Sep;20(3):291-297. doi: 10.1007/s11019-017-9762-5 (16)Front Hum Neurosci. 2013 Jan 30;7:10. doi: 10.3389/fnhum.2013.00010


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Verweise

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