Rauchen in der Schwangerschaft schädigt das heranwachsende Kind. Obwohl dies bekannt ist und bei jeder Schwangerenbetreuung hervorgehoben wird, hören etwa 25% der werdenden Mütter zu Beginn der Schwangerschaft nicht zu rauchen auf. (1)Lancet. 2002 Aug 31; 360(9334):659-65 Selbst Passivrauchen ist bereits ein Risikofaktor (wie auch ein Vitamin-D-Mangel) für das Kind; das Risiko für einen Spontanabort ist laut einer chinesischen Studie um 76 % erhöht. (2)Nutrients. 2022 Sep 6;14(18):3674. doi: 10.3390/nu14183674. Hier seien markante Beispiele für die vielfältigen Auswirkungen aufgeführt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Mechanismen der Schädigung
- 2 Intrauterine Wachstumsverzögerung
- 3 Einfluss auf das Gehirn
- 4 Prädisposition für Übergewicht und die Zuckerkrankheit
- 5 Prädisposition für Lungenkrankheiten
- 6 Prädisposition für eine KHK
- 7 Fehlbildungen beim Kind
- 8 Rheuma bei weiblichen Nachkommen
- 9 Krebs beim Kind
- 10 ADHS beim Kind
- 11 Gestörte Fertilität männlicher Nachkommen
- 12 Plötzlicher Kindstod
- 13 Auswirkung auf das Rauchverhalten des Kindes
- 14 Verhaltensauffälligkeiten und psychiatrische Krankheiten beim Kind
- 15 Appelle an Schwangere zum Nichtrauchen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen
- 16 Verweise
Mechanismen der Schädigung
Nikotin und viele der über 6000 biologisch wirksame Substanzen des Zigarettenqualms passieren die Plazenta problemlos und führen im sich entwickelnden Fetus zu Stoffwechselveränderungen, die sich vielfältig auf die Gesundheit des Kindes auswirken und auch bleibende Erbveränderungen bewirken können. Als einen wesentlichen Mechanismus wurde eine Hypomethylierung (von cg05575921) im Aryl-Kohlenwasserstoff-Rezeptor-Repressor-Gen (AHRR) festgestellt, welche den Zusammenhang zwischen mütterlichem Rauchen und Stoffwechselstörungen beim Kind vermittelt. (3)Hepatol Commun. 2023 Sep 27;7(10):e0243. doi: 10.1097/HC9.0000000000000243. Zudem können Veränderung der intrauterinen Blut- und Sauerstoffversorgung eine Rolle spielen (s. u.).
Intrauterine Wachstumsverzögerung
Neugeborene von rauchenden Müttern hatten in eine Studie in Jordanien ein deutlich geringeres Geburtsgewicht und geringeren Kopf- und Brustumfang sowie einen signifikant niedrigeren Apgar-Score in der ersten Minute im Vergleich zu nicht rauchenden Müttern (4)Ann Glob Health. 2021 Dec 3;87(1):122. doi: 10.5334/aogh.3384.
Rauchen der Mutter verzögert das intrauterine Wachstum des Föten. Im Mittel sind die Kinder bei der Geburt kleiner als normal. (5)Eur J Pediatr. 2010 Jun; 169(6):741-8 An der Nierenentwicklung wurde demonstriert, dass die Wachstumsverzögerung von der Zahl der gerauchten Zigaretten abhängt: Die Nieren der Kinder von Müttern, die mehr als 5 Zigaretten pro Tag rauchen, sind kleiner und beinhalten weniger Nierenkörperchen bzw. Nephrone als die von Müttern, die weniger rauchen. (6)Ped Nephr. 2011;26(8):1275–1283
Als Ursachen für die Wachstumshemmung werden vor allem drei Mechanismen diskutiert:
- ein negativer Einfluss des Rauchens auf die Plazentadurchblutung: Nikotin verengt die Blutgefäße,
- ein erhöhter Anteil von CO-Hb im Blut: Kohlenmonoxid (CO) aus Tabakqualm bindet etwa 300-fach stärker an Hämoglobin (Hb) als Sauerstoff und verdrängt ihn; die Sauerstoffversorgung des Körpers verschlechtert sich dadurch.
- epigenetische Veränderungen (s. o.)
Einfluss auf das Gehirn
Mütterliches Rauchen beeinflusst das Gehirn des Föten. Es lassen sich im Tierversuch durch Einfluss von Nikotin Veränderungen in der Genexpression im Appetit-regulierenden Zentrum des Hypothalamus und Nucleus arcuatus nachweisen. Auch der Spiegel von Leptin, einem Fettgewebshormon, welches den Appetit reguliert und für die Entwicklung von Neuronen im Gehirn erforderlich ist, wird durch mütterliches Rauchen negativ beeinflusst. Auf diese Weise stört mütterliches Rauchen nachhaltig die Gehirnentwicklung und speziell die Fähigkeit zu einer adäquaten Energiebilanz. Zudem entwickeln sich gehäuft Tumore des zentralen Nervensystems (s.u.). (7)J Clin Endocrinol Metab. 2001 Nov; 86(11):5420-6 (8)Front Pharmacol. 2012 Jul 25;3:147. DOI: 10.3389/fphar.2012.00147
Genomweite Untersuchungen weisen an gestorbenen Kindern Veränderungen in der Genexpression im pränatalen menschlichen Kortex des sich entwickelnden Gehirns nach, die mit mütterlichen Rauchen in der Schwangerschaft assoziiert sind. Es wird abgeleitet, dass durch Rauchen in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für die spätere Entwicklung neuropsychiatrischer Störungen besteht. (9)Mol Psychiatry. 2020 Dec;25(12):3267-3277. DOI: 10.1038/s41380-018-0223-1 Bekannt ist solch eine Assoziation beispielsweise zur Schizophrenie. (10)Schizophrenia research 148, 105–110, doi: 10.1016/j.schres.2013.04.031
Prädisposition für Übergewicht und die Zuckerkrankheit
Obwohl die Kinder rauchender Mütter im Schnitt kleiner als normal zur Welt kommen, so weisen sie doch in der Adoleszenz (Phase des Heranwachsens) eine deutliche Tendenz zu einer übermäßigen Gewichtszunahme auf. Dabei handelt es sich vorwiegend um eine Vermehrung des Bauchfetts, was ein Charakteristikum für das metabolische Syndrom darstellt, das wiederum mit der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes verbunden ist. Wesentlich für diese Entwicklung ist der Einfluss des mütterlichen Rauchens während des ersten Trimenons (erste 3 Monate der Schwangerschaft). Ein späteres Aufhören verbessert die Prognose des Kindes praktisch nicht mehr. (11)Am J Epidemiol. 2003 Dec 1;158(11):1068-74. doi: 10.1093/aje/kwg258 (12)Ann Med. 1999 Aug;31(4):236-9 (13)Obesity (Silver Spring). 2010 May;18(5):1021-5 (14)Pediatr In. 2010;52:94–99
Prädisposition für Lungenkrankheiten
Mütterliches Rauchen während der Schwangerschaft bedeutet Prädisposition des Kindes für spätere Lungenkrankheiten, so auch für Asthma. (15)Respir Res. 2012 Jun 1;13(1):42 Die Ausprägung des kindlichen Asthmas ist bei Trägern genetischer Varianten der beta2-adrenergen Rezeptors (z. B. Arg16Arg Genotyp) besonders stark. (16)Pediatrics. 2008 Jul;122(1):e107-14
Prädisposition für eine KHK
Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft bedeutet für das Kind ein erhöhtes Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung (z. B. Angina pectoris, Herzinfarkt). In einer australischen Studie (17)PLoS One. 2012;7(7):e41106. doi: 10.1371/journal.pone.0041106 wurde festgestellt, dass Kinder rauchender Mütter ein Übergewicht, einen erhöhten Bauchumfang (Taille-Hüft-Verhältnis) und einen erhöhten Puls aufweisen. Gegenüber Kindern von nicht rauchenden Müttern weisen sie zudem ein erhöhtes Risiko auf, mit 21 Jahren adipös zu sein. Erhöhter Bauchumfang und starkes Übergewicht sind Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit (KHK). (18)J Am Heart Assoc. 2021 Jun;10(11):e020051. doi: 10.1161/JAHA.120.020051
Fehlbildungen beim Kind
Mütterliches Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit für angeborene Herzfehler des Kindes mäßig Lee. Es handelt sich dabei meist um einen Ventrikelseptumdefekt, Vorhofseptumdefekt oder einen kombinierten Septumdefekt. (19)Pediatr Cardiol. 2013 Feb;34(2):398-407. doi: 10.1007/s00246-012-0470-x
Rheuma bei weiblichen Nachkommen
Weibliche Nachkommen von rauchenden Müttern haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer rheumatoiden Arthritis und entzündlicher Polyarthropathien; dies wurde für männliche Nachkommen nicht nachgewiesen. (20)Int J Epidemiol. 2005 Jun;34(3):664-71
Krebs beim Kind
Rauchen der Mutter erhöht das Krebsrisiko beim Kind in folgender Reihenfolge: Akute lymphatische Leukämie (28 %), Tumore des sympathischen Nervensystems (17 %), Tumore des zentralen Nervensystems (Gehirn) (12 %), Weichteilsarkome (9 %), Histiozytose (7 %), akute myeloische Leukämie (6 %), Nierentumore (5 %). (21)J Paediatr Child Health. 2010 June; 46(6): 291–295
Mütterliches Rauchen ist mit weiteren, auch selteneren bösartigen Tumoren verbunden, so auch mit dem Retinoblastom (ein bösartiger Tumor am Augenhintergrund). (22)Cancer Causes Control. 2009 Nov;20(9):1551-8
ADHS beim Kind
Es besteht eine starke Assoziation zwischen Rauchen der Mutter und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom) des Kindes. Jedoch wird hervorgehoben, dass dies eher auf genetischer Ebene als durch passives Mitrauchen des Kindes zu erklären sei. (23)Am J Epidemiol. 2012 Aug 1;176(3):261-8 Bei der Assoziation spielen wahrscheinlich unbekannte Störfaktoren eine Rolle. (24)Pediatrics. 2017 Feb;139(2):e20162509. DOI: 10.1542/peds.2016-2509
Gestörte Fertilität männlicher Nachkommen
Männer, deren Mutter während ihrer fetalen Entwicklung geraucht haben, haben kleinere Testes und eine herabgesetzte Qualität des Spermas verglichen mit Männern, deren Mütter während der Schwangerschaft nicht geraucht haben. (25)Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2012 Jun;19(3):228-32 Die gleiche Auswirkung hat mütterliches Rauchen offenbar auch auf die spätere Fertilität der Tochter. (26)Am J Epidemiol. 1989 May;129(5):1072-8
Plötzlicher Kindstod
Der plötzliche Kindstod wird auf Veränderungen des Hirnstamms zurückgeführt. (27)Dev Psychobiol. 2009 Apr;51(3):223-33 Rauchen der Mutter verdoppelt das Risiko eines plötzlichen Kindstods. Dabei kann der Beitrag des pränatalen mütterlichen Rauchens oft nicht von dem der postnatalen Raucheinwirkung differenziert werden. (28)Thorax. 1997 Nov;52(11):1003-9 Es wird jedoch angenommen, dass etwa 1/3 der Fälle eines plötzlichen Kindstods vermieden werden könnten, wenn der Fetus intrauterin nicht mütterlichem Rauchen ausgesetzt würde. (29)Rev Environ Health. 2006 Apr-Jun;21(2):81-103
Auswirkung auf das Rauchverhalten des Kindes
Eine Studie belegt, dass Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft zu rauchen aufhören, später mit einer signifikant geringeren Wahrscheinlichkeit zu rauchen anfangen, als Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft nicht aufgehört haben zu rauchen, gleich ob die Mutter nach der Geburt wieder zu rauchen beginnt oder nicht. (30)Aust N Z J Public Health. 2009 Aug;33(4):371-7 (31)Tob Control. 2006 Dec;15(6):452-7
Verhaltensauffälligkeiten und psychiatrische Krankheiten beim Kind
In einer Finnischen Studie mit 15% rauchender Mütter, fanden sich unter den Kindern über 20% psychiatrisch kranke Kinder, bei einem Zigarettenkonsum von über 10 / Tag stieg auch die Mortalität (Todesrate) bei den Kindern und Jugendlichen an </ref>Arch Gen Psychiatry. 2010 Aug;67(8):841-9</ref>. Kinder rauchender Mütter sind erheblich gefährdet, in einen Abusus jeglicher Art von Medikamenten und insbesondere psychotroper Drogen zu geraten. (32)Am J Epidemiol. 2011 Sep 15;174(6):681-90
Appelle an Schwangere zum Nichtrauchen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen
In den teils hochrangig publizierten Veröffentlichungen wird häufig abschließend eindrücklich darauf hingewiesen, dass Frauen bei Familienplanung, aber spätestens bei Beginn der Schwangerschaft aufhören sollen zu rauchen. Beispiele:
- “Adverse effect of maternal smoking on sperm production capacity of their son is yet another good reason for women to quit smoking before pregnancy” (33)Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2012 Jun;19(3):228-32.
- “Preventing parental smoking is crucially important to the prevention of asthma” (34)Pediatrics. 2012 Apr;129(4):735-44.
- “It seems advisable to encourage smoking cessation prior to the attempt to conceive as well as during pregnancy (35)Am J Epidemiol. 1998 Nov 15;148(10):992-7.
- “These results should be highlighted to expectant mothers through antitobacco-smoking campaigns” (36)Cancer Causes Control. 2009 Nov;20(9):1551-8.
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Literatur