Die postpartale Depression (PPD) ist eine Schwermut, die bei Müttern direkt nach der Geburt (postpartal) auftritt, monatelang anhalten kann und für Mutter und Kind eine hohe Gefährdung darstellt.
Inhaltsverzeichnis
Häufigkeit
Die PPD ist mit 10 – 15 % (1)Horm Behav. 2016 Jan;77:153-66. doi: 10.1016/j.yhbeh.2015.08.008. oder sogar bis zu 20 % innerhalb der ersten 3 Monate bzw. 22 % im ersten Jahr relativ häufig (2)Evid Rep Technol Assess (Summ). 2005 Feb; (119):1-8.
Ausprägung
Die postpartale Depression wird unterschiedlich stark erlebt; in etwa 7 % verläuft sie schwer (3)Obstet Gynecol. 2005 Nov;106(5 Pt 1):1071-83.. Viele PPD leichter Ausprägung werden vermutlich nicht diagnostiziert (4)Pediatrics. 2010 Nov;126(5):1032-9. doi: 10.1542/peds.2010-2348. Oft setzt die depressive Verstimmung bereits vor der Geburt (präpartal) ein und hält über die Geburt an oder wird danach sogar besonders ausgeprägt. Sie wird als „perinatale Depression“ bezeichnet.
Ursachen
Frauen sind insgesamt häufiger als Männer depressiven Stimmungen ausgesetzt, was hormonellen Schwankungen zugeschrieben wird. Eine ganz besonders vulnerable Phase ist die Schwangerschaft und vor allem die Zeit um die Geburt herum (perinatale Phase).
Pathobiochemie – Pathophysiologie
Eine wesentliche Ursache einer PPD ist eine starke und rasche Veränderung im Hormonhaushalt des Körpers. Sie betrifft insbesondere die hormonelle Achse vom Hypothalamus über die Hypophyse zu den Gonaden und den Nebennieren. Als stärkster Risikofaktor wird eine noch vor der Schwangerschaft aufgetretene Depression angesehen; allerdings tritt bei etwa 40 % der Patientinnen mit PPD die Depression als erste Episode auf (5)JAMA Psychiatry. 2013 May;70(5):490-8. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2013.87. Die hormonellen Veränderungen haben Auswirkungen auf das Gehirn, indem Allopregnanolon, ein Derivat des Schwangerschaftshormons Progesteron, sich auf GABA(A)-Rezeptoren auswirkt. Wenn die GABA(A)-Rezeptoren sich nicht rasch genug den veränderten Hormonspiegeln anpassen, kann es, wie angenommen wird, zu Dysfunktionen mit Angst- und Depressionssymptomen kommen (6)Hum Psychopharmacol. 2017 Mar;32(2). Doi: 10.1002/hup.2576..
Genetik
Die Suche nach einer genetischen Grundlage der peripartalen Depression hat den Serotonin-Signalweg und die Serotoninrezeptoren in den Fokus gerückt. Untersuchungen zufolge ist die schwere Ausprägung einer Depression in der frühen postpartalen Periode assoziiert mit einem Carrierstatus für das 5-HTTLRP S-Allel des Gens für den Serotonin-Transporter (7)J Psychiatr Res. 2010 Jul;44(10):640-6. doi: 10.1016/j.jpsychires.2009.12.001. Inzwischen sind eine Reihe genetischer und epigenetischer Anomalien identifiziert worden, die mit einer PPD zusammenhängen (8)World J Psychiatry. 2015 Mar 22;5(1):103-11. doi: 10.5498/wjp.v5.i1.103. Ein Gesamtbild fehlt noch.
Auswirkungen
Die Auswirkungen einer PPD betreffen nicht nur die Gesundheit der Mutter, sondern ganz entscheidend auch die Mutter-Kind-Beziehung inklusive der Entwicklung kognitiver und psychosozialer Fähigkeiten des Kindes (9)Horm Behav. 2016 Jan;77:153-66. doi: 10.1016/j.yhbeh.2015.08.008. Ein weniger enger Kontakt und eine geringere Fürsorge lassen sich durch Fragebögen gestützte Erhebungen relativ gut erkennen und vorhersagen. Die „Edinburgh Postnatal Depression Scale“ (EPDS) und die „Maternal-Fetal Attachment Scale“ (MFAS) sind beispielsweise als gute Prädiktoren evaluiert worden.
Diagnostik
Mithilfe solcher standardisierter Fragebögen lässt sich auch eine gestörte vorgeburtliche (pränatale) mütterliche Bindung an das intrauterin heranwachsende Kind erkennen. Sie korreliert relativ gut mit einer Störung der Mutter-Kind-Beziehung nach der Geburt und einer postpartalen Depression, wie sie schon lange bekannt ist (10)Infant Behav Dev. 2011 Apr;34(2):339-50. doi: 10.1016/j.infbeh.2011.02.005. Die Kenntnis kann genutzt werden, einer drohenden Bindungsstörung nach der Geburt vorzubeugen (11)Arch Womens Ment Health. 2015 Apr;18(2):187-95. doi: 10.1007/s00737-014-0445-4.
Therapie
Psychologische Interventionen
Förderung eines realitätsnahen Optimismus: Als bester Schutz gegen eine postpartale Depression erweist sich einer großen Studie zufolge ein vorsichtiger vorgeburtlicher, nicht dagegen ein überschießender Optimismus (12)Arch Womens Ment Health. 2015 Apr;18(2):197-208. doi:10.1007/s00737-014-0446-3.
Angst vor der Geburt nehmen: Auch die Angst vor den Schmerzen der Geburt ist ein Faktor, der hinsichtlich einer PPD wirksam ist, und der therapeutisch durch ein spezielles Training angegangen werden kann. Solch ein Training hat das Potenzial, auch das Risiko einer PPD zu vermindern (13)BMC Pregnancy Childbirth. 2017 May 12;17(1):140. doi: 10.1186/s12884-017-1319-3..
Medikamentöse Therapie
SSRIs: Häufig werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (serotonin reuptake inhibitors, SSRIs) zur Behandlung einer PPD eingesetzt. Ihr Erfolg wird mit etwa 40 – 90 % angegeben.
Brexanolon: Eine neue wirksame Therapie zur Behandlung der PPD zielt auf die schwangerschaftstypischen hormonellen Veränderungen. Brexanolon ist ein Derivat des Allopregnanolon, welches aus Progesteron gebildet wird und über GABAerge Rezeptoren Gehirnfunktionen beeinflusst. Es wirkt antidepressiv, Angst lösend und antiepileptisch. Eine Studie an 21 Frauen mit schwerer postpartaler Depression zeigte eine gute Verträglichkeit; es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen und keine Therapieabbrüche auf (14)The Lancet 2017;390:480-489. Bei den mit Brexanolon behandelten Frauen sank der Hamilton-Rating-Scale-for-Depression (HAMD) -Score auf Werte, die einer Remission entsprachen (15)Hum Psychopharmacol. 2017 Mar;32(2). doi: 10.1002/hup.2576.. Inzwischen sind weitere Substanzen entwickelt worden, die als Neurosteroide gegen Depression wirken, wie Zuranolon, Sepranolon und Ganaxalon (16)Cureus. 2024 Jul 31;16(7):e65866. doi: 10.7759/cureus.65866..
Zuranolon ist bei der PPD in einer Studie geprüft worden: Es führte zu einer bedeutenden Verbesserung. Am Tag 15 war der HAM-D-Score (Hamilton Depression Rating Scale) gegenüber dem Ausgangswert um -15,6 gesunken (vs. -11,6 unter Placebo). Die häufigsten unerwünschten Ereignisse (≥ 10 %) waren Schläfrigkeit, Schwindel und Müdigkeit. Schwerwiegende Nebenwirkungen, wie Bewusstlosigkeit, Entzugserscheinungen oder vermehrte Suizidgedanken, wurden nicht beobachtet (17)Am J Psychiatry. 2023 Sep 1;180(9):668-675. doi: 10.1176/appi.ajp.20220785.
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Verweise
Literatur