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Allgemeines
Die richtige Ernährung bei Diabetes (Diabetesdiät) verhindert in der prädiabetischen Phase seine Entstehung und beugt Spätkomplikationen vor. Nach wie vor ist erstaunlich vieles dabei unklar.
Der Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) wird in zwei Haupttypen (Typ 1 und Typ 2) eingeteilt. Beiden gemeinsam ist ein erhöhter Blutzucker, der bei starkem Anstieg zu Akutsymptomen und bei lang dauernder Erhöhung zu Folgeschäden an praktisch allen Organen des Körpers, den verschiedenen diabetischen Komplikationen, führt. Eine richtige Ernährung (Diabetesdiät) trägt dazu bei, den Akutkomplikationen und Langzeitfolgen der Zuckerkrankheit vorzubeugen.
Die Kontrolle der Zufuhr von Zucker und Kohlenhydraten der Nahrung ist eine Basis der Diabetes-Behandlung. Wie streng oder locker sie ausfallen darf, hängt von der Abweichung des Blutzuckers vom Normbereich ab. Eine Überschreitung der oberen Grenzen des Blutzuckers nüchtern und nach Mahlzeiten müssen vermieden werden. Ebenso zu vermeiden sind verborgene Abweichungen des Blutzuckers (außerhalb der Messzeitpunkte), die relativ einfach durch den Urinzucker und durch das HbA1c nachweisbar sind.
Einfluss darauf, was “richtig” oder “erlaubt” bei der Diabetesdiät ist, haben der Diabetestyp, die Dauer der Stoffwechselstörung und die Ausprägung einer peripheren Insulinresistenz, bereits eingetretene Komplikationen, zusätzlich bestehendes Übergewicht und die individuelle Wirksamkeit antidiabetischer Medikamente. Die Diabetesdiät basiert damit auf allgemein geltenden Empfehlungen und zudem auf individuellen Bedingungen. Eine häufig zu berücksichtigende Bedingung ist Übergewicht. Viele diätetische Empfehlungen konzentrieren sich daher auf eine Gewichtsabnahme.
Grundlagen einer Diabetesdiät
- Eine ausgewogene, überwiegend pflanzliche Kost bedeutet für die meisten Menschen eine “gesunde Ernährung” (siehe unter “Gesunde Ernährung“).
Grundsätzlich ist eine normale, als gesund angesehene Ernährung auch für den Diabetes mellitus eine gute diätetische Basis.
- Freier Zucker (in verschiedenen Nahrungsmitteln und Softdrinks in unterschiedlicher Menge enthalten) sollte minimiert werden. Keine zusätzliche Süßung durch Rohrzucker.
- Der Fettanteil in der Nahrung sollte niedrig sein und nur etwa 10 – 15 % betragen; ungesättigte Fettsäuren wirken günstig; keine gehärteten Fette.
- Der Proteinanteil an der Kalorienzufuhr liegt i. d. R. bei 15 %.
- Milch und Milchprodukte mit ihrem hohen Gehalt an verzweigtkettigen Aminosäuren sollten eher verhalten verwendet werden. Allerdings muss für eine ausreichende Kalziumzufuhr aus alternativen Quellen gesorgt werden.
- Pflanzliche Anteile an der Kostzusammensetzung sollten hoch sein. Ballaststoffe, die in westlicher Kost relativ gering vertreten sind, haben einen positiven Effekt auf die Blutzuckerkontrolle und die Blutfette inkl. dem LDL-Spiegel. Sie sollten reichlich (z. B. 45 g/d) in der Diabeteskost enthalten sein.
Früher galt kohlenhydratarme fettreichere Kost: Beim Insulinmangeldiabetes (Typ-1-Diabetes, “ausgebrannter” Typ-2-Diabetes, Diabetes bei chronischer Bauchspeichelentzündung oder nach Bauchspeicheldrüsenoperation) gab es in der Vor-Insulin-Ära nur die Möglichkeit, die Kohlenhydratmenge in der Kost zu reduzieren, was das Risiko gehäufter Episoden einer Ketoazidose in sich barg. Dafür musste zum kalorischen Ausgleich der Fettgehalt erhöht werden, was die Arteriosklerose förderte.
Heute gilt kohlenhydratreichere und fettarme Kost: Beim Typ-1-Diabetes und beim späten Typ-2-Diabetes werden durch die Insulintherapie eine Kohlenhydratverwertung im Körper und damit eine fettarme und eine entsprechend kohlenhydratreichere Kost möglich.
Der Proteinanteil in der Diabetesdiät von um die 15 % sollte nicht wesentlich erhöht oder gesenkt werden. Eine Senkung führt zum Muskelabbau, eine Erhöhung zu einer Beschleunigung der Stoffwechselproblematik, wobei insbesondere Proteine, die reich an verzweigtkettigen Aminosäuren sind (wie Proteine der Milch), die Erschöpfung der Insulinsekretion in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse beschleunigen (1)Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9.
Modifizierende Faktoren sind Übergewicht und Adipositas: Beim Typ-2-Diabetes kommt häufig ein zunehmendes Übergewicht als ein wesentlicher Faktor hinzu, der die Ernährung beim Diabetes mellitus entscheidend einschränkt (siehe hier).
Wichtige Befunde
Studien zur Ernährung beim Diabetes mellitus ergeben noch nicht in jeder Beziehung ein schlüssiges Bild. Zu vielen Fragen fehlen große Studien. Einige wichtige Erkenntnisse aus neuerer Forschung seien hier wiedergegeben:
Ballaststoffe und proteinreiche Kost wirken günstig zur Blutzuckerkontrolle: Eine Diät, die ballaststoffreich (45 g/d), kohlenhydratreich (etwa 65 % der Kalorienaufnahme) und fettarm (etwa 10-15% der Kalorienaufnahme) war, hatte gegenüber ballaststoffarmer (20 g/d), kohlenhydratreicher und fettarmer Diät Vorteile bezüglich der Blutzuckerkontrolle beim Typ-2-Diabetes. Einen etwa gleich guten Effekt auf die Stoffwechsellage hatte eine Diät, die kohlenhydratarm (um 25 %), proteinreich (um 60 %) und fettarm war. Eine kohlenhydratarme und fettreiche Kost verschlechterte die Stoffwechsellage deutlich (2)J Am Diet Assoc. 1989 Aug;89(8):1076-86.
Nahrungsproteine senken den Blutzucker nur solange die Inselzellen aktiv sind: Nahrungsproteine verursachen eine Insulinsekretion, die dazu beiträgt, den Glukosespiegel im Blut zu senken. Auf Dauer jedoch kann ein erhöhter Proteinanteil in der Nahrung das Risiko eines Diabetes mellitus erhöhen (durch Erschöpfung der Sekretionsfähigkeit der ß-Zellen). Dies gilt insbesondere für verzweigtkettige Aminosäuren (3)Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9.
Protein von Milch erhöht die Insulinproduktion: Eine erhöhte Protein-Aufnahme von Milch, aber nicht von Fleisch, führte bei Kindern (8-jährige Jungen) zu einer deutlichen Erhöhung des Nüchterninsulins im Blut und damit zusammenhängend der peripheren Insulinresistenz (4)Eur J Clin Nutr. 2005 Mar;59(3):393-8. Auch Wachstumsfaktoren (IGF-I, IGFBP-3) werden nach Milchgenuss vermehrt produziert (5)Eur J Clin Nutr. 2004 Sep;58(9):1211-6. Ursache sind wahrscheinlich die im Milcheiweiß enthaltenen verzweigtkettigen Aminosäuren, die die FTO-Expression (fat mass and obesity) über eine Genaktivierung anregen. Zudem enthält Milch exosomale Mikro-RNA (miRNA-29s), die im Milchtrinker epigenetisch die FTO -Expression erhöhen, die wiederum assoziiert ist mit dem Typ-2-Diabetes, aber auch mit verschiedenen Krebsarten, wie dem Prostata– und Mammakarzinom, und mit neurodegenerativen Erkrankungen (6)J Transl Med. 2015 Dec 21;13:385. doi: 10.1186/s12967-015-0746-z..
Kohlenhydratreiche und fettarme Kost begünstigen eine Gewichtsabnahme: Eine ad-libitum Ernährung (nach Maßgabe der Sattheit) mit einer Kost, die kohlenhydratreich und fettarm ist, führte bei Typ-2-Diabetikern innerhalb von 6 Wochen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme, nicht dagegen mit einer Diät, die reich an ungesättigten Fettsäuren war. Beide Diäten hatten keine wesentliche Auswirkung auf den Blutfettspiegel und die Blutzuckerkontrolle (7)Am J Clin Nutr. 2004 Sep;80(3):668-73.
Kohlenhydratarme Diät ist günstiger als fettarme Diät zur Gewichtsabnahme: Eine Metaanalyse von Studien ergab, dass bezüglich einer angestrebten Gewichtsreduktion eine kohlenhydratarme Diät innerhalb eines halben Jahres (um 3,3 kg) effektiver als eine fettarme Diät ist. Diese Differenz war nach 1 Jahr nicht mehr zu konstatieren (nur noch – 1 kg). Kohlenhydratarme Kost beeinflusste den Triglycerid– (TG) und HDL-Spiegel günstiger (TG -22,1 mg/dl; HDL-Cholesterin +4,6 mg/dl). Fettarme Kost jedoch beeinflusste den Gesamt-Cholesterin- und den LDL-Cholesterin-Spiegel (-5,4 mg/dl) günstiger (8)Arch Intern Med. 2006 Feb 13;166(3):285-93.
Gewichtsabnahme durch hypokalorische kohlenhydratarme Diät: Eine solche Kost (14 % der Energie als Kohlenhydrate (<50 g/d), 28 % als Protein, 58 % als Fett (< 10 % gesättigt) ) erwies sich in einer Studie gegenüber einer gleich energetischen (hypokalorischen) kohlenhydratreichen Kost (53% als Kohlenhydrate, 17% als Protein, 30% als Fett (<10% gesättigt) ) jeweils in Kombination mit einem Bewegungsprogramm bei ähnlicher Gewichtsabnahme, ähnlicher Reduktion des HbA1c und der Nüchternglukose als vorteilhaft bezüglich der Fettwerte im Blut, der Stabilität des Blutzuckers und einer Reduktion der Diabetesmedikation. (9)Am J Clin Nutr. 2015 Oct;102(4):780-90. doi: 10.3945/ajcn.115.112581
Analyse der Studienlage: kohlenhydratarme Diäten senken den postprandialen Glukosespiegel, und kohlenhydratreiche und fettarme Diäten wirken kardioprotektiv. Für individuelle Empfehlungen ist weitere Forschung erforderlich. (10)Curr Diab Rep. 2018 Oct 17;18(12):128. doi: 10.1007/s11892-018-1103-4 Auch eine Cochrane-Auswertung besagt, dass nicht genügend Informationen vorliegen, welche Schlussfolgerungen für Menschen mit Übergewicht oder Adipositas zu ziehen sind, um die gesundheitlichen Gefahren inkl. Diabetesentwicklung zu senken. (11)Cochrane Database Syst Rev. 2023 Jun 22;6(6):CD005105. doi: 10.1002/14651858.CD005105.pub3 Eine multinationale Studienauswertung besagt, dass kohlenhydratreiche Kost die Entwicklung eines Diabetes fördern und propagiert Diäten mit niedrigem glykämischen Index und niedriger glykämischer Last. (12)Lancet Diabetes Endocrinol. 2024 May;12(5):330-338
Einfach ungesättigte Fettsäuren günstig zur Senkung der Nüchterninsulinwerte: Der Vergleich von 3 Diäten bezüglich der Gewichtsentwicklung nach einer initialen Gewichtsabnahme und der Entwicklung eines Diabetes bei nichtdiabetischen Übergewichtigen / Adipösen ergab bei ad-libitum-Ernährung (nach Maßgabe der Sattheit) Folgendes: Fettarme Kost (20-30% der Kalorien durch Fett) erbrachte innerhalb von 6 Monaten mit +2,2 kg einen geringeren erneuten Gewichtsanstieg als eine Kontrolldiät mit +3,8 kg (mit 35 % der Kalorien durch Fett) oder eine Diät mit etwa 40% Fett und davon 20% einfach ungesättigten Fettsäuren (+2,5 kg). Interessant an dieser Untersuchung ist, dass nur die Diät mit 40% Fett, davon 20% einfach ungesättigten Fettsäuren, zu einer Reduktion der Nüchterninsulinwerte (-2,6 pmol/l) führte, die beiden anderen Diäten zu einem Anstieg (4,3 pmol/l bzw. 14,0 pmol/l). Der Proteinanteil lag bei den 3 Diäten bei 10-20%. (13)Am J Clin Nutr. 2008 Nov;88(5):1232-41
Proteinreichere Kost ist assoziiert mit höherem Blutdruck bei Typ-2-Diabetes: In einer Querschnittsstudie wurde mithilfe eines 24-Stunden Blutdruckmessgeräts festgestellt, dass ambulante Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhten Blutdruckwerten (über 135 mm Hg systolisch oder über 85 mm Hg diastolisch) ein höheres HbA1c aufwiesen als normotone Patienten (8,4 vs. 7,6%) und mehr Eiweiß zu sich nahmen (20,0% vs. 18,2% der Energieaufnahme). Die Berechnungen ergaben, dass eine Fleischaufnahme, die höher als 3,08 g/kg Körpergewicht pro Tag liegt, das Risiko für erhöhten Blutdruck verdoppelt (14)J Am Coll Nutr. 2015;34(3):232-9.
Kohlenhydrate pflanzlicher Herkunft sind mit metabolischem Syndrom assoziiert: In einer chinesischen Studie war ein hoher Kohlenhydratanteil in der Nahrung verbunden mit einem erhöhten Risiko eines metabolischen Syndroms (2,24-fach) und einer Hyperlipidämie (3,05-fach). Wenn nur der aus Pflanzen stammende Kohlenhydratanteil (Reis, Getreide, Knollen) betrachtet wurde, so lag das relative Risiko um 1,48 bzw. 1,73 erhöht. Andere Kohlenhydratquellen zeigten keine solche Assoziation. Der Cut-off-Wert zu einem erhöhten Risiko lag bei 220 g (15)Sci Rep. 2015 Nov 19;5:16919. doi: 10.1038/srep16919.
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Verweise
→ Zur diätetischen Einstellung inkl. der Abstimmung von aufgenommener Kohlenhydratmenge (z. B. als Broteinheiten) mit der zu spritzenden Insulinmenge beim insulinpflichtigen Diabetes siehe hier.
- Diabetes mellitus
- Metabolisches Syndrom
- Adipositas
- Blutzucker
- Insulinresistenz
- Gesunde Ernährung
- Ernährung bei Adipositas
Literatur