Alkoholgenuss hat vielen Facetten: er hat psychische, gesundheitliche und soziale Auswirkungen. Gewohnheitsmäßiger, aber auch bereits einmaliger Genuss von Alkohol kann zur Alkoholabhängigkeit führen.
Alkohol gehört chemisch zu einer Gruppe von Kohlenwasserstoffen (aliphatische Kohlenwasserstoffe, Alkane), bei denen ein H durch OH ersetzt ist. Im landläufigen Sinn wird mit Alkohol im Wesentlichen Äthanol (oder Äthylalkohol) als Genussmittel gemeint. Wegen seiner schädlichen gesundheitlichen Wirkungen wird es als Genussgift eingestuft.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Alkohol als Genussmittel
- 2 Alkoholstoffwechsel
- 3 Alkohol als Suchtmittel
- 4 Erziehung zu verantwortungsvollem Umgang mit Alkohol
- 5 Alkoholabhängigkeit als Krankheit des Gehirns
- 6 Akute Schäden
- 7 Chronische Schäden
- 8 Alkoholentzug
- 9 Psychische Auswirkungen
- 10 Therapie der Alkoholabhängigkeit
- 11 Betreuung Alkoholkranker beim Entzug
- 12 Verweise
Alkohol als Genussmittel
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Alkohol wird in Gesellschaft zur Hebung der allgemeinen Stimmung und Laune verwendet. Man fühlt sich leichter bereit, Kontakte zu knüpfen, Gespräche zu führen, mitzulachen oder auch Unsinn zu machen. Der leicht enthemmende Effekt wird gewünscht und als angenehm empfunden. Zudem kommt eine entspannte Körperempfindung hinzu, eine Wohligkeit, die süchtig machen kann. Dabei schwinden allmählich die Selbstkontrolle und das Empfinden, nicht mehr angemessen urteilen und reagieren zu können. Man traut sich mehr zu, als tatsächlich in der Situation noch möglich ist. Die Reaktionszeit nimmt ab. Die Fähigkeit zur richtigen Beurteilung einer Situation kann, vom Betroffenen unerkannt, schon früh leiden. Daher sind verantwortungsvolle Tätigkeiten unter Alkoholeinfluss nicht nur nicht ratsam, sondern in bestimmten Beziehungen (wie Autofahren, Operieren, Bedienen gefährlicher Maschinen etc.) verboten.
Alkohol: günstige Effekte
Einige Inhaltsstoffe alkoholischer Getränke, wie beispielsweise Resveratrol in Rotwein, können auch gesundheitsfördernde Auswirkungen haben (siehe dort). Auch besteht eine positive Assoziation von mäßigem Alkoholgenuss und Knochenfestigkeit (1)Am J Clin Nutr. 2009 Apr;89(4):1188-96, insbesondere bei postmenopausalen Frauen (2)Am J Clin Nutr. 2011 Nov;94(5):1371-5. Dies wird teilweise einem geringen Östrogengehalt des Rotweins und anderen biologisch aktiven Inhaltsstoffen von Alkoholika zugeschrieben. Dennoch wird vor einer Osteoporoseprophylaxe dieser Art gewarnt. (3)Am J Clin Nutr. 2009 Apr;89(4):999-1000 Die schädigenden Auswirkungen alkoholischer Getränke überwiegen eindeutig (siehe hier).
Alkohol in Getränken
Alkoholgehalt in etwa (der genaue Gehalt ist den Etiketten zu entnehmen): Apfelmost 2-6%, Wein 12 – 14 %, Bier 3 – 6 %, Starkbier 8 – 10 %, Liköre und Schnäpse 30 – 80 %.
Grenze der Unbedenklichkeit
Einfluss auf Krankheitsrisiken und Mortalität: Eine Studienauswertung (verschiedene Studien zusammengefasst mit insgesamt 599912 Alkoholkonsumenten) zeigt auf, dass Alkoholgenuss nur bis zu einer relativ niedrigen Grenze die Sterberate (Mortalität) nicht erhöht. Alkoholkonsum war nahezu linear mit einem höheren Risiko für Schlaganfall (HR pro 100g pro Woche 1,14-fach), koronare Herzkrankheit (außer Herzinfarkt, 1,06-fach), schweren Bluthochdruck (1,24-fach) und schweres Aortenaneurysma (1,15-fach) assoziiert. Dagegen war das Herzinfarktrisiko geringer (0,94-fach). Die vertretbare Grenze für Alkoholkonsum wird bei 100 g Alkohol pro Woche gesehen (wo sich positive und negative Effekte weitgehend aufheben). Das sind täglich etwa 1 Glas Wein oder 3 halbe Flaschen Bier. Wenn ein 40-Jähriger seinen Alkoholkonsum von etwa 196 g/Woche (derzeit in USA vertretener Grenzwert für Männer) auf 100 g/Woche reduziert, lebt er (nach dieser Studienauswertung) statistisch 1-2 Jahre länger. (4)Lancet. 2018 Apr 14;391(10129):1513-1523. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)30134-X
Einfluss auf kognitive Funktionen: Selbst nur mäßiger Alkoholkonsum über 7 Gläser (56 g) pro Woche schädigt das Gehirn und führt zu einer Verschlechterung kognitiver Funktionen. (5)PLoS Med. 2022 Jul 14;19(7):e1004039. DOI: 10.1371/journal.pmed.1004039.
Alkoholstoffwechsel
Biochemische und physiologische Vorgänge
Alkohol wird über die Alkoholdehydrogenase (ADH) zum hoch toxischen Acetaldehyd abgebaut. Es gibt sieben ADH-Gene ADH7, ADH1C, ADH1B, ADH1A, ADH6, ADH4 und ADH5. Sie befinden sich in einem Cluster auf Chromosom 4q21–24. Jedes Gen kodiert für ein einzigartiges Isozym. ADH7 (6)Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet. 2004 Apr 1;126B(1):19-22. doi: 10.1002/ajmg.b.20136. sowie Mutanten (Varianten) von ADH1B (z. B. ADH1B*2) schützen Ostasiaten sowie Europäern vor Alkoholabhängigkeit. (7)BMC Med Genet. 2014 Dec 21;15:136. doi: 10.1186/s12881-014-0136-z
- Im Magen beginnt bereits ein Abbau (etwa 5% des aufgenommenen Alkohols) über eine Alkoholdehydrogenase statt. Dieses Magenenzym weist eine deutlich höhere Aktivität als die Leber-Alkoholdehydrogenase auf. Eine Mutation im Magen-ADH-Gen (ADH7-Gen), welches vor Alkoholwirkungen schützt, wird mit einer Alkoholabhängigkeit (8)Arch Med Sadowej Kryminol. 2016;66(3):172-181. English. doi: 10.5114/amsik.2016.66401., einer Leberzirrhose und Hrnschäden in Verbindung gebracht. Eine früher angenommene Assoziation mit Ösophagus- und Magenkrebs oder einer Metaplasie in der Magenschleimhaut besteht nicht. (9)Ann Oncol. 2012 Feb;23(2):287-97. DOI: 10.1093/annonc/mdr136. (10)PLoS One. 2021 Nov 15;16(11):e0260019. DOI: 10.1371/journal.pone.0260019
- Der hauptsächliche Abbau erfolgt in der Leber durch eine Alkoholdehydrogenase. Es entsteht Acetaldehyd, das für toxische Wirkungen inkl dem „Kater“ verantwortlich ist: Kopfschmerzen, Übelkeit und Brechreiz. Acetaldehyd wird durch eine weitere Dehydrogenase (Acetaldehyddehydrogenase) zu Essigsäure und dann über den Zitronensäurezyklus abgebaut. Bei höheren Alkoholmengen kommt der Abbau in den Mitochondrien am Cytochrom-P450-System zusätzlich ins Spiel (CYP2E1). Die Abbaugeschwindigkeit beträgt etwa 0,08 bis 0,1 g pro Stunde und kg Körpergewicht; sie ist bei Frauen etwas langsamer als bei Männern.
- Alkohol erweitert die Hautgefäße (die Haut wird rot und warm) und senkt den Blutdruck (u. U. mit Schwindelerscheinungen und Pulsbeschleunigung). Der Körper kann dadurch erheblich an Wärme verlieren (Unterkühlung bis hin zu Erfrierungen und zum Erfrierungstod im Winter).
- Alkohol erhöht die Bildung von Dopamin und Endorphinen im Gehirn, was zum Wohlbefinden beiträgt.
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Alkohol als Suchtmittel
Auslöser und Prädisposition: Alkohol kann eine unbeherrschbare Sucht auslösen, die als Krankheit angesehen werden muss. Seit geraumer Zeit wird neben Umwelteinflüssen auch eine genetische Grundlage dafür diskutiert. Unter den Umweltfaktoren ist Stress offenbar der wichtigste Risikofaktor. Genetisch bedingte Veränderungen in der hormonellen Stressantwort des Körpers gehen, so wird vermutet, mit einer erhöhten Bereitschaft zu Alkohol- und Drogenmissbrauch einher. (11)Addict Biol 2009 Jan;14(1):43-64 Dopamin-Rezeptoren scheinen eine zentrale Rolle bei der Sucht zu spielen. (12)Behav Pharmacol 2009 Feb;20(1):1-17 Auch andere genetische Veränderungen werden diskutiert. (13)J Subst Abuse Treat. 2009 Jan;36(1):S5-14 Eine Variante des “glutamate metabotropic receptors 7”-Gens (Grm7) ist offenbar assoziiert mit Alkoholsucht (14)Alcohol. 2016 Sep;55:43-50. doi: 10.1016/j.alcohol.2015.10.005 (s. u.).
Erziehung zu verantwortungsvollem Umgang mit Alkohol
Eltern sind relativ oft der Meinung, dass eine kontrollierte Erlaubnis, Alkohol zu trinken, Kinder dazu erziehen würde, verantwortungsvoll mit solchen Getränken umzugehen. Das ist laut neuen Langzeitstudien nicht der Fall. Die Ergebnisse zeigen im Gegenteil, dass aus solchen Kindern vermehrt solche mit Alkoholproblemen im späteren Leben werden. Unter ihnen finden sich gehäuft auch solche, die mit Alkohol assoziierte Straftaten begehen und zu Bing-Trinkern (Komasäufer) werden. Die Autoren folgern, dass Alkohol nicht in Kindermund gehören darf. (15)The Lancet Public Health Published: January 25, 2018, DOI: … Continue reading (16)Arch Pediatr Adolesc Med. 2012 Nov;166(11):1053-7. doi: 10.1001/archpediatrics.2012.1198. (17)Addict Behav. 2018 Jan;76:82-87. doi: 10.1016/j.addbeh.2017.07.030. Epub 2017 Jul 25
Alkoholabhängigkeit als Krankheit des Gehirns
Im Gehirn gehen schon bei mäßigem Alkoholkonsum (über 7 Einheiten pro Woche) vermehrt Nervenzellen zugrunde, was sich an der Reduktion der grauen Substanz in der Hirnrinde und in Kerngebieten des Gehirns nachweisen lässt (18)BMJ 2017;357:j2353, doi: https://doi.org/10.1136/bmj.j2353. Der Hippocampus, eine für das Gedächtnis zentrale Region im Gehirn (gehört zum limbischen System an der Innenseite des Temporallappens), wird geschädigt. Er spielt eine wichtige Rolle für neurokognitive Funktionen beim Alkoholismus, ebenso wie auch bei der Schizophrenie und dem Morbus Alzheimer. Alkohol verändert dort den Eiweißstoffwechsel speziell in Astrozyten, was offenbar entscheidende Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung hat. (19)Expert Rev Proteomics. 2008 Apr;5(2):321-3 (20)Alcohol Alcohol. 2009 Mar-Apr;44(2):171-6
Selbst nur mäßiger Alkoholkonsum schädigt das Gehirn, was auf eine vermehrte Eisenanreicherung zurückgeführt wird. Sie ist mit oxidativen Stress und neurodegenerative Krankheiten (wie Parkinson und Alzheimer-Demenz) assoziiert. Eine Studie an 20965 Teilnehmern weist dies bei einem Alkoholkonsum von über 7 Gläser (56 g) pro Woche nach. Er war assoziiert mit einem erhöhten Eisengehalt in den Basalganglien und einer verschlechterten kognitiven Leistungsfähigkeit. (21)PLoS Med. 2022 Jul 14;19(7):e1004039. DOI: 10.1371/journal.pmed.1004039.
Genetische Grundlagen
Die Neigung zu Alkoholkonsum unterliegt genetischen Einflüssen. Untersuchungen zeigen, dass eine Vielzahl von Genen involviert sind. Insbesondere konzentriert sich die Forschung auf den Glutamat-Signalweg. Glutamat ist der wichtigste anregende Transmitter (Überträgerstoff an den Synapsen zwischen Nervenzellen). Genanomalien, die zu einer Fehlfunktion des Glutamat-Transporters führen, spielen bei Alkoholabhängigkeit offenbar eine entscheidende Rolle (22)Front Neurosci. 2015 Apr 23;9:144. doi: 10.3389/fnins.2015.00144. (23)Neuropharmacology. 2017 Aug 1; 122:85-99. Epub 2017 Jan 17.. Mäuse mit einem GRM2-Defekt (Gen für den metabotropen Glutamatrezeptor 2) wählen in Experimenten häufiger als solche ohne diesen Defekt die Alkohol enthaltende Trinkflasche und nicht die daneben angebrachte ohne Alkohol (24)Proc Natl Acad Sci U S A. 2013 Oct 15; 110(42):16963-8.
Eine weitere Abhängigkeit durch die Entdeckung besonderer zirkulärer RNA gefunden, die über miRNA mit mRNA interagieren. circRNA-406742 und miR-1200 sind mit Alkoholabhängigkeit assoziiert (25)Addict Biol. 2021 Nov;26(6):e13071. doi: 10.1111/adb.13071
Hirnatrophie
Äthanol wirkt auf das Gehirn toxisch und führt zu akuten Veränderungen des Verhaltens, es wirkt stimulierend und später dämpfend, und er führt zu lang anhaltenden Verhaltensänderungen, zur Abhängigkeit, kognitiven Defekten, sozialen Störungen und einer Persönlichkeitsstörung. Zugrunde liegen tiefgreifende Veränderungen, die im Gehirn stattfinden. Sie betreffen praktisch alle Hirnstrukturen (26)Alcohol Alcohol. 2007 Nov-Dec;42(6):533-8. doi: 10.1093/alcalc/agm065. inklusive einer Atrophie (Abbau, Verschmälerung) der Hirnrinde, so auch des Frontalhirns (27)Alcohol Clin Exp Res. 2014 Jul;38(7):1955-64. DOI: 10.1111/acer.12475., welches das Wesen eines Menschen mitbestimmt, des limbischen Systems (corktico-limbisches System), welches für Emotionen und Gedächtnis mitverantwortlich sind, sowie des Kleinhirns (insbesondere der Wurm bds.), welches die Feinmotorik koordiniert. (28)Acta Neuropathol. 2014 Jan;127(1):71-90. DOI: 10.1007/s00401-013-1233-3 Schlafstörungen bei Alkoholkrankheit sind mit einer kortikalen und subkortikalen Atrophie assoziiert. (29)Transl Psychiatry. 2021 Aug 16;11(1):428. DOI: 10.1038/s41398-021-01534-0 Störungen dieser Bezirke und ihrer Funktionen erklären beispielsweise Wesensveränderungen, Gedächtnisstörungen und Ataxie. Die biochemischen Vorgänge, die dabei eine Rolle spielen, sind weitgehend bekannt. (30)Neuron. 2017 Dec 20;96(6):1223-1238. DOI: 10.1016/j.neuron.2017.10.032. (31)Acta Neuropathol. 2014 Jan;127(1):71-90. DOI: 10.1007/s00401-013-1233-3
Akute Schäden
- Eine akute Alkoholvergiftung ist lebensbedrohlich (Wetttrinken, Binge-Trinken). Dabei treten zerebrale Funktionsstörungen bis hin zum Koma mit einer Lähmung der vegetativen Zentren im Stammhirn ein (Komasaufen). An der Leber kann es zu einer akuten Fettleberhepatitis mit Ausbildung eines Zieve-Syndroms kommen.
- Das durch Alkohol induzierte heftige Erbrechen führt nicht zu selten zu einem Schleimhauteinriss am Übergang von der Speiseröhre zum Magen mit akuter Blutung (Mallory-Weiss-Blutung). Besonders heftiges Erbrechen kann auch zu einem Einriss in der Speiseröhre führen (Boerhaave-Syndrom), der lebensbedrohlich ist und in der Regel eine schwere Entzündung im Brustraum (Mediastinitis) zur Folge hat.
- Hochkonzentrierter Alkohol (Liköre, Schnäpse) können eine Speiseröhrenentzündung (Ösophagitis) hervorrufen und erhöht das Risiko von Speiseröhrenkrebs (Ösophaguskarzinom). Auch die Magenschleimhaut wird geschädigt; es kommt zur alkoholtoxischen Gastritis.
Chronische Schäden
Ab etwa 40-60 g Alkohol pro Tag muss mit chronischen organischen Schädigungen gerechnet werden, bei Frauen früher als bei Männern. Dazu gehören folgende Veränderungen und Krankheiten:
- Alkoholtoxische Leberschädigung, alkoholische Fettleberhepatitis (ASH), Zieve-Syndrom, Leberumbau über Leberfibrose zur Leberzirrhose. Eine Leberschädigung wird durch die bei Alkoholkranken häufige einseitige und eiweißarme Kost noch verstärkt.
- Gastritis: es handelt sich um eine durch Alkohol induzierte toxische Typ-C-Gastritis, die vielfach gefunden wird.
- Hämochromatose: Eisenspeicherkrankheit mit erhöhtem Risiko für eine Leberzirrhose und Leberkrebs. Viele alkoholische Getränke, besonders Wein, enthalten vermehrt Eisen (32)Gastroenterology 2004; 126: 1293–1301, so dass diese Erkrankung bei reichlichem Alkoholgenuss frühzeitig manifest wird.
- Chronische Pankreatitis mit erhöhtem Risiko eines Pankreaskarzinoms.
- Gehirnschädigung: Chronischer Alkoholgenuss kann zu akuten und chronischen Veränderungen der Gehirnfunktion führen. , Enzephalopathie , (akutes neuropsychiatrisches Syndrom als Folge eines alimentären Thiaminmangels (Vitamin-B1-Mangel)), abgehackte Augenbewegungen (Nystagmus), abgehackte (sakkadierte) Sprache, Gedächtnisstörungen und Vergesslichkeit, Denkstörungen, Rechenstörungen, Psychose etc.
- Akut: Alkoholepilepsie, Bewusstseinseintrübung (ggf. mit Fadenriss), Delir, Koordinationsstörungen (Ataxie und Dysmetrie). (Siehe unter Wernicke Enzephalopathie und Wernicke-Korsakoff-Syndrom.)
- Im Entzug kann ein Delirium tremens (Alkoholdelir) auftreten mit Orientierungsstörungen, illusionären Verkennungen, Halluzinationen (weiße Mäuse, rosa Elefanten …), Unruhe und Tremor, Schwitzen. Dabei steigen Blutdruck, Puls und Atemfrequenz. Die Behandlung erfolgt i.d.R. auf einer Intensivstation (eingesetzt werden u.a. Benzodiazepine, Haloperidol (o.ä.), Beta-Blocker und Carbamacepin). Das akute Delir reagiert rasch auf intravenöse Applikation von Alkohol. Ein Delir wird nicht selten durch einen Krampfanfall (alkoholische Epilepsie) eingeleitet.
- Chronisch: Förderung neurodegenerativer und demenzieller Krankheiten (inkl. Alzheimer-Demenz); vermittelt wird dies über eine vermehrte Eisenablagerung in den Basalganglien. (33)PLoS Med. 2022 Jul 14;19(7):e1004039. DOI: 10.1371/journal.pmed.1004039. Ein vorzeitiger Hirnabbau ist mit Veränderung der Persönlichkeit verbunden. Gesundheit und geistige Frische im Alter sind bei Menschen mit Alkoholanamnese vermindert.
- Mangelsymptome: Bei chronischem Alkoholabusus kommen viele Erscheinungen durch einseitige Ernährung zustande: Muskelabbau, Vitaminmangel, Mangel an Elektrolyten und Spurenelementen. Im Blutbild zeigen sich Veränderungen durch einen Vitamin-B12- und Folsäuremangel (z. B. eine Vergrößerung der roten Blutkörperchen (hyperchrome Makrozytose der Erythrozyten) .
- Akut: Alkoholepilepsie, Bewusstseinseintrübung (ggf. mit Fadenriss), Delir, Koordinationsstörungen (Ataxie und Dysmetrie). (Siehe unter Wernicke Enzephalopathie und Wernicke-Korsakoff-Syndrom.)
- Nervenstörungen (Neuropathie) mit Gefühlsstörungen und mangelhafter muskulärer Innervation.
- Herzmuskelerkrankung mit Herzleistungsschwäche und Herzrhythmusstörungen (alkoholische Kardiomyopathie).
- Steigerung des Krebsrisikos (z. B. Leberkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Speiseröhrenkrebs, Magenkrebs, Brustkrebs.
- Alkohol in der Schwangerschaft führt häufig zu einer alkoholbedingten Fruchtschädigung (Embryopathie) mit vielfach nicht korrigierbarer Intelligenzminderung, Verhaltensauffälligkeiten und gelegentlich zu motorischen und sensorischen Störungen.
Die individuelle Empfindlichkeit auf Alkohol ist sehr unterschiedlich und hängt von der Aktivität der Enzymsysteme ab, die den Alkohol abbauen und für entzündliche oder vernarbende (fibrosierende) Vorgänge zuständig sind. Daher ist nicht vorherzusagen, wer vorrangig mit einer Vernarbung der Leber, einer Herzleistungsschwäche oder mit einer Bauchspeicheldrüsenentzündung reagiert.
Alkoholentzug
Akuter Alkoholentzug kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Ein akutes Entzugssyndrom beinhaltet körperliche Unruhe, Agitiertheit, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Schwitzen, psychische Derangiertheit und epileptische Anfälle. Zugrunde liegt eine erhöhte Konzentration von Glutamin im Gehirn (hyperglutaminerger Status) (34)F1000Res. 2017 Mar 21;6:298. doi: 10.12688/f1000research.9609.1..
Psychische Auswirkungen
Die leichte Enthemmtheit und Wohligkeit, die die meisten Menschen verspüren, kann bei manchen Menschen in Selbstüberschätzung, Aggressivität und Streitlust übergehen. Manche Menschen reagieren „im Suff“ mit Großmannssucht, manche mit Verzweiflung und Depression (heulendes Elend, Weltschmerz). Nach ausgeschlafenem Rausch besteht gelegentlich eine Erinnerungslücke (Amnesie) über die in Trunkenheit erlebten und getanen Dinge.
Therapie der Alkoholabhängigkeit
Mit Hilfe einer eingreifenden Therapie ist es möglich, die Sucht zu überwinden.
Lebenslange Anfälligkeit
Es muss davon ausgegangen werden, dass man lebenslang anfällig bleibt, insbesondere wenn eine Sucht fördernde Veranlagung besteht. Schon sehr geringe Mengen Alkohol, wie sie beispielsweise in Hustentropfen oder Malzbier vorkommen, können ausreichen, eine überwunden geglaubte Trinksucht wieder auszulösen, aus der man sich nicht oder kaum selbst befreien kann.
Psychische Unterstützung
Wenn der Abusus nicht von außen gestoppt wird, werden Körper und Geist durch den Alkohol dauerhaft geschädigt. Menschen, die alkoholkrank sind, sollten psychiatrisch behandelt werden. Dem körperlichen Entzug hat sich ein psychischer Entzug anzuschließen, der sehr viel anstrengender ist.
Es muss das Bewusstsein vermittelt werden, dass ein Tropfen Alkohol jederzeit das Krankheitsbild wieder aufleben lassen kann.
Liegt eine Veranlagung zur Alkoholsucht vor, so werden Möglichkeiten gesucht, die von diesen Genen abhängigen Signalwege (Glutamat-Neurotransmission) medikamentös zu beeinflussen – eine inzwischen möglicherweise erreichbare Perspektive (35)Neurosci Biobehav Rev. 2017 Jun;77:14-31. doi: 10.1016/j.neubiorev.2017.02.024. (36)Addict Biol. 2021 Nov;26(6):e13071. doi: 10.1111/adb.13071
Das Selbstwertgefühl, das bei Menschen, die leicht in Alkoholabhängigkeit abrutschen, häufig zentral gestört ist, ist ein möglicher Ansatzpunkt einer Therapie. Es ist möglicherweise eher beeinflussbar als auslösende soziale Faktoren. (37)Int J Ment Health Addict. 2023 Mar 13:1-13. DOI: 10.1007/s11469-023-01035-9
Hilfe zur Abstinenz
Menschen, die gewohnheitsmäßig geringe bis mäßige Mengen an Alkohol zu sich nehmen, sollten realisieren, dass Alkohol keinen Schutzeffekt auf das Gehirn ausübt, wie vielfach geglaubt wird (laut einer Langzeitstudie (38)BMJ 2017; 357 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.j2353 ). Die meisten vermögen aus Einsicht den Alkoholgenuss wesentlich einzuschränken. Viele Menschen mit gewohnheitsmäßig mittlerem und hohem Alkoholgenuss (Alkoholabusus) benötigen dazu jedoch meist eine Abstinenzhilfe. Neben psychologischer Anleitung können dazu auch Medikamente erforderlich werden. Einer pharmakologischen Hilfe bei der Herstellung und Aufrechterhaltung einer Alkoholabstinenz wird eine große Bedeutung beigemessen. (39)J Subst Abuse Treat. 2009 Jan;36(1):S15-23
Disulfiram
Disulfiram (Antabus®) hemmt die Alkoholdehydrogenase (ADH) und kann “Kater” als Folge der Ansammlung von Acetaldehyd auslösen bzw. verlängern. Die Angst vor Katerstimmung soll das Verhalten umprogrammieren helfen – was aber nicht immer von Dauer ist. Das Mittel sollte zudem wegen insbesondere kardialer und hepatischer Nebenwirkungen nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Sonstige Nebenwirkungen betreffen: Kopfschmerzen, Müdigkeit bis Schläfrigkeit und Ängstlichkeit. Bei guter Patientenselektion soll die Verträglichkeit jedoch vertretbar sein. (40)Expert Opin Drug Saf. 2008 Jul;7(4):459-72
Disulfiram hat neben seiner Wirkung auf die ADH auch eine Hemmwirkung auf weitere Enzyme, die es für weitere Indikationen geeignet erscheinen lassen, so beim Kokain-Entzug (41)Mol Interv. 2009 Aug;9(4):175-87 oder bei Angsterkrankungen. (42)Front Pharmacol. 2022 Mar 7;13:826783. doi: 10.3389/fphar.2022.826783
Um das Verlangen nach Alkohol besser unter Kontrolle zu bringen, wurde Disulfiram in Studien zusammen mit dem Opiat-Antagonisten Naltrexon verabreicht, was bei einigen Menschen hilfreich war. Zugrunde scheint eine genetische Variante des mu-Opioid-Receptor-Gens (OPRM1) zu liegen: Alkoholkranke mit einer Heterozygotie für das Allel Asn40 haben einen bessere Abstinenzchance als solche mit Homozygotie (43)Arch Gen Psychiatry. 2008 Feb;65(2):135-44 Allerdings konnte dies nicht bestätigt werden. (44)JAMA Psychiatry. 2015 May;72(5):430-7. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2014.3053.
Acamprosat
Acamprosat ist ein Glutamat-Antagonist im Gehirn und vermag nach einigen Studien die Chance einer Abstinenz-Aufrechterhaltung zu steigern. Es scheint nicht das Trinkverhalten nach einem Relaps beeinflussen zu können. (45)J Subst Abuse Treat. 2009 Jan;36(1):S15-23
Kritische Auswertung von Studien zu Medikamenten
Eine Studienauswertung kommt zu folgendem Ergebnis: “Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit oder Alkoholkonsumstörung gibt es derzeit keine hochgradige Evidenz für eine Behandlung … mit Nalmefen, Naltrexon, Acamprosat, Baclofen oder Topiramat .” Und “Keine [Studie] zeigt einen Nutzen für die Entwicklung der Gesundheit.” (46)Addiction. 2018 Feb;113(2):220-237. DOI: 10.1111/add.13974.
Prazosin
Von Prazosin, einem alpha1-adrenerger Antagonisten, ist bekannt, dass es die adrenerge Hyperaktivität und übermäßiges Trinken bei Labortieren reduziert. Bei Patienten reduziert es stressbedingten Alkoholkonsum und das Rückfallrisiko bei alkoholkranken Patienten.
Chronischer starker Alkoholkonsum und wiederholte Entzungsprogramme schädigen die Funktion des Gehirns im medialen präfrontalen Kortex (mPFC) und der striatalen Signalleitung, was wiederum zu einem anschließend um so stärkeren Alkoholkonsum führt.
In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass diejenigen Patienten mit einem besonders starken Alkoholentzungssyndrom bei Behandlungsbeginn von Prazosin (im Vergleich zu Placebo) profitierten. Die stress- und alkoholbedingten Dysfunktionen konnten vermieden und die Ergebnisse von Entzugsbehandlungen verbessert werden. (47)Addict Biol. 2022 Mar;27(2):e13116. doi: 10.1111/adb.13116
Perspektiven nd Entwicklungen
Therapeutisches Ziel Glutamattransporters 1 (GLT-1): Bei Alkoholabhängigkeit ist oft eine Downregulation des Glutamattransporters 1 (GLT-1) nachweisbar. Sie rückgängig zu machen kann ein lohnendes Therapieziel sein. Glutamat wirkt im Gehirn als anregender Transmitter und bedarf solcher Glutamatrezeptoren. (48)Neurosci Biobehav Rev. 2017 Jun;77:14-31. doi: 10.1016/j.neubiorev.2017.02.024. (49)F1000Res. 2017 Mar 21;6:298. doi: 10.12688/f1000research.9609.1 Einige Substanzen, die GLT-1 hochregulieren, haben experimentell bereits Wirksamkeit in genetischen Tiermodellen gezeigt und zu einer verminderten Alkoholaufnahme geführt (darunter Ceftriaxon, MS-153 und GPI-1046) (50)Front Neurosci. 2015 Apr 23;9:144. doi: 10.3389/fnins.2015.00144..
Nicht-kodierende RNA (ncRNAs): Bei der Alkoholabhängigkeit spielen epigenetische Mechanismen inkl. microRNAs (miRNAs) und lange nicht-kodierende RNAs (lncRNAs) eine bedeutende Rolle. (51)Alcohol Clin Exp Res. 2017 Apr;41(4):666-680. DOI: 10.1111/acer.13338. Über eine Veränderung der Genaktivitäten nehmen microRNAs Einfluss auf die Neuronenfunktionen und die synaptische Plastizität. (52)Exp Brain Res. 2022 Feb;240(2):365-379. doi: 10.1007/s00221-022-06305-x Hier lässt sich ein neuer Therapieansatz vermuten.
Ketogene Diät als adjunktive Behandlung beim Alkoholentzug: Das Gehirn verwertet unter Alkohol vermehrt Azetat, was die Alkohol-bedingte Reduktion der Glukoseverwertung abmildert. (53)Neuroimage. 2006 Jan 1;29(1):295-301. DOI: 10.1016/j.neuroimage.2005.07.004 Unter Hunger steigt die Konzentration von Azetat an, was dem Gehirn eine zusätzliche Energiequelle erschließt. Das lässt sich im Tierversuch unterlegen. Es wird vermutet, dass Ketonkörper, wie sie bei ketogener Diät entstehen, als “alternative Brennstoffe” im Gehirn wirken und Entzugserscheinungen lindern könnten. (54)Psychopharmacology (Berl). 2021 Mar;238(3):833-844. DOI: 10.1007/s00213-020-05735-1
Betreuung Alkoholkranker beim Entzug
Professionelle Hilfe bei Alkoholentzug ist neben persönlicher Hilfe aus dem Freundes- und Verwandtenkreis sowie der Aufgabe falscher Freundschaften oft entscheidend.
Folgende Organisationen können auf dem Weg zur Abstinenz helfen:
- Blaues Kreuz (evangelische Organisation)
- Kreuzbund (katholische Organisation)
- Guttempler (humanistische Organisation)
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Verweise
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Literatur