Ärztliche Hilfe in Liberia 04

Veröffentlicht von
Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Liberia

 


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Teil 4

Mail vom 22. 3. 2007

… Die Tage rauschen dahin, viel zu schnell, … ich habe die Hälfte der
Zeit schon wieder hinter mir, bei Euch wird der Frühling bald beginnen.
Hier ist jetzt häufiger Regen, richtige Wasserfälle. Die kurze
Abkühlung danach tut recht gut. Aber insgesamt ist es eher noch feuchter
und auch noch wärmer geworden. …

Das Leben in den Straßen ist deutlich lebhafter geworden, überall sieht
man neue Aktivitäten, neue Verkaufsstände – “Business Center” meist
überschrieben – an denen Essen, Hygieneartikel, Telefonkarten,
Gummiflippflops und alles mögliche verkauft wird. Alle sind auch der
Meinung, dass es mehr Autos gibt – zu viele für die schlechten Straßen.
Neue Bauten werden erstellt, Geschäfte wie z.B. Baumärkte eröffnen,
überall werden “High quality direct imported used Tyres“ angeboten (die
bei uns längst vom TÜV beschlagnahmt wären), neue Autogeschäfte
eröffnet. Selbst die Strassen werden langsam wieder mit Lampen versorgt. Die Pfosten mit den Lampen und den Leitungen sind schon da, der lokale
Transformator mit Verteilung ist aber noch nicht da (Der Platz existiert
noch, wurde aber offensichtlich komplett während des Krieges geplündert,
nur der Wächter sitzt schon mitten drin, obwohl da nichts zu bewachen
ist).

Der Krieg ist noch allgegenwärtig, sichtbar an den Häusern, an
Plakaten: kein Mobbing!! keine Gewalt, sie führt ins Gefängnis! Folgt
dem Gesetz. Nicht stehen bleiben, keine Zusammenrottung. …

Einige unserer Mitarbeiter habe ich gefragt, wie sie den Krieg erlebt haben.

  • Der Fahrer: Ich habe mich mit meiner Familie im Busch versteckt nachdem sie (?, die Combattanten, die Waffen tragen, wer auch immer) das Haus zerstört hatten. Wir hatten lange so gut wie nichts zu essen, eins meiner Kinder ist mit 3 Jahren wg. Hunger gestorben.
  • Die Nurse: Es war schrecklich, wir waren getrennt von meinem Vater, der bei einer Mine arbeitete und nicht weg konnte. Wir sind nach Monrovia gefahren und haben uns kaum raus getraut, da war überall Gefahr. Die Läden hatten nichts, niemand gab etwas ab. Es war schrecklich.
  • Der Anästhesist: Ich bin sofort nach Monrovia mit meiner Familie, da ich vom falschen Stamm war. Zuerst war ich allerdings in Cote d’Ivory –Elfenbeinküste, wo meine Familie herkam. Dort wurden wir aber in ein Camp gesteckt, durften nicht arbeiten, hatten kein Geld und bekamen nur das, was WFP (World Food Program) verteilte. In Monrovia ging es uns besser, da ich arbeiten konnte. Allerdings mussten wir alle sehr aufpassen, da immer wieder irgendwo geschossen wurde und niemand wusste, wer eigentlich wo war.

Doch insgesamt scheint es jetzt aufwärts zu gehen, auch wenn Liberia noch zu den 3 ärmsten Ländern der Erde gehört (die Minen arbeiten noch nicht, bzw. man ist sich noch nicht einig, wer den größten Teil der Einkünfte bekommt, die Investoren oder die Regierung – oder die Dunkelmänner? -). Das entspricht auch den Gesprächen der Liberian. Mitarbeiter, die insgesamt sehr hoffungsfroh in die Zukunft schauen, wenn auch wissend, dass es jederzeit wieder wg. Geld und Macht zu Auseinandersetzungen kommen kann. Die Spannungen zwischen den traditionell Afrikan. Stämmen und den sog. “Amerikanern” – Nachfahren der von USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hier angesiedelten ehemaligen Sklaven ist groß. Die “Amerikaner” haben tatsächlich sehr enge Verbindungen nach USA und wollen die Demokratie, wie Bush sie exportiert. Vielleicht sind sie für uns Weißen auch die besseren Partner, sie werden aber von den anderen Parteien hier sehr kritisch beobachtet und auch verdächtigt.

Viele Werte sind verloren gegangen, so sie denn in dieser Gemengelage überhaupt einmal hier existierten. Da ist die überall vorherrschende Gewalt. In den Familien wird ruppig erzogen, etwas was wir in unserer heilen Sambia Welt (unser früherer Aufenthalt) nie erlebten. Die Initiationen finden nicht mehr statt, das hat Vorteile, z.B. rituelle Narben und Beschneidungen bes. bei Frauen nicht mehr so häufig, hat aber auch Nachteile, da die Jugend keine traditionellen Werte vermittelt bekommt, es gibt keine Vaterfiguren, die Rollen von Mann und Frau sind im Umbruch, neue stabile Verhältnisse noch nicht da, Vertrauen in eine Staatsmacht, in eine Nation, ist in weiter Ferne. Auf den Strassen und in den Märkten – business centers – sind die ganz traditionellen LiberianerInnen, die nie mit ihrem Mann eng zusammen gesehen werden, genauso zu sehen, wie Händchen haltende Pärchen, selbst knutschende Paare sieht man gelegentlich. Zwischen den Lumpen-tragenden ganz armen und den gestylten eleganten, ganz reichen Liberianern klaffen Welten, aber sie gehen auf den gleichen dirt roads und fahren auf den gleichen löchrigen Strassen.

Doch es wird diskutiert, zunehmend offener. Allerdings auch zunehmend kritischer gegenüber den Weißen und den vielen NGO´s. Ich selbst habe auch das Gefühl, dass humanitäre Hilfe eher geschäftsmäßig und oft zum eigenen Vorteil betrieben wird. Zumindest leben sehr viele Leute davon und verdienen sich ihren Unterhalt damit. Die vielen UN Organisationen, die sehr gut bezahlen, und die man eigentlich immer nur in Hauptstädten wie Monrovia oder Khartoum findet, scheinen wirklich ein Wirtschaftsfaktor zu sein, da man sie überall, wo verkauft wird, auch sehen kann.

Das Geschäftsviertel von Monrovia sieht zwar städtebaulich verheerend aus – unansehnliche Häuser, teilweise halb verfallen, mit verrostetem Blech gedeckt, in den Gassen überall, wo ein Quadratmeter Platz ist, primitive Stände aus Holz und Pappe, mit Segeltuch, Plastik oder Sonnenschirm bedacht, in denen alles zu kaufen ist, was man zum Leben braucht. Eingestreut richtige Geschäfte und Supermärkte, die aber im Unterschied zu unseren Geschäften grobe schwere Eisentüren und feste Gitter vor den Fenstern haben, meist auch eine eigene Mauer um den Parkplatz, so es ihn gibt, zumindest uniformierte Guards, die an den Eingängen stehen und aufpassen, auch einmal mit Gewalt Platz machen für einen Vorzugskunden. Dann wieder kleine Restaurants, häufig von Libanesen betrieben, die schmackhaftes Essen, Heinecken Bier und Cola und andere Köstlichkeiten zu gepfefferten Preisen anbieten, dazu Airconditioning, etwas an das ich mich immer noch nicht so recht gewöhnen kann….

(Unsere) Mitarbeiter sind jünger, und die Bezahlung ist nicht sehr üppig. Das verhindert die gröbsten Auswüchse, obwohl es hier natürlich auch jüngere Mitarbeiter gibt, die sich so weit wie möglich amüsieren und ihren westlichen Stil ausleben. Doch eine nicht unerhebliche Zahl hebt sich auch sehr positiv davon ab und lebt hier recht bescheiden und hält den Kontakt mit den lokalen Mitarbeitern.

… Die Arbeit im Hospital lässt nicht nach, sie nimmt zu. Letztlich wurden in unserer maternity = Kreißsaal in einer Nacht 21 Kinder geboren. Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, was das für ein Leben ist, 4 Kreisbetten nebeneinander, die kleinen Schlafräume mit stöhnenden und liberial schreienden Frauen übervoll. Das Meiste leisten die Hebammen, die wirklich gut sind und meist wissen, wann es Zeit ist, einen Doc zu holen, allerdings heißt es dann operieren. Die normalen Geburten und Vacuum-Extraktionen machen sie selbst.

Etwa 10% der Geburten werden mit Sectio beendet, die meisten wg. Missverhältnis und langer Geburt oder foetalem Distress, danach kommt die Präeklampsie und die Eklampsie mit extrem hohen Blutdruckwerten, aber auch regelrechten Vergiftungszuständen mit Krämpfen und Lebensgefahr für Mutter und Kind. Die meisten Sectios werden in Rückemmarksbetäubung gemacht. So die Zeit nicht zu sehr drängt, da es dem Kind zu schlecht geht, machen wir den kosmet. schöneren queren Zugang; bei richtigen Notfällen aber den ganz schnellen Längszugang. Das Vertrauen der Frauen, die sich selbstständig auf den Tisch legen, sich an einem festhalten, wenn der Anästhesist die Betäubung im Sitzen macht, wie sie dankbar sind für jedes beruhigende Wort und jede Erklärung, was mit ihnen geschieht, ist sehr anrührend. … Und die Mitarbeiter honorieren das jetzt, in dem sie auch viel ruhiger mit den Frauen sind, fürsorglicher, da auch Veronika, die Deutsche Kollegin, das so will.

Bei den anderen Operationen überwiegen die Komplikationen nach Abtreibungen: inkomplette Aborte, Perforationen von Scheide und Uterus, Abszesse und Bauchfellentzündungen, gelegentlich mit Darmverletzungen, manchmal unglaublich. Aber auch Tubarschwangerschaften mit viel Blut im Bauch – letzte Nacht eine 22 j. mit mehr als 3 Ltr. Blutdruck unter 60, fast total im Schock. Nach Stabilisierung und Op. und Transfusion geht es ihr heute gut, wir sind dankbar.

Gelegentlich operiere ich auch kleinere Dinge an Kindern und Säuglingen: zuletzt 2 Neugeborene mit Omphalocelen, Nabelbrüchen … Der eine war recht groß, fast eine ganze Erwachsenen–Faust. Der Inhalt muss dann auch wieder in den kleinen Bauch. Dem Kleinen geht es aber jetzt gut.

Soviel für heute aus Liberia, einem der ärmsten Länder, in dem aber auch viel Freude ist, nach Deutschland, das so reich ist, aber auch so gut jammern kann.

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