EHEC-Infektion

Allgemeines

EHEC ist das Akronym für Enterohämorrhagische Escherichia coli. Es sind pathogene Stämme des Coli-Bakteriums (Escherichia coli), die Ursache blutiger Durchfällen (Diarrhö) sein können. Der E.coli-Serotyp O157:H7 produziert Shiga-Toxin, das für eine blutige Dickdarmentzündung (hämorrhagische Kolitis) und das hämolytisch-urämische Syndrom verantwortlich ist. (1)J Vet Sci. 2008 September; 9(3): 219–231 Eine EHEC-Infektion kann harmlos verlaufen, aber auch zu einem schweren Krankheitsbild führen. Die Therapie beinhaltet im Wesentlichen symptomatische Maßnahmen und die strikte Einhaltung von Hygienevorschriften. In lebensbedrohlichen Fällen ist bei Kindern Eculizumab erfolgreich eingesetzt worden.

Akuter Durchfall
Magenschmerzen

Geschichte

  • 1977 Erstbeschreibung von E. coli O157:H7, der auch bei späteren Ausbrüchen meist die Hauptrolle spielte.
  • 1982 erster Nachweis der EHEC als Auslöser einer hämorrhagischen Diarrhö in USA.
  • 1983 erster Nachweis eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) als Komplikation einer Infektion mit EHEC.
  • 1985 erster Nachweis in Deutschland, seither eher seltene sporadische Infektionen.
  • 1996 große Ausbrüche in Japan (um 10000 Fälle, 10 Tote) und Schottland (470 Fälle, 18 Tote).
  • 05/2011 größter Ausbruch seit Jahrzehnten, zuerst in Norddeutschland aufgetreten, Ausbreitung auch in benachbarten Ländern, wahrscheinlich von verunreinigten Sprossen von Bockshornklee ausgehend (zurückverfolgbar bis Zulieferer aus Ägypten); überwiegend Frauen betroffen, mehrere Todesfälle; Keim offenbar säurestabil und multiresistent; ungewöhnlicher E. coli Stamm O104:H4 (siehe EAEC-Infektion). Anfang Juli 2011 über 4040 Erkrankungsfälle gemeldet, davon über 840 HUS-Komplikationen (ca. 20 %) und fast 50 Todesfälle (ca. 1,2 % der Erkrankten bzw. ca. 6 % der HUS-Komplikationen).

Epidemiologie

Aus den USA wurden große Statistiken veröffentlicht. Danach wurden 73000 Infektionen jährlich gezählt. Von 1882 bis 2002 kam es zu 350 Ausbrüchen mit 8598 Fällen, davon 17 % Krankenhauseinweisungen, 4 % Entwicklung eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) und 0,5 % (40) Todesfällen. (2)Emerg Infect Dis. 2005 Apr;11(4):603-9

Bedeutung

EHEC gehören zusammen mit Salmonellen und Campylobacter zu den häufigsten Erregern einer bakteriellen Enteritis (Darminfektion). Sie können (5-10%) ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS; Nierenschädigung + Blutzerfall), eine akute Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) und eine Enzephalopathie (Gehirnbeteiligung) auslösen. Die Diarrhö (Durchfall) durch EHEC ist eine häufige Reisekrankheit. Ausbrüche von EHEC-Infektionen stammen in der Regel von EHEC, die mit Nahrungsmitteln in die Nahrungskette gelangen. Auch andere Coli-Stämme, die Shiga-Toxin bilden, können eine hämorrhagische Kolitis und ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) verursachen.

Der bei EHEC-Ausbrüchen am häufigsten gefundene Serotyp von E. coli ist O157:H7; andere Serotypen, die bei schwer verlaufenden Infektionen gefunden werden sind z. B. O26:H11, O103:H2, O111:H8, O145:H28 und O104:H4 (siehe EAEC-Infektion). Die Virulenzfaktoren sind Shiga-ähnliche Toxine, die für die schweren Symptome, so auch für das hämolytisch urämische Syndrom (HUS, siehe unten) verantwortlich sind, und zudem Intimin, das zum Anhaften der Bakterien an die Zellen der Darmschleimhaut sorgt, und Enterohämolysin (Ehly) (auch als enterohämorrhagisches E. coli Haemolysin (EHEC-HlyA) bezeichnet). Die wichtigsten dieser pathogenetischen Faktoren scheinen die Shiga-Toxine zu sein.

Für die Virulenz des Bakteriums sind Oberflächenmoleküle verantwortlich, deren Zusammensetzung durch O- und H-Antigene (Antigene des Zellkörpers, ein Lipopolysaccharid, und der Geißeln, auch als Flagellin bezeichnet) beschrieben werden. Die Bakterienstämme können genetisches Material untereinander austauschen, so offenbar auch das, welches für die Bildung von Toxinen verantwortlich sind. Möglicherweise spielen auch Viren, die auf Bakterien spezialisiert sind (Bakteriophagen) dabei eine Rolle. Durch Übertragung von Bakterieneigenschaften können Ausbrüche durch unterschiedliche Bakterienstämme ausgelöst werden, so auch durch EAEC.

Bakterienstämme, die besonders stark an Zellen der Darmschleimhaut anheften und besonders viel Toxine freisetzen, sind auch besonders pathogen (krankheitserregend), so auch der für den “norddeutschen” Coli-Stamm O104 H4 (Ausbruch 05-2011, s.o.). Sein Reservoir scheint bislang hauptsächlich der Mensch zu sein. Damit kommen für den Ausbruch der blutiger Durchfälle und von HUS ab Mai 2011 möglicherweise nicht nur durch Tierexkremente verseuchte landwirtschaftliche Produkte sondern vielleicht auch durch menschliche Ausscheidungen infizierte Nahrungsmittel, die in die Nahrungskette gekommen sind, in Betracht (siehe EAEC-Infektion).

Übertragung von EHEC

Quelle einer EHEC-Infektion sind meist kontaminiertes Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel (3)Curr Opin Gastroenterol. 2010 Jan;26(1):1-4, wie rohe oder unzureichend pasteurisierte Milch, verschiedenste Nahrungsmittel (z. B. Lammfleisch, Rohwürste), die (direkt oder über den Umweg unreiner Hände, Fliegen?) mit Tierkot kontaminiert sind. Auch ist eine Kontamination von Salaten oder Gemüse durch Gülle auf dem Feld möglich. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch erfolgt bei unzureichenden Hygienemaßnahmen; daher ist bei der Betreuung Kranker mit EHEC-Infektion extreme Hygiene notwendig (Hände waschen, Einmal-Gummihandschuhe). Schon geringste Keimkonzentrationen von 10-100 Bakterien führen wegen der Säureresistenz der Erreger (unbeschädigte Magenpassage) zur Infektion. Hauptreservoir der EHEC sind Tierausscheidungen von Wiederkäuern (besonders von Rindern, aber auch von Schafen, Ziegen und anderen Tieren).

Die Infektionen erfolgen häufig ausbruchartig, wobei die Verbreitung der Erkrankung der der kontaminierten Nahrungsmitteln durch das jeweilige Verteilernetz folgt. Jeder infizierte Mensch ist selbst wieder eine potentielle Infektionsquelle.

Daher Isolationspflicht im Erkrankungsfall!

Infektion, Shiga-Toxin

EHEC heften sich an die Schleimhaut des Dickdarms an und führen zu einem Epitheldefekt. Sie produzieren ein oder mehrere Shigatoxine (Stx), die über die Mukosa in den Körper gelangen. Im Dickdarm sind sie für eine vaskuläre Schädigung (Schädigung von Blutgefäßen im Darm, den Nieren und anderen Organen) verantwortlich, die in schwereren Fällen zur hämorrhagischen Kolitis (blutige Dickdarmentzündung) mit blutigen Durchfällen (Diarrhö) und zum hämolytisch-urämischen Syndrom führt (s. u.).

→ Zum Shiga-Toxin siehe hier.

Diagnostik

Jede akute Diarrhö insbesondere bei blutigem Stuhl stellt eine Indikation zur bakteriologischen Untersuchung dar; Patienten aus der Lebensmittelbranche bzw. dem Gaststättenbetrieb sollten immer untersucht werden. Diarrhö und HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) mit Nierenversagen sind verdächtig auf EHEC-Infektion.

Die Diagnostik erfolgt durch PCR auf Toxingene und den Toxinnachweis durch ELISA. Der Shigatoxin-2-Nachweis über ELISA im Stuhl (auch in Lebensmitteln und in Kulturen) ist rasch durchführbar.

Der Verozelltest weist Shiga-Toxine nach, indem ihre zellschädigende Wirkung mikroskopisch sichtbar wird. Der Test ist recht sensitiv, dauert aber 1 – 3 Tage.

Ein kultureller Nachweis der Shiga-Toxin produzierenden Kolibakterien ist möglich, indem das in der Kultur produzierte Toxin nachgewiesen wird. Die Bakterien selbst zeigen ansonsten praktisch gleiche oder sehr ähnliche Wachstumseigenschaften auf Nährböden wie die in der normalen Kolonflora befindlichen Koli-Bakterien. Besondere diagnostisch und für selektive Kulturbedingungen verwertbare Eigenschaften sind die Säureresistenz, eine Beta-Glucuronidase zu bilden und Sorbit abzubauen.

Klinischer Verlauf

Die Inkubationszeit beträgt um etwa 3 Tage, kann aber auch bis an die 10 Tage sein.

Die Krankheit beginnt mit wässriger Diarrhö, dabei häufig Darmkrämpfe; es werden vermehrt Leukozyten im Stuhl gefunden. Bei schwerem Verlauf verschlimmert sich die Symptomatik innerhalb von etwa 2 Tagen zu blutiger Diarrhö (reinem Blutstuhl) und heftigen Bauchkrämpfen. Häufig treten dabei (meist geringes) Fieber, Übelkeit und Erbrechen auf. Der enterale Blutverlust kann zur Bluttransfusionen veranlassen. Innerhalb weiterer 1 – 3 Tage kann es zu ständigen Bauchschmerzen oder peritonitischen Bauchschmerzen kommen. Spätestens hier sollte eine Überwachung auf einer Intensivstation erfolgen. Die Darmwandungen des Kolons verdicken sich durch entzündlich-ödematöse Schwellung, was in der Computertomographie und in der Darmsonographie erkennbar ist. In diesem Zeitrahmen kann sich auch eine Nierenbeteiligung und Hirnbeteiligung entwickeln, klinisch erkennbar durch Einschränkung der Urinausscheidung und durch Somnolenz (Schläfrigkeit, Eintrübung), Lähmungen und zerebralen Krämpfen. Je nach Schwere des Krankheitsbildes muss nun darüber nachgedacht werden, ob eine Toxinreduktion im Blut durch Plasmapherese erfolgen sollte. In besonders schweren Einzelfällen wurde erfolgreich Eculizumab (Soliris®) verabreicht (s.u.).

Die Symptomatik ist bei Kindern und Jugendlichen meist ausgeprägter als bei Älteren, bei denen die Infektion blande verlaufen kann. Der Verlauf kann in schweren Fällen lebensbedrohlich sein.

Extraintestinale Komplikationen einer EHEC-Infektion:
Die Erkrankung kann in schweren Fällen durch Beteiligung einer Reihe innerer Organe besonders schwer und lebensbedrohlich verlaufen. Gefürchtet sind besonders folgende Komplikationen:

Hämolytisch-urämisches Syndrom

Das hämolytisch urämische Syndrom (HUS) macht sich durch Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Erbrechen, Bauchschmerzen, Ikterus und Hämorrhagien (petechiale Blutungen, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, Blutpunkte in der Haut) der Haut und Einschränkung der Urinproduktion bemerkbar [4]. (4)Semin Thromb Hemost. 2010 Sep;36(6):575-85 Auch kann blutiger Urin auftreten.

Laborchemisch findet sich eine Hämolyse mit zunehmender Anämie und einer rasch zunehmende Nierenfunktionseinschränkung (Niereninsuffizienz). Die Nierenschädigung wird durch eine thrombotische Mikroangiopathie (Verstopfung kleinster Blutgefäße durch Blutgerinnsel) ausgelöst. Sie führt häufig zur Dialysepflichtigkeit und ist meist nicht voll reversibel. Auch bei weniger schweren Fällen bleiben häufig eine Proteinurie und eine Hypertonie als Spätfolgen.

Seltenere Komplikationen

  • Eine akute Pankreatitis kann klinisch, sonographisch und laborchemisch (durch Erhöhung der Lipase) diagnostiziert werden und zu einer chronischen Pankreatitis führen. In diesem Rahmen kann auch ein Diabetes mellitus auftreten. Zur akuten Pankreatitis siehe hier.
  • Eine Enzephalitis (Entzündung des Gehirns mit Hirnödem) kann zu Krämpfen, Einschränkungen des Bewusstseins (bis zum Koma) und neurologischen Ausfällen führen.
  • Atemnot kann durch Einbeziehung der kleinsten Blutgefäße in den Lungen auftreten.

Therapie

Symptomatische Therapie

In der Regel ist der Verlauf innerhalb von 5-10 Tagen selbstlimitierend. Antibiotika (wirksam sind meist Trimetoprim-Sulfamethoxazol und Ciprofloxacin) können in der akuten Krankheitsphase zu einer vermehrten Toxinfreisetzung und damit zu einer Verschlechterung führen und ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, s.o.) auslösen; sie sind daher in der Regel kontraindiziert (5)N Engl J Med 2000; 342: 1930-1936 Zur Vorbeugung mikrothombotischer Komplikationen in den Nieren und im Gehirn wurden verschiedene Therapieversuche mit Gerinnungshemmern und Thrombozytenaggregationshemmern durchgeführt, die jedoch nicht immer erfolgreich zu sein scheinen. Überlegungen zur Neutralisation des Toxins (Stx) sind nicht zur klinischen Reife gelangt. Eine kausale Therapie steht damit nicht zur Verfügung.

Die symptomatische Therapie beinhaltet folgende Maßnahmen:

  • Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich (eine große Flüssigkeitszufuhr scheint für die Aufrechterhaltutng der Nierenfunktion günstig zu sein, s. u.),
  • Kalorienzufuhr, so dass Katabolismus vermieden wird,
  • Vorbeugung einer Niereninsuffizienz durch forcierte Diurese (Durchspülung der Nieren mit Flüssigkeit, Infusionen, unter Einfuhr-Ausfuhr-Bilanzierung),
  • Dialyse bei Nierenversagen (Niereninsuffizienz),
  • Plasmapherese in schweren Fällen mit HUS-Entwicklung zur Toxinreduktion im Blut,
  • Bluttransfusionen bei Zunahme des enteralen Blutverlusts,
  • Schockbehandlung bei Blutdruckabfall.

Die Behandlung erfolgt in schweren Fällen auf einer Intensivstation mit der Möglichkeit einer ständigen Kreislaufüberwachung in einem Isolierzimmer.

Plasmapherese

Die Plasmapherese (Plasmaaustausch) ist eine therapeutische Option in Fällen einer zunehmenden renalen und zentralnervösen Beteiligung und schweren Hämolyse. Sie soll die zirkulierende Shiga-Toxin-Konzentration verringern. Beispielsweise werden folgende Laborwerte oft als Anhalt für eine Indikation angesehen: Thrombozyten unter 100000/mm3, LDH über 400 U/l. Vor einer Plasmapherese sollte eine Prophylaxe einer anaphylaktischen Reaktion z. B. mit einem Kortikosteroid (bzw. Prednisolon Solodecortin) und der Kombination eines H1- und H2-Blockers (z.B. Clemastin und Ranitidin) erfolgen.

Eculizumab

Bei Patienten mit rasch progredientem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) infolge einer EHEC-Infektion sind in Einzelfällen erfolgreich mit einer Complement-Blockade durch einen humanisierten Antikörper gegen CD59 auf Erythrozyten (C5-Komplementinhibitor) behandelt worden. Es wurde von drei 3-jährigen Kleinkinder mit HUS, die dialysiert werden mussten, berichtet, die sich bezüglich Hämolyse, neurologischer Symptomatik und Niereninsuffizienz dramatisch verbesserten. (6)N Engl J Med. 2011 Jun 30;364(26):2561-3. doi: 10.1056/NEJMc1100859. Auch weitere positive Erfahrungen wurden berichtet. (7)J Pediatr Pharmacol Ther. 2022;27(1):90-95. DOI: 10.5863/1551-6776-27.1.90. (8)Medicine (Baltimore). 2015 Jun;94(24):e1000. doi: 10.1097/MD.0000000000001000

→ Zu Eculizumab siehe hier.

Vorbeugung

Zur Vorbeugung einer EHEC-Infektion sollten folgende Maßnahmen eingehalten werden: keine rohen Tierprodukte, Gemüse und Obst vor Verzehr gut waschen, keine unabgekochte Milch vom Bauernhof, Handhygiene (Hände waschen), in Krankenhäusern Isolation, Händedesinfektion, Flächendesinfektion.

Eine Impfung ist derzeit noch nicht verfügbar.

Eine Prophylaxe von EHEC-Ausbrüchen scheint durch Einsatz spezifischer Bakteriophagen möglich zu sein; entsprechende Forschungen sind im Gange. (9)Int J Food Microbiol. 2011 Jan 31;145(1):37-42 Bakteriophagen sind in der Lage, Keimbesiedlungen auf Nahrungsmitteln (z. B. Gemüse) und einen E.-coli-Biofilm zu zerstören. (10)Antibiotics (Basel). 2021 Sep 24;10(10):1150. doi: 10.3390/antibiotics10101150

→ Zur Phagentherapie siehe hier.

Meldepflicht

Gemeldet werden muss bereits der Verdacht auf eine EHEC-Infektion, der Nachweis einer Erkrankung und der Tod jeweils namentlich (§ 6 IfSG).


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Verweise

Literatur[+]