Ärztliche Hilfe in Darfur 03

Veröffentlicht von
Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Darfur 2005/6.
Die politischen Gegebenheiten haben sich seither erheblich geändert.

 


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Teil 3

Mail vom 25.12.05

… Mein sudanesisches Umfeld – die Mitarbeiter, die Patienten – ist
sehr freundlich zu uns. Als ich … wg. einer fieberhaften
Durchfallerkrankung 1 Tag im Bett blieb, kam die gesamte Op. Mannschaft zu
unserem Compound, um mich zu besuchen (da ich schlief, zogen sie ab, nicht
ohne viele Wünsche zu hinterlassen).

Auch das Team ist jetzt entspannt und sehr fröhlich. Mit Jim kam ein engl. Arzt mit 4 Jahren Erfahrung in Notfallmedizin einschl. Anästhesie, Gebh./Gyn. Er hat sehr schnell Ordnung in unsere Medikation und Dokumentation gebracht und in die Praxis der Anästhesie. Für bestimmte Eingriffe kann er spinale Anästhesien durchführen, eine große Verbesserung. Dann kam letzte Woche Esther, eine holl. Schwester, die die mobilen clinics wieder aktivieren wird, die seit einer Notfallevakuierung im Sept. (damals war die Lage hier so prekär, dass alle Expats den Ort verlassen hatten) wieder aufbauen wird. Wir warten noch auf eine Hebamme für die Schwangerenvorsorge und Entbindungen im Hosp. Und auf eine weitere Schwester für die sog. Outreach Arbeit – aktives Arbeiten in den Dörfern und Häusern zum Aufsuchen von problematischen gesundheitlichen und hygienischen Zuständen.

Meine Arbeit hat sich stabilisiert. Wenn ich Zeit habe, plane ich immer
einmal wieder elektive kleine chirurg. Op.s ein. Das ist oft nicht möglich,
da die Tagesroutine z. Zt. immer noch von den vielen Verbänden bei den
vielen Verletzungen bestimmt wird. Wir hatten knapp 60 Schussverletzte in
einem Monat, z. Zt. sind noch knapp 30 im Hosp. mit Wunden in verschiedenen
Stadien der sek. Wundheilung. Zusammen mit anderen Verletzten heißt das
etwa 15 – 18 Verbände/Tag im Op, da die Nurses auf den Stationen viel zu
wenig Ausbildung haben, um das zu tun. Dazu kommen dann immer wieder
Notfälle, Abszesse, kleine Wundversorgungen, gel. Kaiserschnitte und
anderes. Ich habe auch gelernt, Nein zu sagen; bestimmte Dinge gehen einfach nicht. Eine Frau mit doppelt faustgroßem ulzerierendem Parotistumor, viele Osteomyelitiden, die einer Revision bedürften. Das alles müssen wir abweisen, oder auf die vorhandenen Hospitäler verweisen, die allerdings für viele nahezu unerreichbar sind.

Bei den Schussverletzungen hatte ich eine steile Lernkurve: initiale breite
große Eröffnung und Debridement – Entfernung allen zerstörten Gewebes,
eher mehr als zu wenig, postprimärer Verschluss in Etappen. So sind 3 von
den 5 Schussbrüchen des OS aus der 1. Serie jetzt mit abgeschlossener
Wundheilung noch im Streckverband und werden in 10 Tagen mit Gehübungen
beginnen. Einen wurde postprimär amputiert, wg. Art. popl. Verletzung und
drohendem Gasbrand; einen habe ich gestern, 4 Wo. nach Aufnahme amputieren
müssen, tränenden Auges, da die Infektion nicht zu beherrschen war und
eine avaskuläre Pseudarthrose drohte, eine Situation, die man in
Deutschland mit Fix.ext, Knochenaufbau usw. hätte lösen können. Von den
Höhlenverletzungen sind 2 gestorben wg. Verletzungen, die bei den
beschränkten Mitteln nicht zu beherrschen waren. Der 15 j. Junge, bei dem
der gesamte Darm vor der Bauchdecke war, entwickelte eine Jejunum-Fistel
(ich hätte meinem Gefühl nachgeben sollen und am 2. Tag einen sec. look
durchführen sollen), leider in ein sek. Wundgebiet, darum schlecht zu
versorgen. Er bedarf täglicher schmerzhafter Verbände und ich hoffe, das
Wundgebiet ist bald so stabilisiert, dass wir versuchen können, die Fistel
zu schließen. Zusätzlich hat er noch einen weit offenen Unterschenkel mit
Muskelverlust nach einem Compartmentsyndrom.

Bei den nicht verletzungsbedingten Problemen ragen heraus: eine
Notfalltracheotomie wg. Pharynxödem und Luftnot; Patient ist bereits
dekanuliert und geheilt. Eine Frau mit Tetanus z.Zt auf Station unter
Diazepam und Antibiotics; wir hoffen sie so über die Runden zu bringen;
eine Herzinsuffizienz mit Lungenstauung, die mit Furosemid und Digitalis
beherrscht wurde – wie weiter? Wird der Pat. seine Medikamente weiter
bekommen???? Eine merkwürdige retrobulbäre Entzündung bei einem Kind mit
Meningitiszeichen. Das Frühgeborene mit Dünndarmatresie lebt und nimmt
langsam an Gewicht zu, obwohl sich eine Vicryl (Naht)-Allergie einstellte
mit subkutanem Abszess.

… Auf Grund unserer Situation in einem Spannungsgebiet haben wir … die Rolle der Chirurgie hier neu definiert und werden auf der Basis unserer Erfahrungen eine Empfehlung … bezgl. Ausrüstung und Material
(Einweg-wasserdichte Abdeckungen, angepasste Instrumentarien) und
Anforderung an den Chirurgen (Traumat., Fix.ext.) (ausarbeiten).

Viele Kommentare, (die ich mit) … der Post (bekomme), beziehen sich auf die angebl. Gefährdung hier, die Schwere der Aufgabe. Das Ganze ist eine Sache des Blickwinkels. Wenn Du mitten drin bist, ist es normal, was für den Blick von good old Germany außerordentlich erscheint. In sofern leide ich weniger, als Ihr denkt. Auch unser Leben hier ist ganz normal und kaum einer vermisst tatsächlich das Sitz-WC oder den TV oder das abendliche Bier, oder den eigenen PKW vor der Tür. Allerdings werden viele unserer Errungenschaften und Gewohnheiten recht fragwürdig. Besonders im Kontext Weihnacht. Gemessen an der Ursprungsbotschaft mit der Geburt eines Kindes = absolute Hilflosigkeit, = absolute Abhängigkeit, = absolutes Vertrauen in eine helfende Person, = absolute Liebesbedürftigkeit in einer vom Lebenskampf bestimmten Welt (Wasser, Nahrung, Behausung), beherrscht von Gewalt (damals Juden/Rom, hier SLA gegen Regierung) wenig Aufnahmebereitschaft (damals kein Platz in der Herberge, jetzt IDP Camps), nehmen sich unsere Symbole sehr lächerlich heraus – der kleine Plastikchristbaum auf dem großen Tisch jetzt unter freiem Himmel, die bunten Girlanden, die kleinen Geschenkpäckchen, die schnulzigen Weihnachtslieder von Schnee und Tannenbaum und Father Christmas.

Draußen vor unserem Compoundzaun lagern die mageren Kühe, die Esel und
Kamele, fahren die Eselskarren, laufen die Kinder barfuss in Sand und
Dreck, in dem die Esel nach Nahrung suchen, die Hühner scharren, oder ein
anderes Kind gerade seine Notdurft verrichtet. Doch auch dort die
Überlappung der Zivilisation: Junge Männer tragen ihre Kassettenrecorder, junge Frauen stolzieren mit Stöckleabsatz-Sandaletten durch die Landschaft, das alles neben dem ursprünglichen Leben. Das wird jedem hier deutlich und jeder hängt so seinen Gedanken nach. Die Gespräche werden persönlicher offener. Wir haben 3 Tage frei, d. h. einer muss sich immer um das Hosp. kümmern. Bis jetzt ist es ruhig und wir hoffen es bleibt so.

Am 23.12. hatten wir die franz. Mitarbeiter von … zum Essen hier
eingeladen, es gab Steaks mit Koblauchsauce, Folienkartoffeln, und Salat. Am 24.12. waren wir unter uns, hatten unser normales Essen unter freiem Himmel, ich hatte Rufdienst und musste 2 mal kurz zur Clinic, die anderen haben sich dann einen uralten DVD Film mit James Stewart, Its a wonderfull life, ein Weihnachtsmärchen, angeschaut. Heute am 25.12.05 werden wir ein engl. Christmasdinner haben, Paul, unser teamleader wird wieder kochen. In den letzten 2 Wochen hat er eine neue Küche bauen lassen – war aus Hygienegründen dringend erforderlich – und jetzt ist er voll in seinem Element (obwohl es nicht seine Aufgabe ist!!).

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